Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Solingen

Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht!

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Wer in der undogmatischen, autonomen und linxradikalen politischen Linken in diesem Land seit November 1989 groß wurde, assoziiert mit „nie, nie, nie wieder“ selbstredend „nie, nie, nie wieder Deutschland“. Wir, die wir Widervereinigung ohne „e“ schrieben, ahnten, was nach dem „Mauerfall“ kommen würde:

Rassismus, Anschläge von Neonazis, Nationalismus, Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und die Verbrechen der Wehrmacht, Antisemitismus und Kriegstreiberei. Und wir haben das geradezu prophetisch vorhergesehen. Denn exakt so kam es. Seit den 1990er Jahren gab es ca. 250 Morde und Brandanschläge von Rechtsextremen und Neonazis an als nicht-deutsch Kategorisierten, vor allem an Migrant*innen, Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen stehen dafür exemplarisch.

Wir undogmatischen Linken versuchten unmittelbar nach November 1989 für eine DDR ohne SED zu kämpfen, einen echten demokratischen Aufbruch mitzumachen, mit Treffen in Ost-Berlin. Pustekuchen.

Dann wurde Doitschland 1990 Fußball-Weltmeister der Männer und am 24. August 1992 kam das Kleidungsstück der Deutschen schlechthin zum Einsatz, die Jogginghose, bis heute nicht nur in Berlin allseits beliebt, wie Klaus Bitterman festgehalten hat:

Der Jogginghose zu ihrem Durchbruch verholfen hat Harald Ewert. Er hat es mit ihr zum Coverboy auf viele nationale und internationale Blätter geschafft. Diese Jogginghose feiert nun 20-jähriges Jubiläum. In das Deutsche Museum Kohls hat es die wohl berühmteste Jogginghose Deutschlands (echt nur mit dem gelben Fleck vorne drauf) aus unerfindlichen Gründen nicht geschafft.

Damals vor 20 Jahren jedenfalls stand Harald Ewert mit Hitlergruß vor dem Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen und unterstützte die Menge moralisch in ihrem Tun, zu dem er selber aus alkoholbedingten Gründen nicht mehr in der Lage war, nämlich das Wohnheim in Flammen aufgehen zu lassen und die Bewohner gleich mit.

Die massive Einschränkung des individuellen Rechts auf Asyl im Mai 1993 durch eine große Koalition aus CDU, CSU, FDP und SPD, Grüne und Linke stimmten dagegen wie auch einzelne aus SPD und FDP, war ebenso ein Resultat von 1989:

Die Abstimmung über den so genannten „Asylkompromiss“ im Bundestag am 26. Mai 1993 wurde von Protesten begleitet. Rund 10.000 Demonstranten legten das Bonner Regierungsviertel lahm. Am Ende stimmten 521 Bundestagsabgeordnete für die Gesetzesänderung, 132 dagegen. Die zur Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit war zustande gekommen. Nur drei Tage später, am 29. Mai 1993, starben fünf Menschen türkischer Abstammung bei einem rechtsradikalen Brandanschlag in Solingen. Es waren keine Asylbewerber.

Man könnte hier natürlich noch ergänzen, dass es auch nicht richtig gewesen wäre, wenn diese Neonazis Asylbewerber in Solingen ermordet hätten.

Das war unser einziger Erfolg an diesem 26. Mai 1993: dass 130 Bundestagsabgeordnete nur mit Hubschraubern zum Parlament in Bonn am Rhein geflogen werden konnten, weil wir die Zufahrtswege wenigstens teilweise blockiert hatten.

Die Paulskirchenrede des Schriftstellers Martin Walser im Oktober 1998 war ein Zeichen des erinnerungsabwehrenden Antisemitismus, die ebenfalls Resultat von Nov. 1989 ist – zumal der stehende Applaus der gesamten politischen und kulturellen Elite damals in der Paulskirche zeigte, dass Walser diesen Leuten aus der Seele sprach, als er sagte:

… wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen.

