Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Yonit Levi

Indonesien fordert Sicherheit für Israel, South Park attackiert Netanyahu und die deutsche Israel-Szene lebt hinterm Mond

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der erste Staat, der im 21. Jahrhundert seine Unabhängigkeit erklärte, war bekanntlich Osttimor im Jahr 2002.

Der jüngste Staat, der im 21. Jahrhundert nun auch von führenden Industrienationen als unabhängiger Staat (ohne Staatsgebilde) anerkannt wird, ist Palästina.

Frankreich, England, Kanada, Spanien und Australien sind die einflussreichsten Mächte, die die letzten Tage Palästina anerkannten.

Es sind offensichtlich symbolische Schritte von Ländern, die für ihre pro-israelische Politik seit Jahrzehnten bekannt sind. Doch von Netanyahu und der Israel-Szene hierzulande werden sie alle als Antisemiten diffamiert. All diese Staaten wollen ein Palästina ohne Hamas und ohne ein Militär.

Und der 7. Oktober passierte nicht, weil die Hamas so stark gewesen wäre, sondern weil Israel so extrem schlecht vorbereitet war und so unfassbar schlecht reagiert hat. Wer seine bekanntermaßen so gefährdete Grenze nicht schützt, hat als Schutzmacht für Juden versagt. Das ist die äußerst bittere Erkenntnis dieses Tages.

Das darf nicht zu einem Antizionismus führen, muss aber linkszionistisch die rechtsextreme Regierung Israels in die Verantwortung nehmen. Ohne deren Versagen, wozu auch das Versagen der Armee, der Geheimdienste wie der Polizei gehören, wäre es nicht dazu gekommen. Es ist ja nicht so, dass die Hamas mit Hunderten Panzern und Kampfjets das Land überfallen hätte! Solche Waffen haben sie gar nicht. Aber Israel hat sie und sie waren nicht da.

Wer ebenfalls für Palästina eintritt, ist der indonesische Präsident Prabowo Subianto, der seit Oktober 2024 Präsident von Indonesien ist.

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land weltweit mit ca. 280 Millionen Einwohner*innen, wovon 225 Millionen Muslime sind.

Prabowo war 1991 in Osttimor mutmaßlich an Kriegsverbrechen und offenbar schon in den 1970er Jahren an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Jetzt ist er Präsident von Indonesien und tut so, als sei er ein gemäßigter Politiker, der sich sowohl für Gaza als auch für Israel einsetze. Eine Läuterung? Eine Ablenkung?

Er betonte diese Woche in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York City auf der Generalversammlung, dass er das schreckliche Leid in Gaza sehe. Mehrmals führte er das in seiner 20-minütigen Rede an. Doch später betonte er nachdrücklich, dass auch Israel ein Recht auf Frieden und sichere Existenz habe. Gegen Ende seiner Rede sprach er gar mit dem hebräischen Wort von „Schalom“. Das ist geradezu ein „ziemliches diplomatisches Erdbeben“ der positiven Art, wie ein Blogtext in der Times of Israel (TOI) feststellt.

Die Rede von Prabowo war in der Tat eine politische Rede, die sich recht umfassend mit den Weltproblemen und vor allem der Situation im Globalen Süden befasste. Der Klimawandel bedroht vor allem arme und südlich gelegene Länder wie Indonesien, weshalb der Staat einen riesigen Schutzwall im Meer bauen wird, was Jahrzehnte dauern wird. Armut und soziale Ungleichheit sind weitere sehr zentrale Themen, die Prabowo ansprach. Indonesien ist demnach mittlerweile Selbstversorger mit Grundnahrungsmitteln wie Reis und kann sogar Lebensmittel exportieren.

Er hat gleichwohl kein Wort zum Autoritarismus in seinem eigenen Land und zu seiner eigenen Biographie gesagt. Seine Rede hat also darüber hinweggetäuscht, dass er zum Beispiel mit der GSG 9 der alten BRD kooperierte:

Prabowo hatte eine kometengleiche Karriere im indonesischen Militär vorgelegt, nicht zuletzt wegen seiner besonderen Qualifikation, die er sich bei verschiedenen Sonderausbildungen im Ausland verschaffte – beispielsweise 1981 bei der GSG 9 in Hangelar bei Bonn. 1995 wurde er Chef der militärischen Eliteeinheit Kopassus. Deren ehrenwerte Aufgabe umschrieb eine indonesische Menschenrechtsorganisation mit „Spionage, Terror und Gegenterror“, inklusive der Inszenierung gewalttätiger Provokationen. (Jungle World, 18. August 1998)

Vermutlich war Prabowo an dem Massaker in Dili im Jahr 1991 mit 250 ermordeten Zivilist*innen beteiligt. Es ist insofern nicht nur eine innenpolitische Frage, wie mit der Geschichte und den möglichen Verbrechen von Prabowo umgegangen wird. Es bleibt also ein mehr als ambivalentes Bild.

Doch für Israel und die Juden war seine sensationelle Zuwendung zum jüdischen Staat, sein explizites Betonen, dass Israel das Recht habe, als Staat in Sicherheit existieren zu dürfen, wie ein kleines Neujahrswunder.

Nur Netanyahu interessiert sich nicht für Weltpolitik und diese Unterstützung des größten muslimischen Landes für Israel. Netanyahu hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine dermaßen peinliche Propaganda-Show abgezogen, dass einem Sehen und Hören verging. Mit keinem Wort erwähnte er die innerisraelische Kritik an seiner rechtsextremen Politik. Mit keinem Wort erwähnte er die Anerkennung Israels aus dem Mund des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Abbas, der ja nur per Video zugeschalten war, weil Trump der gesamten Delegation der PA die Einreise in die USA verweigert hatte, ein skandalöser Vorgang. Abbas sagte auch, dass die Palästinenser einen modernen und zivilisierten Staat anstreben, ohne Waffen. Das mögen Phrasen sein, sind aber elementar, da er zugleich die Massaker der Hamas und des Islamischen Jihad vom 7. Oktober verurteilte und damit die massive Unterstützung für die Hamas im Westjordanland unter den Palästinenser*innen frontal attackierte, also seine eigenen Leute. Das sind Zeichen eines Wandels – aber Netanyahu ist realitätsgestört und möchte diese Zeichen gar nicht sehen.

Nur ca. vier Prozent der Öffentlichkeit in Israel rezipieren die Tageszeitung Haaretz, wie in einem sehr interessanten Podcast mit dem deutschen Botschafter Steffen Seibert deutlich wurde. Selbstredend ging Seibert nicht selbstkritisch auf seine Rolle als Sprecher der Corona-Regimes unter Angela Merkel ein, wo er jegliche irrationale „Maßnahmen“ propagierte und verteidigte.

Aber Selbstkritik an der epidemiologisch, medizinisch, philosophisch, juristisch, soziologisch, politikwissenschaftlich, religionswissenschaftlich und anderweitig zu hinterfragenden Corona-Politik ist ja Mangelware, seltener noch als Bananen im Sommer 1989 in der damaligen DDR.

Aber Seibert machte seine pro-israelische Haltung unmissverständlich deutlich und ebenso sein enormes Leiden an der aktuellen rechtsextremen Politik der israelischen Regierung.

