Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Selenskyi

Holocaustverharmlosung und Antisemitismus straffrei? Waters (BDS) – Bhakdi – Selenskyi

Von Dr. phil. Clemens Heni, 27. Mai 2023

 

Wer die Opfer des Holocaust in eine Reihe stellt mit aktuellen Ereignissen in Israel, handelt antisemitisch. So sagt es die international anerkannte Definition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA):

Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.

Erstes Beispiel:

Exakt das hat der Musiker Roger Waters vor wenigen Tagen in Berlin auf einem Konzert vor 10.000 Zuschauer*innen getan. Er verkleidete sich in einer Nazi-ähnlichen Uniform mit bodenlangem Mantel und einer Art Nazi-Armbinde, schoss mit einer Spielzeug-Maschinenpistole ins Publikum, dem dies gefiel, und er ließ während seiner Show Namen von „Opfern“ in roten Großbuchstaben auf Bildschirmen einblenden, so „Anne Frank“ oder „Shireen Abu Akleh“.

Damit setzt er den Mord an sechs Millionen Juden und die Shoah mit einem tragischen militärischen Zwischenfall zwischen Israel und den Palästinensern sowie jener Journalistin, die durch einen Querschläger umkam, auf eine Stufe.

Roger Waters ist nicht dumm. Er weiß exakt, was er tut und es macht ihm Spaß. Er suhlt sich in seiner virtuellen Blutlache, die er mit seinem Maschinenpistolenfeuer in der Mercedes-Halle in Berlin anrichtete, vergleicht Israel mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust.

Es stellt sich die Frage, was für Menschen es sind, die solche Konzerte planen und durchführen und wer die Fans sind, die auf solche antisemitischen Massenveranstaltungen strömen. Jeder einzelne Besucher und jede einzelne Besucherin unterstützt diesen vulgären und perfiden Antisemitismus.

Zweites Beispiel:

Der Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, der aufgrund seiner Kritik an der Coronapolitik und Panikmache der nicht evidenzbasierten deutschen und internationalen Politik Furore machte, sagte im April 2021 in einem Video, wie unter anderem der österreichische Standard berichtete:

„Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land, aus diesem Land, wo das Erzböse war, (…), und haben ihr Land gefunden, haben ihr eigenes Land in etwas verwandelt, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. (…) Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Deshalb ist Israel jetzt ‚living hell‘ – die lebende Hölle.“

Auch das ist antisemitisch. Er betreibt eine Täter-Opfer-Umkehr und suggeriert, die Juden wäre so wie die Nazis, ja die Juden, er meint damit Israel, hätten etwas gemacht „was noch schlimmer ist, als Deutschland war“. Nun ist Bhakdi Mikrobiologe und hat offenbar sehr wenig Geschichtskenntnisse. Doch das entbindet ihn nicht davor, die Geschichte zu kennen. Und im Nationalsozialismus, in „Deutschland“, sind die schlimmsten Verbrechen in der gesamten Geschichte der Menschheit verbrochen worden: der Holocaust. Sechs Millionen Juden wurden industriell vernichtet. Sie wurden aus keinem anderen Grund, als Juden zu sein, vernichtet. Sie wurden in Auschwitz, Treblinka, Sobibor und anderen Orten vergast und weitere Millionen wurden erschossen, erschlagen und sonst wie zu Tode gefoltert und ermordet.

Das Amtsgericht in Plön in Schleswig-Holstein hat offenbar keinerlei Ahnung von Antisemitismus und ignoriert offenbar vorsätzlich die Definition der IHRA, die auch Deutschland unterschrieben hat. Die Jüdische Allgemeine berichtet:

Der Richter sagte in seiner Begründung, bei mehrdeutigen Aussagen müssten auch andere Deutungen berücksichtigt werden. Es sei nicht vollständig auszuschließen, dass Bhakdi mit seinen Äußerungen nur die israelische Regierung und nicht das Volk meinte. Die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft kündigte Rechtsmittel an.

Wer dieses unbeschreiblichen Verbrechen der Deutschen gerade mit der (Corona-)Politik Israels vergleicht, sollte vor Scham im Boden versinken für unabsehbare Zeit. Es ist eine unerträgliche antisemitische Leugnung dessen, was in Auschwitz passierte.

Gerade wenn Bhakdi damit die Politik Israels meinte, ist dieser Vergleich antisemitisch. Es ist nicht ’nur‘ antisemitisch, wenn er damit alle Juden meint.

Es bleibt zu hoffen, dass andere Richter*innen, die jetzt weiter mit dem Fall beschäftigt sein werden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt hat, mehr Ahnung von Antisemitismus haben und den Forschungs- und Diskussionsstand nicht völlig ignorieren.

 

Drittes Beispiel:

 

Am 20. März 2022 sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi in einer Video-Ansprache zum israelischen Parlament, der Knesset, die auch live an anderen Orten ausgestrahlt wurde, wie auf dem Habima Theater-Platz in Tel Aviv.

Er verglich die Gründung der NSDAP am 24. Februar 1920 mit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine, der zufällig am 24. Februar 2022 begann. Selenskyi sprach auch von einer „Endlösung“, die Russland in der Ukraine plane, so wie damals die Deutschen die „Endlösung“ an den Juden planten. Schließlich sagte der jüdisch-ukrainische Präsident, dass Israel der Ukraine beistehen solle und die Ukrainer so behandeln solle, wie die Ukrainer damals die Juden behandelt haben! Daraufhin sagten israelische Politiker, dass sie das nicht tun werden, weil sie „ein Licht unter den Völkern sind“ – und damals bekanntlich viele Ukrainer den Nazis und der deutschen Wehrmacht zur Seite standen beim Judenmord, ja schon Tausende Juden massakrierten, bevor die Nazis, die SS, die Wehrmacht und so weiter aktiv wurden.

Diese Rede von Selenskyi ist eine antisemitische NS-Verharmlosung sowie antisemitische Dämonisierung Russlands.

Es ist eine typische Form des „sekundären Antisemitismus“ nach Adorno und Peter Schönbach, die seinerzeit – um 1960 – einen solchen Vergleich als antisemitisch analysierten. Damals ging es um den Vergleich des Luftkriegs der Alliierten und der Engländer gegen Dresden mit Auschwitz. Das ist eine typische Form des sekundären Antisemitismus. Heute kann man „Dresden“ durch die „Ukraine“ ersetzen, wie es Selenskyi in dieser antisemitischen Reaktionsweise tut. In beiden Fällen, weder in Dresden noch heute in der Ukraine, wird auch nur ansatzweise ein Verbrechen begangen wie der Holocaust.

Nichts auch nur annähernd mit den Verbrechen des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945, dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah Vergleichbares passiert seit dem 24. Februar 2022 durch Russland in der Ukraine. Auch Selenskyi argumentiert also antisemitisch, der israelische Knesset-Abgeordnete Yuval Steinitz sprach davon, dass die Rede Selenskyis an „Holocaustleugnung grenze“.

Resultat: wir haben es mit drei antisemitischen Äußerungen dieser drei ganz unterschiedlichen Männer zu tun.

Doch Selenskyi bekam am 14. Mai 2023 in Aachen den Karlspreis verliehen, Kanzler Olaf Scholz hielt die Laudatio und alle –

wirklich wie bei Corona nahezu alle Medien haben die exakt gleiche Meinung, kurzzeitige Meldungen über den Antisemitismus und die Holocaustverharmlosung von Selenskyi, wie der oben zitierte ZDF-Bericht, sind schnell vergessen und haben keinerlei Wirkung auf das Bild des ukrainischen Präsidenten in der deutschen Politik und der medialen und kulturellen Elite. Bei der Bevölkerung jedoch hat Selenskyi ganz bestimmt kein so gutes Standing in Deutschland, das ist ein Unterschied zur Corona-Pandemie, als die Elite wie der Mob auf der Straße gleichermaßen die exakt gleiche irrationale Meinung vertraten.

Selenskyi ist für die Elite wie in Aachen ein Held und ein ganz toller Hecht. Keine rationale Analyse seines Antisemitismus nirgends.

 

Woran liegt das? Am Antisemitismus jener, die Selenskyi lieben und feiern? An der dankbar aufgenommenen NS-Verharmlosung, für die Selenskyi eindeutig steht? Warum werden dann zumindest vom Zentralrat der Juden in Deutschland sowohl Roger Waters als auch Sucharit Bhakdi zu Recht scharf kritisiert wegen Antisemitismus – aber Selenskyi gerade nicht?

 

Warum diese Inkonsistenz? Dabei ist die weltpolitische Wirkmächtigkeit des ukrainischen Präsidenten um ein Vielfaches heftiger: Zuletzt verglich er ausgerechnet in Hiroshima den Krieg Russlands  in der Ukraine mit dem Massenmord der Amerikaner an Japanern in Hiroshima am 6. August 1945, der die gesamte Weltbevölkerung tatsächlich zur „letzten Generation“ machte, weil seit diesem Tag jederzeit die Zerstörung alles Lebens möglich ist.

Woher rührt dieser Irrsinn dieses Ukrainers? Woher sein Zynismus, in der Welt herumzureisen, während seine Bevölkerung in einem Krieg lebt, den zu beenden nicht nur Putin, sondern auch Selenskyi und vor allem der Westen mit verantwortlich sind? Bekanntlich hätte es unter Vermittlung des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett schon im März 2022 einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen geben können. Putin hatte zugesagt, sich auf die Linien vor dem 24. Februar 2022 zurückzuziehen, wenn die Ukraine definitiv erklärt, nicht NATO Mitglied zu werden. Doch der Hass auf Putin war im Westen zu groß, sie wollen diesen Krieg so lange führen wie nur möglich und jetzt jammern sie, dass der Krieg noch nicht beendet ist!

Woher Selenskyis implizite Anmaßung, dass der Krieg in der Ukraine etwas ungemein viel Schlimmeres sei als der Irak-Krieg 2003 und die Folgen oder die aktuellen, sehr blutigen Kriege in Äthiopien oder im Jemen? Seine perfide Verharmlosung des Massenmords an Japanern in Hiroshima, woher rührt diese ukrainische Arroganz und Unverschämtheit, ja historische Dummheit?

Warum also das Schweigen zum Antisemitismus und der Trivialisierung von Hiroshima von Wolodymyr Selenskyi? Warum kritisieren jüdische Organisationen, die Presse und die internationale Antisemitismusforschung die ersten beiden hier dargestellten Beispiele für gegenwärtigen Antisemitismus, aber schweigen zum dritten Beispiel, ja feiern Selenskyi auf unerträgliche Art und Weise? Wird damit nicht auch sein Antisemitismus gefeiert?

Können Sie mir die Antwort darauf geben?

 

 

 

 

Vortrag (Audio + Text): Geschichtspolitik, Antisemitismus und der deutsche Krieg gegen die Diplomatie im Ukraine-Konflikt

Von Dr. phil. Clemens Heni, 24. Mai 2023

Der Wortlaut des Vortrags kann unwesentlich von dem unten dokumentierten Manuskript abweichen. Die Bilder wurden während des Vortrags in Neustadt am Rübenberge am 16. Mai 2023 via PowerPoint projiziert.

Der Vortrag wurde aufgezeichnet und kann bei Radio Flora und dem Portal der freien Radios angehört und runtergeladen werden.

 

 

Geschichtspolitik, Antisemitismus und der deutsche Krieg gegen die Diplomatie im Ukraine-Konflikt

Vortrag von Dr. Clemens Heni, 16. Mai 2023 beim AK Regionalgeschichte, Neustadt am Rübenberge

Wollen die Deutschen mit Leopard-Panzern und anderem Kriegsgerät Denkmäler in der Ukraine beschützen, die nach ukrainischen Antisemiten und Nazikollaborateuren benannt sind? Könnte der russische Krieg gegen die Ukraine seit Anfang März 2022 beendet sein? So heißt es in einem Interview des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett im Februar 2023. Was heißt „Zeitenwende“? In was für einer Welt leben wir, in der eine ukrainische Sängerin im Bundeskanzleramt ungestraft sagen konnte: „Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!“

Der Antisemitismusforscher und Buchautor Dr. Clemens Heni wird versuchen, diese Fragen zu beantworten. Sein soeben erschienenes Buch: Pandemic-Turn – Antisemitismusforschung und Corona.

 

Einen schönen Abend in Niedersachsen wünsche ich uns allen.

Zuallererst ganz herzlichen Dank an Hubert Brieden und den AK Regionalgeschichte Neustadt am Rübenberge für diese Einladung.

Im Zuge der Corona-Politik hat mich Hubert Brieden kontaktiert und so kamen wir ins Gespräch. Ich lernte viel über die jahrzehntelangen politischen Kämpfe gegen Antisemitismus, zu Geschichtspolitik und deutscher Ideologie hier in der Provinz, die doch so typisch für Deutschland stehen mag wie jeder Ort in diesem Land.

Es war eine wirklich herausragende Freude, die Kritik an der irrationalen, autoritären bis totalitären Coronapolitik von Hubert Brieden im Radio zu hören, seine Essays zu lesen und es war mir eine Freude, sie dann auch in meinen Büchern zu zitieren wie hier in meinem neuen Band „Pandemic Turn“. Das setzte sich dann in unserer ähnlichen Analyse und Kritik der katastrophalen deutschen Ukraine-Politik und dem dazugehörigen, militarisieren, antidiplomatischen Medientsunami fort.

Das Versagen der Linken in Zeiten von Corona wiederum setzt sich bei der übergroßen Mehrheit jetzt beim Ukrainekonflikt fort. Dabei gab es, was Männlichkeit und Friedfertigkeit betrifft, bereits in den 1980er Jahren Anlass zur Sorge. Stichwort: Schlaffis und Hänger….

Die heutige „Zeitenwende“ wurde von linken Kritikern schon 1984 antizipiert:

 

„Krieg als inneres Erlebnis (Leitung: Ernst Jünger).

Der Zwang zur Friedfertigkeit hat wesentliche Erfahrungsbereiche verkümmern lassen. Noch unsere Väter wußten, daß in der Vergangenheit immer wieder ganze Völker sich zu gemeinsamen, existenziellen Erfahrungen im Grenzbereich begegneten. Diese ursprünglichen Erlebnisse drohen uns heute verloren zu gehen. Mit dem großen Wissenden Ernst Jünger wollen wir uns diese Welt wieder zugänglich machen und lernen, Gemeinheit und Niedertracht wieder lustvoll praktizieren zu dürfen. Bekannte und unbekannte Gefühle und Erregungen tauchen auf und lassen uns spüren, wie spannend es sein kann, seine Mitmenschen in Angst und Schrecken zu versetzen.“[1]

 

Ich möchte mit folgenden Zitaten beginnen, die ich dann später analytisch einordnen werde:

 

„Putins Zivilisationsbruch“, FAZ, 24.02.2022

„Putins brutaler Ukraine-Krieg – ein Zivilisationsbruch“, Berliner Morgenpost, 12.03.2022

„Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine: Deutscher Egoismus, getarnt als Mitgefühl“, Merkur, 22.03.2022

 

Auch noch ein Jahr später ist diese den Holocaust verharmlosende Terminologie vom „Zivilisationsbruch“ Mainstream im neuen Deutschland nach der „Zeitenwende“:

 

„Es sei der größte Zivilisationsbruch für Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, so ZDF-Reporterin Eigendorf. Sie berichtet, wie der Krieg das Leben der Ukrainer zerstört und verändert“, ZDF, 15.02.2023

„Ukraine-Krieg ist ein historischer Zivilisationsbruch“, Badische Neueste Nachrichten, 24.02.2023

„‘Wir sind konfrontiert mit einem Zivilisationsbruch durch Putin‘, sagte Heusgen angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine“, Christoph Heusgen, Ex-Berater von Merkel, Beamter, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, 13.02.2023

 

Die von Kanzler Olaf Scholz eingeführte „Zeitenwende“ ist erstmal auch eine sprachliche. Antisemitische Trivialisierung des Holocaust ist jetzt Mode.