Keiner hat wie Walser die Verbindung von Nationalismus, antisemitischer Erinnerungsabwehr und die Liebe zu Deutschland und das Hoffen auf die „Wiedervereinigung“ verkörpert und auf den Punkt gebracht. Walser sagte in seiner Paulskirchenrede im Oktober 1998:

Im Jahr 1977 habe ich nicht weit von hier, in Bergen-Enkheim, eine Rede halten müssen und habe die Gelegenheit damals dazu benutzt, folgendes Geständnis zu machen: „Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte – so schlimm sie zuletzt verlief – in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen.“

Und: „Wir dürften, sage ich vor Kühnheit zitternd, die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten.“ Das fällt mir ein, weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage: Auschwitz eignet sich nicht, dafür Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.

1999 kam es dann zum ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem SS-Staat – natürlich wiederum gegen alte Feinde, hier: Jugoslawien bzw. Serbien. Jetzt waren auch die Grünen – federführend Außenminister Joschka Fischer – mit dabei.

Gestern verabschiedete im Deutschen Bundestag die Koalition aus CDU/CSU und SPD ein neues Wehrpflichtgesetz („Wehrdienst-Modernisierungsgesetz – WDModG“).

Vor diesem Hintergrund und der expliziten Äußerung von 18-jährigen Schüler*innen, dass sie „nicht für dieses Land sterben wollen“ und „kein Kanonenfutter werden wollen“, ist der gestrige Wehrpflicht-Streik herausragend.

Bundesweit gingen ca. 40.000 Schülerinnen und Schüler in 80 Städten gegen die Wehrpflicht und somit gegen die Regierungspolitik auf die Straßen.

Ich hörte sie hier in Heidelberg rufen „Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht“. Ein sehr guter und enorm wichtiger Demospruch. Diese Jugend gibt Hoffnung. Sie ist geistig viel weiter als die große Volksgemeinschaft im Deutschen Bundestag, wobei die AfD nur aus taktischen Gründen dagegen stimmte, aber im Kern natürlich die Bundeswehr nicht weniger bewundert wie SPD oder CDU.

Auch beim Unterstützen der kapitalistischen Grundstruktur unserer Gesellschaft sind sich diese Parteien vollkommen einig. Da lacht der Brandschutzmauer-Meister.

Nach Fridays for Future (FFF) jetzt Fridays gegen Wehrpflicht, was auch inhaltlich passt, da das Militär mit zu den allergrößten Naturzerstörern umd Luftverschmutzern gehört.

Während wie gezeigt, die alte Generation lieber direkt Geld an die Ukrainische Armee spendet, statt Blumen am Grab abzulegen, ist die junge Generation viel weiter und kritischer.

Also: Unterstützen wir die Anti-Wehrpflicht Jugend! Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht ist ein Kernpunkt von nie, nie, nie wieder Deutschland. Es braucht diplomatische Lösungen für Konflikte wie in der Ukraine. Stopp aller Waffenlieferungen an die Ukraine, Rückbau der Bundeswehr, Abrüstung weltweit, schärfste Sanktionen für Rüstungskonzerne weltweit und massive diplomatische Bemühungen um ein Ende des Krieges.

Alla hopp, wie die Kurpfälzer*innen sagen.

 

Das deutsche Stadtbild …

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das neue Kampfwort heißt also „Stadtbild“. Damit sind nicht die immergleichen Neubauten aus einer öden Mischung aus Beton, Stahl und Glas gemeint, nicht die „defensive“, also aggressive Innenstadtarchitektur, die immer seltener (ohnehin) harte Bänke zum Schlafen mehr hinstellt, sondern nur Sitze, also durch Lehnen getrennte Bänke, weil schließlich sind ja Obdachlose eh selbst schuld, dass sie solche Loser sind, nicht? Wen stören schon die Werbetafeln für ‚unser‘ Kriegsministerium, das verschämterweise immer noch „Verteidigungsministerium“ sich nennt, dabei hat die Präsenz der Bundeswehr in Litauen soviel mit „Verteidigung“ zu tun, wie Friedrich Merz mit Gesellschaftskritik: nada, null, nichts.

Die überall herumhängenden Deutschlandfahnen tun ein Übriges, das Stadtbild aggressiv, nationalistisch und deutsch zu machen, das gab es vor 2006 viel weniger, so ein schwarzrotgoldenes Stadtbild, von den nationalistischen Farben auf Milchtüten, Produkten aller Art oder nationalistischen Icons auf allen möglichen Plattformen nicht zu schweigen.