Was also sehr interessant und bemerkenswert ist, ist Seiberts klare Trennung der deutschen pro-zionistischen und pro-israelischen Haltung bei gleichzeitiger scharfer Ablehnung der aktuellen Politik der Regierung Netanyahu. Er sagte, dass es doch ein klares Zeichen sei, dass Tausende junge Israelis das Land verlassen haben und weiter verlassen würden – wegen der rechtsextremen Politik von Netanyahu und seiner Regierung. Solche in der Tat zionistischen, man würde fast sagen linkszionistischen Positionen aus dem Munde eines deutschen Botschafters, der jeweils unter CDU-Bundeskanzler*innen arbeitet (als Sprecher bzw. Botschafter), sind sehr wichtig und relevant – aber die deutsche Israel-Szene hört sich das nicht an und zieht daraus logischerweise auch keine Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten.

Das macht Demonstrations- und Kundgebungsankündigungen der deutschen ach-so-dermaßen Pro-Israel-Szene völlig irrelevant. Wenn wir zum Beispiel lesen, zu was für einer Kundgebung die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Stuttgart und die DIG Rhein-Neckar und viele andere Gruppen wie der weltbekannte „Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung“ oder die jüdische Studierendenunion Württemberg sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg zum 5. Oktober 2025 aufrufen, sieht man, in welcher Welt diese Leute leben:

Aufruf:

Solidarität mit Israel.
Gegen jeden Antisemitismus!

Am 7. Oktober jährt sich das antisemitische Massaker im Westlichen Negev zum zweiten Mal. Wir rufen zur Solidarität mit den Menschen in Israel auf. Wir fordern die Freilassung aller noch in palästinensischer Geiselhaft verbliebenen Entführten!

Wir werden ein starkes Zeichen gegen JEDEN Antisemitismus setzen. Wir rufen dazu auf, sich gegen den Vernichtungsantisemitismus im Nahen Osten und den Antisemitismus auf deutschen Straßen zu positionieren und für die Sicherheit sichtbaren jüdischen Lebens im öffentlichen Raum.

Einen solchen Aufruf hätte man am 8. Oktober 2023 machen können oder auch am 31. Oktober 2023. Aber man kann einen solchen Aufruf nicht im Oktober 2025 benutzen, um für Israel zu sein, ohne mit einem einzigen Wort die völkerrechtswidrige, menschenverachtende und rechtsextreme Politik der israelischen Regierung unter Benjamin Netanyahu zu attackieren. Das geht nicht. Doch es geht schon, aber nur wenn man Teil der völlig realitätsfremden offiziellen deutsch-israelischen „Szene“ ist. Wissenschaftlich und politisch ist ein solcher Aufruf grotesk.

Die Verwendung des Wortes „Vernichtungsantisemitismus“ ist doppelt problematisch. Erstens wird dabei auf die Shoah und den tatsächlich auch durchgeführten Erlösungs- und Vernichtungsantisemitismus der Deutschen angespielt. Damit wird die Shoah verharmlost. Am 7. Oktober geschahen unfassbar schreckliche Massaker. Aber das war kein zweiter Holocaust. Das war keine staatlich-industrielle Zerstörung jüdischen Lebens, sondern es waren Pogrome und Massaker. Das ist schrecklich, aber etwas kategorial Anderes.

Zweitens dementiert diese Rede den Zionismus, denn wenn in Israel – im jüdischen Staat – ein „Vernichtungsantisemitismus“ wütete am 7. Oktober 2023, denn auf dieses Datum spielt das Wort eindeutig an, es geht um den 7. Oktober und den Jahrestag, dann hat der Zionismus ja vollkommen versagt. Dann ist Israel die genau falsche Lösung des Problems Antisemitismus, würden dann viele einwerfen, denn in der Diaspora gab es jedenfalls seit 1945 kein Massaker mit 1200 Toten.

Wer also meint, besonders pro-israelisch zu sein und eine radikale Sprache zu verwenden, sollte vorsichtig sein mit Worten, deren tiefere Bedeutung ihm oder ihr nicht klar sind. Die Ideologie der Hamas wie des Iran hat vernichtungsantisemitische Dimensionen. Aber im Holocaust war die Ideologie und die Praxis auf die Vernichtung gerichtet. Es gab den Holocaust. Der 7. Oktober war kein Holocaust. Wer das insinuiert, dementiert, auch ganz unfreiwillig, den Zionismus und den Staat Israel.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann aus Tel Aviv sagte schon am 8. Oktober 2023 in der Tagesschau, dass das Massaker des Tages zuvor ein „Versagen des Zionismus“ sei. Es gab ja noch nie seit 1948 ein solches Massaker an Juden, weltweit gab es das nicht. Und ausgerechnet im angeblich sichersten Ort der Welt für Juden, dem jüdischen Staat Israel, gab es nun so ein Massaker. Er betonte schon damals, dass eine Division der israelischen Armee IDF, die für den Schutz der Grenze zu Gaza verantwortlich war, in das Westjordanland abkommandiert worden war. Wir wissen mittlerweile, dass es noch viel schlimmer war, weil die israelische Regierung, das Militär, die Geheimdienste und die Polizei vorsätzlich Warnungen der eigenen Leute nicht ernst nahmen. Das wird alles irgendwann wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Im Oktober 2024 auf 3sat in Kulturzeit sagte Zimmermann, dessen Eltern, Hamburger Juden, 1938 aus Nazi-Deutschland fliehen konnten und der Fußball interessiert und HSV-Fan ist, man sieht in seinem privaten Zimmer in Tel Aviv in den Videoschalten ein kleines HSV-Fähnchen im Hintergrund auf einer Kommode stehen, dass ein so langer Krieg offenbar nicht den Sieg über die Hamas gebracht hat und dass das ein Versagen Israels ist. Er versteht die anfängliche militärische Reaktion auf den 7. Oktober, aber danach hätte es Verhandlungen geben müssen.

Im September 2025 ist Zimmermann wiederum bei 3sat und Kulturzeit im Fernsehen zu sehen und er ist sichtlich noch niedergeschlagener. Als linker Zionist möchte er die Zweistaatenlösung, aber er betont, dass die „Mehrheit der Israelis zwar gegen Netanyahu“ sei, aber gleichwohl „nationalistisch“. Die Toten in Gaza würden die meisten bis heute mit „Indifferenz“ zur Kenntnis nehmen.

Die Opposition sei „zwar sehr laut“, aber ohne politischen Einfluss. Es müsse Druck „von außen kommen“ und vor allem von der israelischen Zivilgesellschaft. Schon 2024 in seinem zitierten 3sat-Gespräch sagte er, dass Israel zwei große Feinde habe, einen äußeren Feind – Iran, die arabische Welt – und einen inneren Feind, wie die rechtsextreme Regierung unter Netanyahu und die Siedlerbewegung. Mittlerweile seien beide Feindeslager eines friedlichen Zionismus „gleich groß“.

Doch davon hört man in der deutschen Israel-Szene rein gar nichts. Niemand würde hier von zwei großen Feindeslagern sprechen, dem Iran UND dem Rechtsextremismus in Israel bzw. jenen, die eine Zweistaatenlösung ablehnen. Aktuell, so die Kulturzeit-Moderatorin Vivian Perkovic im 2025er Gespräch mit Zimmermann, würden nur noch 21 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung akzeptieren, so sei der Stand im März 2025.

