Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Söder

Der Elefant im Raum: Antisemitismus – Aiwanger, Mahmoud Abbas und antiisraelische Historiker*innen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Antisemitismus ist der „längste Hass“, wie es der bedeutendste Antisemitismusforscher unserer Zeit Professor Robert S. Wistrich (1945-2015) schon vor über 30 Jahren in Worte gefasst hatte. Antisemitismus ist der längste, flexibelste und am weitesten verbreitete Hass – auch 78 Jahre nachdem Auschwitz von der Roten Armee der Sowjetunion befreit wurde. Drei aktuelle Beispiele zeigen, wie sich Antisemitismus heute zeigt, wahlweise als Erinnerungsabwehr an den Holocaust oder als Delegitimierung des Zionismus und von Israel.

1) Hubert Aiwanger und die Freien Wähler in Bayern

Im Schuljahr 1987/88 wurde im Schulranzen des Schülers Hubert Aiwanger ein antisemitisches und den Holocaust feierndes Flugblatt gefunden. Die Schulleitung wusste offenbar sehr wohl, wer das Flugblatt geschrieben hatte. Hubert Aiwanger musste als Strafe ein Referat über die NS-Zeit halten. Also ist jedem klar, wer dieses an Antisemitismus und Holocaust-Bejahung nicht zu überbietende Hetz-Flugblatt mit seiner Schreibmaschine geschrieben hatte. 2008 ließ Aiwanger durch eine Parteikollegin bei einem seiner damaligen Lehrer anfragen, ob Gefahr von ihm drohe. Also, dass bekannt würde, was für ein Antisemit oder Neonazi Aiwanger offenbar als Schüler war. 2008 schickte sich der Bierzelt-Einheizer Aiwanger an, mit der Partei Freie Wähler in den bayerischen Landtag einzuziehen. Mittlerweile ist er stellvertretender Ministerpräsident. Schon damals hätte Aiwanger ja einen Text schreiben und sich mit seiner antisemitischen Vergangenheit als Verbreiter oder/und Autor und diesem Flugblatt beschäftigen können. Doch jener Lehrer sagte offenbar, dass keine Gefahr von ihm drohe und so blieb in Bayern unter informierten Kreisen weiterhin nur das Gerücht, dass es dieses Flugblatt gab und dass es aus dem Hause Aiwanger stammt. Warum hat Aiwanger denn 2008 nachgehakt, wenn er doch gar nichts mit diesen antisemitischen Flugblatt zu tun hatte, wie er heute sagt? Wenn er es nur gefunden hätte im Klo, warum dann Panik, dass das bekannt würde? Panik kriegt einer, der als Neonazi so etwas Unfassbares schrieb.

Viele rechten Medien nahmen Aiwanger sofort in Schutz und faselten was vom „Versuch einer politischen Vernichtung“, so zum Beispiel exemplarisch der Cicero. Das Nomen „Vernichtung“ und das Verb „vernichten“ kam dann umgehend auch von Aiwanger als Vorwurf an seine Kritiker*innen in Anschlag, nicht wegen der Feier der Vernichtung der Juden in Auschwitz, wie sie das Flugblatt in jenem bayerischen Gymnasium 1987/88 kennzeichnete. Aiwanger solle politisch „vernichtet“ werden tönen die extremen Rechten jeglicher Couleur. Wie rechtsextrem war das Elternhaus von Aiwanger? Oder hat es sich von ihm distanziert? Gibt es da keine Zeitzeugen mehr? Das Flugblatt hat eine so tief gehende antisemitische Struktur, ist so tief durchdrungen von der Bejahung der Ermordung von sechs Millionen Juden in der Shoah, so etwas schreibt einer nicht einfach so an einem Nachmittag. Da gehört eine extreme Portion von antisemitischem Hass, von neonazistischem Denken und Handeln dazu. Das Flugblatt ist an Perfidie unerträglich. Doch so ein Bubi wie der junge Aiwanger lebte ja nicht im Vakuum, er hatte ein Umfeld und das wiederum war eingebettet in das Bayern des extrem rechten Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß, auf den die extrem rechten Bayern so stolz sind, dass sie einen Flughafen nach ihm benannt haben.

Die Art und Weise, wie sich nicht nur das dumpfe, Bier saufende bayerische Volk grölend hinter Aiwanger stellt, sondern auch wie die Partei Freie Wähler Bayern sich wie eine Volksgemeinschaft hinter ihrem Führer versammelt, zeigt, zu was dieses Land wieder fähig ist.

Richtig böse sollen jene sein, die den armen Hubert in einer „Kampagne“ „vernichten“ wollten. Und Söder hat gar kein Problem mit dem hier völlig offen zu Tage tretenden Antisemitismus, dem sekundären Antisemitismus der Erinnerungsabwehr. Wer auch nur einen der Auftritte oder Ausschnitte davon von Aiwanger sah, weiß, dass es diesem Mann überhaupt gar nicht leid tut, dass er dieses Pro-Holocaust Flugblatt in seinem Ranzen hatte und dass er auch ganz genau weiß, wer es geschrieben hat und sich schief lacht, dass es niemand zustande bringt, zu beweisen, dass er der Autor war. Martin Walser ist tot, jetzt kommen die Aiwangers – so könnte man die katastrophale Situation für die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Holocaust beschreiben.

2) Mahmoud Abbas und die Leugnung des Antisemitismus

Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas leugnet in einer Rede, die er am 24. August 23 vor dem dem 11. „Revolutionären Konziel“ der Palästinensischen Befreiungsorgansation PLO hielt, dass der Antisemitismus der Deutschen zum Holocaust führte. Für ihn war es eine mehr oder weniger verständliche Reaktion auf die Rolle, die Juden als „Geldverleiher“ gehabt hätten. Die Times of Israel berichtet über diese antisemitische Rede, die vom Middle East Media Reseach Institute (MEMRI) aus dem Arabischen ins Englische übersetzt wurde. Der Antisemit Abbas fabulierte auch davon, dass die aschkenischen Juden keine Abkömmlinge der alten Israeliten seien, also gar nichts mit Israel zu tun hätten.