Und dann kommen die wirklich „Guten“, jene, die jetzt gegen Merz, die CDU und „die Rechten“ demonstrieren und sich als „das Stadtbild“ oder „wir Töchter“ inszenieren. Kaum jemand von diesen Leuten, ob sie in Freiburg, Berlin oder Köln, München oder Hamburg demonstrieren, waren am 08. Oktober oder danach auf der Straße um gegen den Judenhass und Antisemitismus zu demonstrieren. Kaum jemand dieser „Guten“ hat sich gegen Islamisten, extremistische Muslime, Hamas-Anhänger oder Kopftuchfanatikerinnen mit Palästinenserschal gewehrt oder gegen sie demonstriert. Viele dieser „Guten“ haben am 7. Oktober und danach gekichert, geklatscht oder geschwiegen. Es wurden ‚ja nur Juden‘ die Hand abgehackt, die Augen ausgestochen und nur Jüdinnen massenvergewaltigt und danach abgeknallt und liegen gelassen. Warum sollten sich da die Linken auf den Straßen in diesem Land mit Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel, denen der Angriff der Hamas und des Islamistischen Jihad galt, solidarisieren?

Wer regt sich auf, wenn in Mannheim, Berlin, München oder anderswo Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die ohnehin bekannt sind oder aufgrund einer Kippa erkannt werden, von muslimischen und fast immer nur von muslimischen Jugendlichen und Erwachsenen bespuckt, angegriffen, diffamiert oder körperlich bedroht werden?

Oder was ist mit den Autos mit ukrainischem Kennzeichen, wo an der Heckscheibe ein Abzeichen der faschistischen Asow-Brigaden zu erkennen ist? „Unser“ Stadtbild, das wir so lieben, das auch Merz mag, weil er ja die Ukraine so bedingungslos unterstützt wie nahezu die gesamte politische und kulturelle Elite?

Das Auffallendste an der Veränderung des Stadtbildes seit 1989 und seit 9/11 ist ganz offenkundig das Kopftuch. Ich kann mich während meiner gesamten Kindheit und Jugend sowie dem Studium an verschiedenen Universitäten bis ins Jahr 1999 an keine einzige Mitschülerin, kein Mädchen oder Kind und später keine einzige Studentin erinnern, die mit Kopftuch aufgelaufen wäre. Nicht eine einzige in 30 Jahren.

Das ging exakt los, symbolisches Datum, am Dienstag, den 11. September 2001 mit dem Massenmord durch Islamisten im World Trade Center, vier Flugzeugen und im Pentagon. 3000 Menschen wurden an diesem Tag unsagbar qualvoll zerquetscht, verbrannt oder flogen Dutzende und Hunderte Meter in den Tod.

Und danach wurde nicht etwa der Islamismus als riesige Gefahr erkannt, sondern die Muslime wurden getätschelt und hofiert wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe. In den 1990er Jahren gab es angesichts von Neonazi-Mordandschlägen – Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen etc. pp., Jahre vor dem NSU, viele Demonstrationen und Solidaritätsaktionen für Einwander*innen unterschiedlicher Herkunft, nicht nur aus der Türkei.

Die Antifa und antirassistische Gruppen haben gegen Nazis gekämpft, sich gegen Abschiebungen eingesetzt, Flüchtlinge, Einwander*innen auf unterschiedliche Weise unterstützt. Aber wir haben nicht „den Islam“ geschützt, abgesehen davon, dass viele Migrant*innen ja gar keine Muslime sind und waren oder aber – auch das ist eine Pointe – sich damals nicht als Muslime bezeichnet haben und die Frauen auch kein Kopftuch trugen.

Und dazu kommt die sicherlich marginale, aber eben existente Form der krassen Frauen- und Menschenverachtung via Burka und Gesichtsschleier. In Heidelberg gibt es das regelmäßig, oft sind das ‚Touristinnen‘ aus der arabischen Welt, die hier Schönheits- oder sonstige OPs durchführen lassen oder ihre schwer reichen Männer, Onkel, Brüder, Söhne begleiten. Der Gesichtsschleier gehört nicht nur in Schulen und auf Behörden, sondern allgemein in der Öffentlichkeit verboten, und zwar in Saudi-Arabien, dem Iran wie in Deutschland, weltweit.