Folgende Worte wiederum sind auch Zeichen einer „Zeitenwende“ in der Geschichte der Bundesrepublik. Auf einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt konnte die ukrainische Sängerin Marianna Sadovksa am 28. März 2022 unwidersprochen Folgendes vortragen:

„Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!“[2]

Das ist ein Zitat einer allzu deutschen Familie, die das Sadovska in einem Brief schrieb und die Ukrainerin macht sich diese unglaublichen Worte zu eigen. Dass eine solche ukrainische Frau in der Wochenzeitung Die Zeit und im Bundeskanzleramt so unwidersprochen zu Worte kommen darf, zeigt, welche Vorliebe die Deutschen doch weiterhin für die Vernichtung der ganzen Welt haben oder zumindest für das Kokettieren damit. So etwas scheint sich zu tradieren. Die antisemitische Verharmlosung Hitlers durch diese Sängerin ist unerträglich, in dem Gespräch mit der Zeit setzt sie in aggressiver Diktion Hitler und die Nazi-Deutschen mit Putin und den Russen auf eine Stufe. Vom Holocaust, der auch von Tausenden Ukrainern mit organisiert wurde, hat diese Frau keinerlei Ahnung oder es ist ihr egal.

 

Wie wir wissen von diplomatischen Quellen – und das war ja hier beim AK Regionalgeschichte Neustadt am Rübenberge in dieser Veranstaltungsreihe in den letzten Wochen meines Wissens bereits Thema –, hätte es seit März/April 2022 einen Rückzug der Russen geben können, wenn das nicht der Westen verhindert hätte, wie die führende amerikanische außenpolitische Zeitschrift Foreign Affairs widerwillig konzedieren musste.[3] Schließlich wurde unter Vermittlung vor allem des israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett namentlich vom damaligen britischen Premier Boris Johnson ein Waffenstillstand und Verhandlungen mit Putin abgelehnt, was dieser Selenskyj unzweideutig in Kiew klarmachte. Dieser mögliche Friedensschluss sah vor, dass Russland sich komplett aus allen seit dem 24. Februar 2022 eroberten Gebieten zurückzieht, wenn, ja wenn die Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichtet, der Westen das unterschreibt und der Ukraine Sicherheitsgarantien gegeben werden.[4] Wie wir von einem Interview Bennetts von Anfang Februar 2023 wissen, waren Putin und Selenskyj schon früh im März 2022 zu Kompromissen bereit.[5]

 

Offenbar war also auch die Ukraine zu diesen Kompromissen bereit, doch die USA und vor allem Boris Johnson und England waren vehement gegen jede Frieden­slösung, so Bennett. Mit Bennett gibt es einen offiziellen Beteiligten, der diese Version bestätigt. Laut The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) sind bis einschließlich dem sechsten Februar 2023 7.155 Zivilist*innen im Ukraine-Krieg ums Leben gekommen. Dazu kommen Zehntausende Soldaten auf beiden Seiten. Im Konflikt um den Donbas sind vom 14. April 2014 bis 31. Dezember 2021 3.400 Zivilist*innen und insgesamt über 14.000 Menschen getötet worden.[6] Im Vietnamkrieg der USA starben über eine Million Zivilistinnen und Zivilisten…

 

Zurück zu der antisemitischen, den Holocaust universalisierenden Verwendung des Wortes „Zivilisationsbruch“, auf die ich bereits zu Beginn an Hand von Pressemeldungen einging. Einer der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein, sprach am 22.04.2022 im ZDF-Morgenmagazin über einen Antrag der CDU/CSU im Bundestag für die Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine.[7] Am 28.04.2022 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Damit ist Deut­schland seit 1945 das erste Mal wieder im Krieg gegen Russland.

In diesem knapp fünfminütigen Gespräch im ZDF, das pars pro toto für die deutsche Ideologie steht, verharmlost dieser CDU-Politiker den Holocaust auf bemerkenswerte Weise. Er verwendet erstens das Wort „Vernichtungskrieg“, um den ganz normalen Krieg Russlands gegen die Ukraine, der sich um gar nichts vom Krieg auf Jugoslawien von der NATO und Deutschland 1999 und von vielen weiteren Kriegen seit 1945 unterscheidet, zu dämonisieren. Es würde was ganz besonders Schreckliches in der Ukraine passieren. Und dann verwendet dieser CDU-Politiker gar das Wort „Zivilisationsbruch“, der von Russland und Putin in der Ukraine verbrochen werden würde:

„Es ist nicht nur ein rechtswidriger Angriffskrieg, sondern ein Zivilisationsbruch sondergleichen.“[8]

 

In dem Vortrag „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ von 1962, den der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno vor dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hielt, geht es um „Krypto-Antisemitismus“.[9] Er meint das Gerücht, das Tuscheln, aber auch die Er­inn­er­ungs­ab­wehr, daher der von Adornos Mitarbeiter Peter Schönbach kreierte Begriff „sekundärer Antisemitismus“.[10] Was damals „Dresden“ war, ist heute „die Ukraine“:

„Beispiel: das beliebte Schema des Aufrechnens; daß es zwar wahr sei, soundso viele Juden wären umgebracht worden; ‚Krieg‘ – so wird einem dann bedeutet – ‚sei Krieg, dabei flögen eben Späne, aber Dresden wäre doch auch entsetzlich gewesen‘. Kein Vernünftiger wird das bestreiten, wohl aber das ganze Schema des Denkens, die Vergleichbarkeit von Kriegshandlungen mit der planmäßigen Ausrottung ganzer Gruppen der Bevölkerung.“[11]

Was motiviert den CDU-Politiker, den Vernichtungskrieg der Deutschen mit dem ganz normalen Krieg Russlands in der Ukraine zu analogisieren? Es liegt nahe, unterbewusst genau jene antisemitische Denkweise zu erahnen, die aufrechnet und damit erstens den Holocaust verharmlost und in die ganz normale Geschichte von Kriegen einbettet und zweitens somit eine stabilere deutsche nationale Identität zulässt – wenn doch andere überhaupt nicht besser sind als die Nazis damals. All das fällt niemand mehr auf, der Mainstream stoppt solche Agitation nicht nur nicht, sondern befördert sie tagtäglich mit solchen Sendungen oder den die Demokratie täglich mehr zerbröselnden, so einseitigen wie unwissenschaftlichen Talkshows, und den a-sozialen Medien vorneweg.

 

Die jüdische Zeitung Forward hat eine umfangreiche Forschung des Journalisten Lev Golinkin[12] publiziert,[13]

wo er das Gedenken an Antisemiten, Nazikollaborateure und Judenmörder weltweit dokumentiert. Die Ukraine hat ein besonders langes Kapitel. Wie der Historiker Rossolinki-Liebe schreibt, führte Yaroslav Stetsko (1912–1986) die ukrainische Kollaborationsregierung mit dem Nationalsozialismus und war ein Verbündeter von Hitler. Stetsko schrieb: „Ich bestehe auf der Vernichtung der Juden und der Notwendigkeit, deutsche Methoden für die Auslöschung der Juden in der Ukraine anzuwenden.“

Nur fünf Tage zuvor, so Rossolinski-Liebe, hatte Stetsko dem Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten Stepan Bandera versichert[14] : ‚Wir werden eine ukrainische Miliz organisieren, die uns helfen wird, die Juden zu entfernen.‘“

 

Im ZDF darf jener CDU-Politiker eine Linie vom Holocaust zum heutigen, alles nur nicht auf die Vernichtung der ganzen Bevölkerung gerichteten Krieg Russlands ziehen:

„Auf dem Gebiet der Ukraine ist der Angriffskrieg von Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion mit besonderer Brutalität und Härte geführt worden.“

Wie zitiert sagte er im gleichen Gespräch: Putins Krieg „ist nicht nur ein rechtswidriger Angriffskrieg, sondern ein Zivilisationsbruch sondergleichen.“ Es ist exakt dieses oben analysierte Aufrechnen, das der CDU-Politiker hier betreibt. Das ist sekundärer Antisemitismus nach Adorno. Da redet der Nicht-Historiker von der CDU von einem „Angriffskrieg“, doch das war tatsächlich der Vernichtungskrieg.

 

Der Historiker Per A. Rudling hat den Antisemitismus, die völkische Purifikationsideologie („Ukraine den Ukrainern“) und die Pro-Nazi-Ideologie in einem wissenschaftlichen Aufsatz analysiert,[15] wonach im April 1941 Bandera und seine Bande forderten „Die Ukraine den Ukrainern. Tod den Moskau treuen Juden!”[16]

 

Dieser Antisemitismus von Stepan Bandera und der Organisation Ukrainischer Nationalisten wird bis heute in der Ukraine gefeiert und honoriert. Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland und wohl neue Botschafter der Ukraine in Brasilien, der besonders vulgär auftretende Melnyk, legte bekanntlich am Grab von Bandera in München Blumen nieder und feiert auch die Neo-Nazi Militärs der Asow-Einheiten. Beim ESC, dem Eurovision Song Contest am vergangenen Samstag in Liverpool trat ein ukrainischer Sänger mit dem Lied „Heart of Steel“ auf. Damit wollte er auch und gerade die ukrainischen Rechtsextremisten und andere im Stahlwerk in Mariupol würdigen, die auch so standhaft ihren Mann gestanden hätten im Kampf gegen die Russen. Dass darunter viele Neonazis der Asow-Brigaden waren – kein Problem. Am Sonntag, also vorgestern, bekam der ukrainische Präsident in Aachen den Karlspreis verliehen.[17]

Vermutlich dafür, dass er sich aggressiv und in Kooperation mit Olaf Scholz, der die Laudatio hielt, gegen eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts positioniert. Denn geleistet hat Wolodymyr Selenskyi in seinem Leben oder seit Februar 2022 sicher überhaupt nichts, was einen solchen Preis rechtfertigt. Er hat überhaupt nichts getan, damit es zu einem Waffenstillstand kommt, er hat vielmehr die NATO unterstützt und nicht im Ansatz verstanden, warum eine Ukraine in der NATO zu einem dritten Weltkrieg führen könnte. Er schweigt zu Verbrechen wie am 2. Mai 2014, als im Gewerkschaftshaus in Odessa 48 pro-russische Ukrainerinnen und Ukrainer bei lebendigem Leib verbrannten oder von den Neonazis des Rechten Sektors und anderen Tätern totgeschlagen wurden. Bis heute ist das nicht aufgeklärt, auch Selenskyi hat sich die letzten Jahre nicht für eine Aufklärung stark gemacht.

All das sowie die antisemitische Holocaustverharmlosung durch den ukrainischen Präsidenten, der vorsätzlich die Gründung der NSDAP 1920 mit dem Datum des Beginns des Krieges Russlands im Jahr 2022 gleichsetzt, wurde somit am Sonntag prämiert. Das ist das neue Europa!! Das ist die „Zeitenwende“.

 

Folgende Beispiele sind Teil jener umfassenden investigativen Recherche des Journalisten Lev Golinkin, die er am 27. Januar 2021 im jüdischen Forward publizierte. Hier sehen wir, was in der Ukraine schon lange vor 2022 passiert und wie antisemitisch dieses Land ist, und zwar, sehr tief verankert, sozusagen sedimentiert in der politischen Kultur.

 

In der westukrainischen Stadt L’viv wurde 2007 ein Monument zum Gedenken an Stepan Bandera eingeweiht, dem antisemitischen Nazi-Kollaborateur und Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B). Man kann ein Bild der Einweihungszeremonie hier sehen, rechts ist ein Denkmal für Bandera in der Stadt Ivano-Frankivsk abgebildet:

 

In der Stadt Zhovkva gab es 1941 auf einem Tor die Aufschrift „Heil Hitler“ und „Glory to Bandera“ (auf ukrainisch):

 

 

Golinkin führt eine riesige Zahl von Orten auf, die eine Straße, einen Platz oder Monument haben, die nach Bandera benannt sind:

Im Oktober 2022 hat die Redaktion des Forward die Benennung einer Straße nach Stepan Bandera in den Städten Dnipro und Tatariv hinzugefügt. Es gehört also zur ukrainischen Kriegspolitik, auch heute Straßen nach Nazi-Kollaborateuren zu benennen.

 

Zurück zu einem der damals führenden ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Jaroslav Stetsko. Er schrieb am 9. Juli 1941 in einem Lebenslauf:

„Ich unterstütze daher die Vernichtung der Juden und die Zweckmäßigkeit, deutsche Methoden der Judenvernichtung in die Ukraine zu bringen, unter Ausschluss ihrer Assimilation und dergleichen.“

[I therefore support the destruction of the Jews and the expedience of bringing German methods of exterminating Jewry to Ukraine, barring their assimilation and the like.]

Darauf weist ein wissenschaftlicher Artikel in den Harvard Ukrainian Studies im Jahr 1999 hin. Es gibt wie gezeigt unter anderem in den Städten Stryi und Velykyi Hlybochok in der Ukraine Statuen zu Ehren Stetskos.

Es ist kein Zufall, dass die USA so obsessiv und fanatisch die Ukraine unterstützen, der Antikommunismus ist in den USA eine Art Staatsreligion. Hier sieht man den damaligen US-Vizepräsidenten George W. H. Bush (1924-2018), den Vater von George W. Bush, mit Jaroslav Stetsko im Jahr 1983:

Dmytro Paliiv (1896–1944) war SS-Hauptsturmführer der 14. Waffen-Grenadier Division (1. SS Division Galizien).

Eines der Verbrechen der ukrainischen SS-Division Galizien und von Paliiv war der Mord an 500 bis 1200 BewohnerInnen des polnischen Dorfs Huta Pieniacka, wobei viele Menschen bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Ein Kritiker und ehemaliger Soldat der Roten Armee, der sich gegen die Benennung einer Straße nach dem SS-Mann Paliiv in Kalush unweit von Lviv aussprach, bekam 2017 Morddrohungen. Die OUN-M, benannt nach Andryi Melnyk, feierte in einer ihrer Postillen das größte Massaker im Holocaust, den Mord an 33.000 Juden in Babi Yar am 29. und 30. September 1941 in der Nähe von Kiew. In Volya Yakubova gibt es ein Monument für Melnyk:

 

Am 1. August 1941 begrüßte der Bürgermeister von L’viv Yuri Polyanskiy den Generalgouverneur Hans Frank, einen ganz typischen deutschen Juristen aus Karlsruhe, der frühzeitig NSDAP-Mitglied wurde und 1946 für seine Verbrechen gehängt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 6000 Juden aus L’viv großteils von den ukrainischen Nationalisten ermordet worden, wie Golinkin schreibt. Yuri Polyanskiy lebte bis 1986 und wird bis heute in der Ukraine verehrt wie mit solchen Plaketten, rechts zu sehen:

 

 

Lev Golinkin und der jüdische Forward bringen noch Dutzende weitere Beispiele, wie heute Holocausttäter in der Ukraine gefeiert und geehrt werden.

 

Was war der Zivilisationsbruch? In dem vom Historiker Dan Diner edierten Band „Zivilisationsbruch“[18] von 1988 steht:

„Und indem Menschen der bloßen Vernichtung wegen vernichtet werden konnten, wurden auch im Bewußtsein verankerte Grundfesten unserer Zivilisation tiefgreifend erschüttert – ja gleichsam dementiert.“[19]

Weiter heißt es im Vorwort von Diner:

„Nicht die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion des Menschheitsverbrechens, sondern anhand des eingetretenen Dementis von auf Selbsterhaltung und Über­leben gerichteten Denk- und Handlungsformen wird der Bruch offenbar, den Auschwitz zivilisatorisch tatsächlich bedeutet.“[20]

Die Journalistin Claudia Mäder sieht in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die Inflation der maximalen verbalen Verdammung sehr kritisch.[21] Treffend und ziemlich fassungslos geht sie auf ein Video der deutschen Bundesregierung von November 2020 zu Zeiten der Corona-Krise ein, wo ein alter Mann rückblickend diese Zeit des Rumlümmelns auf dem Sofa – dem Lockdown – wie als Erinnerung an den „Krieg“ gegen Corona beschreibt.

 

„Lieber im Regenschauer als im Kugelhagel.“[22]

Im September 2022 gab es eine vom neuen „London Centre for the Study of Contemporary Antisemitism“ um den Soziologen David Hirsh ausgerichtete große internationale Konferenz zu Antisemitismus.[23] Es ist wichtig und sehr aktuell, sich kritisch mit den verschiedenen Facetten des Antisemitismus im 21. Jahrhundert zu befassen.

Allerdings ist die Analyse von Antisemitismus und Holocaustverharmlosung in England stark unterentwickelt, wie insgesamt in der Antisemitismusforschung.