3) Holocaust-Historiker*innen, denen es egal ist, ob Juden in Todesgefahr leben und Israel zerstört wird

Vor dem Hintergrund dieses palästinensischen Antisemitismus ist eine Erklärung vom Sommer 2023 von mittlerweile über 2000 Akademiker*innen in den Bereichen Jüdische Studien, Holocaustforschung und Geschichte zu sehen:

 

Die Unterzeichner*innen behaupten, dass die Besetzung des Westjordanlandes der Elefant im Raum sei, den niemand in Israel und international unter den Israelfreund*innen sehen möchte. Die aktuelle und weiter geplante Justizzerstörungs-Gesetzungebung unter Benjamin Netanyahu – die ja in Israel massiv und so stark wie kein anderes Gesetzgebungsverfahren in der Geschichte des jüdischen Staates kritisiert wird, mit wöchentlich Hunderttausenden Demonstrant*innen seit Januar 2023 – ist nur der Anlass für bereits bekannte antizionistische Aktivist*innen zusammen mit bislang noch zu schüchternen, aber ebenso antizionistischen Wissenschaftler*innen jetzt aktiv zu werden. Das Schweigen zu palästinensischem Terror und Antisemitismus ist typisch für das Dokument.

Skandalös und wirklich gefährlich ist aber vor allem folgender Satz:

Without equal rights for all, whether in one state, two states, or in some other political framework, there is always a danger of dictatorship.

Ohne „gleiche Rechte für alle, ob in einer Einstaatenlösung oder Zweistaatenlösung oder irgendeinem anderen politischen Rahmen, wird es immer die Gefahr einer Diktatur geben“. Es geht um das flapsige Kokettieren mit der Zerstörung Israels, denn das wäre die Einstaatenlösung. Schon jetzt hat Israel mit 20 Prozent Arabern eine riesige Minderheit im Land, wovon übrigens die meisten ein Leben in Israel jeder Sekunde, die sie unter Abbas oder der Hamas leben müssten, vorziehen. Doch diese Historiker*innen und Forscher*innen in jüdischen Studien spielen mit der antisemitischen Fantasie, dass es doch egal sei, ob Juden in einem jüdischen oder binationalen Staat leben. Sprich: ob Millionen Palästinenser in das Land kämen, ist ihnen egal. Das wären insgesamt ca. 4,5 Millionen Palästinenser – 2 Mio aus dem Gazastreifen und 2,5 Mio aus der Westbank -, die zu den ca. 2 Mio Arabern in Israel noch hinzukämen. Etwas mehr als 7 Millionen Juden leben in Israel.

Es gibt viele liberale und linke, ja sogar konservative Kritiker*innen der unerträglichen Besetzung des Westjordanlandes. Viele sind sich aber auch im Klaren darüber, dass der Antisemitismus der Palästinenser ein weiteres Kernproblem ist, inklusive dem zentralen Aspekt der antisemitischen BDS-Bewegung nach dem „Rückkehrrecht“ der Palästinenser, das den jüdischen Charakter des Staates vollends zerstören würde, wie jeder weiß.

Völlig zurecht kritisiert das Pamphlet der Historiker*innen, dass aktuell in Israel homophobe, frauenfeindliche und messianische Kräfte am Ruder seien. Doch was bitteschön sind denn die Palästinenser? Weniger homophob? Weniger frauenfeindlich? Weniger religiös-fanatisch? Ernsthaft? Suicide Bombing ist immer noch eine primär islamistische Form des Terrors. Der Antisemitismus ist bei der Hamas nicht weniger ausgesprägt wie bei Abbas und der PLO oder den säkularen Antisemiten von Terrorgruppen wie der PFLP. Doch von alledem schweigen diese über 2000 Akademikerinnen und Akademiker.

Diese drei Beispiele zeigen die ungeheure Virulenz des längsten Hasses, des Antisemitismus.

 

„Leere Kinos schützen Risikopatienten nicht.“

Der Titel ist ein Zitat aus einer Rede an die „Vertreterversammlung“ der KBV vom 4. Dezember 2020 von Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Rheumatologie.

Ich habe ja schon mehrfach und ausführlich über ihn und die KBV berichtet.

Lesen Sie sich bei Interesse einfach seine Rede durch, sie steht im Netz.

Ein paar zentrale Aspekte möchte ich exemplarisch zitieren, damit die Richtung seiner Kritik klar wird:

 

…es ist wieder, für manche überraschend, Winter…

 

Man hat mittlerweile den Eindruck: Es gibt nur noch Corona. Internationale Hilfsorganisationen warnen, dass wegen der Corona-Maßnahmen bereits Rückschläge im Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose, Kinderlähmung und andere Infektionskrankheiten zu verzeichnen sind.

Immer noch sterben jedes Jahr weltweit 30 bis 40 Millionen Menschen an den Folgen von Unterernährung. Auch hier gibt es eine Altersabhängigkeit, nur anders als bei Corona – es sterben vor allem die Kinder. Man würde sich in diesem Segment ein nur ansatzweise so engagiertes Vorgehen wünschen wie bei Corona. Sind das alles nur „Kollateralschäden“?

 

Auch die WHO sprach schon von mehr als 700 Millionen Infizierten weltweit. Damit wäre die Basis allen politischen Handelns methodisch auf Sand gebaut. Die Ziele von 50 beziehungsweise 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern seien, ich zitiere Schrappe et al., „unrealistisch und verletzen das zentrale Gebot der Erreichbarkeit“.

Das wiederum würde aber bedeuten, dass die Politik von der Bevölkerung Disziplin und Opfer einfordert für ein Ziel, das gar nicht erreicht werden kann.

 

Es mutet fast schon zynisch an, wenn ein Ministerpräsident nach dem jüngsten Bund-Länder-Gipfel sagt: „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Todeszahlen sind aktuell so hoch, als würde jeden Tag ein Flugzeug abstürzen.“ Wohlgemerkt: Er redet hier nur von den Todeszahlen, die mit Covid-19 assoziiert sind. Wenn dann auch noch Äußerungen kommen wie die, dass jeder individuelle Tod durch Covid-19 verhindert werden müsse, dann sind Zweifel angebracht. Sie suggerieren, dass es möglich sei, jeden individuellen Tod zu verhindern.

Warum gibt die Politik dieses Ziel dann nicht auch bei anderen Krankheiten vor? Rund ein Drittel aller Sterbefälle in Deutschland sind auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen, rund ein Viertel auf Krebs. Das sind mehrere Flugzeugabstürze am Tag, um mal in diesem drastischen Bild zu bleiben. Gleiches gilt für andere Todesfälle. Schätzungsweise 30.000 Menschen sterben jedes Jahr durch Infektionen mit multiresistenten Keimen. Rund 10.000 Menschen begehen jedes Jahr Selbstmord.