Er ist das heftigste Symbol für die Frauen- und Menschenverachtung, für die der Islamismus steht.

Dabei ist das Kopftuch schon irrational genug. Die Trägerinnen meinen ja wirklich, Männer (oder lesbische oder bisexuelle Frauen, Transpersonen) würden auf ihr Haupthaar dermaßen krass sexuell abfahren, dass sie sich ’schützen‘ müssten. Man könnte lachen, wenn es kein so ernstes Thema wäre und diese Hunderttausenden Kopftuchträgerinnen es nicht brutal ernst meinten mit ihrem Wahn der sexuellen Erregung via Haupthaar. Es sagt auch viel über deren Körperverständnis aus …

Sind denn damit alle, die für Israel demonstrieren, kategorisch „die wirklich Guten“? Keineswegs. Wer sich zum Beispiel nicht explizit gegen den Rassismus der militanten und mörderischen Siedler im Westjordanland wendet, wer sich nicht gegen den Messianismus und Rechtsextremismus der Regierung Netanyahu wendet, wer zu den eklatanten und schockierenden Kriegsverbrechen der IDF im Gaza-Krieg schweigt, hat mit Menschenrechten oder Zionismus nicht viel am Hut.

Selbstredend sind die AfD und die CDU ein sehr großes Problem für die Demokratie. Die anti-soziale Politik, die regelrechte Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen und Menschen, die unzumutbare oder primitive Jobs nicht annehmen wollen oder können, ist typisch für Merz und die Bundesregierung, zu der ja anscheinend auch die SPD gehört, was wiederum nicht wundert, wir erinnern uns an Gerhard Schröder und Hartz 4.

Man muss immer das Unmögliche fordern und tun, sonst wird das nichts. Also für Israel und gegen die Verbrechen der IDF. Für den Zionismus und deshalb gegen Netanyahu und gegen die Students for Palestine aktiv werden. Gegen die AfD und die CDU demonstrieren ohne sich mit den antijüdischen Linken und dem antijüdischen Mainstream gemein machen. Für die auch bürgerliche Solidarität mit Israel, aber zugleich die barbarische Dimension jedweder Form des Kapitalismus kritisieren und attackieren. Gegen patriarchale Normen aktiv sein und sich zugleich gegen ach-so-qu(e)erfeministische Bündnisse wenden, die weder mit Antizionismus noch dem Natalismus und der Reproduktionsideologie (Leihmütter für die Schwulen, Invitro-Kinder für die Lesben etc.) je ein Problem hatten.

Hört sich kompliziert und unrealistisch an. Und das ist es auch.

Staatliche Kürzungen im sozialen Bereich bei extremen Militarismus und geplanten 150 Milliarden jährlich für das Kriegsministerium ab dem Jahr 2029 zeigen, dass sich das Stadtbild an der Bundeswehr ausrichten wird. Uniformierte Soldatinnen und Soldaten sollen zum Alltag gehören, Manöver regelmäßiger stattfinden und größer werden und die Propaganda, also Werbung, für die Bundeswehr, noch impertinenter.

Das ist die „Zeitenwende“, mehr Militarismus wagen, dass will das Land.

Oder nehmen wir die Straßen, die nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern oder anderen Antisemiten und völkischen Vordenkern benannt sind. Bei den Umbenennungen gibt es immer rechtsextreme Pöbler, die das nicht wollen und die die Erinnerung an die Verbrechen ihrer Großväter oder Väter nicht nur wegwischen, sondern gar nicht klammheimlich feiern. Es gibt Hunderte solche Straßennamen bundesweit – 80 Jahre nach Auschwitz haben nur wenige Städte begonnen, solche Straßen, die nach Nazis benannt sind oder in der Nazi-Zeit nach anderen Antisemiten benannt wurden, umzubenennen.

Auch das ist „unser“ Stadtbild – das schockiert Merz aber nicht, das meint er nicht.