 

 

Themen wie die Abwehr der Holocausterinnerung in der Ukraine durch Benennung von Straßen, Plätzen oder Fußballstadien nach Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren sucht man vergeblich. Dabei ist das eine der krassesten Formen des Antisemitismus im 21. Jahrhundert, Plätze und Straßen nach Tätern im Holocaust zu benennen.

 

Man stellt sich in Deutschland, dem Täterland, schon die Frage, warum der Politologe Lars Rensmann, der sich intensiv mit dem sekundären Antisemitismus beschäftigt und der neuerdings an der Uni Passau in Bayern lehrt, ausgerechnet seinen Kollegen Herfried Münkler zu einer Veranstaltung zum Krieg in der Ukraine für Mittel Juli 2022 einlud (die Veranstaltung fiel dann aus, es wird aber voraussichtlich einen „Ersatztermin“ geben wie die Uni Passau freudig mitteilt auf ihrer Homepage),[24] ist doch Münkler berüchtigt dafür, dass er den Begriff „Ver­nicht­ungs­krieg“ auf den russischen Krieg in der Ukraine anwendet und somit den Holocaust verharmlost.[25]

 

Der Historiker Hubert Brieden sagte zu Münkler in einer Sendung für Radio Flora aus Hannover:

„Münkler, Massenmedien, Politikerinnen und Politiker behaupten, beim Krieg Russ­lands gegen die Ukraine handle es ich um einen Vernichtungskrieg. Die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, begründete die deutschen Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung wenige Tage nach Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine mit einem angeblich von der russischen Regierung geplanten ‚Vernichtungskrieg‘ in der Ukraine. Zu diesem Zeitpunkt meldete die ukrainische Regierung 352 getötete Zivilisten. Im Vernichtungskrieg Deutschlands kamen in der Sowjetunion mindestens 27.000.000 Menschen ums Leben, davon 14.000.000 Zivilistinnen und Zivilisten. Fester Bestandteil dieses Vernichtungskrieges war die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Im weiteren Verlauf des Krieges Russlands gegen die Ukraine ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass Russland aus rassistischen Gründen systematisch die ukrainische Bevölkerung oder Teile davon ausrotten wolle.“[26]

 

Es gibt keinen „Vernichtungskrieg“ in der Ukraine, wer anderes behauptet, möchte eher die Deutschen von ihrer Schuld reinwaschen, weil es sehr gelegen kommt, ausgerechnet einem Opfer des Zweiten Weltkriegs und neben den Juden Hauptfeind der NS-Ideologie, dem Bolschewismus und den Russen, jetzt Verbrechen der gleichen Dimension anzudichten, wie sie die Väter und Großväter der Münklers dieser Welt verbrochen haben.[27] Womöglich besteht inhaltlich große Übereinstimmung zwi­sch­en Münkler und Rensmann, der auf seinem Facebook-Account als Header eine ukrainische Fahne mit dem Spruch #StandwithUkraine hat.[28]

 

Das spricht für wenig politisches und politikwissenschaftliches Differenzierungsvermögen. Steht er auch hinter den Straßen in der Ukraine, die in den letzten Jahren nach Holocausttätern und Antisemiten benannt wurden? Eine linke antimilitaristische Position würde nicht #StandwithUkraine oder #StandwithRussia posten, sondern sich gegen Waffenlieferungen an beide Seiten wenden, sie würde die klare Mitschuld der NATO am Fanatisierungsprozess Putins decodieren.

 

In einem Tweet vom 7. August 2022 um 6.28 Uhr nachmittags schreibt der oben erwähnte englische Soziologe und Antisemitismusforscher David Hirsh Folgendes:[29]

„Listen carefully to what antisem­ites say. They’re not telling you about Jews, but they’re telling you about themselves. They’re telling you what, in their imagination, evil and cunning people would do in a particular situation: their own fantasies, their own intentions.“

Wen meint David Hirsh mit „Antisemiten“? Er meint die russische Mission in Genf, von der er unter seinen Tweet eine Nachricht postet, die jene botschaftsähnliche Mission auf Twitter gepostet hatte. Um was geht es in diesem Tweet der Russen? Darum, dass selbst die Mainstreammedien nicht umhin könnten zu konstatieren, dass die Ukraine häufig Waffen und Geschütze in Schulen oder Krankenhäusern positionierten oder versteckten und russische Angriffe dann als Angriffe auf zivile Ziele aussehen würden. Erstens: Was könnte an dem Statement der Kriegspartei Russland hierbei antisemitisch sein?

 

Wieso schreibt David Hirsh, dass man genau zuhören solle, was die Antisemiten sagen und darunter steht dieser Tweet, der die aktuelle russische Linie wiedergibt? Was ist daran antisemitisch? Denn exakt das passiert tatsächlich, wie ein Bericht von Amnesty International zeigt, der von der österreichischen Tageszeitung Der Standard am 05. August 2022 zitiert wird.[30] Demnach positionieren die Ukrainer auf zynische und menschenverachtende Weise Waffen und Geschütze in Wohngebieten, wenn dann die russische Seite diese bombardiert, sieht es nach einem gezielten Angriff auf Zivilist*innen aus, einem Kriegsverbrechen. Dabei haben die Ukrainer die eigene Bevölkerung vorsätzlich in diese Gefahr gebracht. Übrigens eine Taktik, das sollten die Pro-Israel-Szene oder David Hirsh wissen, wie sie von der islamistischen Hamas, dem Islamischen Jihad und anderen im Gazastreifen seit Jahren angewandt wird, um Israel zu diskreditieren.[31]

Anfang Juli 2022 hat auch das ZDF von einem UN-Bericht zitiert, nachdem die Ukraine gezielt zivile Orte wie ein Pflegeheim benutzen würden, um dort Soldaten zu stationieren. Überlebende eines russischen Angriffs berichteten von den ukrainischen Soldaten im Pflegeheim.[32]

 

Was sagt Hirsh zur Ansprache des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an das israelische Parlament, der Knesset, in der er den Angriff Russlands mit dem Holocaust, ja das Datum des Einmarsches der Russen in die Ukraine, 24. Februar 2022, mit der Gründung der NSDAP am 24. Februar 1920 in Beziehung setzte? Das ist hochgradig ver­sch­wör­ungs­ideologisch – als ob Putin dieses Datum gewählt habe, um eine Kontinuität zu den Nazis her­zu­stellen –, und es ist antisemitisch.[33] Die Holo­caust­ge­denk­stätte Yad Vashem hat umgehend Selenskyj der Trivialisierung des Holocaust beschuldigt.[34] Bekam Selenskyi also deshalb am 14. Mai 2023 in Aachen den Karlspreis verliehen? Wegen seiner auch von der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem scharf attackierten Trivialisierung der Shoah?

 

Ebenfalls im Frühjahr 2022 fantasierte der russische Außenminister Lawrow, dass Hitler „jüdisches Blut“ in sich gehabt habe und „Juden selbst die größten Antisemiten seien“.[35] Dieser Antisemitismus des russischen Außenministers ist genauso irre wie die Fantasien von Selenskyj. Putin hat sich persönlich via Telefon beim damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett entschuldigt,[36] was die antisemitischen Fantasien von Lawrow nicht wett macht, er hätte entlassen gehört. Es läuft ein Wettbewerb des Sich-Hochschaukelns mit den absurdesten Vorwürfen, wozu auch die oben analysierte Rede vom „Zivilisationsbruch“ gehört.

 

Weniger Sozialausgaben, mehr Frieren für die Unterstützung eines Landes („Russland ruinieren“, die Ukraine bedingungslos unterstützen bis zum bitteren Ende, „egal, was meine Wähler denken“, Baer­bock[37]), dessen Präsident vor wenigen Jahren als Clown – und das ist kein Witz – in einer TV-Show mit einem ebenso vulgären Kumpel mit heruntergelassener Hose mit seinem ‚Dingsda‘ Klavier spielte, also die beiden Witzfiguren stehen vor einem schwarzen Flügel, das Publikum sieht nur die Oberkörper und die nackten Beine der beiden echten Männer.[38] Da kriegt sich die Ukraine nicht mehr ein vor Lachen. Dieses Land muss unter allen Umständen verteidigt werden. Auch das vermutlich ein Grund, ihm den Karlspreis zu verleihen.

 

 

Ich sehe darin lediglich eine leicht rationalisierte Form sexueller Gewalt und nichts anderes. Das Macho-Gehabe von Putin – nackter Oberkörper und auf einem Pferd reiten – passt exakt zum Machismus seines ukrainischen Gegenspielers. Zwei ebenbürtige, primitive, männliche Kriegsherren. Nur, dass in Deutschland Selenskyi als Held gilt.

 

Was wir seit Februar 2022 erleben ist die Fortsetzung des pandemic turn von März 2020. Wenn die Politik es will, kann alles Leben eingesperrt, zwangsmaskiert und isoliert werden. Jetzt heißen die Parolen „Frieden Waffen für die Ukraine“, „Stinken gegen Putin“ oder „Pullover statt Heizung“. Es ist das primitive Comeback der Kaltduscher. Der pandemic turn zeigt den Primat der Politik vor dem des Kapitalismus, das war bei Corona so und ist bei der Ukraine auch so.

Bezüglich der Homophobie, Transphobie oder der Diskriminierung von kinderfreien Frauen sind sich Russland und die Ukraine ganz ähnlich. So akzeptieren laut einer repräsentativen Umfrage des PEW Research Centers von 2019[39] in der Ukraine nur 14 Prozent der Bevölkerung, dass es Homosexuelle gibt. Auch in Russland haben laut dieser Umfrage unter insgesamt in 34 Ländern und 38.000 Teilnehmenden nur 14 Prozent Akzeptanz für Homosexualität – die gleiche Umfrage brachte eine Zustimmung und Akzeptanz für Homosexualität von 92 Prozent in den Niederlanden, 86 Prozent in Frankreich und Deutschland, aber schockierende 7 Prozent in Nigeria und 9 Prozent in Indonesien. Jedenfalls zeigt das, wie weitverbreitet die Homophobie auch in der Ukraine ist. Das Beispiel der Transfrau und Sängerin Zi Faámelu wurde im April 2022 bekannt.[40] Aus Angst vor dem Einzug ins Militär floh sie nach Rumänien und durchschwamm sie ein Gewässer und lebt heute in Deutschland. Sie berichtet von einer sehr weit verbreiteten Transphobie in der Ukraine. Der Zynismus von Selenskyi, Männern im sogenannten wehrfähigen Alter die Ausreise zu verweigern, ist bezeichnend. Und Zi Faámelu wird laut ihrem ukrainischen Pass als Mann geführt, daher ihre Flucht vor dem Krieg.

Auch was die Herrschaft von oligarchischen Kapitalisten betrifft, sind sich die Ukraine und Russland ganz ähnlich. Verlage, die feministische Autorinnen publizieren oder sich für Geschlechterverhältnisse jenseits des natalistischen, auf Kinderproduktion und somit ganz extrem zynisch auf Kanonenfutter ausgerichteten Frauenbildes einsetzen, werden kriminalisiert, in Russland jüngst per Gesetzesvorschlag, der sich auch gezielt gegen Texte wendet, die sich nicht der traditionellen Familien- und Kinderideologie verpflichten.[41] In der Ukraine äußerte sich ein führender Berater des Präsidenten wie Oleksiy Arestovych homophob.[42] All diese reaktionären Tendenzen in der Ukraine wie in Russland würden auch meinen Verlag Edition Critic und Autor*innen meines Verlags betreffen.

 

Aber mehr noch: weder die heutige Antisemitismusforschung noch die ökologischen Bewegungen wie die „Letzte Generation“, die mit pressewirksamen Aktionen wie Beschmutzen von Kunstwerken oder Sich-Festkleben-Auf-Straßen und ähnlichen Aktionen völlig zu Recht Aufmerksamkeit erzeugen wollen für die kommende Klima- und Ökokatastrophe, ignorieren, dass wir bereits seit dem 06. August 1945 die tatsächlich letzte Generation sind. Das Leben ist für alle Zeiten nur noch eine Frist, wie der Philosoph Günther Anders als einer der Allerersten erkannte und 1958 schrieb:

Hiroshima als Weltzustand.

Mit dem 6. August 1945, dem Hiroshimatage, hat ein neues Zeitalter begonnen: das Zeitalter, in dem wir in jedem Augenblicke jeden Ort, nein unsere Erde als ganze, in ein Hiroshima verwandeln können. Seit diesem Tage sind wir modo negativo allmächtig geworden; aber da wir in jedem Augenblick ausgelöscht werden können, bedeutet das zugleich: Seit diesem Tage sind wir total ohnmächtig. Gleich wie lange, gleich ob es ewig währen wird, dieses Zeitalter ist das letzte: Denn seine differentia specifica: die Möglichkeit der Selbstauslöschung, kann niemals enden – es sei denn durch das Ende selbst.“[43]

Mit dieser Selbstauslöschung kokettieren die vorgeblichen Ukraine-Fans wie die Sängerin Sadovska, die mit ihrem Spielen mit der Selbstauslöschung der Menschheit und dem Zerstören alles Lebens auf der Erde gar im Bundeskanzleramt reüssierte – und niemand intervenierte. Niemand. Kulturstaatssekretärin Claudia Roth nannte es einen „berührenden Abend“,[44] jenen Abend des 28. März 2022, als Marianna Sadovska ihren Wahnsinn von der möglichen Zerstörung alles Lebens in den Raum warf, weil das eben vielleicht notwendig sei, wenn wir der Ukraine helfen.

 

Deutschland ist wiedergutgemacht. Das zeigt sich ganz exemplarisch in der aktuellen Ausgabe der New York Review of Books, dem links-liberalen Mainstream-Organ der USA schlechthin. In der Ausgabe vom 11. Mai 2023 wird ein Auszug aus dem neuen Buch des britischen Historikers Timothy Garton Ash abgedruckt.

 

Ganz offen schreibt er davon, wie Kohl im Sommer 1990 mit US-Präsident Bush diskutierte und der amerikanische ‚Sieger der Geschichte‘ ganz frech und unverhohlen imperialistisch sagte: „Zur Hölle mit dem Veto der Sowjets was die Osterweiterung der NATO auf das Gebiet der DDR betrifft“. Damit leugnete Bush, dass er und sein Außenminister James Baker exakt diese Zusage – keinen inch würde sich die NATO nach Osten ausbreiten, wenn die DDR und die BRD sich zusammentäten – Gorbatschow im Februar 1990 gegeben hatten. Hier können Sie sehen, wie das Protokoll von jenem historischen Treffen im Kreml in Moskau am 9. Februar 1990 aussah. Demnach hat der amerikanische Außenminister James Baker mit dem Generalsekretär der KPdSU Michail Gorbatschow diskutiert und ihm gleich dreimal an diesem Tag versichert, dass sich die NATO nicht einen inch, also keine 2,54 Zentimeter ostwärts bewegen würde, wenn sich die DDR und die BRD vereinen oder zusammentun würden. Man kann das quellenbasiert in einem Text von Svetlana Savranskaya and Tom Blanton vom National Security Archive in den USA vom 12. Dezember 2017 nachlesen.[45]

 

Ohne diese Zusage wäre es vermutlich nicht zur Wiedervereinigung gekommen und der Welt sehr viel Unheil erspart geblieben. Es hätte zu einer DDR ohne SED und einer Sowjetunion ohne KPdSU kommen können… Und dieses gebrochene Versprechen ist einer, wenn nicht der absolut zentrale Grund, die Ursache für den aktuellen Krieg Russlands in der Ukraine.

 

Garton Ash ist einer der anerkanntesten und einflussreichsten Historiker aus England, der auch in den USA lehrt. Er sprach mit Kanzler Kohl persönlich und ist darauf auch stolz wie Bolle. Vor allem aber ist Timothy Garton Ash ein reaktionärer, antikommunistischer Agitator, der es mit der historischen Wirklichkeit nicht so genau nimmt und höchst ideologisch agitiert. Er ist alles nur kein unabhängiger Forscher. In seinem geradezu grotesken und höchst unwissenschaftlichen Abschnitt über den Mauerfall, der jetzt in der New York Review of Books vorabgedruckt wurde, ignoriert er die komplette Forschung zu not one inch, die es in den letzten Jahren und gerade auch seit Februar 2022 und zuvor angesichts des Ukraine-Konflikts gibt.