Die dramatische Situation für Israel und für Überlebende der Massaker vom 7. Oktober wird im 2024er Beitrag von Kulturzeit, in dem auch das Gespräch mit Moshe Zimmermann Teil der Sendung war, in einem sehr dramatischen und bewegenden Video über eine Israelin, Danielle Aloni, deutlich. Aloni hat den Angriff auf ihr Haus mit ihrer Tochter zwar überlebt, aber wurde dann als Geisel in die Tunnel von Gaza sowie in Wohnungen verschleppt. Schließlich kam sie bei einem Geisel-Deal mit ihrer Tochter frei.

Sie war sehr von der israelischen Regierung enttäuscht, weil sie genau merkte, dass die Priorität von Netanyahu ganz sicher nicht das Überleben der Geiseln ist. Es gibt ein Video von ihr aus der Geiselhaft, das zwar von den palästinensischen Terroristen gewollt und aufgenommen wurde, aber sie selbst habe bestimmt, was und wie sie es sagt, wie sie in Kulturzeit betont. Sie schreit in diesem Video gegen Netanyahu und die israelische Regierung, die sie im Stich lassen würden. Das sieht sie auch noch viele Monate später exakt so.

Und das hat sich bis heute nicht geändert. Und DAS muss das Thema einer Kundgebung der DIG sein, wenn sie ernstgenommen werden möchte. Die Priorität der israelischen Regierung liegt im Fortdauern des Krieges, im Unterstützen von Netanyahu und nicht in der Befreiung der Geiseln.

Heute sollte ein Aufruf zum Beispiel so heißen:

Für Israel und gegen den Krieg!

Damit wäre klar, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen an so einer Demonstration oder Kundgebung sowohl zionistisch und pro-israelisch, also auch nicht menschenverachtend, dafür am Völkerrecht orientiert sind und sich gegen die aktuelle israelische Regierung positionieren.

Doch so wie die Pro-Gaza-Szene niemals unter dem Motto

Für Palästina und für Israel

demonstrieren würde, so demonstriert wiederum die Israel-Szene niemals

Für Israel und für Palästina.

Und diese Verhärtung muss endlich aufgelöst werden. Dafür steht Indonesien, dafür stehen Frankreich, England, der deutsche Botschafter in Israel und sehr sehr, wirklich sehr viele andere.

Wären diese Aktivist*innen im Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Israel oder würden wenigstens israelische Medien wie die Times of Israel (TOI) oder die englische Ausgabe der Haaretz rezipieren, wüssten sie ob der extrem aufgeladenen Situation in Israel gegen die Regierung.

Dort wird von Politikern wie Gilad Kariv, Knessetabgeordneter der Partei „Die Demokraten“, die im Juli 2024 gegründet wurde und ein Zusammenschluss der linken Parteien Avoda und Meretz ist, die Hauptverantwortung für die andauernde Geiselhaft israelischer Geiseln in Gaza bei der israelischen Regierung gesehen.

Netanyahu hat spätestens seit dem Frühjahr 2024 immer wieder unter perfiden Vorwänden den Krieg verlängert und weitere Geisel-„Deals“ ausgeschlagen. So sieht es fast das gesamte Hostage Forum, ein Zusammenschluss der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, und die kritische Öffentlichkeit in Israel. Doch davon hat die DIG nichts gehört und davon will sie nichts hören. Sonst würde sie nicht so einen desolaten, ja grotesken Demonstrations- oder Kundgebungsaufruf im September/Oktober 2025 publizieren.

Es gab gestern eine Großdemonstration für Gaza in Berlin mit bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. Obwohl im Vorfeld klar war, dass dort viele Antisemiten, Antizionistinnen und Israelfeinde aller Couleur mitmarschieren werden, hat die im Bundestag vertretene Partei Die Linke die Demonstration angemeldet. Der Tagesspiegel hat darüber berichtet. Ein islamistischer und Pro-Hamas Demo-Zug aus Kreuzberg mit 1200 Teilnehmer*innen wurde von der Polizei gestoppt und aufgelöst, doch auf der Großdemo waren auch Transparente mit antisemitischem und Holocaust verharmlosendem Inhalt zu lesen wie „Auschwitz = Gaza“ oder „Netanyahu = Hitler“. Das ist antisemitische Volksverhetzung und gehört angezeigt und verurteilt.

Die Schuldabwehr und Schuldumkehr wird auch von Muslimen, Arabern und Linken bedient, was wir insbesondere seit dem Sechstage-Krieg von 1967 weltweit erleben.

Dieser antizionistische Antisemitismus ist auch 2025 schlimm, aber nicht neu. Es war schockierend, wie weite Teile der linken Szene am 7. Oktober feierten oder schwiegen, als 1200 Jüdinnen und Juden auf unschilderbare Weise massakriert, vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und 251 entführt wurden, worunter auch Nicht-Israelis waren.

Doch seither ist sehr viel passiert. Darauf weisen ehemalige führende Armeemitglieder der IDF hin, die sich für ein Ende des Krieges einsetzen.

Natürlich geht es gegen jeden Antisemitismus und für Israel – aber es muss genauso gegen die rechtsextreme und Israel so stark beschädigende und Zivilist*innen und Palästinenser*innen tötende Politik der aktuellen israelischen Regierung gehen. Wer das nicht sieht, hat jegliche Menschlichkeit verloren und keinen Bezug mehr zur Realität.

Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie kein anderer israelischer Regierungschef seit 1948. Er hat unzählige Verbündete vor den Kopf gestoßen, sie beleidigt und verdammt – wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premierminister Keir Starmer oder den australischen Ministerpräsidenten Anthony Albanese. Albanese habe „Israel verraten“, Starmer würde an der Seite der islamistischen Terrororganisation Hamas und Macron auf jener von „Massenmördern, Vergewaltigern, Babymördern und Entführern“ stehen.

England bzw. das Vereinigte Königreich, Frankreich und Australien sind allesamt Freunde Israels. Sie sind aber jeweils auch Anhänger des Völkerrechts und Kritiker der aktuellen katastrophalen Kriegspolitik von Netanyahu.

Die aktuelle israelische Regierung isoliert das Land und gefährdet jüdisches Leben weltweit. Nächste Woche wird die UEFA (Union of European Football Associations) darüber abstimmen, ob Israel ausgeschlossen wird. Im November 2025 wir die Eurovision Broadcasting Union darüber entscheiden, ob Israel am ESC 2026 teilnehmen darf. Das sind schockierende Vorgänge, da damit alle Juden und Jüdinnen für das Verhalten des Staates Israel haftbar gemacht werden. Es könnte ja sein, dass die Fußballspieler*innen wie die Sänger*innen jeweils gegen den aktuellen Krieg sind oder gegen die rechtsextreme Regierung. Doch sie werden alle in Haftung genommen – was jedoch schon beim russischen Krieg gegen die Ukraine 2022 der Fall war und ein Skandal, der jedoch kaum jemanden schockierte.

Die Pointe ist jedoch: weder die UEFA noch die Eurovision Broadcasting Union sind antisemitisch, sonst wäre ja Israel die letzten Jahrzehnte dort nicht Mitglied gewesen bzw. ist noch Mitglied. Es ist die aktuelle und in der Tat mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringende Kriegspolitik, die noch die Freundinnen und Freunde des einzigen jüdisches Staates an den Rand der Verzweiflung bringen.