 

Klar ist: Wir können nicht im Lockdown verharren bis Deutschland durchgeimpft ist. Es wird sich auch noch zeigen, wie groß die Impfbereitschaft tatsächlich ist. Wie gut und schnell das Impfen gelingt, hängt natürlich zuallererst von der zur Verfügung stehenden Menge des Impfstoffes ab.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, alles daran zu setzen, dass möglichst schnell Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht, damit wir alle Impfwilligen zügig impfen können. Spätestens dann muss auch Schluss sein mit allen Restriktionen. (Herv. CH)

 

Es war Einstein, der gesagt hat: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

 

War Corona ein „Fehlalarm“? Prof. Sucharit Bhakdi und Dr. Karina Reiss haben ein Buch geschrieben

Von Dr. phil. Clemens Heni, 20. Juni 2020

 

Professor Peter Gaidzik, Leiter des Instituts für Medizinrecht der Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) an der Universität Witten/Herdecke, sagt, „der Lockdown war falsch“, wie der Westfälische Anzeiger aus Hamm berichtet. Die Regierungen hätten die Erfolge der ersten Maßnahmen angesichts des neuen Virus SARS-CoV-2 und der von ihm auslösbaren Krankheit Covid-19 jeweils gar nicht abgewartet, sondern die ganze Gesellschaft in den Lockdown versetzt. Bereits zu diesem Zeitpunkt, 23. März 2020, waren die Zahlen der Neuinfizierten rückläufig, die Kurve hatte ihren Höhepunkt, den Peak, bereits erreicht. Das war schon damals erkennbar, aber es wollte niemand sehen, und so begann die größte politische, soziale, ökonomische und – wie ich unterstreichen möchte – philosophische Krise dieses Landes, Europas und der ganzen Welt.

Es begann die panische Angst vor dem Tod, es zählte fortan nur noch das nackte Überleben. Dass es sich weder um ein „Killervirus“ handelt, noch um eine Epidemie mit nationaler Tragweite handelte, war ebenso ersichtlich, und zwar von Anfang an. Heute wissen wir, dass es sogenannte Hotspots gibt und im Wesentlichen gab es nur in drei Bundesländern überhaupt eine etwas größere Anzahl von Toten: Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg, in ganz Deutschland ca. 8000 sog. „Coronatote“. Das ist eine relativ kleine Zahl, Grippewellen wie 1970 oder 2018 töteten 40.000 bzw. 25.000 Menschen (1970 gar nur in der alten BRD). 8000 Coronatote in vier Monaten ist eine relative Zahl, täglich sterben in der Bundesrepublik 2500 Leute, im Winter etwas mehr, im Sommer weniger.

Coronatote wurden zwar positiv getestet, das heißt aber keineswegs, dass Covid-19 die Todesursache ist. Das hat der Mediziner Prof. Klaus Püschel aus Hamburg betont („Angst überflüssig“), der die Leichen in Hamburg obduziert und auf Corona untersucht. Ohne Vorerkrankung hatte er bis zu diesem Zeitpunkt (07.04.) keine Leiche auf dem Seziertisch („In Hamburg ist niemand ohne Vorerkrankung an Corona gestorben“). Das ist alles längst bekannt, hat aber die Panikindustrie nicht davon abgehalten, ganz am Ende der Epidemie – Ende April 2020 – diese wahnwitzige Maskenpflicht einzuführen, die das gesamte öffentliche Leben in Massenhysterie und Panik versetzt und zwar tagtäglich zu jedem Zeitpunkt.

Das Virus hat offenkundig die Möglichkeit sich sehr schnell zu verbreiten, was aber wiederum nicht sonderlich dramatisch ist, da wir sehr exakt sehen, wer betroffen ist: alte und vorerkrankte Menschen. Entgegen der viel gefährlicheren „normalen“ Grippe (Influenza) ist die Krankheit Covid-19 für den übergroßen Teil der Gesellschaft überhaupt nicht gefährlich. Deshalb war der Lockdown wissenschaftlich nicht begründbar, sondern politisch gewollt. Und das indiziert die größte politische Krise der Demokratie seit 1945 in Deutschland.

Neben Prof. Gaidzik ist auch Prof. Hendrik Streeck, seit Herbst 2019 Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, ein Kritiker der „Maßnahmen“. Streeck ist einer der prominentesten Kritiker des Lockdowns und einer der führenden Virologen, der empirisch zur Coronakrise forscht. Der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sagte Streeck am 10. Juni 2020, dass er sowohl den Lockdown, die Maskenpflicht wie auch die App skeptisch sieht. Streeck hatte zum Beispiel nachweisen können, dass in Heinsberg in NRW, wo es die ersten massenhaften Fälle von Coronainfektionen und die ersten Coronatoten gab, die Letalität, also die Rate derjenigen Infizierten, die an (oder mit, das ist eine ganz andere, sehr wichtige Forschungsfrage) Corona starben, keineswegs 3-4 Prozent beträgt, wie die WHO einfach so in den Raum geworfen hatte, sondern 0,37 Prozent oder weniger.

Neben dem sozialwissenschaftlichen Buch „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“, das Gerald Grüneklee, Peter Nowak und ich bereits am 15. Mai 2020 publiziert haben,

gibt es jetzt ein sozusagen naturwissenschaftliches Pendant von Dr. Karina Reiss und Dr. Sucharit Bhakdi (Jg. 1946). Reiss und Bhakdi haben eines der wichtigsten Bücher zur Corona-Krise geschrieben, das Ende Juni 2020 als Taschenbuch veröffentlicht wird und schon jetzt als E-Book zu kaufen ist:

Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe“, erschienen beim Wiener Goldegg Verlag. Sucharit Bhakdi gilt fast seit Beginn der Krise als das ruhige, besonnene, wissenschaftliche Gesicht der Kritiker der Notstandsmaßnahmen angesichts des neuen Coronavirus.

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Sucharit Bhakdi ist emeritierter Professor der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und war von 1991 bis 2012 Leiter des dortigen Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene.

Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, Foto: Copyright Peter-Pulkowski

Karina Reiß ist Professorin an der Universitäts-Hautklinik Kiel (Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie).

Prof. Dr. Karina Reiß, Foto: Copyright Dagmar Blankenburg

Bhakdi ist sozusagen eine Art meditativer Gegenpol zum eher free-jazzigen oder punk-rockigen Arzt und SPDler Wolfgang Wodarg (Jg. 1947), dem das historische Verdienst zufällt, als erster die Alarmglocke geläutet zu haben (im Flensburger Tageblatt vom 29. Februar 2020), dass hier angesichts einer Art Grippevirus die größtmögliche Panik produziert wird und der Notstand geplant und wenig später ausgerufen wurde.

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Nie war die Volksgemeinschaft seit 1945 größer und stärker und aggressiver als in der ersten Jahreshälfte 2020. Bäckereien bedrucken ihre Brötchen- und Brezeltüten mit nicht anders denn volksgemeinschaftlich zu nennenden Slogans wie „Wir für Heilbronn“, mit dem offiziellem Logo der Stadt, auch Audi ist dabei und weitere örtliche Industrie. Abgebildet ist ein Bäcker mit Mundschutz, der einem ebenso maskierten Kunden ein Croissant gibt.