Das Stadtbild ist also von rechts wie links wie von nicht geringen Teilen der Migrant*innen bedroht. Wer im Osten lebt, also der Ex-DDR, kennt tatsächlich in quasi Nazi-Kübelwägen fahrende  motorisierte und uniformierte Paramilitärs, die bereits im nicht-alkoholisierten Zustand eine Gefahr darstellen für Migrant*innen, Schwarze und Linke und für das „Stadtbild“.

Und dann gibt es auch die mit (FFP-2) Masken Vermummten, die es vor März 2020 nicht gegeben hat. Das ist ein sichtbares Zeichen, dass die irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, menschenfeindliche und antidemokratische Coronapolitik nicht im kleinsten Ansatz aufgearbeitet ist.

Und ganz am Schluss gibt es natürlich noch weitere Aspekte der Architektur, die unser „Stadtbild“ verschlimmert haben. Die Rekonstruktionsarchitektur. Der Wiederaufbau, die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die auch auf Ideen von Rechten zurück ging. Ähnlich verhält es sich mit dem Berliner Stadtschloss / Humboldt-Forum und noch mehr der Garnisonskirche in Potsdam, dem Symbol für den Schulterschluss von Hitler mit den tradionellen konservativ-reaktionären Kräften Deutschlands.

Der sekundäre, erinnerungsabwehrende Antisemitismus, der die Städte in Teilen wieder so aussehen lassen will, wie sie 1938 oder 1941, als alles „noch gut“ war für die ‚arischen‘ Deutschen, aussahen, ist hier evident.

Juden kommen in diesem Bild nicht vor, warum auch. Und wenn sie vorkommen, dann mitunter ganz bitter wie bei der Entscheidung, ausgerechnet auch Synagogen zu rekonstruieren und nicht etwa Neubauten zu machen, an neuen Orten, damit der Bruch der Shoah sichtbar bleibt. So wird in Hamburg jetzt gegen den Widerstand vieler Jüdinnen und Juden, aber mit lautstarker Unterstützung und gefordert von der Jüdischen Gemeinde Hamburg, also ihrem Vorstand, die Bornplatzsynagoge wieder gebaut. Und zwar am gleichen Ort, wo sie vor ihrer Zerstörung 1938 stand. Dass dort seit 1988 ein „Synagogenmonument“ im Boden eingelassen liegt, das die Umrisse der zerstörten und 1906 eingeweihten Synagoge zeigt, kümmert offenbar nicht. Das wird also ein Fall sein, wo mit jüdischer Forderung ein Holocaust-Mahnmal oder Holocaust-Gedenkort abgetragen und zerstört wird, egal ob und wie dann Teile dieser Steine womöglich in den im September 2025 vorgestellten Siegesentwurf der Architekten einfliessen werden.

Die Kritik hat der Historiker Moshe Zimmermann schon 2021 auf den Punkt gebracht:

Die Synagoge, in Anwesenheit meines Großvaters 1906 eingeweiht, wurde während der Pogromnacht im November 1938 geschändet und ein Jahr später abgerissen. Auf einem Teil der freigewordenen Fläche wurde ein Luftschutzbunker errichtet.

Ob aus Amnesie, Verdrängung oder Vertuschungabsicht – die sozialdemokratische Stadt Hamburg entschied sich 1974 dafür, den Bornplatz im Grindelviertel, dessen Bewohner vor 1933 zu etwa einem Drittel Juden waren, in Allendeplatz umzubenennen.

Erst auf Druck der ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt wurde der Platz im Jahr 1988, am 50. Jahrestag des NS-Pogroms, zum Erinnerungsort an die NS-Verbrechen.

Ein Teil des Platzes wurde nun nach dem 1942 ermordeten Rabbiner Joseph Carlebach benannt, der Grundriss der zerstörten Synagoge wurde nach einem Entwurf der Architektin Margrit Kahl markiert.

(…)

Auch in Hamburg entstand nach 1945 eine jüdische Gemeinde, die selbstverständlich ihre Synagoge haben wollte. 1960 wurde an einer anderen Stelle in Hamburg die neue große Synagoge eingeweiht.