Nicht so die DIG, die scheint keinerlei Gewissensbisse zu haben mit den Verbrechen der IDF in Gaza, der gezielten Hungerpolitik, dem Erschießen von nach Nahrung anstehenden Palästinenser*innen, worüber wir ja Berichte von IDF-Soldaten haben, die das selbst erlebt haben, wie sie oder ihre Kollegen auf wehrlose Zivilist*innen schossen. Das sind Kriegsverbrechen. Ein ausführlicher Bericht  der Haaretz berichtete im Juni 2025 darüber:

Offiziere und Soldaten der israelischen Streitkräfte berichteten der Zeitung Haaretz, dass sie den Befehl erhalten hätten, auf unbewaffnete Menschenmengen in der Nähe von Lebensmittelverteilungsstellen im Gazastreifen zu schießen, selbst wenn keine Gefahr bestand. Hunderte Palästinenser wurden getötet, woraufhin die Militärstaatsanwaltschaft eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen forderte. (Übersetzung CH)

Der Journalist Jonathan Freedland aus London sagt in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Unholy (ab Min. 17) mit Yonit Levi aus Tel Aviv, dass die Anerkennung Palästinas durch führende Industrienationen keineswegs eine Honorierung des Massakers der Hamas vom 7. Oktober ist, sondern eine Reaktion auf die israelische Reaktion auf den 7. Oktober. Das ist der entscheidende Punkt, der Knackpunkt!

Doch das kann die DIG analytisch offenkundig nicht fassen. Sie bzw. die DIG Stuttgart und ihr Bündnis gehen mit keinem Wort auf diese Reaktion, den unerträglichen und brutalen Krieg, ein. So kurz ist der Ankündigungstext nicht, als ob es nicht möglich gewesen wäre, explizit und eindeutig den aktuellen Krieg Israels, der weltweit gerade auch von Israelfreunden abgelehnt wird, zu kritisieren.

Es gibt Kriegsverbrechen der IDF, aber keinen Genozid. Das muss festgehalten werden. Dieses Wort bedient viel zu stark die Täter-Opfer-Umkehr und ist auch viel zu ungenau. In einem Genozid – und Historiker des Holocaust reden von der Shoah als einzigem Genozid, worüber ich geschrieben habe – ist sowohl die Intention ein ganzes Volk zu vernichten maßgeblich, als auch die unmittelbare Anwendung von Gewalt, dieses Ziel zu erreichen. Und Israel möchte nicht alle Palästinenser ermorden, auch wenn es einzelne, faschistoide Stimmen gibt, die das sagen oder andeuten.

Es gibt nicht täglich Massaker mit Tausenden von Toten in Gaza. Das macht das Zerstören von Gebäuden und Töten von Zivilist*innen nicht vergessen. Das macht auch eine extrem brutale Hungerpolitik, an der täglich Menschen sterben und mittel- wie langfristig sterben werden, oder ein kürzeres und viel schlechteres Leben haben werden, weil zumal Kindern körperliche Schäden zugefügt werden bei einer Hungersnot, die langfristig wirken und nicht immer sofort zum Tod führen, nicht vergessen. Diese Hungerpolitik ist ein Kriegsverbrechen und muss bestraft werden. Vor allem muss dieser Krieg mit Hunger sofort beendet werden und die kriminelle Verteilungspolitik Israels muss beendet und international seriös strukturiert werden, wie es ja zu anderen Zeiten des Krieges auch schon der Fall war.

Da hilft es nichts und es ist eher zynisch, wenn pro-israelische Wissenschaftler*innen, Publizisten und Aktivistinnen mantramäßig mit „Sudan“ antworten, wenn es um die Situation in Gaza geht. Denn dass andernorts noch viel schlimmere Kriegsverbrechen und noch viel schrecklichere Politik mit Hunger gemacht wird wie im Sudan, rechtfertigt nicht Israels eigene verbrecherische Politik:

Bonn/Berlin, 14. April 2025. Anlässlich der morgen stattfindenden internationalen Konferenz für den Sudan in London appelliert die Welthungerhilfe an die Staatengemeinschaft, das Leid der Menschen nicht länger zu ignorieren und entschlossen zu handeln. Zwei Jahre nach Beginn des verheerenden Kriegs im Sudan erlebt das Land die größte Hunger- und Vertreibungskrise der Welt. 30,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – so viele wie nie zuvor. Fast 26 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger, während 15 Millionen Menschen innerhalb des Landes oder über die Grenzen hinweg vertrieben wurden. „Die Lage im Sudan ist desaströs. Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser haben. Die internationale Gemeinschaft muss dringend mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um das Überleben der Betroffenen zu sichern“, fordert Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Viel realitätsgetreuer als die typische Israel-Szene in Deutschland geht die 1997 gestartete legendäre Animationsserie South Park mit dem Gazakrieg um. South Park spielt in Colorado, USA, und handelt von vier acht-bis zehnjährigen Freunden, die in die Grundschule in South Park gehen. Einer von ihnen, Kyle Broflovski, ist jüdisch. In der fünften Folge der 27. Staffel von Ende September 2025 reist Sheila Broflovski, die Mutter von Kyle, äußerst aufgebracht nach Jerusalem, stürmt in das Büro von Netanyahu und greift den israelischen Premierminister frontal an:

Den Höhepunkt der Episode bildet Sheilas spontaner Flug nach Israel, wo sie direkt in Netanyahus Büro eindringt. In einer emotionalen Tirade konfrontiert sie den israelischen Ministerpräsidenten mit harten Vorwürfen bezüglich seiner Kriegsführung.

Die Worte an Netanyahu sind der «Jerusalem Post» zufolge besonders scharf formuliert. «Wer glaubst du eigentlich, dass du bist? Du tötest Tausende und zerstörst ganze Stadtteile!»

Netanyahu erschwere das Leben für Juden weltweit und mache das Leben für amerikanische Juden nahezu unmöglich. Diese Aussage reflektiert die realen Sorgen vieler Diaspora-Juden, die sich durch Israels Politik in eine schwierige Lage gedrängt sehen.

Für Sheila ist ein jüdisches Leben in den USA „gar nicht mehr lebbar“ wegen der Politik von Netanyahu.

Das ist eine satirische, scharfe Kritik, die sehr wohl das Lebensgefühl von sehr vielen Jüdinnen und Juden in den USA widerspiegelt, wie Jonathan Freedland festhält, was wiederum Yonit Levi amüsiert, da sie ihrem britisch-jüdischen Kollegen gar nicht zugetraut hätte, dass er South Park schaut…

Die Haaretz hat den Propagandaauftritt Netanyahus vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen – vor weitgehend leerem Haus, fast alle Delegationen der ganzen Welt hatten die Sitzung verlassen, als Netanyahu das Rednerpult betrat – diese Woche auf den Punkt gebracht:

Immer und immer wieder kam er auf den 7. Oktober zurück, zu einer Zeit, in der die Welt auf die schrecklichen Szenen in Gaza fokussiert ist, wo Hunderte und Tausende von Kindern und Babys zerfetzt werden. Alle liegen falsch – außer ihm. Dutzende von Staats- und Regierungschefs, treue Freunde Israels, die in ihren eigenen Ländern gegen Antisemitismus kämpfen und nach dem Massaker nach Israel kamen, um ihre Solidarität zu bekunden, hatten fast zwei Jahre lang davon abgesehen, Maßnahmen zu ergreifen, obwohl klar war, dass der Krieg nur dazu diente, seine Koalition zu erhalten – sie wurden von ihm beschuldigt, sich „voreingenommenen Medien“, „Terror“ und dem Islam zu beugen.
Seine Entourage, die zwei Reihen dominierte, spendete ihm nach jedem zweiten Satz Standing Ovations. Selbst die quasi Cheerleader auf der Tribüne kratzten hier und da Applaus zusammen. Doch das unterstrich nur die globale Isolation Israels: Netanjahu und seine törichten Spielereien spielen keine Rolle mehr. Er gilt als Relikt, als korrupter Politiker, der sich mit rassistischen Parteien verbündet hat, um an der Macht zu bleiben. (Übersetzung CH)

Das ist der Punkt. Frankreich, England, Australien, Kanada sind enge Verbündete Israels, sie des Antisemitismus oder der Nähe zur Hamas zu beschuldigen, wie es Netanyahu in der ihm eigenen vulgären Tonart getan hat, beschädigt den Zionismus und Israel ganz massiv und gefährdet jüdisches Leben in der Diaspora und zeugt von einer immensen Menschenverachtung was die Palästinenser in Gaza betrifft.