 

 

Auch zum Antisemitismus von Kohl wie sein Besuch jenes Friedhofs in Bitburg, auf dem auch SS-Mörder liegen, im Mai 1985 mit US-Präsident Reagan oder zur Tatsache, dass der Kanzler der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG), einer Organisation, die SS-Verbrechern nach 1945 Schutz bot, Geld spendete, 200 Mark im Jahr, kein Wort. [46]

Von alledem erfährt man bei der New York Review of Books nichts, dafür aber darf dort auch im Mai 2023 eine Autorin  schreiben, die vor einigen Jahren die antisemitische Fantasie in den Raum warf und das sogar in einem Buch eines großen Verlages gedruckt bekam, dass laut einer Geschichte, die sie gehört habe, Theodor Herzl und Adolf Hitler beim gleichen Konzert mit Wagner-Musik gewesen seien, in Paris, die beide jeweils zu ihren wirkungsmächtigen Büchern inspiriert hätte – zum Herzls „Der Judenstaat“ von 1896 und Hitlers „Mein Kampf“ von 1925. Da Herzl seine Schrift „Der Judenstaat“ spätestens im Mai 1896 abschloss, Hitler im April 1889 geboren worden war und erst im Jahr 1940 erstmals ins Land des Erzfeindes ging, mit der Wehrmacht, ist so eine solche antijüdische Fantasie, auf alle Fälle Herzl und Hitler in einem Nicht-Gedanken unterzubringen, skandalös und einfach schwachsinnig. Diese absurde Fantasie aus dem Jahr 2005[47] hat die Autorin Professorin und Doktorin Jacqueline Rose keineswegs diskreditiert, ihr Israelhass hat sie beflügelt und sie hat bis heute eine Stellung in London bei dem sehr renommierten Birkbeck College for Humanities der University of London. Sie ist zudem regelmäßige Autorin in der New York Review of Books. Auch in der aktuellen Ausgabe ist sie wie der zitierte Garton Ash Autorin.

 

Auch wenn das unwahrscheinlich ist, aber ganz vielleicht waren Typen wie Jacqueline Rose oder Timothy Garton Ash ja ein Grund für jenen Menschen, der oder die diesen Aufkleber in der Innenstadt von Heidelberg verklebte. Es kann sich dahinter ein antiintellektuelles Ressentiment verstecken, es kann aber auch sein, dass der Hype um Titel, der ja gar nichts über die Qualität einer Person oder ihrer Forschung aussagt, einige Leute in so pittoresk-deutschen Universitätsstädtchen wie Heidelberg am Neckar mit viel international-akademischem Austausch etwas nervt.

 

 

Antisemitismus, Deutsch-Nationalismus und Russenhass wie NATO-Liebe zahlen sich jedenfalls aus. Während in Deutschland im Jahr 2023 immer noch unzählige Straßen, Plätze oder Krankenhäuser und Kasernen nach Nazis benannt sind, sind sie sie in der Ukraine seit Jahren dabei, immer noch mehr Straßen nach Antisemiten, Nazi-Kollaborateuren und Tätern im Holocaust zu benennen.

Das völlig enthemmte, un-verschämte Pro-Kriegsgeheul der Politik in Deutschland und weitesten Teilen des Mainstream, auch in Kreisen der alten Friedensbewegung und vor allem bei den Grünen zeigt: wir leben in einer Zeitenwende. Antisemitismus wie in der Ukraine zahlt sich aus, Straßen werden weiterhin nach Antisemiten und Tätern im Holocaust benannt, die NATO wird noch aggressiver vorgehen und alles tun, damit es in sehr absehbarer Zeit womöglich wirklich zu diesem letzten aller Tage kommen wird, den wir dann keineswegs primär Russland, sondern auch Deutschland, den USA, England, dem Westen und der Ukraine und ihren irrationalen „Fans“ zu verdanken hätten.

Die inflationäre Rede vom „Zivilisationsbruch“ angesichts des ganz normalen schrecklichen Krieges in der Ukraine, zeigt das tiefe Bedürfnis der Deutschen nach Schuldabwehr. Diese sekundär antisemitische, gerade im Reden um Erinnerung die Erinnerung abwehrende Reaktion, zeigt, wie sinnlos Jahrzehnte der Gedenkpolitik in diesem Land waren. Das allerdings hatte sich mit dem Exekutieren der Impf-Apartheid und der 2G-Regel in KZ-Gedenkstätten wie in Buchenwald oder Einrichtungen, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen wie dem Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main oder dem Haus der Wannsee Konferenz schon während der Corona-Pandemie gezeigt.

Das ist der pandemic turn.

 

Vielen Dank für Ihre und eure Aufmerksamkeit.

 

 

Endnoten

[1] Initiative Sozialistisches Forum (Hg.) (1984): Diktatur der Freundlichkeit. Über Bhagwan, die kommende Psychokratie und Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahnsinn, Freiburg: Ça-Ira-Verlag, S. 216. In späteren Jahren schreibt sich der Verlag ça ira. Instruktiv ist die Studie von Horst Seferens (1998): „Leute von übermorgen und von vorgestern“. Ernst Jüngers Ikonographie der Gegenaufklärung und die deutsche Rechte nach 1945, Bodenheim: Philo.

[2] Dirk Peitz/Mariana Sadovska (2022): „In Deutschland wird gerade ein Märchen über den Krieg lanciert“. Die ukrainische Sängerin Mariana Sadovska hat im Kanzleramt eine bewegende Rede gehalten. Aber nicht nur dort wolle man ihr und den Ukrainern nicht zuhören, glaubt sie, 29. März 2022, https://www.zeit.de/kultur/2022-03/ukraine-krieg-deutschland-mariana-sadovska/komplettansicht.

[3] Fiona Hill/Angela Stent (2022): The World Putin Wants. How Distortions About the Past Feed Delusions About the Future, in: Foreign Affairs, September/Oktober 2022, https://www.foreignaffairs.com/russian-federation/world-putin-wants-fiona-hill-angela-stent; Connor Echols (2022): Diplomacy Watch: Did Boris Johnson help stop a peace deal in Ukraine? A recent piece in Foreign Affairs revealed that Kyiv and Moscow may have had a tentative deal to end the war all the way back in April, 08. September 2022, https://responsiblestatecraft.org/2022/09/02/diplomacy-watch-why-did-the-west-stop-a-peace-deal-in-ukraine/: „’Russian and Ukrainian negotiators appeared to have tentatively agreed on the outlines of a negotiated interim settlement,’ wrote Fiona Hill and Angela Stent. ‘Russia would withdraw to its position on February 23, when it controlled part of the Donbas region and all of Crimea, and in exchange, Ukraine would promise not to seek NATO membership and instead receive security guarantees from a number of countries.’ The news highlights the impact of former British Prime Minister Boris Johnson’s efforts to stop negotiations, as journalist Branko Marcetic noted on Twitter. The decision to scuttle the deal coincided with Johnson’s April visit to Kyiv, during which he reportedly urged Ukrainian President Volodymyr Zelensky to break off talks with Russia for two key reasons: Putin cannot be negotiated with, and the West isn’t ready for the war to end. The apparent revelation raises some key questions: Why did Western leaders want to stop Kyiv from signing a seemingly good deal with Moscow?”

[4] “Russia and Ukraine may have agreed on a tentative deal to end the war in April, according to a recent piece in Foreign Affairs. ‘Russian and Ukrainian negotiators appeared to have tentatively agreed on the outlines of a negotiated interim settlement,” wrote Fiona Hill and Angela Stent. “Russia would withdraw to its position on February 23, when it controlled part of the Donbas region and all of Crimea, and in exchange, Ukraine would promise not to seek NATO membership and instead receive security guarantees from a number of countries.’ The news highlights the impact of former British Prime Minister Boris Johnson’s efforts to stop negotiations, as journalist Branko Marcetic noted on Twitter. The decision to scuttle the deal coincided with Johnson’s April visit to Kyiv, during which he reportedly urged Ukrainian President Volodymyr Zelensky to break off talks with Russia for two key reasons: Putin cannot be negotiated with, and the West isn’t ready for the war to end. The apparent revelation raises some key questions: Why did Western leaders want to stop Kyiv from signing a seemingly good deal with Moscow? Do they consider the conflict a proxy war with Russia? And, most importantly, what would it take to get back to a deal?”, Echols 2022.

[5] Fabian Scheidler (2023): Naftali Bennett wollte den Frieden zwischen Ukraine und Russland: Wer hat blockiert? Israelischer Ex-Premier sprach erstmals über seine Verhandlungen mit Putin und Selenskyj. Der Waffenstillstand war angeblich zum Greifen nahe, 06. Februar 2023, https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871.

[6] https://www.statista.com/statistics/1293492/ukraine-war-casualties/.

[7] „Waffenlieferungen: Namentliche Abstimmung“, 22. April 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/waffenlieferung-namentliche-abstimmung-wadephul-100.html.

[8] Ebd.

[9] Theodor W. Adorno (1962)/1998: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Ders., Gesammelte Schriften. Band 20/1, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 360–383, hier S. 363.

[10] Ebd., S. 362.

[11] Ebd., S. 368.

[12] https://forward.com/authors/lev-golinkin/.

[13] Lev Golinkin (2021): Nazi collaborator monuments in Ukraine. Many new streets and monuments have been erected since a new government took over in 2014, 27. Januar 2021, https://forward.com/news/462916/nazi-collaborator-monuments-in-ukraine/.

[14] Grzegorz Rossoliński-Liebe (2011): The „Ukrainian National Revolution“ of 1941: Discourse and Practice of a Fascist Movement, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History, Vol. 12, Nr. 1 (Winter 2011), S. 83–114.

[15] Per A. Rudling (2011): The OUN, the UPA and the Holocaust: A Study in the Manufacturing of Historical Myths, The Carl Beck Papers in Russian and East European Studies, https://carlbeckpapers.pitt.edu/ojs/index.php/cbp/article/download/164/160. Die umfassendsten Analysen der heutigen osteuropäischen Antisemitismus und der Gleichsetzung von Hitler und Stalin, Braun und Rot, findet sich auf dem Online-Journal des Professors für Yiddish und Holocaustforschers Dovid Katz aus Litauen, siehe zum Beispiel „Who’s Afraid of Defending History Dot Com?“, 08. August 2013, https://defendinghistory.com/fear-of-defending-history-dotcom/57482. Die Seite Defending History von Dovid Katz, auf der Dutzende herausragende Forscher*innen zum Holocaust publizieren und publiziert haben, hat sich schon vor vielen Jahren gegen den Putinismus und Putin ausgesprochen, aber gleichzeitig den osteuropäischen Antisemitismus, die dortige Verehrung von Tätern im Holocaust, konsequent und nie aus dem Blick verloren, sondern zu einem Schwerpunkt der Seite gemacht, https://defendinghistory.com/.

[16] Rudling 2011, S. 6.

[17] https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/karlspreis-aachen-wolodymyr-selenskyj-100.html.

[18] Dan Diner (Hg.) (1988): Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt a.M.: Fischer.

[19] Dan Diner (1988a): Vorwort, in: Ders. (Hg), S. 7–13, hier S. 8.

[20] Diner 1988a, S. 8 f.

[21] Claudia Mäder (2022): Darf man noch von „Krieg“ reden, oder muss man mindestens „Angriffskrieg“ sagen? Über die Tücken des sprachlichen Aufrüstens. Angriffskrieg oder Vernichtungskrieg sind die Wörter der Wahl geworden, um Putins Invasion der Ukraine zu bezeichnen. Das verschärfte Vokabular wird auch darum nötig, weil wir schon in Friedenszeiten mit Kriegsbegriffen um uns werfen, 22. April 2022, https://www.nzz.ch/feuilleton/krieg-angriffskrieg-vernichtungskrieg-wie-soll-man-nun-reden-ld.1680349.

[22] Eduard Moriz (Hg.) (1983): Nimm’s leicht, nimm Mich. Sponti-Sprüche No. 3, Frankfurt a.M.: Eichborn Verlag, o.P.

[23] „London conference on 21st Century Antisemitism, Conference Agenda, 11, 12, 13 September 2022“, https://drive.google.com/file/d/1xAVbw-KftLlGZVk_JYqV7I4veMpn3Uoq/view.

[24] https://www.uni-passau.de/internationales/ukrainehilfe/vortragsreihe/.

[25] „Judith Heitkamp: Eine Definition des Begriffs Vernichtungskrieg besagt, dass in einem solchen Krieg ‚alle physisch-psychischen Begrenzungen aufgehoben sind‘. Wenn man die Nachrichten über die russische Kriegsführung verfolgt, muss man dann von einem Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine sprechen? Herfried Münkler: Ich glaube schon, dass man das tun kann. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass die üblichen kriegsvölkerrechtlichen Einschränkungen und Begrenzungen, die im späten 19. und im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt worden sind, in diesem Krieg eine relevante Position einnehmen. Im Prinzip handelt es sich um ein verselbstständigtes militärisches Agieren, bei dem angenommene militärische Erfordernisse dominieren und die kriegsrechtlichen Beschränkungen in den Hintergrund treten“, „Herfried Münkler über Kriegsführung in der Ukraine. Warum Russland einen Vernichtungskrieg führt“, 14.04.2022, https://www.br.de/kultur/gesellschaft/interview-herfried-muenkler-ukraine-russland-vernichtungskrieg-mariupol-kriegsverbrechen-100.html.

[26] Hubert Brieden (2022a): „ … wow, wir stehen nicht nur auf den Schultern von Joschka Fischer, sondern auch auf denen unserer Großväter.“ Deutsche Kriegspropaganda: Verharmlosung des NS-Vernichtungskrieges und des Holocaust, Radio Flora, 18.07.2022, https://radioflora.de/wow-wir-stehen-nicht-nur-auf-den-schultern-von-joschka-fischer-sondern-auch-auf-denen-unserer-grossvaeter-deutsche-kriegspropaganda-verharmlosung-des-ns-vernichtungskrieges-und-des-holo/.

[27] Das Netzwerk „Erinnerung + Zukunft in Hannover e.V.“ zeigt das inflationäre Gerede von „Völkermord“ ganz exemplarisch, wenn es Ende März 2022 in einem Newsletter schreibt: „Hier bei uns zeigen sich viele verstört und fassungslos ob der Tatsache, dass der russische Machthaber seinen vielfachen Ankündigungen und Taten der letzten Jahre, die einstige russisch-sowjetische Großmacht wiederherstellen zu wollen, nun weitere militärisch aggressive Aktionen folgen ließ. Fassungslos darüber, dass eine mafiös agierende, machtbesessene Nomenklatura unter der Führung eines mit Mord, Totschlag und Völkermord regierenden Tschekisten eine Jahre dauernde Selbstsuggestion zunichtemacht.“ Putin ist ein autokratischer, antiliberaler und brutaler Herrscher, aber er hat keinen Völkermord verbrochen. Von was fabulieren hier diese Netzwerkler in Hannover? Welcher Völkermord?

[28] https://de-de.facebook.com/lars.rensmann (Stand 25. Januar 2023).

[29] https://mobile.twitter.com/DavidHirsh.

[30] „Amnesty International wirft Ukraine Völkerrechtsbruch vor. Die Unterbringung von Truppen in Wohngebieten habe die Zivilbevölkerung gefährdet, heißt es. Russische Medien instrumentalisieren den Bericht ihrerseits“, 05. August 2022, https://www.derstandard.de/story/2000138043310/amnesty-international-wirft-ukraine-voelkerrechtsbruch-vor.

[31] „Hamas’ use of human shields is a war crime“, 13. Mai 2021, https://torontosun.com/opinion/columnists/teich-hamas-use-of-human-shields-is-a-war-crime.

[32] „Bericht zu Pflegeheim-Angriff: Tote Zivilisten: UN machen Ukraine Vorwürfe“, 09. Juli 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kriegsverbrechen-zivilisten-un-bericht-ukraine-krieg-russland-100.html.