Fotos: privat

Das „Danke“ soll ausdrücken, dass die Bäckerfirma offenbar dankbar ist, dass es keinen Aufstand der Denkenden gab, dass sich alle selbst gleichgeschaltet haben und den Maskenwahnsinn auf Befehl der Politik gerade dann begonnen haben – wie ganz Deutschland – als die Epidemie zu Ende war. Solche Bäckertüten gibt es sicher auch in Köln, Duisburg, Kiel, Berlin oder Passau und München. Andere wie Katjes machen ja seit Monaten besonders abstoßende Agitation und suggerieren, wer nicht zu Hause bleibt und alle Maßnahmen befolgt, ist am Tod von grauhaarigen älteren Frauen verantwortlich. Wahnsinnig perfide politische Hetze ist das.

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Der Höhepunkt der neuen Infektionen mit SARS-CoV-2 war Mitte März 2020, das ist ein Faktum, selbst das Robert-Koch-Institut kann das nicht leugnen, da dies auf seinen eigenen Daten basiert. Seit Mitte März 2020 fallen die Zahlen der täglich neu Infizierten, auch die sogenannte Reproduktionszahl, die unter 1 sein müsse, war bereits vor dem nie dagewesenen „Lockdown“ am 23. März 2020 unter 1.

Corona oder Covid 19, wie die Krankheit, die vom Virus SARS-CoV-2 ausgelöst werden kann, heißt, ist gefährlich – aber primär für alte und vorerkrankte Menschen. Corona ist wohl weniger gefährlich als die Grippe, wie die internationale Forschung seit Anbeginn ahnte und jetzt weiß. Die Grippe betrifft bekanntlich alle Bevölkerungsgruppen, Corona fast ausschließlich alte Menschen, das durchschnittliche Alter der Toten, bei denen Corona festgestellt wurde, liegt in ganze Europa in jedem Land über 80 Jahren.

Ist es hingegen überraschend, dass der Philosoph Robert Pfaller von der Kunstuniversität Linz, der sich zuvor ganz eloquent gegen die Tendenz in der westlichen Welt wandte, „Schlagsahne vorzugsweise ohne Fett, Bier ohne Alkohol, Kaffee ohne Koffein, Sex ohne Körper“ zu promoten (Wofür es sich zu leben lohnt, 2011), angesichts der nie dagewesenen politischen und philosophischen Krise der ganzen Welt nun Folgendes sagt?

STANDARD: Es ist erstaunlich, wie schnell die Einschränkung von Freiheitsrechten vonstattenging. Hat Sie die Einstimmigkeit der Maßnahmen überrascht?

Pfaller: Nein. Denn für ihre Freiheitsrechte kämpfen die Menschen dann, wenn ihre Grundversorgung und ihr Wohlstand entweder sichergestellt oder aber bereits verloren sind. In den letzten Jahren aber haben viele um ihre Grundversorgung und um ihren Wohlstand zu zittern begonnen. So haben sie auch gewählt. Im selben Maß wurden sie den Fragen von Freiheitsrechten und Grundrechten gegenüber eher gleichgültig. Abgesehen davon erscheint es natürlich vernünftig, angesichts einer Bedrohung, deren Ausmaß sich schwer erkennen lässt, lieber einmal zu vorsichtig zu sein als zu wenig.“

 

Erstens ist es zweifelhaft, ob die Menschen dann kämpfen, wenn der Wohlstand gesichert oder verloren ist, 1776 oder 1789 war weder das eine noch das andere der Fall, 1917 auch nicht, aber das ist hier nicht entscheidend. Pfaller ist bei aller bedeutenden Kritik am kulturellen Mainstream, seiner Vorliebe für formschöne oder einen coolen Lebensstil indizierenden Autos (Alfa Romeo, „Die blitzenden Waffen – Über die Macht der Form“, 2020) auch ein Fan des slowenischen antiisraelischen und frauenfeindlichen Cholerikers Slavoj Zizek, was man nicht so einfach unter den Tisch fallen lassen sollte, dafür ist Zizek zu beliebt und wird zu selten wegen dieser Ressentiments kritisiert und schreibt in der Süddeutschen Zeitung (SZ).

Bemerkenswert ist zudem Pfallers Übernahme der Regierungspropaganda in Österreich oder Deutschland und fast der ganzen Welt, „lieber einmal zu vorsichtig zu sein als zu wenig“. Das sagt er am 30. März 2020 dem Standard und da hätte er es besser wissen können. „Einmal zu vorsichtig“ sein soll wohl philosophisch den Lockdown rechtfertigen oder wenigstens verständlich erscheinen lassen. Und das ist problematisch und zwar ganz grundsätzlich. Denn damit verwirft oder unterläuft Pfaller seine eigene vorgebliche Lebenslust, die ein Leben ohne ästhetischen Genuss für undenkbar hält. Oder er hatte es halt nicht klar genug durchdacht und bekam im März die gleiche Panik wie alle. Fast alle, sollte man korrekterweise schreiben.

Wer es zu diesem Zeitpunkt und schon zuvor besser wusste, war Prof. Dr. Sucharit Bhakdi. Er schrieb fast zeitgleich, Ende März, einen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Darin stellt Bhakdi fünf Fragen, darunter gleich zu Beginn die sehr bedeutende, ob denn der Kanzlerin der Unterschied zwischen Infektion und Krankheit bewusst sei. Nicht jeder Mensch, der infiziert ist, ist krank, das war schon immer so, man kann einen Infekt haben, ohne dass der Körper krank wird, weil das Immunsystem stark ist und ihn abwehrt. Bei dem Virus SARS-CoV-2 sind bis zu 80 Prozent aller Infizierten nicht krank oder so gut wie symptomlos, sie fühlen sich nicht oder kaum krank und würden ganz sicher nicht zum Arzt gehen, geschweige denn in ein Krankenhaus.

Aufgrund der Politik in Afrika angesichts der Coronapanik wurden z.B. Impfkampagnen gegen Masern ausgesetzt, was schon für einige Tausend Kinder dramatische Folgen hatte.

Die beiden Autor*innen bringen noch weitere internationale und nationale Beispiele, wie verheerend der Lockdown in jeder Hinsicht war und ist. Sie betonen, dass die Coronapandemie zu keinem Zeitpunkt eine Epidemie von nationaler Tragweite war. Das belegen sie wissenschaftlich.

