Die Alltäglichkeit und Unbekümmertheit eines lächelnden, jauchzenden Antisemitismus

in Deutschland und im ZDF

Natürlich wird das ZDF seine Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein nicht entlassen. Warum auch? Die Nazis im Internet jubeln doch. Wie heißt es auf dem rechtsextremen Portal „altermedia“:

„Noch sichtlich unter Schock stehend schreibt Springers Parade-Blatt:
“…Was sich im TV schnell versendete, führte umgehend zu großen Diskussionen vor den Fernsehgeräten und in den Internetforen.
So schrieb beispielsweise User GHERKIN auf seiner Seite: “Ihren Nazispruch vom ‘inneren Reichsparteitag’ können Sie sich gestrost sonstwo hinstecken. Als Jude in Deutschland bin ich absolut nicht amused!”. Nutzer “forschungstorte” schrieb bei twitmunin.com: “‘Innerer Reichsparteitag’ ist Nazi-Deutsch und hat nichts in der Umgangssprache zu suchen!”. Mtwirth bemerkt: “Das ZDF ist ja als Hort der Spracharmut bekannt, aber… ‘innerer Reichsparteitag’? Mir steht der Mund immer noch offen.”

Was soll man dazu sagen, außer vielleicht, daß, wenn Itzig Gehrkin not amused ist, er sich vielleicht einen Kibbuz außerhalb Deutschlands suchen sollte, das würde zumindest uns amüsieren.

Immerhin schön, daß das ZDF erstmals wirklich was für UNSERE Gebühren getan hat. Nicht viel, aber der Mensch freut sich.“

 

Antisemitismus und nationale Identität gehen eine typisch deutsche Symbiose ein. Der Kern des Skandals liegt genau darin: wenn Deutsche sich freuen, kommen sie ins Schwelgen ob der großartigen deutschen Geschichte. Holocaust, Reichsparteitage, Nazi-Symbole, Fahnenmeere, Lichtdome, Hetzreden, Nürnberger Gesetze: das wird alles goutiert.

Warum stellen sich so wenige folgende Fragen: was hat Katrin Müller-Hohenstein während ihrer Schulzeit getan? Wie wurde bei ihr zu Hause über den Nationalsozialismus gesprochen? Was für einen Freundes- und Bekanntenkreis hat diese Frau? Was für Gespräche liefen die letzten Jahre und Jahrzehnte mit Kolleginnen und Kollegen? Wie kommt eine Frau dazu, das Wort vom „inneren Reichsparteitag“ zu benutzen?

Hätte sich Müller-Hohenstein jemals kritisch mit der deutschen Geschichte beschäftigt, könnte sie so ein Wort nicht benutzen. Nazis wie jene von altermedia jauchzen, das ist kein Wunder. Es sollte die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten für lange Zeit nachdenklich stimmen, dass so ein Wort im größten Freudentaumel einfach so herausplumpst aus dem Mund einer bekannten und erfahrenen Moderatorin. Müller-Hohenstein wollte ja was Schönes sagen, sie wollte Klose loben und mit ihm jubeln.

Deshalb hat sie dieses Wort vom „inneren Reichsparteitag“ gewählt, nicht als Distanz, Ironie, wie nun hergelaufene Sprachwissenschaftler insinuieren. Dieses Wort indiziert was für eine politische Kultur in der Bundesrepublik heute herrscht und warum dieses Land seit 2006, spätestens, Deutschland heißt.

Es ist das Unbewusste, ein Sediment der Gesellschaft, das hinaus drängt. Das Sagbare hat sich in der BRD allerspätestens seit Martin Walsers Paulskirchenrede im Oktober 1998 gewandelt. Die Deutschen werden wieder richtig frech und die Juden sollen ruhig sein. Das ist der Tenor.

Telepolis hat das ganz treffend in Worte gefasst:

„Im Eifer des Gefechts, da kommt es eben manchmal heraus. Wie der Arm des Dr. Seltsam, der in gewissen Momenten der Erregung quasi reflexhaft nach oben zuckt, wird die Sprache der deutschen Sportreporter aus Anlass von Europa- und Weltmeisterschaften martialisch, wird der Kampf zum Krieg, das Spiel zum patriotischen Dienst, müssen Spieler Hymnen singen, und Zuschauer Flaggen flaggen. „Lasst uns doch unseren Spaß“ wird dann denen entgegnet, die das nicht witzig finden. Aber auch wenn wir, „jetzt mal ganz im Ernst“, Frau Müller-Hohenstein ihren Reichsparteitagsspaß lassen wollen: Kann man eigentlich nicht, „jetzt mal ganz im Ernst“, für Fußball sein, ohne ab und an in den Jargon der Nazis zu verfallen?