[33] Selensky sagte wörtlich: „On February 24, 1920, the National Socialist Workers’ Party of Germany (NSDAP) was founded. A party that took millions of lives. Destroyed entire countries. Tried to kill nations. 102 years later, on February 24, a criminal order was issued to launch a full-scale Russian invasion of Ukraine“, https://www.president.gov.ua/en/news/promova-prezidenta-ukrayini-volodimira-zelenskogo-v-kneseti-73701. Die Holocaustverharmlosung von Selenskyi, selbst Jude, ist unerträglich und auch in Israel kam das sehr schlecht an: „Listen to what the Kremlin says. Just listen! There are even terms that sounded then. And this is a tragedy. When the Nazi party raided Europe and wanted to destroy everything. Destroy everyone. Wanted to conquer the nations. And leave nothing from us, nothing from you. Even the name and the trace. They called it ‘the final solution to the Jewish issue’. You remember that. And I’m sure you will never forget! But listen to what is sounding now in Moscow. Hear how these words are said again: ‘Final solution’. But already in relation, so to speak, to us, to the ‘Ukrainian issue’.“ Schließlich möchte der ukrainische Präsident Israel dazu bringen, gegen die Ukraine zu kämpfen und damit zu „Gerechten unter den Völkern“ zu werden, das ist so ahistorisch und so Holocaust verharmlosend, da fehlen einem fast die Worte: „Ukrainians have made their choice. 80 years ago. They rescued Jews. That is why the Righteous Among the Nations are among us. People of Israel, now you have such a choice.“ „Israeli lawmakers outraged after Zelensky compares Ukraine war to Holocaust“, 20. März 2022, https://www.ynetnews.com/article/hjn3nxbf5; „Zelensky compares Kremlin’s actions to Nazi ‘final solution’ in Knesset speech“, 21. März 2022, https://www.jewishnews.co.uk/zelensky-compares-kremlins-actions-to-nazi-final-solution-in-knesset-speech/: „Ukrainian President Volodymyr Zelensky has been criticised by some Israeli politicians after delivering a speech to the Knesset in which he compared the actions of the Kremlin with the Nazi ‘final solution’. In a 12 minute-long speech, in which he referenced the ‘people of Israel’ several times, Zelensky also drew flack after saying: ‘Ukrainians made their choice 80 years ago, we saved Jews, and there are among us righteous gentiles.’ After Sunday’s speech – the latest in a series of pleas made by Zelensky to politicians across the globe including the UK’s parliament – one Likud MK Yuval Steinitz said the president’s message ‘borders on Holocaust denial.’”

[34] Daniel Estrin (2022): Zelenskyy compares Russia’s invasion to Holocaust in a plea to Israel for support, 20. März 2022, https://www.npr.org/2022/03/20/1087782349/zelenskyy-ukraine-israel?t=1651496011749.

[35] „Nach Empörung über Lawrow. Russland legt verbal gegen Israel nach – ‚Unterstützt Neo-Nazis in der Ukraine‘“, 02. Mai 2022, https://www.welt.de/politik/ausland/article238498603/Russlands-Aussenminister-Lawrow-fabuliert-von-Hitlers-juedischem-Blut-Israel-empoert.html.

[36] „Putin apologizes for Russian FM’s ‘Jewish Hitler’ remarks, Bennett’s office says Kremlin readout of call doesn’t mention an apology, says president spoke with PM about ‘historic memory,’ the Holocaust and the situation in Ukraine“, 5. Mai 2022, https://www.timesofisrael.com/putin-apologizes-for-russian-envoys-hitler-comments-bennetts-office-says/. „Putin sorry for Lavrov’s claim Hitler was part Jewish – Israel PM“, 05. Mai 2022, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61339749.

[37] Annalena Baerbock (2022): „‘… egal, was meine deutschen Wähler denken‘. Telepolis dokumentiert: Das sagte Außenministerin Annalena Baerbock in Prag zur Ukraine- und Sanktionspolitik der Bundesregierung und der EU. Originalbeitrag in voller Länge und deutscher Übersetzung“, 02. September 2022, https://www.heise.de/tp/features/egal-was-meine-deutschen-Waehler-denken-7251576.html.

[38] „Ukraine President plays the piano“, 21.04.2019, https://www.youtube.com/watch?v=HbmZrzN3WFE.

[39] https://www.pewresearch.org/global/2020/06/25/global-divide-on-homosexuality-persists/.

[40] https://abcnews.go.com/Primetime/lgbtq-refugees-fleeing-ukraine-fear-persecution-death/story?id=83784527.

[41] https://tass.com/politics/1523789.

[42] https://www.spectator.co.uk/article/zelensky-s-homophobia-row-reveals-a-divided-ukraine/.

[43] Günther Anders (1958)/1981: Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen. Dritte, durch ein Vorwort erweiterte Auflage von „Endzeit und Zeitenende“, München: C.H. Beck, S. 93.

[44] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/aktuelles/reden/schlusswort-von-kulturstaatsministerin-roth-bei-der-veranstaltung-kultur-im-kanzleramt-2021506.

[45] https://nsarchive.gwu.edu/briefing-book/russia-programs/2017-12-12/nato-expansion-what-gorbachev-heard-western-leaders-early.

[46] “Helmut Kohl spendete für Angehörige der Waffen-SS“, https://rdl.de/beitrag/helmut-kohl-spendete-f-r-angeh-rige-der-waffen-ss.

[47] Jacqueline Rose (2005): The Question of Zion, Princeton and Oxford: Princeton University Press, S. 64–65. Wörtlich heißt es: “It was only when Wagner was not playing at the Paris opera that he [Theodor Herzl, CH] had any doubts as to the truth of his ideas. (According to one story it was the same Paris performance of Wagner, when – without knowledge or foreknowledge of each other – they were both present on the same evening, that inspired Herzl to write Der Judenstaat, and Hitler Mein Kampf.)”

 

 

Antisemitismus: Selenskyi verharmlost in Holland den Holocaust

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Mai 2023

Er tut es immer wieder. Der ukrainische Präsident hat zum wiederholten Male den Holocaust verharmlost und die jüdischen Opfer der Shoah mit ganz normalen Kriegstoten analogisiert. Am gestrigen Donnerstag sprach er in Den Haag am Gedenktag für die niederländischen Opfer der Shoah, des Zweiten Weltkriegs und der Soldaten und Soldatinnen, die seither bei „Missionen“ ums Leben kamen. Dabei ertönen immer um 8 Uhr am Abend die Sirenen und das Land gedenkt zwei Minuten. Dass dieses Gedenken in den Niederlanden in der Tat problematisch ist, da es die holländischen Soldaten und Soldatinnen, die seit 1945 ums Leben kamen, inkludiert, steht auf einem anderen Blatt. Im Kern geht es aber um die niederländischen Opfer des Nationalsozialismus, wobei eine offene Frage ist, wie stark im heutigen Holland die Kollaboration mit den Nazis, Holland hatte eine der höchsten Raten an SS-Freiwilligen, Thema ist.

Selenskyi sagte:

“When today, as always on the fourth of May, at eight o’clock in the evening, you will honor the memory of all those whose lives were taken away by wars – World War II and others – please also remember Ukrainians – men and women, adults and children, who would have been alive now but for this aggression. The war we didn’t want, the one we have to make the last. We’ll do it,” Zelensky said in a speech at the Dutch parliament.

In seiner Rede im Parlament betonte also Selenskyi, dass sie in Holland neben den Opfer des Nationalsozialismus auch die ukrainischen Opfer des aktuellen Krieges Russlands in der Ukraine gedenken sollten. Diese Form des sekundären, erinnerungsabwehrenden Antisemitismus, ist typisch für den ukrainischen Präsidenten. Er möchte seine antisemitische Ukraine, die Straßen, Plätze, Briefmarken oder Fußballstadien nach Judenmördern, Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benennt, als Opfer darstellen wie es die Juden oder Holland im Zweiten Weltkrieg waren. So funktioniert der Antisemitismus nach 1945.

Neben dem islamistischen Iran ist aktuell kaum ein Land so antisemitisch wie die Ukraine, nur anders gepolt. Während der Iran Israel vernichten will, trivialisiert Selensyki den Holocaust, der vom Iran geleugnet wird. Selenskyi und die Ukraine haben viele Fans, auch unter Antisemitismusforscher*innen, die den islamistischen Iran ablehnen.

Wer sich jedoch heute Vormittag die Schlagzeilen anschaut, sieht auf Tagesschau.de, ZDF heute, n-tv und allen möglichen anderen Portalen keinerlei Hinweis auf den Antisemitismus von Selenskyi:

 

Seriöse Medien hingegen wie die Times of Israel (TOI) berichten heute bereits in der Überschrift und der Unterüberschrift ziemlich konsterniert von der Holocaustverharmlosung Selensykis:

Die Tagesschau bringt eine ausführlichen Bericht des gestrigen Besuchs von Selenskyi und schreibt:

Angesichts der russischen Invasion forderte Selenskyj eine „groß angelegte“ juristische Aufarbeitung. Als Vorbild eines Tribunals nannte er die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. „Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen“, so der ukrainische Präsident.

Den Antisemitismus in dieser Analogisierung der Nürnberger Prozesse, der Shoah und dem Krieg in der Ukraine, erkennt die Tagesschau nicht nur nicht, sondern sie reproduziert ihn mit dieser kritiklosen, völlig affirmativen Darstellung.

Wäre die Tagesschau ein seriöses Medium, würde sie schreiben:

„Ukrainischer Präsident verharmlost den Holocaust gleich doppelt: er trivialisiert die Nürnberger Prozesse gegen die Deutschen und er setzt die Opfer des Holocaust in Holland auf eine Stufe mit den Kriegsopfern des Ukrainekriegs, der kein Vernichtungskrieg ist“

Doch natürlich ist die Tagesschau Äonen entfernt von einer solchen realitätsgetreuen Berichterstattung.

Dabei könnte sie ja auch betonen, dass beide Seiten – die Ukraine wie Russland – antisemitisch sind, der russische Außenminister Lawrow hatte Hitler „jüdisches Blut“ angedichtet, der auch von Ex-Kanzlerin Merkel und weiten Teilen des deutschen Kulturestablishments geliebte Komponist und Antisemit Richard Wagner ist Namensgeber für die brutale paramilitärische, private Wagner-Gruppe, die auf der Seite Russlands in der Ukraine kämpft.

Ganz anders als die Tagesschau hingegen die Times of Israel, die einen ehemaligen Vorsitzenden des ‚Zentralrats‘ der Juden in den Niederlanden zitiert, der diese Analogie von holländischen Holoaust- und Kriegsopfern und der heutigen Ukraine unerträglich findet:

Ronny Naftaniel, a former chair of the Central Jewish Board of the Netherlands, reacted to the visit on Twitter, writing that whereas Zelensky “is welcome in the Netherlands also on May 4” and is “fighting for the freedom of his country, the war in Ukraine should not be confused with the memorial day. Leave the wreath laying and the 2 minutes of silence out of it.”

Die Times of Israel zitiert auch Stimmen aus Holland wie von Linken und anderen, die den Antisemitismus goutieren und kein Problem damit haben, geschichtsblind sind. Doch der entscheidende Unterschied zu deutschen Medien wie der Tagesschau liegt darin, dass die Times of Israel betont, warum die Ukraine eine antisemitische Gedenkpolitik betreibt:

But some of the critics noted the fact that in modern-day Ukraine, including under Zelensky, streets and monuments are being named for Nazi collaborators, whom many Ukrainians view as patriots because they fought the Red Army.

“It’s a straightforward provocation to host on May 4 the Ukrainian president under whose leadership Stepan Bandera was promoted to a national hero,” economist Gerrit Zeilemaker wrote on Twitter, in reference to the leader of a rebel militia that fought alongside Nazi soldiers.

During World War II, Bandera led the Ukrainian Insurgent Army, whose men killed thousands of Jews and Poles, including women and children, while fighting alongside Nazi Germany against the Red Army and communists. Bandera’s supporters claim that they sided with the Nazis against the Soviet army in the belief that Adolf Hitler would grant independence to Ukraine.

Dazu kommt: schon vor einem Jahr bei seiner Rede an die Knesset via Video hatte Selenskyi antisemitisch agitiert. Er verglich bekanntlich den Beginn des Kriegs Russlands am 24. Februar 2022 mit der Gründung der NSDAP am 24.2.1920. Damit setzte er den Antisemitismus Hitlers und der NSDAP mit Putin und dem Krieg in der Ukraine auf eine Stufe. Und exakt so funktioniert heute Antisemitismus. Selenskyi ist ein typischer sekundärer, erinnerungsabwehrender Antisemit. Er feiert Nazi-Kollaborateure in der Ukraine, hat einen stellvertretenden Außenminister Melnyk, der den Judenhasser und Nazi-Kollaborateur Bandera mit Blumen auf dessen Grab in München würdigte.

Selenskyi verharmlost den Holocaust auf widerwärtige Weise, indem er von der Kollaboration seiner Ukraine schweigt, aber Putin mit Hitler analogisiert und damit einen antiliberalen Autokraten mit dem mörderischten Antisemiten der Weltgeschichte gleichsetzt.

Als Selenskyi in seiner Rede an die Knesset im März 2022 die NSDAP und Hitler mit Putin und dem Ukraine-Krieg gleichsetzte, wurde ihm vom Knessetabgeordneten Yuval Steinitz (Likud) vorgeworfen, dass dies „an Holocaustleugnung grenze“.

Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele (Teil 3)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Der folgende Text ist Teil 3 eines Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) zum Thema Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele.

3. Antizionistischer Antisemitismus

Dieses Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) untersucht vier aktuelle Beispiele von Antisemitismus, genauer gesagt sind es vier unterschiedliche Kategorien: Sekundärer Antisemitismus und Universalisierung („Ukraine“, „Zivilisationsbruch“…), Sekundärer Antisemitismus und Derealisierung („Heidegger, Auschwitz, motorisierte Ernährungsindustrie“), Antizionismus und viertens Antijudaismus. Mehrere dieser Kategorien sind aber miteinander verwoben, es handelt sich um einen „Komplex Antisemitismus“.

In diesem Teil drei geht es um Antizionismus, der aber in die aktuelle politische Situation eingebettet wird. Die ausführlichere Analyse der Coronapolitik in Teil 1 und 2 wird hier kursorisch fortgeschrieben, da die moralische Überheblichkeit vieler irrationalen Verfechter*innen der Corona-Maßnahmen, die jedwede substantielle Kritik am Corona-Regime als mehr oder weniger antisemitisch diffamieren, so weit verbreitet ist, gerade unter den Jüngeren und an Universitäten, dass selbst die wichtige Kritik am Antizionismus darunter leidet. Es ist jedoch kein gänzlich neues Phänomen, dass sich Menschen gegen die eine Form von Unterdrückung oder Herrschaft wenden, aber zu anderen Formen schweigen. So ist eine bürgerliche Kritik am Antisemitismus häufig verkürzt, wenn sie nicht typische Abspaltungsprozesse in den Blick nimmt wie die Lobpreisung ‚konkreter Arbeit‘ und die Ablehnung virtueller Prozesse wie Geld, Börse, Spekulation. Als ob das eine von dem anderen zu trennen wäre. Hingegen hat die linke Kritik am Kapitalismus seit langer Zeit keinen Blick für die antisemitischen Tendenzen ihrer Ablehnung der Geldwirtschaft, was bis auf Marx zurückgeht, der allerdings seine eigene verkürzte Kapitalismusmuskritik in späteren Jahren zurücknahm.

Viele wollen aktuell die Panik bezüglich der Ukraine noch weiter aufrechterhalten oder gar massiv erhöhen. Dabei hat die russische Kriegspartei sich bereits aus der gesamten Region Kiew zurückgezogen und befindet sich nur noch im ohnehin seit acht Jahren im Krieg befindlichen Donbass sowie den südlichen Regionen bis hin zur Krim, die sich seit Jahren eindeutig pro-russisch positioniert hat. Die deutsche Bundesregierung möchte offenbar Russland als Teil Europas beerdigen, sich von Russland ökonomisch, kulturell, sozial vollständig abkoppeln. Dieser Rassismus ist ein ungeheuerlicher Vorgang und wird nicht ohne Konsequenzen für die BRD bleiben. Dabei gibt es seit Jahren viel not-wendige Kritik am Putinismus, an den autoritären Tendenzen in Russland, doch es gab auch bis Anfang 2022 scharfe Kritik an der Oligarchenherrschaft, der Korruption und den Neonazi-Banden in der Ukraine.

Wir leben in der politisch gefährlichsten Zeit seit 1945. Ein Atomkrieg zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen ist im Bereich des Möglichen. Damit auch die Selbstauslöschung der ganzen Menschheit. Auch die USA sollten sich gewahr sein, dass Russland Hunderte, ja Tausende Atom-Raketen hat, die auch das Festland der USA treffen und alles Leben auslöschen können. Die Provokationen der USA und des Westens mit NATO-Manövern in der Ukraine vor allem seit 2014 sind ein zentraler Faktor im aktuellen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands und dieser Gefahr eines alles Leben vernichtenden Atomkriegs.