2013 wurde sie renoviert und neu eingeweiht, in Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz. In dieser Synagoge hatte ich, damals Doktorand aus Israel, nach dem Tod meines Vaters Woche für Woche Kaddisch beten können.

(…)

Auf die abstruse Idee, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, indem man am Ort des Verbrechens eine Synagoge neu erbaut, kam damals niemand, weder die ehemaligen jüdischen Mitbürger noch Gemeindevorsteher oder Landespolitiker.

Natürlich ist es sehr wichtig, jüdisches Leben zu unterstützen. Aber wirklich ernsthaft zu glauben, eine Rekonstruktion einer von den Deutschen zerstörten Synagoge wäre ein Mittel gegen Antisemitismus, ist schon mehr als fahrlässig und zutiefst unwissenschaftlich. Wir haben seit 1990 und der starken Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder größere jüdische Gemeinden, auch wenn seit ca. 2005 die Mitgliederzahlen von über 100.000 wieder auf 89.000 im Jahr 2024 gefallen sind. Hinzu kommen die „Vaterjuden“ (ca. 100.000) und ca. 20.000 Israelis, die meist keiner jüdischen Gemeinde angehören.

Wir haben also viel mehr sichtbares jüdisches Leben seit 1990 bis heute. Und wir haben noch viel mehr Antisemitismus! Es gibt exakt gar keinen Zusammenhang zwischen jüdischem Leben in Deutschland und dem Antisemitismus. Der Antisemitismus braucht die Juden nicht, sein Wahngebäude konstruiert sich der antisemitische Hetzer respektive die antisemitische Hetzerin schon selbst. Die Antisemitismusforschung hat dazu viel gearbeitet. Kaum jemand im Bereich kritischer Antisemitismusforschung würde ernsthaft glauben, dass der Bau einer Synagoge ein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sei. Ist nicht das Abtragen eines Holocaust-Mahnmals  eher ein Beitrag zum sekundären Antisemitismus?

Es ist also bitter, die Erinnerung an die Shoah gegen den Bau einer Synagoge auszuspielen, wie es die jüdische Gemeinde Hamburg und vor allem die nicht-jüdischen Politiker*innen in Hamburg und Berlin, die das großteils finanzieren werden, tun.

Schließlich gehören zum Stadtbild wie in Berlin Kneipen wie das K-Fetisch in Neukölln, wo Juden und Jüdinnen hinausgeschmissen werden, wenn sie zum Beispiel Kleidungsstücke tragen, die auf Arabisch, Lateinisch und Hebräisch das Wort „Falaffel“ stehen haben. „Zionisten“ würden dort nicht bedient, wie eine aggressive und antisemitische Mitarbeiterin zwei Gästen vorletzten Samstag hinknallte.

Die taz kommentiert:

Das T-Shirt, das die Besucherin trug, ist von dem Label „Falafel Humanity Shirt“. Das sammelt Spenden für die israelische Frauenorganisation „Women Wage Peace“, die sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt.

(…)

In alledem hat die große Masse der gesellschaftlichen Linken seit dem 7. Oktober 2023 versagt. Das Statement des Café-Kollektivs zeigt das nun einmal mehr. Es gibt keine gemeinsamen roten Linien, keine Leitplanken, keinen „common ground“ oder „common sense“. Weder auf vermeintlich linken Demos, noch in linken Kneipen, noch in linken Medien.

Auch das ist das deutsche Stadtbild. Nicht nur AfD-Fähnchen und der rechte Mob, gerade auch die Linken sind ein massives Problem im Stadtbild.

Das ist das Stadtbild in Deutschland, von dem „die Guten“ in Freiburg, Heidelberg, Köln oder München nicht reden. Sie sind zu selbstverliebt „gut“ und sehen gar nicht die Widersprüche des Lebens. Weil doch Identitätspolitik viel einfacher ist und mehr Spaß macht. Weniger Reflektion, mehr Gemeinschaftsgefühl. So wie es die Rechten und Merz auf ihre Weise ja auch wollen.

Das also sind Facetten des allzu deutschen „Stadtbildes“, die selten in dieser Fülle diskutiert werden.

 

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