Ein sich offenbar besonders pro-israelisch vorkommender Autor der taz sekundiert ein solches Netanyahu-Verhalten mit einem vorgeblich satirischen Beitrag, der kaum anders als zynisch und rassistisch zu lesen ist:

Ein kühler Septembermorgen in der Lüneburger Heide. Und doch liegt schon früh eine aufgeheizte Spannung über Bispingen, einer 6.500-Seelen-Gemeinde, rund fünfzehn Kilometer nordöstlich der Heidemetropole Soltau. Eingebettet in ein touristisches Gewerbegebiet an der A 7 zwischen Snow Dome, Kartbahn und Trampolinlandschaft, öffnet hier heute mit dem Gaza-Adventure-Dorf eine weitere Attraktion ihre Pforten. Auf 40.000 Quadratmetern erleben Besucher eine Art künstlichen Krisenstreifen – eine Mischung aus Themenpark, Freilichtbühne und Abenteuertraining.

(…)

Laiendarsteller in zerschlissenen, aber farbenfrohen Kostümen spielen die sogenannten Streifenbewohner. Sie tragen Habseligkeiten hin und her, diskutieren die Trinkwasserqualität oder lassen sich theatralisch auf improvisierten Matratzenlagern nieder. Viele der Schauspieler stammen aus den strukturschwachen Regionen der Umgebung. „Ich habe hier einen festen Job als Geiselnehmer gefunden und gleichzeitig macht es Spaß, die Gäste zum Nachdenken zu bringen“, sagt Lars D., 33. Der ehemalige Langzeitarbeitslose aus Fallingbostel wurde vom Jobcenter ans Adventure-Dorf vermittelt.

(…)

Zu den Highlights des Dorfprogramms zählen die stündlich per Sirenenalarm angekündigten „Verpflegungsausgaben“. Da inszenieren dann Schauspieler eine handfeste Prügelei um ein paar (plastene) Brotlaibe und erzeugen so für einige Minuten ein improvisiertes Chaos, in das die Besucher spielerisch miteinbezogen werden. Danach gibt es für alle Süßigkeiten und Wassermelonenlimo, stilecht serviert in löchrigen Metalldosen.

Wer das angesichts des konkreten und unermesslichen Leidens in Gaza lustig findet, sollte vielleicht am besten nochmal ganz von vorne anfangen.

Und das sage ich als ein Wissenschaftler, Public Intellectual und Aktivist, der schon im Januar 2001 mit einer autonomen oder antideutschen Gruppe in Bremen den Antizionismus der Linken wie der Revolutionären Zellen analysierte und kritisierte.

Die taz wird sekundiert vom Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, der jetzt einen Briefwechsel mit dem Publizisten Hamed Abdel-Samad in der Urania in Berlin vorstellte. Abdel-Samad hat eine scharfe Kritik an Israel. Diese Kritik kommt von einer grundsätzlich pro-israelischen und anti-islamistischen sowie gegen den Antisemitismus gerichteten Haltung. Gleichwohl ist seine Verwendung des Wortes „Genozid“ vorschnell. Aber er ist dennoch um Welten realitätsnaher und eloquenter, selber denkend, als sein Gegenüber. Die Süddeutsche bringt es in einem Text, der diese Buchvorstellung zum Thema hat, auf den Punkt, in dem sie Engel selbst zitiert:

Bei der Buchvorstellung sagt Engel ein paar Mal: „Jetzt klinge ich wie der israelische Regierungssprecher.“ Und Hamed Abdel-Samad bestätigt, ja, genau so klinge er.

 

Was bleibt?

Indonesien stellt sich trotz dieser Kriegsverbrechen, die es benennt und mit dem Wort „Genozid“ falsch benennt – das Wort „Kriegsverbrechen“ ist doch scharf und treffend genug -, hinter Israel und fordert die ganze muslimische Welt auf, Israels Sicherheit zu gewährleisten.

Das ist ein Fingerzeig nach Saudi-Arabien und Nahost von Fernost. Und tatsächlich: Wenn die Geiseln freikommen, der Krieg beendet ist und Netanyahu weg ist, dann könnte es in der Tat zu Sicherheits- oder Friedensabkommen mit Saudi-Arabien und der ganzen arabischen Welt kommen. Dazu braucht Israel eine neue und eine seriöse, nicht-rechtsextreme Regierung.

Sodann zeigen die sehr scharfen, politisch, diplomatisch wie künstlerisch professionell präsentierten Kritiken an der Kriegspolitik Israel von Seiten Frankreichs, des UK, Australiens und anderer, von Steffen Seibert und von South Park, dass eine Kritik an der aktuellen israelischen Regierung Kernpunkt jedweder Israelsolidarität sein muss.

Denn neben dem Krieg in Gaza kommt ja noch die rechtsextreme Siedlungspolitik im Westjordanland und die Siedlergewalt sowie das finanzielle Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) durch Israel hinzu, die eine Zweistaatenlösung unmöglich machen sollen. Netanyahu selbst hat im September 2025 gesagt, dass das Projekt E1 einen Staat Palästina für alle Zeiten unmöglich machen wird:

„Es wird keinen palästinensischen Staat geben“, erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu bei der Zeremonie am Donnerstag in Ma’ale Adumim. Im Jahr 2009 hatte er in seiner berühmten Bar-Ilan-Rede noch für einen palästinensischen Staat ausgesprochen, und im Jahr 2020 hatte er einem solchen Staat als Teil des „Deals des Jahrhunderts“ von US-Präsident Donald Trump unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. Die Regierungsminister, die an der Zeremonie am Donnerstag teilnahmen, sind jedoch zuversichtlich, dass es diesmal kein Zurück mehr geben wird.
(Übersetzung CH)

Netanyahu wird und er darf nicht Recht behalten, denn sonst hat Israel als jüdischer und demokratischer Zeit keine Zukunft.

Das wird die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nicht nachvollziehen können, da sie ihre Aktivitäten vermutlich als pro-israelisch einstufen wird. Wer sich aber in Aufrufen zu Demonstrationen zu Israel und gegen Antisemitismus nicht auch gegen Netanyahu, gegen den Krieg ausspricht, der Palästinenser tötet und die Geiseln in noch größere Lebensgefahr bringt, vorsätzlich und gegen die Warnungen der IDF selbst, hat die Zeichen der Zeit nicht gesehen und lebt weit hinterm Mond oder eben im Ländle.