Dazu kommen ungeheuerliche antisemitische Äußerungen. Zuerst verglich der ukrainische Präsident Selenskyi in einer Ansprache an das israelische Parlament, der Knesset, den Angriff Russlands mit dem Holocaust, ja das Datum des Einmarsches der Russen in der Ukraine, 24. Februar, mit der Gründung der NSDAP. Das ist hochgradig verschwörungswahnsinnig – als ob Putin dieses Datum gewählt habe, um eine Kontinuität zu den Nazis herzustellen! – und antisemitisch.[21] Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem hat auch umgehend Selenskyi der Trivialisierung des Holocaust beschuldigt. Einige Wochen später fantasiert, deliriert und hetzt der russische Außenminister Lawrow, dass Hitler „jüdisches Blut“ in sich gehabt habe und „Juden seien selbst die größten Antisemiten“. Dieser Antisemitismus des russischen Außenministers ist genauso wahnhaft wie die Fantasien von Selenskyi. [Update: für diesen Antisemitismus hat sich Putin persönlich bei Bennett entschuldigt, Times of Israel, 05. Mai 2022]

Es läuft ein Wettbewerb des Sich-Hochschaukelns mit den absurdesten Vorwürfen, wozu ja auch wie in Teil 1 dieses Working Paper gezeigt die in Deutschland von führenden Politikern benutzte Rede vom „Zivilisationsbruch“ gehört.

Olaf Scholz hat nach seinem Scheitern mit der irrationalen und demokratiefeindlichen Impfpflicht jetzt noch deutlicher als Politiker versagt, indem er als Reaktion auf die Aggression Russlands die Bundeswehr in nie dagewesener Weise aufrüstet – 100 Milliarden Sondervermögen, jährlich mehr Geld für das Kriegsministerium („Verteidigungsministerium“). Jetzt liefert er sogar schwere Waffen an die Ukraine und – das ist noch heftiger – bildet ukrainische Soldaten (vielleicht auch Neonazis der Asow-Bataillone) in Deutschland an diesen schweren Waffen aus, was laut des wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag juristisch einem Kriegseintritt gleichkommt.

Waffenstillstand statt Waffenlieferung – das ist die Parole der Stunde, auch wenn für Argumente nicht mehr zugängliche Agitatoren wie Scholz, von den noch viel brutaleren HetzerInnen wie von der FDP, den Grünen und der CDU/CSU ganz zu schweigen, das zu old-school diplomatisch und reflektiert, weitblickend ist. Mehr Waffen haben seit 1945 noch nirgendwo zu weniger Krieg geführt. Mehr Waffen führen zu mehr Toten, hier: in der Ukraine.

 

Der gegen Israel gerichtete Antisemitismus, der antizionistische Antisemitismus, ist der sichtbarste Ausdruck von Judenfeindschaft. Bevor wir näher auf aktuelle Fälle in Berlin und den USA eingehen, muss das Thema Corona noch einmal kurz gestreift werden.

Die 2015 gegründete und vom Berliner Senat und anderen Einrichtungen wie der Amadeu Antonio Stiftung finanzierte „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)“ schreibt Ende Januar 2022 in einem Bericht über „Antisemitische Vorfälle und Erscheinungsformen im Kontext der aktuellen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland“ Folgendes:

Der aktuell unvermindert starke Zulauf bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen geht mit einer vermehrten Sichtbarkeit von antisemitischen Inhalten auf diesen Versammlungen einher. Als Reaktion auf die angekündigte Impfpflicht und die Einführung der 2G- und 3G-Regeln häufen sich die Analogien zur Schoa und insbesondere zur antisemitischen Markierungspraxis im Nationalsozialismus.

Was hier auffällt ist ein ungeheuerliche Bias, eine Vorurteilsstruktur gegen jedwede Kritik an den „Corona-Maßnahmen“. Es gibt in der Tat vielfältige antisemitische Verharmlosungen des Holocaust und des Nationalsozialismus, wenn Menschen sich Armbinden mit einem Judenstern und dem Wort „Jude“ oder „ungeimpft“ darin umbinden, wenn sie Plakate tragen, auf denen Kontaktverbote als „sozialer Holocaust“ bezeichnet werden, wenn „Rothschilds“, „Soros“ und „Bill Gates“ als eine Art Verschwörergruppe imaginiert werden, wenn die antisemitische Verschwörungsideologie von QAnon intoniert oder wenn Israel beschuldigt wird – wie von Neonazis in den USA oder vom Iran oder arabischen Antisemiten – an Corona schuld zu sein. Das alles gibt es und das ist sehr gefährlich und problematisch. Es ist ebenso sehr gefährlich, wenn organisierte Rechtsextremisten in einigen Fällen bei der Organisation der „Montagsspaziergänge“ zur Kritik der Coronapolitik federführend aktiv waren wie die Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ in Berlin-Mitte, wie die NZZ berichtete.

Es ist erstmal faktisch falsch, wenn RIAS behauptet, ab dem „13. Dezember 2021“ hätte es solche Montagsspaziergänge gegeben, schon am 22. November 2021 berichtete die Presse von einem solchen gegen die Coronapolitik gerichteten Montagsspaziergang in der sächsischen Stadt Freiberg.

Diese harmlose Ungenauigkeit mag aber Ausdruck einer Ignoranz gegenüber dieser sozialen Bewegung sein, die nur aus Gründen der Abwehr überhaupt in den Fokus von RIAS gerät. Es ist ebenso faktenfrei, wenn RIAS behauptet, es würde nur eine „breite bundesweite Mobilisierung zu suggerieren“ (Herv. CH) versucht von den Protagonist*innen der Coronapolitik kritischen Montagsspaziergängen. Bei bis zu 1500 oder mehr zeitgleich an Montagen stattfindenden Demonstrationen bzw. Montagsspaziergängen bundesweit und bis zu 300.000 Teilnehmer*innen – wöchentlich! – muss man schon empirisch, faktenbasiert von einer tatsächlichen Massenmobilisierung sprechen. Vermutlich waren die Montagsspaziergänge zur Kritik der Coronapolitik die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das wird die sozialwissenschaftliche Protest- und Bewegungsforschung weiter erforschen.

Und es ist ganz sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, dass eine einzige Demonstration von einigen Hundert BDS-Anhänger*innen in Berlin eine weit größere Gefahr für Juden darstellt, als diese im Winter 2021/22 bis zu 1500 oder mehr gleichzeitig am Abend stattfindenden Montagsdemonstrationen (allein in Baden-Württemberg, dem bundesweiten Spitzenreiter, waren es mitunter knapp 300 Demonstrationen bzw. Spaziergänge), die nicht in aggressiven Sprechchören „Palestine from the river to the sea“ brüllten.

Es gab es in der der Bundesrepublik noch nicht, dass gleichzeitig zum selben Thema 1500 Demonstrationen stattfanden, und das ohne zentrale Organisation, mit einem breiten Spektrum an Teilnehmenden. Darunter waren sicher auch üble Personen, Antisemiten oder Rechte, Sexisten, SUV-Fahrer*innen etc. pp., aber ob z.B. Rechte mehr als zwei, fünf oder 10 Prozent ausmachten, wurde bislang noch nicht erforscht.

Viele der Spaziergänge hatten keine Parolen, keine Fahnen oder Plakate, mitunter Trillerpfeifen und Musik. Wer schaute früher bei linken Demonstrationen, wer für Mao ist? Dabei war Mao ein größerer Verbrecher als heutige Coronapolitik-Kritiker*innen. Holocaustleugner und Nazis müssen von jeder Demonstration ausgeschlossen werden. Doch unter diesem strafrechtlich relevanten Bereich gibt es eine Vielzahl von Positionen, die man höchst abstoßend finden kann und politisch bekämpfen sollte, aber tolerieren muss, wenn man in einer Demokratie leben will und nicht einem totalitären Staat wie in ZeroCovid-China.

Damit wird der von einigen Coronapolitik kritischen Demonstrant*innen vertretene strukturelle, erinnerungsabwehrende oder auf Verschwörungsmythen basierende Antisemitismus nicht weniger schlimm – aber man muss wissenschaftlich ganz genau differenzieren und kann nicht wie RIAS wenigstens vom Duktus her so tun, als ob so gut wie jede Kritik an den Coronamaßnahmen irgendwie mit Antisemitismus in Verbindung stünde. Das ist schlicht falsch und schadet dem so wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus.

Es ist ebenso problematisch, wenn RIAS ohne jeden analytischen Bezug zur wissenschaftlichen Kritik an der irrationalen Coronapolitik von Merkel oder Scholz, Spahn oder Lauterbach einen eindeutigen Konnex von „Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“ und einer angeblichen oder tatsächlichen Häufung von Antisemitismus herzustellen.

RIAS konzediert zwar der Form halber, dass die Coronapolitik-Kritiker*innen-Szene irgendwie „divers“ sei, aber von der Wissenschaftsfeindlichkeit von RIAS, das hier wie auch sonst primär seinen Unterstützern wie dem Berliner Senat Folge zu leisten scheint, wird nicht gesprochen. Denn folgender Satz von RIAS widerspricht der virologischen und epidemiologischen internationalen Forschung bzw. möchte mit dem Wörtchen „konsequenter“ offenkundig andeuten, dass die „2G- und 3G-Regel“ exakt richtig gewesen wären:

Ab Anfang Dezember 2021 wurden die Auflagen für Versammlungen aufgrund der hohen Inzidenz regional verschärft und die 2G- und 3G-Regel konsequenter umgesetzt.

Am 19. November 2021 publizierte ein großes Forschungsteam der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und dem amerikanischen Justizministerium eine Studie, die empirisch zeigt, dass gegen SARS-CoV-2 geimpfte Personen exakt so lange und intensiv ansteckend sein können wie nicht geimpfte Personen. Ich habe darüber am 9. Dezember 2021 berichtet. Das macht jede Unterscheidung von geimpft versus ungeimpft zu einem antidemokratischen, medizinischen Willkürakt. Und im Gegensatz zu den Vorstellungen von RIAS ist ein Großteil der Demonstrant*innen gegen die Coronapolitik wissenschaftlich ziemlich gut informiert, jedenfalls besser als der überwiegende Teil der Gesellschaft, der sich mit solchen Studien oder der internationalen Forschung kaum beschäftigt und nur die der Regierung hörigen – so muss man das leider sagen – Mainstreammedien konsumieren. Dass wiederum nicht wenige Teilnehmende an der Coronapolitik-Kritik so wie viele andere Deutsche Verschwörungsmythen zum Beispiel zum 11. September 2001, der ein „inside job“ gewesen sein soll, anhängen, ist dramatisch und ob da noch Aufklärung hilft, über 20 Jahre nachdem wir die Fakten kennen, ist unwahrscheinlich. Doch das betrifft auch sehr viele ganz normale Coronapolitik-Anhänger*innen.

Dass die „2G“-Regel tatsächlich eine Apartheid bedeutet, das wird soweit ich sehe, von RIAS und seinem Leiter in Berlin Benjamin Steinitz nicht einmal diskutiert, sondern jede Kritik von vornherein – a priori – tendenziell ins antisemitische Lager gepackt oder eingerahmt, also geframt, wie das neudeutsch heißt.

Es wäre seriös und wissenschaftlich gewesen, wenn RIAS zum Beispiel sinngemäß geschrieben hätte, dass die 2G- und 3G-Regeln epidemiologisch, demokratietheoretisch und auch virologisch gar keinen Sinn machen und bloße Willkür sind. RIAS hätte auch dazu sagen können, dass Politiker mitunter ganz ehrlich waren im Herbst 2021 und betonten, dass es epidemiologisch völlig sinnlos ist, 2G oder 3G einzuführen, aber die Menschen zum Impfen gedrängt werden sollen, was dann durch eine Impfpflicht in Deutschland mit nie dagewesenem Zwang verbunden gewesen wäre. Nun ist vor wenigen Wochen die Impfpflicht krachend im Deutschen Bundestag gescheitert.

Soweit ich sehe, ging RIAS auch mit keinem Wort auf die Israelfahnen ein, die auf einer der bekanntesten Anti-Coronapolitik-Demonstrationen geschwungen wurden, und zwar am 20. März 2021 in Kassel.

Wie antisemitisch ist eine politische Szene, die Israelfahnen mit sich führt? Bei allen Widersprüchen und allen klar erkennbaren antisemitischen und Holocaust verharmlosenden Tendenzen im Lager der Coronapolitik-Kritik muss doch eine Dokumentationsstelle Antisemitismus wie RIAS hellhörig werden, wenn da immer wieder positive Bezüge zu Israel auftauchen, was bei BDS-Demonstrationen oder islamistischen und muslimischen Anti-Israel-Aktionen niemals passieren würde, genausowenig wie bei Neonazi-Demonstrationen. Selbst bei den Anti-Coronapolitik-Demos in Berlin im August 2020, wo nachweislich Rechtsextremisten mit dabei waren, flatterten mitunter, man konnte das in Livestreams am Computer verfolgen, Reichskriegsflaggen unweit von einer Israelfahne, die offenkundig erstere überdecken wollte, wobei die größte Fahne auf einer dieser Großdemonstrationen eine riesige Deutschlandfahne war, was ja zeigt, wie deutschnational die ganze Szene ist – aber eben in Teilen auch klar pro-israelisch.

RIAS versagt auch insofern, als man in seinen Berichten nicht entdecken kann, dass die Befürchtung vieler Kritiker*innen seit 2020, es würde auf eine Impfpflicht hinauslaufen, was von Merkel bis Scholz, Lindner und Habeck bis September 2021 geleugnet wurde – Bundestagswahl! – richtig war. Ja, das war offenkundig keine Verschwörungsideologie, sondern entsprach den Tatsachen. Das ist noch viel interessanter und demokratietheoretisch von höchster Bedeutung zu eruieren, warum gerade in den Ex-Nazi- bzw. ehemals faschistischen Staaten Deutschland, Österreich und in Teilen in Italien (nicht aber z.B. in Spanien, Rumänien, Griechenland oder Argentinien, auch ehemals faschistische Länder bzw. Ex-Militärdiktaturen) eine Impfpflichtdebatte geführt und eine Impfpflicht in Teilen eingeführt (und in Österreich aktuell wieder ausgesetzt) wurde. Warum in diesen drei Ländern und sonst weltweit so gut wie nirgends? Was sagt das über die politische Kultur des Autoritarismus, der Willkür oder der Bedeutung von staatlichem Zwang aus? Selbst in Israel gab es keine wirkliche Debatte über eine Impfpflicht, obwohl unter Netanyahu und später unter Bennett eine sehr aggressive Coronapolitik – unter anderem mit Maskenzwang im Freien! – exekutiert wurde.

Diese Befürchtung nach dem Ruf einer Impfpflicht in Deutschland hatte sich seit November 2021 bewahrheitet, plötzlich waren Scholz, Habeck und Lindner für die Impfpflicht. Exakt das Gleiche war schon ganz zu Beginn der Pandemie passiert, als Mitte März 2020 der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn es als Fake News diffamierte, dass einige Leute befürchteten, dass gravierende „Maßnahmen“ zur Einschränkung des Lebens angesichts von Corona bevorstünden. Wenige Stunden bzw. Tage später wurde der erste Lockdown beschlossen. Wer Fake News, also Unwahrheiten verbreitet hatte, waren Spahn und die Bundesregierung.

Ich habe mich zum Beispiel in einem Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) im Januar 2021 ausführlich mit antisemitischen Tendenzen in der Coronapolitik-Kritiker*innen beschäftigt und diese Kritik in Dutzenden Texten ergänzt und untermauert – „Antisemitismus im Zeitalter von Corona“.

Aber das war eben immer eingebettet in eine wissenschaftliche Analyse der Fehler der Coronapolitik und des Irrationalismus sowie der Willkürlichkeit und verfassungsmäßigen Fragwürdigkeit der Coronapolitik der Bundesregierung und der 16 Landesregierungen.