Klar, das ZDF ist ein Opa-Sender, und da muss man sich halt an die Sprache des Publikums anpassen. Und auch klar: Früher, da musste ein Kind, das etwas in der Schule nicht lernen wollte, eben den Stoff später „bis zur Vergasung“ üben, vielleicht mancher Fußballer auf dem Platz auch die Flanken richtig zu schlagen. Allemal heißt der erfolgreichste Stürmer der Fußballgeschichte in Deutschland, wie Fußballfans wissen, „Bomber“ Müller.

Frau Müller-Reichsparteitag, der die „Süddeutsche“ ein „Champions-League-würdiges“ Selbstbewusstsein attestiert, und die einst von Nikolaus Brender als „Lattenkracher“ geholt wurde, hat sich mit ihrem Kommentar, „jetzt mal ganz im Ernst“, jedenfalls selbst ins kollektive Gedächtnis der Nation eingeschrieben: Schnell brandete Protest auf – und ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz versprach diese „sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause“ werde „nicht wieder vorkommen“. Vielleicht aber eine andere?

Umso merkwürdiger ist eine Äußerung von Dieter Graumann vom Zentralrat der Juden in Deutschland, der offenbar völlig ernsthaft meint, es sei „keine böse Absicht gewesen“ von Frau Müller-Hohenstein.

Natürlich nicht, DAS ist doch die Pointe.

Wer sich jemals mit dem Nationalsozialismus kritisch beschäftigt hat, kann dessen Sprache nicht verwenden, die nur die Totalität des Führer- und Rassestaates und der deutschen Volksgemeinschaft widerspiegelt. Gerade jetzt wo die Deutschen ihre Fahnen und Fähnchen wieder schwenken um sich rauschhaft als Gemeinschaft zu erleben und nicht als denkende oder fühlende je Einzelne, als Individuen, in einer solchen Zeit ist es umso wichtiger in Erinnerung zu rufen, was auf dem Reichsparteitag 1935 beschlossen wurde:

„Auf dem sogenannten ‚Reichsparteitag der Freiheit‘ am 15. September 1935 in Nürnberg wurden, Hitlers Befehl gemäß, das ‚Reichsflaggengesetz‘, das ‚Reichsbürgergesetz‘ und schließlich das berüchtigte ‚Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre‘ verabschiedet. In diesem ging es erstmals in einem Gesetz nicht mehr nur um ‚Nichtarier‘, sondern um ‚Juden‘. Explizit wird die Eheschließung ‚zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes‘ verboten. Weiter wurde es ‚Juden‘ verboten, ‚weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt zu beschäftigen‘, ebenso das ‚Hissen der Reichs- und Nationalflagge‘.“[i]

Nochmal: Der Kern des Skandals ist, Müller-Hohenstein wollte gar nicht provozieren, wie seinerzeit Walser oder Hohmann oder Möllemann etc. Sie war ganz bei sich, ganz normal. Alltag im ZDF. Ich möchte die Klosprüche der ZDF-Zentrale (also die Sprüche auf den Toilettentüren- und wänden) nicht lesen müssen.

Das Schreckliche ist: was denkt eine Deutsche, wenn sie an den NS-Staat denkt? Was für Wörter oder Analogien kommen ihr in den Sinn, wie sie ganz glücklich und ergriffen ist, heute, im Jahr 2010?

Das ZDF und seine Star-Moderatorin meinten es nur gut, dachten klammheimlich an die ‚Volksgemeinschaft‘, die doch auch 1933 fröhlich feierte, auf dem Reichsparteitag, wie Viktor Klemperer berichtete:

„19. September [1933]: Im Kino Szenen vom Nürnberger Parteitag. Hitler weiht durch Berührung mit der Blutfahne von 1923 neue SA-Standarten. Bei jeder Berührung der Fahnentücher fällt ein Kanonenschuß. Wenn das nicht eine Mischung aus Theater- und Kirchenregie ist! Und ganz abgesehen von der Bühnenszene – schon allein der Name ‚Blutfahne‘. ‚Würdige Brüder, schauet hier: Das blutige Märtyrium erleiden wir!‘ Die gesamte nationalsozialistische Angelegenheit wird durch das eine Wort aus der politischen in die religiöse Sphäre gehoben. Und die Szene und das Wort wirken fraglos, die Leute sitzen andächtig hingegeben da – niemand niest oder hustet, nirgends knistert ein Brotpapier, nirgends hört man das Schmatzen beim Bonbonlutschen. Der Parteitag eine kultische Handlung, der Nationalsozialismus eine Religion – und ich will mir weismachen, er wurzele nur flach und locker?“[ii]

A propos ‚Theaterregie‘: Katrin Müller-Hohenstein hat Theaterwissenschaften studiert, auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: hat sie sich mit dem Nationalsozialismus jemals distanziert befasst oder nur affirmativ? Denn irgendwo muss sie sich ja damit befasst haben, so ein Wort vom „inneren Reichsparteitag“ ist ja ein spezifisches.