Besser South Park als DIG.

 

 

Kritik aus Israel und USA: Zionisten dürfen zu den Verbrechen Israels in Gaza nicht schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Nehmen wir typische Aktivist*innen, die gegen Antisemitismus sind und sich für Israel einsetzen. Sie sind im privaten Gespräch klar gegen die Politik von Benjamin Netanyahu, finden es aber höchst suspekt, ja im Zweifelsfall antizionistisch oder zumindest den Antisemitismus befördernd, wenn das jemand öffentlich sagt.

Von daher ist – wie immer – der unabhängige Diskurs in Israel, aber auch und zumal in der Diaspora wie in den USA viel schärfer, politischer, öffentlicher und relevanter. Während die bekannten NGOs in USA ähnlich angepasst agieren wie in Deutschland, gibt es in USA und natürlich immer noch in Israel eine sehr vielfältige und kritische Publizistik.

So schreibt der Zionist, Publizist und Rabbiner Dr. Donniel Hartmann im Herbst 2021:

Bis vor kurzem waren die „unentschlossenen Unentschlossenen“ relativ marginal. Die eigentliche Sorge in der amerikanischen zionistischen Community bestand bis vor einigen Jahren darin, dem Wachstum der „unbesorgten Unentschlossenen“ entgegenzuwirken – jener Menschen, die sich einfach entfremdet hatten und kein Interesse mehr an Israel zeigten.

Die neue Angst ist jedoch die Abwanderung der „besorgten Engagierten“ in das wachsende Lager der „besorgten Unentschlossenen“. Die Ereignisse in Sheikh Jarrah und die jüngste Gaza-Kampagne waren ein Wendepunkt: Die „unentschlossenen Unentschlossenen“ sind in den Mainstream des jüdischen und nordamerikanischen Lebens und Diskurses eingetreten. Jüngste Umfragen zeigen, dass fast ein Drittel der amerikanischen Juden es für legitim hält, Israels Politik mit Apartheid in Verbindung zu bringen. (Alle englischen Zitate in diesem Text sind von mir übersetzt, CH)

Hartmann machte 1971 Alijah – und merkte schon damals als Teenager, dass Israel als Besatzungsmacht dem Zionismus enorm schadet. Das wurde seither nur noch schlimmer. Dabei weiß er natürlich, dass die Palästinenser keine Chance ausließen, eine Zweistaatenlösung anzunehmen – aber das entbindet Israel nicht von seinen eigenen Fehlern und der Siedlungspolitik und dem Rassismus.

Auf diesen Text weist der Kolumnist des Jewish Forward und Professor an der Brown University Dany Bahar am 29. Juli 2025 hin und resümiert:

Ein Israel, das bei der Mehrheit der Juden in der Diaspora kein Vertrauen und keine Verbundenheit mehr weckt, ist vielleicht nicht unmittelbar einer militärischen Bedrohung ausgesetzt. Aber es läuft Gefahr, seine Daseinsberechtigung zu verlieren: ein Staat, der nicht nur auf Souveränität, sondern auch auf einem gemeinsamen Schicksal gründet.

Wenn der israelische Außenminister Sa’ar jetzt sagt, es habe „noch nie einen Staat Palästina gegeben“ und Juden hätten das Recht in Judäa und Samaria zu siedeln, dann ist das rechtsextreme Propaganda. Es gibt die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, darin heißt es:

Unabhängige arabische und jüdische Staaten und das in Teil III dieses Plans festgelegte besondere internationale Regime für die Stadt Jerusalem sollen zwei Monate nach dem Abzug der Streitkräfte der Mandatsmacht in Palästina entstehen. (Herv. CH)

Der Zionist und Schriftsteller David Grossmann hat sich im Sommer 2023 für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel ausgesprochen (David Grossmann (2024): Frieden ist die einzige Option. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer und Helene Seidler, München: Hanser, S. 27-39).

Er war nach dem Massaker der Hamas und der Palästinenser vom 7. Oktober 2023 fassungslos und fragte:

Ich spreche von der Tiefe des Israelhasses, von der schmerzhaften Einsicht, dass wir Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und in ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen. Ununterbrochen bemüht, Athen und Sparta gleichzeitig zu sein. Immerzu fragend, ob uns jemals ein normales, von Angst und äußerer Bedrohung freies Leben vergönnt sein wird. Ein dauerhaft geborgenes Dasein. In einem behüteten Heim.

(Ebd., S. 47)

Der Staat Israel ist weltpolitisch im August 2025 so isoliert wie vielleicht noch nie in seiner Geschichte seit 1948. Das liegt an der rechtsextremen Politik der Regierung von Benjamin Netanyahu.

Ja, es gibt unglaublich viele Antisemit*innen, die am 7. Oktober jubelten und schon im Oktober 2023 „Genozid“ geschrien haben – und damit nicht das in der Tat genozidale Massaker der Hamas meinten, sondern Israel, noch bevor sich der Judenstaat zu wehren begann. Das sind jene, die am 7. Oktober stolz mit ihren Blut beschmierten Palästinensertüchern durch Heidelberg, Frankfurt, Duisburg, Berlin-Neukölln oder Berlin-Kreuzberg, Mannheim oder Heilbronn liefen. Das ist ein gefährliches und zu Gewalt bereites Antisemitenpack, schlichtweg.

Aber das darf Zionist*innen nicht abhalten, weiter kritisch und selber zu denken. Sie sollten endlich aufhören, nachzubeten, was die rechtsextreme israelische Regierung oder deren deutsche Sprachrohre sagen.

Man kann viel sinnvolle und zionistische Kritik an Israel im Jewish Forward, der Haaretz, in der Times of Israel und anderen Medien finden und man sollte vor allem immer eines tun: selber denken.

Wissenschaft ist immer noch das höchste Gut, das wir haben – und nicht Aktivismus, so wichtig der hie und da auch ist.

Der Herausgeber der Times of Israel David Horovitz schreibt am 30. Juli 2025:

Wird der Premierminister verspätet die am wenigsten schlechte der miserablen Optionen zur Beendigung des Krieges wählen – ein Abkommen, um alle möglichen Geiseln zurückzuholen, und die Bereitschaft, einen von den USA geführten internationalen und regionalen Mechanismus zum Aufbau eines nicht mehr gefährlichen Gazastreifens zu schaffen – zum Preis einer streng überwachten Rolle für die zutiefst problematische PA, aber ohne Rolle für eine entwaffnete, abgelöste Hamas? Ein solcher Schritt würde auch den globalen diplomatischen und potenziellen wirtschaftlichen Druck für eine palästinensische Staatlichkeit verringern, die die Hamas belohnen und Israel erneut bedrohen würde.

Oder ist er, der bereits Israels Justiz und demokratischen Charakter attackiert, entschlossen, eine unhaltbare, langfristig nicht tragbare Besetzung des Gazastreifens zu initiieren, die Israels Isolation vertiefen und es zu einem erweiterten Staat mit schwindendem jüdischen Anteil machen würde – was das vollständige Scheitern der jüdisch-demokratischen zionistischen Vision bedeuten würde?

Gleichzeitig verurteilen im Juli 2025 auf einer Konferenz in New York City, die von Frankreich und Saudi-Arabien initiiert wurde, arabische Staaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und andere den Terror der Hamas vom 7. Oktober, fordern ein Ende der Hamas – und Übergabe der Waffen etc. an die Palästinensische Autonomiebehörde – und erkennen den jüdischen Staat Israel an und fordern eine Zweistaatenlösung. Gerade jetzt!