Es ist dramatisch, dass gerade Antisemitismusforscher*innen weltweit die antidemokratische, unwissenschaftliche, irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, juristisch häufig verfassungsfeindliche, rein auf die Exekutive und nicht auf Diskussion und Kompromiss basierende Coronapolitik nicht nur durchgewunken haben, sondern sogar Kritiker*innen fast komplett in die Kategorie „rechts“, „Verschwörungsideologe“ oder „Schwurbler“ gesteckt haben. Es wirkt selbstbeweihräuchernd und eben unwissenschaftlich, wenn nicht zuletzt Nachwuchsforscher*innen immer nur von der Gefahr der Querdenken-Bewegung sprechen ohne auch nur einmal ein Referat über den Irrationalismus von Merkel, Scholz, Spahn oder Lauterbach zu halten oder wenigstens juristisch die Unhaltbarkeit einer Unzahl von Maßnahmen zu thematisieren. Wer vom Irrationalismus, der Unwissenschaftlichkeit und der Impf-Apartheid wie von 2G nicht reden will, soll vom Rechtsextremismus von Teilen der Coronapolitik-Kritik schweigen.[22]

Schauen wir uns nun den antizionistischen Antisemitismus, der im Vergleich zu den Anti-Coronapolitik-Demonstrationen ein viel höheres Gewaltpotential hat, etwas näher an. Die problematische Position der Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, von Stefanie Schüler-Springorum und vielen ihrer Kolleg*innen im Bereich Jüdische Studien, Geschichte und Sozialwissenschaften, bezüglich Israel und der BDS-Bewegung habe ich im Januar 2021 in einem Working Paper näher untersucht („Initiative GG 5.3 Weltoffenheit„). Schon damals ging es wie auch wenig später in der „Jerusalem Decoaration“ um eine Verharmlosung der antisemitischen Parole „Palestine from the River to the Sea“.[23]

Am Samstag, den 23. April 2022 gab es eine Demonstration gegen Israel in Berlin-Neukölln. Angesichts von mörderischen Anschlägen in Israel durch Palästinenser, von Polizei- und Militäreinsätzen auf dem Tempelberg, in den palästinensischen Gebieten und in Israel, demonstrierten ca. 500 Personen gegen Israel – und gegen Juden. Dabei wurden antisemitische Parolen geschriene wie „dreckiger Jude“, „Kindermörder Israel“, „Frauenmörder Israel“.

Organisiert worden war die Hetzveranstaltung von einer Gruppe mit dem Namen „Palästina spricht“. Schockierend war auch das Verhalten der Polizei, für das der Berliner Senat verantwortlich ist, der aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 es ermöglicht, dass willkürlich Pressevertreter*innen von Demonstrationen ausgeschlossen werden können:

Journalisten-Gewerkschafter Jörg Reichel von der Deutschen Journalisten-Union hat das Geschehen beobachtet. Er schildert WELT den Vorfall so: Der Veranstalter und Teilnehmer hätten die Pressevertreter auf unterschiedliche Weise als „zionistische, rassistische, jüdische Presse“ markiert. Dann seien Ordner gekommen und hätten gedrückt und geschoben. „Teilnehmer haben aus diesem Pulk heraus zugeschlagen. Dann wurde die Polizei vom Veranstalter zugezogen und ein Ausschluss gefordert.“ Im Vorgehen der Polizei sieht Reichel eine „presserechtliche Katastrophe“.

(Die Welt, 26.04.2022, S. 6)

Auf der „Revolutionären 1. Mai“-Demonstration der linksradikalen Szene Berlin liefen am 1. Mai 2022 auch viele BDS-Anhänger*innen und Palästinenser*innen mit Fahnen mit. Wie am 22.4. wurde auch da wieder „Palestine from the river to the sea“ geschrien, also die Auslöschung des jüdischen Staates Israel gefordert.

Der antizionistische, auf Israel bezogene Antisemitismus spricht Juden das Recht ab, in einem eigenen Staat zu leben. Dabei ist Israel bereits ein sehr multikultureller Staat mit ca. 20 Prozent Arabern – welche europäische Demokratie würde eine so riesige nationale Minderheit ertragen, ohne zu einem antidemokratischen Regime zu mutieren (einmal abgesehen davon, dass ganz Europa bis auf Schweden während der Corona-Krise nicht mehr rechtsstaatlich und demokratisch war, sondern irrational, antidemokratisch und nur auf die Exekutive sowie ein einziges Virus fokussiert, ohne gesundheitliche Schäden, massive, für die ganze Bevölkerung durch Lockdown, Quarantäne, Masken usw. zu berücksichtigen, von den „Kollateraltoten“ im Globalen Süden nicht zu schweigen, die nach Millionen zählen).

Also: Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat. Das heißt nicht, und da ist die Pro-Israel-Szene zumal in Deutschland und Österreich häufig blind, dass Israel nicht auch Fehler macht. Es gibt Rassismus gegen Araber, Muslime und Palästinenser in Israel bzw. den palästinensischen Gebieten. Es gibt auch gezielte Provokationen von jüdischen Extremisten, die z.B. den Tempelberg zum Beten nutzen wollen, was eben nun mal für Muslime eine extreme Provokation darstellt. Daher hat auch jüngst der stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister Lapid betont, dass es keinerlei Erlaubnis geben wird für nicht-muslimische Menschen, auf dem Tempelberg zu beten. Die Räumung bzw. Enteignung von palästinensischen Wohngebieten ist ebenso heftig umstritten. Es gibt in Israel viele zionistische Stimmen, die sich gegen den Nationalismus Israels wenden und die weiterhin eine Zweistaatenlösung anstreben.

Antisemiten, die so wie in Berlin krakeelen und Juden bedrohen, Journalist*innen angreifen und ausschließen von der Berichterstattung, die sind völlig verloren für eine rationale Diskussion. Da muss man mit aller Härte durchgreifen und antisemitische Gewalttäter zur Rechenschaft ziehen.

Das heißt aber nicht, dass man politisch die Situation in Israel näher betrachten muss. Darauf weist die Politologin an der Hebräischen Universität, Stadträtin in Jerusalem seit vielen Jahren für die linke Partei Meretz und Publizistin Dr. Laura Wharton hin. In einem Text vom 19. Februar 2022 erläutert sie die Situation in Jerusalem und vor allem in Ost-Jerusalem. Die Enteignungen, die dort im Viertel Sheik Jarrah stattfinden, hält sie für höchst problematisch. Jüdische Siedler und andere melden plötzlich Anspruch auf Eigentum an, weil sie 1948 im Krieg vertrieben worden seien. Wharton betont, dass dies doch genauso andersherum passieren könne, Palästinenser, die aus West-Jerusalem oder jedem anderen heutigen Ort in Israel vertrieben wurden. So wie Israel zu Recht gegen jedes Recht auf Rückkehr sich ausspricht, weil dies das Ende des jüdischen Staates bedeutete, so sollten auch jüdische Israelis solche Enteignungen von Palästinensern in Ost-Jerusalem sofort stoppen. Dabei ist es ohnehin zynisch, da die jüdischen Ex-Eigentümer dieser Häuser oder Wohnungen bereits vor Jahrzehnten entschädigt wurden, wie Wharton betont:

1. Many of the Palestinians now living in East Jerusalem were refugees in 1948 from what is today Israel proper. They were settled in their current homes by the Jordanian government and the U.N., in return for which they waived their rights as refugees. To evict them would make them refugees twice over, an unthinkable prospect from a humanitarian perspective.

2. Jewish families who lived in parts of Jerusalem that were taken over by Jordan in 1948 were compensated and given abandoned property by the Israeli government. This offering them title to the property they left constitutes double compensation, as Adv. Michael Ben-Yair (ex-Attorney General), who was born in Sheikh Jarrah, explains in his eponymous book on the subject.

Es ist also eine Sache, sich gegen den rabiaten, handgreiflichen und zu Gewalt anstachelnden Antisemitismus wie letzten Samstag in Berlin zu wenden. Es ist eine komplementäre Sache, sich konkret mit der Situation in Israel im Sinne des Projekts Zionismus und jüdischer und demokratischer Staat Israel sich mit dem Rassismus gegen Araber und Palästinenser sowie der rechtsextremen Siedlerpolitik kritisch zu befassen.

Wie weit verbreitet mittlerweile die BDS-Bewegung ist, zeigt ein sehr besorgniserregendes Beispiel aus den USA, das uns auch gleich zurückführt auf Jerusalem und den Stadtteil „Sheikh Jarrah“. Am 29. April 2022 publizierte die Redaktion der ältesten kontinuierlich erscheinenden Studentenzeitung in den USA, The Harvard Crimson von der Eliteuniversität der Ivy League Harvard, ein Editorial, das sich hinter die antisemitische BDS-Bewegung stellt:

 

In dem Artikel beziehen sie sich unter anderem auf den ehemaligen CNN Kommentator Marc Lamont Hill, der den sowohl islamistischen wie säkular-antisemitischen Slogan „From the River to the Sea“ für den arabisch-israelischen Konflikt benutzt.

Der Harvard Crimson ist eine sehr einflussreiche Studierendenzeitung und hat fast 90 Mitglieder in der Redaktion, wozu auch eine eigene Druckerei gehört. Viele einflussreiche Politiker*innen und Prominente waren früher als Studierende Teil von Crimson. Die Texte des Herausgebergremiums bzw. der Redaktion (Editorial Board) werden mit Mehrheitsbeschluss gefasst. Bislang hatte sich Crimson gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen. Solche Elitestudierenden wie in Harvard, wo 2021 nur 3,4 Prozent der Bewerber*innen als Student*in aufgenommen wurden, haben ein scharfes Sendungsbewusstsein, wer in Harvard, Yale oder Columbia etc. war, wird eine wichtige gesellschaftliche Position bekommen. Das ist also ein sehr schlechtes Zeichen, wenn jetzt so ein studentisches Gremium von 18-25-jährigen Studierenden so eine antisemitische Bewegung wie BDS gutheißt.

Der Direktor der Anti-Defamation League (ADL) Jonathan Greenblatt ist sichtlich angewidert von der Pro-BDS-Positionierung der jungen Harvard-Studierenden von Crimson, wie der Algemeiner berichtet:

Responding to the editorial on Twitter, Anti-Defamation League (ADL) CEO Jonathan Greenblatt called it “beyond disturbing.”

“Contrary to its claims, endorsing BDS does nothing to help Palestinians & only serves to delegitimize Israel’s existence, and isolate & intimidate the Jewish community, especially on campus,” he wrote. “Before publishing blanket statements on such complex and important issues, the Crimson editors should check their own blind spots in this matter and ask why they deem it necessary to expressly single out the state of Israel.”

“Just imagine if the Crimson would have instead promoted engagement and dialogue, and sponsored efforts on campus & beyond to build foundations for a future of self-determination, security and peace for both Israelis and Palestinians,” Greenblatt continued.

Wie stark gegen Israel sich die jungen Studentinnen und Studenten in Amerika, hier in Harvard, wenden, zeigte bereits ein Artikel von Oktober 2021, der den palästinensischen Aktivisten und Publizisten Mohammed El-Kurd vorstellte. El-Kurd kommt aus Jerusalem und Sheikh Jarrah, hat 250.000 Follower auf Twitter, wurde 2021 Palästina-Korrespondent der Zeitschrift The Nation, die Times wählte ihn und seine Zwillingsschwester zu zwei der einflussreichsten Personen des Jahres 2021. Was macht ihn so außergewöhnlich und erfolgreich mit 23 Jahren? Seine Familie wohnt in einem Haus, das zu den umstrittenen Gebäuden und Grundstücken in Sheikh Jarrah gehört. Über den Fall wurde ein Film gedreht. El-Kurd hat 2021 ein Buch publiziert, Rifqa, worin er wie selbstverständlich die jahrhundertealte antisemitische Blutbeschuldigung aufgreift und zitiert:

In 2009, Swedish photojournalist Donald Boström published an essay titled “Our Sons Are Being Plundered for Their Organs,” in which he exposed the decades-long Israeli practice of returning the bodies of young Palestinian men to their families with organs missing.[24]

Organhandel ist weltweit ein sehr lukratives Geschäft. Auch in Deutschland gab es Organhandelskandale, wie in vielen Ländern, auch in Israel. Was hier aber bei Boström vorliegt, ist eine klassische antisemitische Blutbeschuldigung. Es wird in einem Text von Boström in der größten schwedischen Tageszeitung Aftonbladet behauptet, dass die israelische Armee IDF absichtlich Organe von Palästinensern verwenden würde. Dafür hatte er keinerlei Beweise, wie er im israelischen Radio selbst zugab. Es gab in Schweden allerdings wie auch in Israel und weltweit einen Aufschrei, dass so eine antisemitische Verschwörungsideologie und Blutbeschuldigung in einer großen und als seriös betrachteten Tageszeitung in Schweden publiziert wurde. Eine andere große schwedische Zeitung kritisierte Aftonbladet scharf:

Writing in rival newspaper Sydsvenskan, Mats Skogkär attacks Aftonbladet’s decision. In an Op-Ed piece called Antisemitbladet, he gets to the heart of the issue:

Whispers in the dark. Anonymous sources. Rumors. That is all it takes. After all we all know what they are like, don’t we: inhuman, hardened. Capable of anything. Now all that remains is the defense, equally predictable: ‘Anti-Semitism’ No, no, just criticism of Israel.

El-Kurd tweetet besonders vulgär, sexistisch, antisemitisch und aggressiv,

er trat im Frühjahr 2022 auf der Israeli Apartheid Week in den USA auf, wie die Anti-Defamation League (ADL) berichtet. Die ADL hat auch ein ganzes Dossier über den Antisemitismus von El-Kurd publiziert,

der regelmäßig Israel mit dem Nationalsozialismus vergleicht. Sein Twitter-Account ist voll von solchen antisemitischen Vergleichen von Nazis und Israel, israelischer Politik und der „Kristallnacht“, „der Zionismus“ sei „blutdürstig“ und so weiter. Es ist absolut schockierend, was für Hetze tagtäglich auf Twitter und anderen a-sozialen Medien möglich ist. Und der von der Harvard Law School’s Middle Eastern Law Student Association eingeladene und von Crimson promotete Mohammed El-Kurb ist ein typischer antisemitischer Agitator, der im Mainstream der USA angekommen ist.

Die Tatsache, dass ein Typ wie El-Kurb in Harvard auftreten darf und sogar von einer Zeitung für seine Agitation bezahlt wird (The Nation) ist skandalös. Aber es passt in ein antisemitisches Klima in Harvard, das jetzt vor wenigen Tagen zu dieser Pro-BDS-Position des Harvard Crimson führte. Die linksradikale Szene Berlin und Harvard Hand in Hand gegen die Juden und den jüdischen Staat Israel.

Wer Israel als jüdischen Staat auflösen möchte, handelt antisemitisch. Das macht BDS und das machen jene, die „Palestine from the River to the Sea“ schreien. Das sind Gewaltandrohungen. Ganz im Gegensatz dazu versuchen linkszionistische Lokalpolitikerinnen wie die Publizistin und Politologin Laura Wharton wie gezeigt auf pragmatischem Weg eine Lösung für Jerusalem, die Palästinenser und den arabisch-israelischen Konflikt zu finden. Sie setzt sich gegen Gewalt von Siedler*innen und gegen den anti-palästinensischen Rassismus ein.

Doch BDS wie auch auf ganz anderer Ebene das Corona-Regime kennen nur Schwarz und Weiß. „From the River to the Sea“ oder „Wir impfen euch alle”, wie die Berliner Antifa und andere Antifas krakeelen, haben jeweils wissenschaftlich und politisch keinen Sinn, außer Gewalt anzudrohen.

Ein riesiges Problem für die Demokratie ist also das Schwarz-Weiß-Denken, wie auch das Gruppendenken. Durch die Regierung Merkel und jetzt durch Scholz werden diese beiden autoritären Denkweisen auf nie dagewesene Weise seit 1945 verschärft. Zuerst – und bis heute – ist es die Corona-Ideologie, die jede Kritik an den willkürlichen, medizinisch wie verfassungsrechtlich fragwürdigen Maßnahmen diffamierte, heute ist es die unglaubliche Dämonisierung alles Russischen. Eine rationale Analyse dieses Krieges bleibt aus, ja Deutschland sieht sich zum ersten Mal seit 1945 wieder in einem Krieg mit einem der Befreier vom Nationalsozialismus, nachdem es schon 1999 im Luftkrieg gegen Serbien einen Tabubruch begangen hatte: Nie wieder Krieg. Heute heißt es: Nie wieder Krieg ohne schwere deutsche Waffen auch in Europa!