Bhakdi und Reiss stellen den Verlauf der Coronakrise sehr gut verständlich dar und beziehen sich auch häufig auf internationale Kritik an der Coronapolitik und zitieren Studien wie aus Frankreich, die die Gefährlichkeit dieses Virus massiv relativieren und wissenschaftlich einordnen. Sicherlich ist nicht jeder Verweis politisch koscher und tragfähig, so z.B. ein Kommentar in der (eigentlich Anti-Trump) Washington Post, wo ein Autor zwar die Maßnahmen und das Nicht-Rausgehen als sehr schädlich für das Immunsystem analysiert, aber dann politisch die Demokraten attackiert wie den Gouverneur von Virginia, der im Zuge der Coronakrise ein Waffenkontrollgesetz verabschiedet habe.

Auch Interviews mit problematischen rechten oder Querfront Medien wie Servus TV, Rubikon oder KenFM sind ärgerlich, sollten aber dem liberalen Bhakdi wie auch einigen anderen, die keine Rechten sind oder je waren, nicht angelastet werden. Der Mainstream ist so fanatisch und unwissenschaftlich – namentlich ARD und ZDF, die Faktenchecks auch zu Bhakdi gemacht haben, die mit Forschung nichts zu tun haben, dafür mit Agitation und dem Abwehren eines seriösen wissenschaftlichen Diskurses eines langjährigen Universitätsprofessors im Bereich Infektionskunde –, dass vielen Kritikern kaum andere als diese Orte zur Verfügung stehen.

Dabei sind Bhakdi und Reiss alles nur nicht rechts oder Querfront, das ist völlig absurd – sie machen dafür einige auch lustige polemische Bemerkungen. So gehen sie auf den starken MANN ein und meinen, das einzige was noch fehle, sei ein bayerischer Ministerpräsident Markus Söder, der mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd durch den Bayerischen Wald reitet – so wie das Putin in Russland zu tun pflegt. Das ist eine köstliche Pointe gegen die Putinfreunde der Querfront wie Ken Jebsen und viele andere.

Sucharit Bhakdi und Karina Reiss haben ihr ganzes Unverständnis der absurden, wissenschaftlich unhaltbaren und politisch katastrophalen „Maßnahmen“ in der Coronakrise wunderbar eloquent, scharf und würzig aufgeschrieben. Ihr Buch „Corona Fehlalarm?“ ist ein must-read für alle, denen die Demokratie, das Selberdenken und die Zukunft der Kritik am Herzen liegen. Da wegen der Krise viele Tausend, ja Zehntausende Operationen verschoben wurden, werden es nicht mehr alle lesen können, die es gerne gelesen hätten.

Denn der Zynismus unsrer Tage lautet ja wie folgt:

‚Wir tun alles, damit kein Mensch an Corona stirbt. Ob die Menschen dafür an anderen Krankheiten sterben, die dem Verschieben von not-wendigen Operationen oder Vorsorgeuntersuchungen geschuldet sind, oder ob sie sich aus Verzweiflung umbringen, das ist Pech, das sind die Kollateralschäden der Regierungspolitik. Hauptsache die jeweilige Person ist nicht an Corona gestorben, nur darum geht es!‘

Dass das Leben, das nackte Leben ohne Theater, Wissenschaft, Kino, Clubs, Bars, ohne Besuche auf der Palliativstation, wo die Schwester oder der Onkel im Sterben liegen, zu schützen sei, ist die größte Lüge des 21. Jahrhunderts. Es ist auch die größte Heuchelei, weil es nicht einem Politiker um die Rettung von Menschenleben ging, sondern um das größte Gesellschaftsexperiment seit 1945:

Wieviel Freiheitsentzug tolerieren die Menschen, ja wie schnell internalisieren die Bürgerinnen und Bürger die unglaublichsten, unwissenschaftlichsten Maßnahmen und denunzieren die wenigen kritisch und selbst denkenden Bürgerinnen und Bürger? Dieses Experiment ist aus Sicht der Politik, des Robert-Koch-Instituts oder der Charité geglückt.

Zerstört wurde die Demokratie, wie wir sie kannten, mit all ihren Fehlern, Macken und Unzulänglichkeiten. Die „neue Normalität“ ist antidemokratisch, pusht den Überwachungs- und Polizeistaat, macht also aus der ganzen Welt ein einziges China, mit Ausnahme von Schweden natürlich. Schwedens Todesrate lag auch ohne Lockdown unter der von Italien, Frankreich oder Spanien, wie die beiden Autor*innen grafisch unterstreichen

Screenshot aus dem Buch „Corona Fehlalarm?“ (E-Book)

, was ein weiterer Beweis ist, dass der Lockdown in seiner besonders krassen Form wie in diesen Ländern, überhaupt gar nichts gebracht, dafür das soziale Gefüge einer Gesellschaft zerquetscht hat.

Doch es gibt eben weiterhin und immer lauter hörbar die Kritiker*innen, Hendrik Streeck, Peter Gaidzik, Gunter Frank, René Schlott, viele andere Autor*innen und jetzt das Buch von Karina Reiss und Sucharit Bhakdi.

Corona war ein Fehlalarm, doch die philosophische Tiefe des Problems bleibt großteils ein Desiderat der Forschung: die unfassbare Panik der Menschen vor dem Tod, wissend, dass nur alte Menschen krank werden und einige von ihnen sterben, weil sie ohnehin am Ende ihres Lebens angekommen waren und auch andere Viren diesen Todesstoß versetzt hätten (Influenza).

Der unsouveräne Maskenwahnsinn und das Internalisieren dieses grotesken Vermummungsfetischismus zeigt, mit was für ich-schwachen Persönchen wir es seit jeher zu tun hatten. Wer die philosophische-existenzialistische Dimension des grassierenden Corona-Massenpanikwahnsinns erkennen möchte, lese das Geleitwort von Rebecca Niazi-Shahabi zu unserem Band „Corona und die Demokratie“.

Oder (mögliche) Kritiker äußern sich als DJ wie Michael Wollenhaupt (ob er auf Corona anspielt im Intro zu diesem Video von Anfang Mai 2020, sei also dahingestellt): „Gerade die sogenannten Gesunden sind es, die die Welt so weit gebracht haben, an den Rand der Katastrophe.“

Bhakdi und Reiss resümieren:

Die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöste Erkrankung gefährdet insbesondere ältere Menschen mit mindestens einer ernsten Vorerkrankung. Je nach Land und Region verlaufen insgesamt 0,02 bis 0,4 % der Infektionen tödlich, vergleichbar mit saisonaler Grippe. Die Epidemie stellte nie ein Infektionsgeschehen von nationaler Tragweite dar. Die Implementierung der Ausnahmeregelrungen des Infektionsschutzgesetzes waren und sind unbegründet. (…) Nun stehen wir vor einem riesigen Trümmerhaufen. So unnötig, so sinnlos, so traurig.