Das ist eine ungeheuerliche Ungleichzeitigkeit – Israel begeht die wohl schlimmsten Verbrechen in seiner Geschichte – als völlig aus dem Ruder gelaufene Reaktion auf das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah durch Palästinenser, die Hamas und dem Islamischen Dschihad am 7. Oktober 2023 – und die arabischen Staaten erkennen den einzigen Judenstaat endlich an und fordern: Frieden. Zwei Völker, zwei Staaten.

Update, 4. August 2025:

Der Fellow bei der Foundation for the Defense of Democracies Hussain Abdul-Hussain schreibt in einem Blog-Text für die Times of Israel, dass diese Initiative allerdings auf der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 basiert, die ein „Rückkehrrecht“ für palästinensische und jüdische Flüchtlinge vorsieht. Es ist natürlich eine absurde Resolution, da sie den jüdischen Charakter Israels in Frage stellt, damals wie heute. Wobei die damals ca. 700.000 vertriebenen und auch aus eigenen Stücken gegangenen Araber sich heute auf ca. 5,9 Millionen vermehrt haben. Das Absurde ist, dass sich dieser Flüchtlingsstatus vererbt, was natürlich völkerrechtlich höchst zweifelhaft ist – da nahe alle heute lebenden Palästinenser nach 1948 geboren wurden und gar nicht vertrieben wurden. Wie Hussain Abdul-Hussain festhält, haben 5 Millionen der heute 5,9 Mio. behaupteten palästinensischen „Flüchtlinge“ eine andere Staatsangehörigkeit, z.B. deutsch, niederländisch, amerikanisch. Die Einfügung dieses Passus in das 30-seitige Dokument ist insofern für Israel nicht tragbar:

14. We urged rnernber States, the United Nations, its agencies, international organizations to provide resources and assistance at scale to support recovery and reconstruction, including through a dedicated reconstruction international Trust Fund to that airn. We underlined the indispensable role of UNR W A, and expressed our cornrnitrnent to continue supporting, including through the appropriate funding, the agency in the irnplernentation of its rnandate and welcorned its cornrnitrnent and ongoing efforts to irnplernent the recornrnendations of the Colonna report. Upon the achievernent of a just solution to the Palestinian refugee issue to be agreed upon in accordance with U.N. General Assernbly Resolution 194, UNRWA will hand over its public-like services in the Palestinian territory to ernpowered and prepared Palestinian institutions.

Von daher ist es auch so wichtig, von Israel als jüdischer Staat zu sprechen – genau genommen jüdisch und demokratisch, was in der Tat in Frage steht aufgrund der rechtsextremen Politik von Netanyahu seit vielen Jahren – und nicht nur von Israel. Denn Palästinenser würden gegebenenfalls ein Israel, das kein jüdischer, sondern ein binationaler Staat mit einer potenziell arabischen Mehrheit wäre, auch leichter anerkennen.

Dass eine Anerkennung eines Staates Palästina am Ende des Friedenssprozesses stehen sollte, war lange Jahre Konsens. Jetzt erodiert das – Frankreich wird Palästina anerkennen, vermutlich auch UK und Kanada, was die FAZ auf die Palme bringt.

Doch was, wenn gerade die arabischen Staaten die Hamas ausschalten wollen, diplomatisch?

Man hätte doch, wenn der Judenhass so groß ist in der arabischen Welt, erwarten müssen, dass die arabischen Staaten sich jetzt so stark gegen Israel wenden wie selten zuvor.

Aber was tun sie? Sie bieten Frieden an – WENN, ja nur wenn Israel eine Zweistaatenlösung akzeptiert – was wie gesagt mit der UN-Resolution 194, die Israel zwar taktisch unterschrieben hat, aber nicht umsetzen wird und kann, niemals gehen wird. Es gibt kein Rückkehrrecht für Palästinenser, die überhaupt nicht vertrieben wurden und selbst jene, die vertrieben wurden, haben kein solches Recht – denn dann hätten völkerrechtlich gesehen auch über 12 Millionen Deutsche direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein Rückkehrrecht nach Pommern, Schlesien etc. bekommen müssen, was sie natürlich nicht bekamen. Sie haben einen Krieg verloren – so wie die Araber 1948 den Krieg gegen Israel verloren haben.

Das heißt: Ende der Siedlungen im Westjordanland und jene, die dort sind, können Teil eines Staates Palästina werden, womit auch die Palästinenser lernen könnten – wie die Juden in Israel -, was es heißt, mit einer ca. 20-prozentigen nationalen Minderheit im Staat zu leben. Völlig unrealistisch, in der Tat. Aber in Israel klappt es seit 1948 …..

Wenn das hier und heute nicht ein historischer Moment ist, was dann?

Schlechter als Israel kann man eine solche Mega-Krise gar nicht kommunizieren.

Warum lässt Israel keine Journalist*innen aus Gaza berichten? Weil niemand sehen soll, was dort passiert, ganz einfach. Würde Israel sich an das Kriegsrecht halten, müsste es keine Angst vor unabhängigem Journalismus haben. Dass es viele böswillige und antisemitische Journalist*innen gibt – klar. Aber es könnten ja auch die zionistischen und trotzdem unabhängigen Journalist*innen berichten und Fake News korrigieren etc. pp.

Doch Netanyahu wird alles tun – alles – um den Krieg weiter zu verlängern, an der Macht zu bleiben, die Besatzung im Westjordanland auszubauen und die Siedlergewalt offensiv zuzulassen und Pläne für die völlige Zerstörung Gazas zu forcieren, inklusive der Hungerpolitik gegenüber Gaza – ein Bruch mit dem Völkerrecht und dem Kriegsrecht.

In den USA schwindet der Rückhalt für Israel dramatisch.

Der bekannte, junge, zionistische Journalist und Senator Jon Ossoff aus dem US-Bundesstaat Georgia hat sich vor wenigen Tagen gegen bestimmte Waffenlieferungen wie Gewehre an Israel ausgesprochen („Erstmals Mehrheit von Linksliberalen im US-Senat für Blockade von Waffenlieferungen an Israel„), zugleich aber grundsätzlich betont, dass Israel Waffen braucht, um sich vor Angriffen zu schützen – aber er will keine Waffen an den Fascho Ben Gvir schicken lassen, der Oberster Polizeichef in Israel ist.

Wenn jetzt Deutschland und Jordanien Hilfsgüter über Gaza mit Flugzeugen und Hubschraubern via Fallschirmen abwerfen – ist das ein Katastrophe für Israel. Zwar sind die geringen Mengen an Nahrung oder Medizin, die auf diese Weise in den Gazastreifen gelangen, wirklich nur symbolisch – aber noch symbolischer ist es, dass eine Demokratie, die Israel ja auf dem Papier ist, eine ganze Bevölkerung aushungert und andere Länder mit solchen Maßnahmen helfen müssen, was gerade von engen Freunden wie Deutschland bemerkenswert ist.

