Von Dr. phil. Clemens Heni, 09. März 2021
Ich habe schon 2009 über problematische Ideologeme („Boris Palmers antisemitische Ressentiments – Besuch ehemaliger Tübinger Juden im Jahr 2004“) berichtet („Boris Palmer und der Wohlfühl-Antisemitismus. Grüne, Felicia Langer und das Tübingen-Syndrom oder: Wir mögen Juden – aber nur, wenn sie gegen Israel sind“), die man bei Boris Palmer, dem Oberbürgermeister von Tübingen, analysieren konnte. Zuletzt hatte ich ihn aufgrund seiner tendenziell Lockdown kritischen Position positiv hervorgehoben (Corona decline: Great Barrington Declaration works – The case of the German University town of Tubingen!), ohne seine antiisraelische Ideologie, die sich seinerzeit auch im Promoten der antizionistischen Aktivistin und Tübinger Bundesverdienstkreuzträgerin Felicia Langer zeigte, zu verschweigen.
Die vorgeblich Coronapolitik kritische Position von Palmer war von Anfang an auf wackligen Füßen gebaut. Zwar waren Teile der Palmerschen Politik nicht uninteressant, wie kostenlose Taxis für alte Menschen oder bevorzugte Öffnungszeiten von Supermärkten für die ältere Bevölkerung. Das sind Elemente, wie wir sie aus der Great Barrington Erklärung kennen – gezielter Schutz der Alten und Gefährdeten („focused protection“) und normales Leben für alle anderen.
Doch aufgrund seines bekannten autoritären Auftretens gegenüber kritischen Studenten („Oh je, der schon wieder“) war klar, dass es nicht lange dauern dürfte, bis Palmer tendenziell auf chinesischen, australischen oder österreichischen Corona-Kurs einschwenken würde. In Australien passierte es kürzlich, dass wegen nur eines einzigen (!) ‚Corona‘-Falls Millionenstädte wie die Metropole Perth komplett abgeriegelt wurden. Das ist demnach die Traum-Politik der totalitären ZeroCovid-Monster, wie wir sie auch hierzulande haben, von Antje Schrupp (Evangelische Frauen) über Georg Restle (ARD, Monitor) hin zur Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski.
So ein Abriegeln selbst bei Tausenden Fällen wäre antidemokratisch und widerspricht dem Grundwissen der Public Health wie der Epidemiologie. Australien wird sich nie mehr der Welt öffnen können, da es logisch ist, dass durch Touristen aus allen anderen Gegenden der Welt logischerweise Menschen einreisen werden, die ein so harmloses Virus wie Corona oder Influenza mit sich tragen. Diese Lektion wird Australien noch lernen, auch wenn das Land für rationale Tourist*innen für unabsehbare Zeit gestorben ist, wie Neuseeland. Corona ist eine „schwere Influenzawelle“, sagt das Robert Koch-Institut (RKI).
Tübingen plant jetzt alle Menschen zu kontrollieren, die aus Stadt- oder Landkreisen, oder gar Ländern und Gegenden kommen, die eine „Inzidenz“ von mehr als 50 „Infektionen“ (die fast alle keine sind und nie waren) pro 100.000 EW in den letzten 7 Tagen haben.
Das betrifft aktuell einen Großteil aller Stadt- und Landkreise von Baden-Württemberg, unter anderem Stuttgart, Esslingen, Ludwigsburg oder das direkt an Tübingen angrenzende und größere Reutlingen. Menschen aus diesen Stadt- und Landkreisen werden kategorisch und zwar alle als Gefahr für die Volksgesundheit betrachtet und müssen einen tagesaktuellen negativen C-Schnelltest vorweisen. Während es seit März 2020 ohne Probleme möglich war, nach Tübingen zu reisen, ist das jetzt kaum noch jemand einfach so möglich. Jeder Mensch ist ein Verdachtsfall bzw. wird durch Boris Palmer zu einem solchen gemacht. Diese totalitäre Willkür ist jetzt in Mode. Alle folgen dem chinesischen Modell, also dem Totalitarismus des dortigen Einparteien-Staates unter der Führung der Kommunistischen Partei.
In Österreich planen sie jetzt, eine Gemeinde wie die Wiener Neustadt, südlich von Baden bei Wien, komplett abzuriegeln – weil offenkundig zu wenige Menschen in Österreich mit Corona im Krankenhaus liegen (nur 317 Intensivbetten sind mit Corona-Pat. belegt) und so eine Polizei- oder Militärstaatsmethode Leute doch einschüchtert und krank machen wird oder Gewalt aufkommen wird.
Palmer hat nicht gelernt, dass es gut ist, wenn sich die junge Bevölkerung – alle unter 60 Jahren – mit Corona ansteckt, da dies und nur dies eine Herdenimmunität aufbaut, unsere Körper schaffen das. Nur die enorm kleine Gruppe von sehr alten, sehr kranken oder sonst massiv vorerkrankten und vor allem immungeschwächten Personen ist theoretisch gefährdet. Corona ist eine Art schwere Grippe, nichts weiter – sagt das RKI.
Palmer hat seit März 2020 nicht verstanden, dass man ein respiratorisches Virus nicht stoppen kann. Er sucht den Schuldigen, ganz analog wie das die Regierungspolitik bundesweit seit März 2020 tut – wer sich nicht an die „Maßnahmen“ hält, weil sie oder er mehr Ahnung von Epidemiologie, Virologie, Public Health oder gar – Gott behüte – von Demokratie, Freiheit, Menschen- und Grundrechten hat, die oder der werden diffamiert, wie seit 1945 niemand in diesem Deutschland diffamiert und denunziert wurde.