Kurz und knackig:

Covid-19 ist eine Krankheit, die vom Virus SARS-CoV-2 ausgelöst werden kann.

Covid-19 ist gefährlich – aber nicht gefährlicher als die Grippe.

Warum? Weil Covid-19, was von Anbeginn in China deutlich war, nur alte und vorerkrankte Menschen betrifft. Die Grippe (Influenza) kann auch Kinder, Schwangere, Babys oder pumperlgesunde 29jährige töten.

Wenn Covid-19 nicht kategorial anders oder gefährlicher ist als die Grippe, dann war der Lockdown der größte politische Fehler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Dafür gibt es Verantwortliche.

Der philosophische Kern jedoch ist die panische Angst vor dem Tod, die in wenigen Tagen unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt bzw. zerstört hat.

Wenn die Gesellschaft das nicht reflektiert, wird es jeden zweiten, siebten oder zehnten Winter solche Lockdowns geben, weil die Grippe – nehmen wir 1970 oder 2018 – weit tödlicher sein kann als Covid-19.

Damit würden (oder werden) wir in einem Polizeistaat auf Abruf leben. Schon jetzt patrouillieren Polizist*innen auf Pferden oder in Autos auf abgelegensten Seitenstraßen oder Parks – anlasslos, einfach um zu zeigen: wer sich hier falsch verhält wird bestraft, die Polizei hat jetzt das Sagen, nicht mehr die Demokratie.

Das wird im Technikfaschismus der Zukunft via Apps, 24/7-Überwachung, Drohnen-Ausspähen von allen Räumen überall, noch viel dramatischer werden können – wenn sich dagegen nicht endlich Widerstand regt.

Das Buch von Sucharit Bhakdi und Karina Reiß ist ein herausragender, wissenschaftlich wie politisch ungeheuer wichtiger, mutiger Beitrag zur Rettung der Demokratie und möchte offenkundig auch jene erreichen, die in wenigen Tagen, Wochen und Monaten verlernt haben, was es heißt, den eigenen Verstand zu benutzen.

Daher werde ich in diesen anti-aufklärerischen Zeiten mit Immanuel Kant schließen:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Prof. Ioannidis ist besorgt über die Massenpanik bezüglich des Coronavirus Covid-19

Von Dr. phil. Clemens Heni, 25. März 2020

Siehe dazu auch Katja Thorwarth, Frankfurter Rundschau: Die Bewegungsfreiheit ist aufgrund der Coronakrise massiv eingeschränkt. Sind die Einschnitte notwendig bzw. rechtens? Die Juristin Jessica Hamed im Interview.“ Coronavirus: „Risikogruppen haben nichts davon, wenn  alle ‚weggesperrt‘ werden“, 25.03.2019

Einer der weltweit führenden Gesundheitswissenschaftler und Statistiker, der 1965 in New York geborene John P. A. Ioannidis, C.F. Rehnborg Chair in Disease Prevention an der Stanford Universität in Kalifornien und Professor für Medizin, Gesundheitsforschung- und politik sowie Statistik, hat jüngst mit zwei Aufsehen erregenden Artikeln die unabschätzbaren Gefahren der gegenwärtigen Massenpanik angesichts der Coronavirus-19-Pandemie herausgestellt. Am 17. März veröffentlichte er den Artikel „A fiasco in the making? As the coronavirus pandemic takes hold, we are making decisions without reliable data”, am 19. März publizierte die peer-review Fachzeitschrift European Journal of Clinical Investigation seinen Text „Coronavirus disease 2019: the harms of exaggerated information and non‐evidence‐based measures“, der frei zugänglich im Netz steht. Peer-review heißt, dass mindestens zwei andere Wissenschaftler*innen einen Artikel prüfen und für eine Publikation zur Veröffentlichung vorschlagen, ablehnen oder Änderungen anmahnen. Das heißt, das ist ein wissenschaftlich hochkarätiger Text, der ernst genommen werden muss.

Ioannidis stellt zentrale Fragen:

Early estimates of the projected proportion of global population that will be infected seem markedly exaggerated

  • Early estimates of case fatality rate may be markedly exaggerated
  • The proportion of undetected infections is unknown but probably varies across countries and may be very large overall
  • Reported epidemic curves are largely affected by the change in availability of test kits and the willingness to test for the virus over time
  • Of the multiple measures adopted, few have strong evidence, and many may have obvious harms
  • Panic shopping of masks and protective gear and excess hospital admissions may be highly detrimental to health systems without offering any concomitant benefit
  • Extreme measures such as lockdowns may have major impact on social life and the economy; estimates of this impact are entirely speculative
  • Comparisons with and extrapolations from the 1918 influenza pandemic are precarious, if not outright misleading and harmful.

Demnach werden also ohne eine auch nur annähernd seriöse Datenbasis gravierende Maßnahmen ergriffen.

Der „renommierte Gesundheitswissenschaftler Professor John Ioannidis“ hatte Ende März 2019 „eine Dependance seines kalifornischen Forschungszentrums Metrics am Quest-Center des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIH) eröffnet“, er ist also auch in Deutschland bekannt. Durchaus ähnlich wie der Direktor des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité in Berlin Stefan Willich es in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel kundtut, ist auch Ioannidis sehr kritisch gegenüber Ausgangssperren und dem totalen Lockdown ganzer Gesellschaften und Ökonomien.

Ioannidis sieht schlechterdings unverhältnismäßige Maßnahmen und schreibt in seinem peer-review Artikel, dass die Todesraten extrem übertrieben sind und ausgesprochen haltlos, da wir gar nicht ausreichend testen. In Gesellschaften, die alle Personen in einem bestimmten Gebiet testen, kommen viel geringere Todesraten anstelle der ca. 3,4 Prozent, von denen häufig die Rede ist, zu Tage. Auch die Anzahl der Personen, die von einer infizierten Person angesteckt werden können, variiert ganz extrem und zwar von 1,3 bis 6,5. Mit solchen ungeheuerlichen Schwankungen kann eine Panik geschürt werden und nie zuvor haben die Medien und die Politik diese Chance der Aufhetzung der ganzen Welt sofort ergriffen.

Ioannidis schreibt:

Leaving the well-known and highly lethal SARS and MERS coronaviruses aside, other coronaviruses probably have infected millions of people and have killed thousands. However, it is only this year that every single case and every single death gets red alert broadcasting in the news.