Die so wichtige Einrichtung RIAS aus Berlin, die Antisemitismus dokumentiert, hat wie gezeigt keinen Blick für die medizinisch und demokratisch äußerst fragwürdige Coronapolitik und diffamiert jedwede substantielle Kritik als irgendwie dem antisemitischen Lager zugehörig. Damit leistet RIAS der Kritik an allen Formen von Antisemitismus einen Bärendienst. Übrigens gab es auf der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ am 1.5.22 in Berlin auch wenigstens eine Person im Schwarzen Block, die ein Plakat hielt mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“ (so ein Live-Blog im Berliner Tagesspiegel), womit seit vielen Jahren gerade auch der antizionistische Antisemitismus mit gemeint ist.

Schließlich ist das Schwarz-Weiß-Denken auch im arabisch-israelischen Konflikt deutlich. Während die kulturelle Elite häufig Israel als Staat der Juden ganz grundsätzlich ablehnt (Judith Butler und die BDS-Bewegung vorneweg) und die Palästinenser nur als Opfer betrachtet werden – es also nur „Gut“ und „Böse“ gebe, ignorieren auf der anderen Seite Pro-Israel-Aktivist*innen die offenkundigen Fehler israelischer Politik seit 1967 und der Besatzung.

Der Unterschied jedoch zwischen CDU-Politikern, die vom „Zivilisationsbruch“ daherreden, ohne jede historische Kenntnis, aber viel psychischem Bedarf nach Entlastung von der deutschen Schuld, und jenen antisemitischen, häufig, aber nicht immer islamistischen Hetzern, die vom Gazastreifen als „KZ“ fabulieren oder von Coronapolitik-Kritikern, die meinten, Israel würde eine noch schlimmere (Corona-)Politik betreiben als die Nazis, dieser Unterschied ist gering und kaum zu erkennen.

Es geht seit Jahren um maximale Erregung, Propaganda, Headlines, was nicht zuletzt Folge der schnelllebigen Welt der a-sozialen Medien Twitter, Telegram, Facebook oder Instagram und YouTube etc. ist.

Diese Sensationsgeilheit und zumal eines der ältesten antijüdischen Ressentiments führt uns zum letzten der vier Beispiele für heutigen Antisemitismus: die Beschneidungsdebatte.

 

 

[21] Selensky sagte wörtlich: “On February 24, 1920, the National Socialist Workers‘ Party of Germany (NSDAP) was founded. A party that took millions of lives. Destroyed entire countries. Tried to kill nations. 102 years later, on February 24, a criminal order was issued to launch a full-scale Russian invasion of Ukraine”, https://www.president.gov.ua/en/news/promova-prezidenta-ukrayini-volodimira-zelenskogo-v-kneseti-73701. Die Holocaustverharmlosung von Selenskyi, selbst Jude, ist unerträglich und auch in Israel kam diese Hetze sehr schlecht an: „Listen to what the Kremlin says. Just listen! There are even terms that sounded then. And this is a tragedy. When the Nazi party raided Europe and wanted to destroy everything. Destroy everyone. Wanted to conquer the nations. And leave nothing from us, nothing from you. Even the name and the trace. They called it ‚the final solution to the Jewish issue‘. You remember that. And I’m sure you will never forget! But listen to what is sounding now in Moscow. Hear how these words are said again: ‚Final solution‘. But already in relation, so to speak, to us, to the ‘Ukrainian issue’.” Schließlich möchte der ukrainische Präsident gerade Israel dazu bringen, gegen die Ukraine zu kämpfen und damit zu „Gerechten unter den Völkern“ zu werden, das ist so ahistorisch und so Holocaust verharmlosend, da fehlen einem fast die Worte: „Ukrainians have made their choice. 80 years ago. They rescued Jews. That is why the Righteous Among the Nations are among us. People of Israel, now you have such a choice.”

[22] Ein Beispiel ist die auch mit Bundesmitteln finanzierte Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IIA) an der Universität Trier, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles/archiv-1. Sicher arbeitet diese Initiative zu vielen wichtigen Themen, aber die Art und Weise wie die häufig sehr wichtige und richtig Kritik an der Coronapolitik, nehmen wir exemplarisch die Great Barrington Declaration von Oktober 2020, präsentiert wird – ausschließlich als antisemitisch und rechtsextrem – ist jedenfalls hier fragwürdig: „Gerade die Verbreitung von Verschwörungstheorien während der Corona Pandemie verstärkt stereotype Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden“. Diese sehr einseitige Vorstellung der Coronapolitik-Kritik gilt auch für Veranstaltungen, die Impfkritik nur in Bezug auf Antisemitismus thematisieren, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/projekte-1-1-1. Da wird nicht mal angedeutet, dass viele Kritiker*innen der Corona-„Impfung“ gegen andere Krankheiten sehr wohl geimpft sind, aber hier, gerade auch als Medizinerin oder Mediziner, skeptisch sind, was ja die nie dagewesene Zahl von Impfnebenwirkungen auch bestätigt. Die Ankündigung der VA, die für den 24. Juni 2021 angekündigt war, zeigt wie undifferenziert hier vorgegangen wird: „Vortrag von Mathias Berek (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) | Online | Facebook-Veranstaltung | Livestreamaufzeichnung. Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne gegen die Covid19-Pandemie wächst auch die öffentliche Präsenz der Impfkritik. Vergleicht man den heutigen Zustand der deutschen impfgegnerischen Bewegung mir ihrem Beginn im 19. Jahrhundert, zeigt sich, dass sich seit 1874 nicht nur an ihren Argumenten wenig geändert hat, sondern auch am Vorhandensein antisemitischer Inhalte. Die Bewegungen gegen das Impfen waren und sind sehr heterogen, und es gibt gravierende Unterschiede zwischen der Situation heute und der vor 100 Jahren. Dennoch lassen sich übereinstimmende Muster im antisemitischen und impfgegnerischen Denken identifizieren, die sich in all der Zeit kaum geändert haben. Diese Gemeinsamkeiten, aber auch strukturelle Parallelen der impfgegnerischen Bewegungen wird der Vortrag diskutieren.“ Dass zudem die mRNA-„Impfstoffe“ von der Firma Bayer ganz offiziell auf dem World Health Summit im Oktober 2021 in Berlin gar nicht als Impfung, sondern als „Gentherapie“ (Video) bezeichnet werden, wird nicht einmal angetippt. Der von der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der Uni Trier hier angekündigte Vortragende Mathias Berek vom Zentrum für Antisemitismusforschung ist Unterstützer der unwissenschaftlichen, irrationalen und sich an China orientierenden „Zero Covid“-Bewegung von Januar 2021, die auch von einigen radikalen Linken scharf kritisiert wird, unter anderem von dem Altlinken und Mediziner Karl-Heinz Roth (Jg. 1942): „Zero Covid war eurozentristisch und extrem staatsfixiert“, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161466.karl-heinz-roth-zero-covid-war-eurozentristisch-und-extrem-staatsfixiert.html. Die Initiative aus Trier unterstützt auch den völlig einseitigen Offenen Brief von „Genozidforschern“ zum völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine vom 27.02.2022, der mit Schaum vor dem Mund, aber ohne jede rationale Analyse, ohne mit einem Wort auf den Krieg der Ukraine im Donbass seit 2014 mit 14.000 Toten, die NATO-Provokationen in der Ukraine seit Jahren, den von den USA mit finanzierten Putsch 2014 auf dem Maidan oder das antirussische Klima in der Ukraine, das mit staatlichen Sprachverboten einhergeht, einzugehen, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles. Der Krieg Russlands ist völkerrechtswidrig. Der Krieg entstand aber nicht aus einem Vakuum oder purer russischer Aggression, sondern hat eine ukrainische Vorgeschichte, die alle kennen. Die Forderungen nach einem Nicht-Beitritt der Ukraine zur NATO hatte Russland zuletzt im Dezember 2021 an die USA geschickt, aber ohne eine richtige Antwort zu erhalten. Diese Ignoranz war gewollt, gerade die USA hatten offenbar kein Interesse an einer Stabilisierung, sondern an einer Destabilisierung. Diese Erklärung einiger Hundert Forscher*innen und Student*innen hat nach der Holocaust trivialisierenden Rede Selenskyis vom 20. März 2022 keine Ergänzung erfahren, soweit ich sehe, diese Holocaustforscher*innen und Studierenden haben sich nicht in gleicher Weise gegen diese Art von Antisemitismus wie in der Rede von Selenskyi an die Knesset gewandt. Und wo waren oder sind diese Hunderten Historiker*innen und Studierenden, als es um den Krieg im Jemen (andauernd) oder dem Krieg der Türkei gegen die Kurden ging und geht? Wo waren sie, als die NATO völkerrechtswidrig Serbien angriff 1999? Der US-Außenminister James Baker wie auch Bundeskanzler Helmut Kohl, ich habe es oft betont und wissenschaftlich dokumentiert in den letzten Monaten, haben Gorbatschow und der Sowjetunion im Februar 1990 mehrfach und nachdrücklich (!) versprochen, dass die NATO nach einer möglichen Wiedervereinigung von BRD und DDR „not one inch“ ostwärts sich erweitern würde. Und was ist seither passiert? So gut wie ganz Osteuropa ist NATO-Mitglied geworden. Jeglicher Versuch Russlands in die NATO aufgenommen zu werden – Putin hat das nachweislich versucht – wurde zurückgewiesen und dafür mit höchster Aggressivität osteuropäische Staaten aufgerüstet und zu NATO-Mitgliedern gemacht. Schließlich verlinkt die Trierer Initiative auf eine Tagung in Essen am 6./7. Mai 2022 mit dem Titel „Warum Antisemitismus? Zur Politischen Theorie der Judenfeindschaft – 06./07. Mai Campus Essen“, auch hier zeigt sich das Muster, dass interessante Themen vermischt werden mit einer Denunziation offenbar der gesamten Coronapolitik kritischen Szene, anders kann man diese Ankündigungen kaum lesen: „Der Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen als Element des Autoritarismus und seiner Refiguration in der Gegenwart“, Paul Erxleben und Dr. David Jäger (Leipzig)“ sowie der Vortrag „Gefühl als Entscheidung. Emotionstheoretische Überlegungen zur Rolle von Gefühlen im Antisemitismus am Beispiel der Querdenken-Bewegung. Johanna Bach und Valerie Schneider (Berlin)“, https://warum-antisemitismus.de/tagungs-programm/. Es geht also um den „Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen“, was schon im Titel falsch ist, da es eine Coronapolitik-Protestbewegung gibt, aber „Coronaprotestbewegung“ ist ja ein völlig absurder Begriff, als ob diese politische Bewegung gegen Corona, das Virus, protestieren würde. Die Politik, die Medien, die Gesellschaft werden kritisiert – von einigen auf sehr problematische Weise, wie ich gezeigt habe, aber von sehr vielen Leuten auf oft sehr differenzierte und kritische Weise. Eines der wenigen etwas größeren Medien, das sich einigermaßen kritisch mit der Coronapolitik wie auch der Ukrainepolitik beschäftigt, Telepolis, wird aktuell von einem neuen Chefredakteur geleitet, Harald Neuber (der auch politisch wohl in die Fußstapfen von Florian Rötzer tritt), der früher bei der nicht gerade israelfreundlichen Tageszeitung junge Welt beschäftig war und zumal Mitarbeiter der Ex-MdB Heike Hänsel (Die Linke, Wahlkreis Tübingen) war, die insbesondere für einen Antisemitismusskandal bekannt ist, über den ich 2014 berichtete. Seriöse linksintellektuelle Coronapolitik-Kritik, wie auch Kritiker*innen der aktuellen Militarisierung und Kriegstreiber in der Bundesrepublik Deutschlands müssen sich – wie bislang, nur jetzt verschärft –, ihre für Publikationen verfügbaren Orte suchen (Nicht-NATO-Länder sind aktuell sehr begehrt bei unabhängigen Denker*innen, Schweiz? Österreich?) und dazu selbst gestalten. Dazu gibt es immer wieder Kompromisse und große, massenwirksame Aktionen wie jetzt am 29. April 2022 einen Offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz von 28 Intellektuellen, von der Feministin Alice Schwarzer über den Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Merkel, den Schauspieler Edgar Selge bis hin zu den Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wenden: „Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik. Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis. Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“ https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463 In wenigen Tagen haben diesen Offenen Brief über 180.000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben, Tendenz steigend: https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=1263059096&recruited_by_id=707cc780-c7b0-11ec-b13c-f51ede250610. Im Gegensatz zur tatsächlich volksgemeinschaftlichen Unterstützung der irrationalen Coronapolitik, wie von Alice Schwarzer, sind jetzt die Reihen der Intellektuellen und der Regierung nicht mehr geschlossen, vielmehr gibt es massiven Widerstand gegen die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine, gegen die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland (!) und dem ganz offenkundig geradezu herbeigeschrienen NATO-Bündnisfall, damit Russland ein für alle Mal aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen wird. Um die Ukraine geht es dabei überhaupt gar nicht, so wenig wie die Deutschen an den Kriegsopfern in Kurdistan oder im Jemen je interessiert waren, um nur diese beiden Beispiele von blutigen Kriegen (einer davon geführt von einem NATO-Land) zu erwähnen. Das ist alles deshalb von Bedeutung, weil es den wichtigen wissenschaftlichen Einsatz auch von Nachwuchswissenschaftler*innen wie hier in Trier oder Essen trübt, wenn diese sich so undifferenziert gegen die Kritik an der Coronapolitik wenden und die wichtige Kritik an antisemitischen Facetten der Coronapolitik-Kritik damit auch noch verharmlosen, wenn so gut wie die ganze Szene der Kritiker*innen der Coronapolitik (und das suggerieren die zitierten Ankündigungen) antisemitisch codiert wird. Es ist nicht weniger problematisch, wenn solche Kreise von Nachwuchswissenschaftler*innen dann auch noch völlig einseitige, antirussische Propaganda unterstützen und nicht wirklich an einer Friedenslösung Interesse zu haben scheinen (oder haben sie etwa auch den Offenen Brief an Olaf Scholz unterschrieben?), sondern es muss gegen Russland gehen, das ist ja der Tenor des oben zitierten Offenen Briefes der „Genozidforscher“. Dass gerade ein in den letzten Jahren wegen seiner Verharmlosung des Holocaust in seinem Buch „Bloodlands“ in die Kritik geratener Historiker von Yale wie Timothy Snyder ein Erstunterzeichner dieses Briefes ist, ist symptomatisch, siehe zu Snyder: „Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013“.

[23] Angesichts einer Diffamierung der Coronapolitik-Kritikerszene und jener legendären Demonstration in Kassel – Nena brachte es auf den Punkt: „Danke Kassel“ – durch das Internationale Ausschwitz Komitee schrieb ich in einem Offenen Brief Ende März 2021: „Es wäre politisch womöglich weitaus wichtiger, wenn sich das Auschwitz Komitee um die Kritik am Antisemitismus kümmern, und nicht die Kritik am Corona-Hygienestaat diffamieren würde. So wäre es vor allem naheliegend, wenn sich das Internationale Auschwitz Komitee, wenn es sich gegen Antisemitismus aussprechen möchte, auch gegen die „Jerusalem Declaration on Antisemitismus“ wenden würde. Diese Erklärung (vermutlich vom März 2021, sie hat kein Datum) von seit vielen Jahren als Förderer des antizionistischen Antisemitismus in Verdacht stehenden Agitator*innen, von Wolfgang Benz und Gudrun Krämer über Stefanie Schüler-Springorum hin zu ein paar frustrierten jüdischen Israelfeinden, schreibt nämlich Folgendes:

It is not antisemitic to support arrangements that accord full equality to all inhabitants ‚between the river and the sea,‘ whether in two states, a binational state, unitary democratic state, federal state, or in whatever form.

Diese Ausdrucksweise „from the river to the sea“ ist ein Schlachtruf der Palästinenser, von der PLO über die PFLP hin zur jihadistischen Hamas. Der CNN-Kommentator und Professor an der Temple University in den USA Marc Lamont Hill verwendete den Slogan in einer Rede vor den Vereinten Nationen (UN) im November 2018. Der ehemalige Botschafter der USA in Israel unter Barack Obama, Dan Shapiro, kritisierte die Äußerung als „antisemitisch“. Während jedoch das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin weiterhin staatliche Gelder bekommt, wurde Lamont Hill für die gleiche antisemitische Äußerung von CNN entlassen.“

[24] Mohammmed El-Kurd (2021): RIFQA (Kindle-Positionen 424-426). Haymarket Books.

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