Das brachte die bekannte Fernsehmoderatorin Yonit Levi von Channel 12 dazu, von einem „moralischen Versagen“ Israels zu sprechen  – live im TV – und nicht nur von einem „Versagen der PR-Kampagne“. Dafür wird sie von rechten Medien und Hetzern aller Art unter anderem als „Sprecherin der Hamas“ diffamiert, wie die Haaretz berichtet. Yonit Levi betreibt auch den Podcast Unholy mit dem Guardian-Kolumnisten Jonathan Freedland, der meist die liberal-zionistische Position vertritt, während sie immer eher mainstreamiger und angepasster redet und wirkt. Das hat sich jetzt etwas geändert, wie auch die Haaretz festhält.

Der Professor für Jüdische Studien an der University of California Los Angeles David N. Myers, der auch viel zu Zionismus und zu Antisemitismus forscht, schreibt am 31. Juli 2025 – und das, was er meint, kann man sicher auch säkular übersetzen und man kann Solidarität mit den Palästinensern haben ohne gleich einen „Gottesdienst“ mitzumachen, das ist eh klar:

Tisha B’Av [dieser jüdische Feiertag beginnt am heutigen Samstagabend, CH] erinnert in der Regel an eine Reihe von Katastrophen, die das jüdische Volk heimgesucht haben, beginnend mit der Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels in der Antike. Letztes Jahr wurde an Tisha B’Av das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in die lange Kette jüdischen Leidens aufgenommen, und es wurden neue Kinot, poetische Klagelieder, verfasst, um den unerträglichen Schmerz dieses Tages zum Ausdruck zu bringen.

Aber dieses Jahr ist es anders. Die Juden sind nicht die Opfer. Wir sind die Täter.

(…)

Zunächst müssen wir die palästinensischen Opfer dieser schrecklichen Gewalt beim Namen nennen, sie menschlich machen und bei jeder Gelegenheit laut für ihr Wohlergehen beten, genauso wie wir für die Rückkehr der israelischen Geiseln beten, die noch immer in Gaza festgehalten werden.

Zweitens müssen wir neue liturgische Formen in unsere Gottesdienste integrieren, die nicht nur die verzweifelte Lage der Palästinenser in Gaza zum Ausdruck bringen, sondern auch ihre grundlegende Menschlichkeit. Dabei sollten wir der Bitte eines der bedeutendsten Dichter aus Gaza, Refaat Alareer, Folge leisten, der prophetisch schrieb, bevor er bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam: „Wenn ich sterben muss, lebe du, um meine Geschichte zu erzählen.“

Dany Bahar läutet die Alarmglocke – doch wer wird sie hören? Die schweigenden ach-so-dermaßen-unbedingt-pro-israelischen Aktivist*innen und Publizist*innen hierzulande? In USA sind sie da hellhöriger und kritischer:

Für viele von uns haben die Argumente, mit denen wir Israel lange Zeit erklärt, verteidigt und uns mit ihm solidarisiert haben, angesichts der glaubwürdigen Berichte über die aktuellen Ereignisse vor Ort keine Gültigkeit mehr.

Israel sollte alarmiert sein, wenn die schweigende Mehrheit der Juden in der Diaspora – viele von ihnen „besorgte, engagierte Zionisten“ –, die ihm mit Liebe und Kampfgeist zur Seite gestanden haben, beginnt, sich abzuwenden. Und es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist.

Es ist antisemitisch, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Das tut die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“. Man sieht das auch auf T-Shirts oder Postern antizionistisch-antisemitischer Gruppen und Aktivist*innen, da die Landkarte dort nur ein Land kennt: Palästina, womit Gaza, die Westbank und Israel gemeint sind. Jetzt hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin eine Aktivistin freigesprochen, die diesen Vernichtungsslogan gegen den einzigen Judenstaat hinausschrie und sich auch dazu bekennt. Der Richter hat „Hochachtung“ vor dem Engagement der Täterin, die Staatsanwaltschaft ist konsterniert und legt erstmal ein „unbestimmes Rechtsmittel“ gegen den Freispruch ein.

Das macht natürlich in der Pro-Israel Szene seine Runde, zu Recht. Aber dafür schweigen die meisten dieser Aktivist*innen zur rechtsextremen und Hungerpolitik von Netanyahu, der israelischen Regierung wie der israelischen Armee IDF.

Daher eine weitere jüdisch-zionistische Stimme aus dem Forward, der Kolumnist Sruli Fruchter schreibt am 25. Juli 2025:

Rabbi Abraham Isaac Kook, der geistige Großvater des religiösen Zionismus, verurteilte Nationalismus oft als eine Form von unmoralischem Chauvinismus, der zwangsläufig in Brutalität enden würde. Was den jüdischen Nationalismus seiner Meinung nach von anderen unterschied, war, wie Rabbi Yoel Ben-Nun einmal schrieb, sein Engagement für die Menschheit „als Paradigma für Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Gesetz für alle Völker“.

Man braucht nur einen Blick auf die Fotos und Videos aus Gaza zu werfen, um das dortige Grauen zu sehen – ausgemergelte Kinder, hungernde Mütter, zerstörte Hoffnung – und zu erkennen, wie sehr Israel versagt. Der größte Verrat besteht darin, diese Hungersnot weitergehen zu lassen, anstatt zuzugeben, dass sie stattfindet.

Für unabsehbar lange Zeit werden Bilder von Hungernden jetzt mit Israel assoziiert. Ein unfassbarer Vorgang, an dem Israel Schuld trägt und niemand sonst – es ist die Besatzungsmacht und könnte unendlich viele LKWs in den Gazastreifen lassen, damit die Hamas gar nicht hinterherkäme, die zu plündern und der Preis auf dem Schwarzmarkt würde ins Bodenlose fallen. Doch das will Israel absichtlich nicht. Sie wollen Hunger verbreiten. Und das muss aufhören – der Schaden ist ohnehin auf Jahre und Jahrzehnte angerichtet. Hungernde Kinder und Israel ist Schuld – das bleibt in Milliarden Köpfen jetzt hängen. Gerade auch nicht-antisemitische Menschen können einen solchen Staat nicht mehr bedingungslos unterstützen, das sagen alle hier zitierten Autorinnen und Autoren.

Denn schließlich sagt der berühmteste von ihnen, der oben zitierte, zionistische, preisgekrönte und in über einem Dutzend Sprachen übersetzte israelische Schriftsteller David Grossmann am 1. August 2025 Folgendes:

Der preisgekrönte israelische Autor David Grossman bezeichnete am Freitag erstmals die Militäraktion seines Landes im Gazastreifen als „Völkermord“ und erklärte in einem Gespräch mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, dass er diesen Begriff mit „großem Schmerz und gebrochenem Herzen“ verwende.

Seine Äußerungen erfolgten vor dem Hintergrund wachsender weltweiter Besorgnis und Empörung über die weit verbreitete Hungersnot in dem vom Krieg zerrütteten Gebiet aufgrund unzureichender Lebensmittelversorgung.

„Viele Jahre lang habe ich mich geweigert, den Begriff ‚Völkermord‘ zu verwenden“, sagte der bekannte Schriftsteller und Friedensaktivist der Zeitung. „Aber jetzt, nachdem ich die Bilder gesehen und mit Menschen gesprochen habe, die dort waren, kann ich nicht anders, als ihn zu verwenden.“

Sicher wird der Großteil der deutschen Oberlehrer*innen, die in der Pro-Israel Szene aktiv sind, David Grossmann als Israelfeind, Antizionist oder Antisemit diffamieren. Weil eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, niemand so gut weiß, was für Juden wirklich gut ist, als (nicht-jüdische) Deutsche aus der Pro-Israel Szene.

Sapere aude.

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