Es gab also schon früher Coronaviren, nur hat sie niemand beachtet, es führte zu keiner Panik. Warum jetzt? Ioannidis betont nachdrücklich, über was für Dimensionen wir hier reden. Weltweit sterben ca. 60 Millionen Menschen jedes Jahr. Davon werden ganz evtl. 0,01 Prozent Corona-19 zugeschrieben werden, wobei das fast alles alte und schwer vorerkrankte Menschen sein werden – gleichzeitig aber werden Milliarden Menschen durch den ökonomischen Lockdown extrem getroffen und viele Menschen werden verarmen und die Beziehung von Armut, Krankheit und Tod ist unzweifelhaft.

Ob diese Menschen nur an Covid-19 sterben oder einem Mix mit anderen Viren bzw. den jeweiligen Vorerkrankungen, muss ohnehin in die Berechnung mit einfließen, was derzeit nur sehr unprofessionell geschieht. Wenn ein Toter in Italien in Bergamo (auch posthum) auf Covid-19 positiv getestet wurde, zählt die Person als Corona-Toter, doch ob das die Todesursache war, ist damit keineswegs gesagt, wie kritische Mediziner betonen.

Als Epidemologe und Medizinwissenschaftler und Statistiker warnt Ioannidis davor, die derzeit weltweit pulsierende Panikmache mitzumachen und plädiert nachdrücklich dafür, besser anzufangen, kritisch zu bedenken und inne zu halten.

Neben den konkreten Menschen, die durch Ausgangssperren und Kontaktsperren verzweifeln und sterben werden, wird auch die Seriosität von Wissenschaft und Forschung im Bereich der Medizin ganz massiv leiden, wenn mit gänzlich unterschiedlichen Datensätzen in verschiedenen Ländern extrem unterschiedliche Todesraten publiziert werden, die einer wissenschaftlichen Analyse am Ende womöglich alle nicht standhalten. Es braucht viele Millionen mehr Tests, denn jedem nur halbwegs mathematisch denken Menschen ist klar, dass 40.000 Infizierte bei 500.000 Getesteten eine ganz andere Bedeutung haben als die gleiche Anzahl bei 7 Millionen Getesteten.

Viele Menschen sehen jetzt in wenigen Wochen ihr Lebenswerk dahinschmelzen, sei es ein Club, ein Restaurant, eine Kneipe, ein Kleiderladen, ein Töpferladen oder Schmuckatelier, linke und sonstige Veranstaltungsorte, Theater aller Art, ja fast alle Branchen sind betroffen. Es kann sich als die unglaublichste Umstrukturierung unserer Ökonomie handeln. Verstaatlichungen wären kein Resultat einer rationalen Überlegung, sondern Panikmaßnahmen. Der Kern ist und bleibt die Stabilität von Polizei und Krankenhäusern, diesem polizeistaatlichen Imperativ ist alles – alles – untergeordnet, vorneweg die Freiheit der Menschen.

Die Büchse der Pandora ist jedenfalls geöffnet. Die aktuelle quasi Gesundheitsdiktatur zeigt: Jede faschistische Regierung, die Europa in den nächsten Jahren und Jahrzehnten heimsuchen wird, hat jetzt schon mal gelernt, wie unfassbar schnell weiteste Teile der Bevölkerung sich manipulieren, einsperren und elementarer Grundrechte berauben lassen.

Aber er ist noch viel schlimmer, weil wir jetzt merken, wie geradezu erpicht weite Teile der Bevölkerung sind, wesentliche Rechte wie das Asylrecht, die Versammlungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, die Gewerbefreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und der Bildung und andere Freiheiten mehr, einfach zeitweilig aufzugeben – und damit autoritären Politiker*innen zu zeigen, wie willfährig und ohne jede substantielle Opposition das deutsche Volk da mitmacht. In Frankreich oder Ungarn und Österreich und Italien sieht es teils noch autoritärer aus, denken wir an das unverantwortliche, die Bevölkerung aufpeitschende wie einschüchternde Gerede Macrons vom „Krieg“ gegen das Virus.

Würde es der Bundesregierung und den Landesregierungen tatsächlich um das Wohl der Menschen gehen, würden sie die Rüstungsproduktion stoppen, Tempo  120 auf Autobahnen einführen (wie in den USA, wo es noch niedriger ist, es aber trotzdem 40.000 Tote im Straßenverkehr gibt, die 120 km/h sind eher ökologisch begründet), die kapitalistische Grundstruktur der Gesellschaft in Frage stellen, den patriarchal-natalistischen Imperativ zur Diskussion stellen, sich aktiv gegen den Klimawandel und z.B. sofort gegen Kohlekraftwerke und gegen die extreme Gefahr von Atomkraftwerken stellen (was wiederum nicht wenige extrem rechte vorgebliche Kritiker der aktuellen Coronoa-Hysterie nicht tun), die Politik hätte schon vor Jahrzehnten Billigflugreisen massiv besteuern können oder sich für die Produktion von klimaneutralen Aircondition-Geräten eingesetzt, die womöglich mehr Menschen in den kommenden Sommern das Leben retten würden als die paar Tausend Beatmungsgeräte, die jetzt jeden Ausnahmezustand rechtfertigen.

Es gibt übrigens von ganz anderer Seite auch eine Art Verhetzung des Volkes, wenn die Spiegel Kolumnistin Ferda Ataman auf Twitter suggeriert, dass Nicht-Deutsche bzw. als solche Kategorisierte bei der Verwendung von Beatmungsgeräten im Zweifeslfall zu kurz kommen würden – ohne jeden empirischen Anhaltspunkt Ärzten in Deutschland diesen Rassismus zu unterstellen, ist ungeheuerlich und sie spielt nur auf besonders perfide Weise auf der Klaviatur der Coronamassenpanik:

Screenshot

Die Skepsis des führenden Gesundheitswissenschaftlers und Epidemologen John P. A. Ioannidis sollte auch hierzulande die wenigen Kritiker*innen darin bestärken, massive und laute Kritik daran zu üben, wie in ganz kurzer Zeit das gesamte Land lahmgelegt wird aufgrund von Annahmen von Virologen, die international wie von Professor John P. A. Ioannidis, einem der weltweit am häufigsten zitierten Wissenschaftler unserer Zeit überhaupt, in Frage gestellt werden. Dass die Bundeskanzlerin mit Virologen Pressekonferenzen macht, ohne zugleich Soziolog*innen oder Politolog*innen auf dem Podium zu haben, ist eine Katastrophe für die Demokratie.