Nehmen wir einen ganz typischen Fall: Eine 27-jährige Studentin der Universität Hamburg aus Brokdorf in Schleswig-Holstein (Landkreis Steinburg, Inzidenz 15,3), die ihre Tante in der Tübinger Südstadt besuchen möchte. Auf dem Weg dahin fährt die junge Frau entgegen der Sorge ihrer vollautonomen Eltern, Brokdorf-Kämpfer*innen der ersten Stunde, mit dem geerbten Maserati ihres Onkels bei ihrer lesbischen Freundin in Thüringen vorbei. Diese wohnt im Landkreis Greiz (Inzidenz 260,8), wirkt hardcore asymptomatisch, die beiden kommen sich in den drei Stunden Zwischenaufenthalt näher, auch wenn der eigentliche Besuch erst auf der Rückfahrt von der Tante aus Tübingen einige Tage später geplant ist.
Die 1006 km von Brokdorf via Greiz nach Tübingen sind mit dem Maserati durchaus an einem Tag zu schaffen. Daher ja auch der Zwischenstopp in der Ex-DDR. In Tübingen angekommen, wundert sich die Studentin über den verglichen mit Steinburg an der Elbe doch deutlich erhöhten Inzidenz-Wert von 27,1.
Es fällt ihr in Tübingen schon auf, dass viele Leute etwas schwer atmen, einige husten, wieder andere setzen sich öfters mal auf eine Bank auf der Platanenallee am Neckar und ruhen sich aus (vis-à-vis vom Hölderlinturm). Ihr fällt auf, wie winzig der Neckar ist, eher eine Art Bach – verglichen mit der Elbe bei Brokdorf. Ob das etwas mit der Inzidenz zu tun hat?
Wie wird nun die Tübinger Polizei mit ihr umgehen? Ihr eindeutig nicht-schwäbisches Idiom verrät sie sofort, die klare Aussprache, ihre blonden Haare, ihre große Statur und ihre schicke Hamburger Kleidung verraten sie obendrein.
Wer wird die junge Frau ansprechen, ob sie überhaupt aus einem Landkreis kommt, der eine Inzidenz unter 50 hat, damit die super Inzidenz von 27,1 von Tübingen nicht verwässert wird? Was, wenn sie erfährt, dass der Landkreis Steinburg eine viel niedrigere Inzidenz hat? Was wäre passiert, wenn ihre Freundin aus Greiz spontan Lust bekommen hätte, mitzufahren in die schwäbische Provinz, erstmals eine Reise in die alte BRD? Hat die Studentin beim distanzlosen Körperkontakt mit ihrer Geliebten einen Teil der 260er Inzidenz aus Greiz abbekommen? Woran könnte sie es merken?
Müsste sie dann mit ihrer womöglich teilweise krassen Nähe zu ihrer Freundin mit 260er Inzidenz an der Stadtgrenze von Tübingen aussteigen und im Landkreis Reutlingen verweilen? Würde das die Bundespolizei oder die Tübinger Polizei kontrollieren, oder die Bundeswehr, nachdem ja schon vor Jahrzehnten „die Franzosen“ das Musterländle verlassen hatten und die man sonst hätte fragen können (Macron ist weiter „im Krieg“ gegen das Coronavirus) ?
Oder hofft Palmer auf das traditionelle Denunzieren von Abweichlern und Verdächtigen im Ländle? Neigschmeckte werden in Tübingen sofort enttarnt. Dabei würde ein echter Tübinger ja sogar den Dialekt einer Heilbronnerin sofort erkennen, der dortige Singsang ist unverkennbar und hat bereits einen Hauch Badisches oder gar Hohenlohisches an sich. Wenn erst jemand aus Mannheim den Weg von der Neckarmündung zurück zum Oberlauf des Neckars bei Tübingen machen sollte, ist alles verloren, da muss man gar nicht erst fragen, woher der Mann kommt, oder auf das Nummernschild des Autos schauen – Badenser haben in Tübingen eh nichts zu suchen und am Rhein ist die Inzidenz immer höher als im vorbildlichen Universitätsstädtle. Darauf können Sie Gift nehmen.
Ironischerweise trifft sich nun Palmer mit der hardcore aggressiven, irrationalen und auf das Testen, Impfen und Aussperren der Nicht-Geimpften basierenden israelischen Coronapolitik von Benjamin Netanyahu, einem Kumpel von Basti Kurz aus Wien, dem harten Mann Österreichs. Vielleicht wird aus Palmer dann doch noch ein Israelfreund, wenn auch kein zionistischer, sondern ein coronagläubiger…
Der Autor war von 1991 bis 1996 Student an der Universität Tübingen (Philosophie, Geschichte, Empirische Kulturwissenschaft (EKW), Politikwissenschaft), zeitweise hatte er ein Zimmer im Studentenwohnheim, direkt gegenüber dem Arbeitszimmer des Ex-SS-Mannes Theodor Eschenburg, Professor für Politikwissenschaft. 1996 anlässlich der Goldhagen-Debatte meinte eine Kommilitonin, ob nicht für einen „Antideutschen“ die „rote Uni Bremen“ besser passen würde, und so kam es 😉
Zugleich war der Autor beim Antifaschismuskomitee Tübingen/Reutlingen und in anderen antirassistischen und Pro-Flüchtlingsgruppen aktiv.