Schon jetzt fangen Juristen an, das Grundgesetz daraufhin zu untersuchen, wie man noch schneller Notstandsgesetze implementieren kann – beim nächsten kompletten Lockdown riesiger Gesellschaften, die wir bislang Demokratien nannten (Frankreich, Deutschland, Österreich, Indien, USA, etc.). Während die Notstandsgesetzgebung von 1964 bis zur endgültigen Verabschiedung durch die große Koalition Ende Mai 1968 zu den massivsten Protesten der Studentenbewegung führte, ist die heutige Jugend im Alter von 16 bis 40 so dermaßen angepasst, dass man dafür noch Worte suchen muss. Vorauseilender Gehorsam wäre ein Euphemismus, das Internalisieren techno-faschistischer Maßnahmen wie das Überwachen von Handys oder das Registrieren der Körpertemperatur, mit direktem Link zu Gesundheitsämtern und Verfassungs- und Staatsschützern ist ubiquitär.

Um das etwas aufgelockerter zu sagen: für die ganz krassen Leute wird das ohnehin nichts ändern, weil der Heavy-Metal-Universalismus dem partikularistischen Nationalismus apriori entgegengesetzt ist und festlegt: „Metal is for everyone, stronger than the Law„.

Die Demokratie zu retten, heißt Skeptiker und Kritiker der aktuellen Massenpanik zu sein. Es ist wissenschaftlich unklar, ob es mehr Tote geben würde, wenn überhaupt keine restriktiven Maßnahmen ergriffen worden wären, oder ob es mehr Tote geben wird, weil die sozialen Folgen eines Shutdowns so extrem sind, dass Armut, wirtschaftlicher Bankrott, Gewalt gegen Frauen, Einsamkeit und Suizid in einem Maße zunehmen werden, wie wir es weltweit zum gleichen Zeitpunkt jedenfalls im 21. Jahrhundert noch nicht gesehen haben.

Bei einem Virus, dessen Gefahr noch überhaupt nicht abschätzbar ist, der aber empirisch bis heute viel weniger Menschen tötet als die Grippe (Influenza), ist es ethisch problematisch, die ganze Welt in Atem zu halten und massiv zu gefährden, damit eine offenkundig sehr kleine und vorerkrankte Gruppe von Menschen evtl. weniger in Gefahr gerät, was diese Gruppe jedoch auch ohne faschistoide Maßnahmen selbst tun könnte.

Was wir jetzt und in Zukunft brauchen, sind politik- und sozialwissenschaftliche wie geisteswissenschaftliche Institute für kritische Epidemologie- und Krisenforschung. Es kann nicht sein, dass weiterhin Virologen die Politik bestimmen. Sie können zu Rate gezogen werden, aber ausschlaggebend müssen Politikwissenschaftler*innen und kritische Gesundheitspolitiker*innen sein, die die gesamte Gesellschaft im Blick haben und nicht nur ein Virus, das irrational als die einzige und wahnwitzig große Gefahr herbei halluziniert wird, bar jeder Empirie. Die ersten politikwissenschaftlichen und kommunikations- und medienwissenschaftlichen Doktorarbeiten zur Erzeugung der Massenhysterie bezüglich Covid-19 sind schon auf ihrem Wege. Die Tage der wissenschaftlichen wie politischen Abrechnung werden kommen.

Ioannidis schreibt, dass wir diese Saison womöglich sogar weniger Grippetoten haben werden wegen den heftigen Ausgangssperren, wobei wir bislang noch nie wegen der Influenza solche Maßnahmen getroffen hatten:

Most lives saved may actually be due to reduced transmission of influenza rather than coronavirus.

Die Medien spielen eine absolut zentrale Rolle. Ohne die wahnsinnige Panikmache durch alle Mainstreammedien wären wir an einem anderen Punkt und würden zur Prime Time Professoren wie Ioannidis hören anstatt provinzielle deutsche Virologen aus Berlin. Was sagt der Professor?

Exaggerated case fatality rate (CFR): Early reported CFR figures also seem exaggerated. The most widely quoted CFR has been 3.4%, reported by WHO dividing the number of deaths by documented cases in early March.7 This ignores undetected infections and the strong age-dependence of CFR. The most complete data come from Diamond Princess passengers, with CFR=1% observed in an elderly cohort; thus, CFR may be much lower than 1% in the general population; probably higher than seasonal flu (CFR=0.1%), but not much so.

 

Neben den Medien ist die ganz breite Masse des Volkes jetzt als Faschismus kompatible, äußerst manipulierbare Gruppe zu identifizieren. Kaum jemand denkt kritisch oder stellt Maßnahmen in Frage, vielmehr wird die Politik geradezu angeheizt, noch schärfer vorzugehen. Das Volk umfasst diesmal keineswegs nur AfD-Wähler*innen, sondern weiteste Teile, nicht zuletzt das ach-so-linksliberale Milieu, das nicht mal der brutale Schrei nach dem neuen Führer à la Sebastian Kurz (Österreich), Söder (Bayern) oder Spahn (Berlin, Bundesregierung) zum Nachdenken bewegt oder für Irritation sorgt.

Es gibt gegen die Influenza sogar eine Impfung, warum aber werden allein in dieser Grippesaison 2019/2020 Grippetote einfach so hingenommen, aber bei Corona-Toten wird völlig durchgedreht? Diese Frage stellt sich der Professor aus Stanford:

This year’s coronavirus outbreak is clearly unprecedented in amount of attention received.Media have capitalized on curiosity, uncertainty and horror. A Google search with “coronavirus” yielded 3,550,000,000 results on March 3 and 9,440,000,000 results on March 14. Conversely, “influenza” attracted 30- to 60-fold less attention although this season it has caused so far about 100-fold more deaths globally than coronavirus.

Die Grippe (Influenza) hat also schon bislang 100mal mehr Tote verursacht als Corona – wo ist der Aufschrei, wo die Panik ob der Grippe?

Wo bleibt die Gelassenheit, dass Menschen wissen, dass sie sterben und dass es immer Viren geben wird oder andere Ursachen, die nicht zu vermeiden sind, vor allem wenn man alt und vorerkrankt ist?

Die Leute überbieten sich mit Vorschlägen nach dem Motto „Wie werde ich Blockwart, ohne mich schlecht zu fühlen?“, „Ist nicht Musizieren Zuhause mindestens so schön wir in einem Konzerthaus mit Profis?“ oder „Ist der Büroalltag nicht schon immer überbewertet worden? HomeOffice als Zukunftsprojekt der postkapitalistischen Monade“ und so weiter.

Ich warte weiter auf den neuen Foucault (w/m/d), denn so viel biopolitische und machtpolitische history in the making gab es seit 1945 noch nie.

Wie sagt Ioannidis?

The current coronavirus disease, Covid-19, has been called a once-in-a-century pandemic. But it may also be a once-in-a-century evidence fiasco.

(Die aktuelle Coronavirus-Krankheit, Covid-19, wurde eine Jahrhundert-Pandemie genannt. Es könnte sich aber ebenso als ein Jahrhundert-Evidenz-Fiasko herausstellen.)

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