In einem biographischen Bericht beschreibt ein 1931 geborener Mann, „Opa Kalli„, seinen heutigen Enkelkindern, wie er z. B. die Sprache des Nationalsozialismus erinnert:

„Ab 1939 gab es wegen des Krieges keine Reichsparteitage mehr.
Aber die festliche Stimmung, die wohl an diesen Parteitagen große
Teile des Volkes wirklich ergriffen hatte, blieb im Gedächtnis haften,
verklärte sich in der Erinnerung, vor allem bei den echten Nazis.
Wenn einem ein Ereignis besonders gut gefallen hatte und man
deswegen in ausgezeichneter Laune war, sagte man dann wohl: ‚Das
ist mir ein innerer Reichsparteitag!‘ Ich habe diese Redewendung in
der Nazizeit oft gehört; sie wurde volkstümlich, wurde schließlich
gedankenlos gebraucht und bedeutete dann nicht mehr als etwa der
Satz: ‚Das ist ein Gefühl wie zweimal Weihnachten‘ oder: ‚…wie
Weihnachten und Ostern zusammen‘. Auch in den Jahren nach dem
Krieg blieb sie im Sprachgut lebendig. Vielleicht um 1975 kam mir
der Ausdruck vom inneren Reichsparteitag zum letzten Mal zu Ohren,

diesmal jedoch von einem wirklichen ‚alten Nazi‘, meinem
Lehrerkollegen B., der in der Nazizeit ‚Stammführer‘, also ein höherer
HJ-Führer gewesen war, wovon er manchmal schwärmte: ‚Das
waren noch Zeiten!“

Dieser autobiographische, selbstreflexive Rückblick hat weit mehr Erkenntnisgehalt als die KMH- bzw. NS-apologetischen Sprach-Fantasien des Welt-Autors Tilman Krause vom 14.06.2010.

Was hat das nun mit Ahmadinejad zu tun? Der Zusammenhang ist folgender: kann man von Leuten, die den Nationalsozialismus nicht verabscheuenswert finden und offenbar keinen Ekel vor, eher eine Nähe zu der nationalsozialistischen Sprache haben, eine Distanz oder Kritik des Antisemitismus heute erwarten können? Was soll man von Moderatorinnen oder Kommentatoren erwarten, wenn sie nach der Shoah und nach den Reichsparteitagen immer noch glauben, wie die Nazis von altermedia, dass es schön und gut und prima war, was im SS-Staat passierte? Wie soll sich jemand von der iranischen, antisemitischen Hetze abgestoßen fühlen, wenn sich an die Nazi-Sprache angeschmiegt wird?

Kann man von Deutschen (und ihren Freunden) eine Kritik am antisemitischen Iran erwarten, wenn sie noch nicht einmal die NS-Vergangenheit und den Holocaust erinnern und sich von der Sprache des Nationalsozialismus distanzieren?

Wer sich nicht vor Reichsparteitagen ekelt hat auch kein Problem mit dem heutigen Iran.

Wer stolzdeutsch gerade im Jubel und in großer Freude sich auf Nazi-Deutschland bezieht, die oder der hat überhaupt nichts aus der Geschichte des Holocaust gelernt.

Wer jedoch aus der Geschichte des Holocaust nichts gelernt hat ist auch unfähig den auf Vernichtung des jüdischen Staates Israel zielenden Antizionismus und Antisemitismus des Iran auch nur annähernd zu erfassen.

Da Katrin Müller-Hohenstein Blogs zufolge völlig korrekt gehandelt habe oder halt, so das ZDF, ein „Fehler“ unterlaufen sei, völlig zufällig, ist eine Kritik am Antisemitismus in Deutschland nicht zu erwarten. Die Frage ist jedoch: was für eine Persönlichkeitsstruktur hat Müller-Hohenstein, über was und in welchen Tönen redet sie am Frühstückstisch oder beim Lunch? Kommt da die NS-Sprache, lächelnd, auch regelmäßig vor?

Die Deutschen (nicht alle, aber viele) kommen immer noch oder schon wieder ins Schwärmen, wenn sie stolz ihr Fähnchen schwenken und ihre Ich-Losigkeit zelebrieren.

Der weltweite Antisemitismus, die unfassbaren Lügen und die aggressive Hetze gegen Israel machen den meisten Menschen nichts aus, ja viele machen sich einen Spaß daraus zu fantasieren, wie lange es der jüdische Staat wohl noch machen werde.

Die Partei Die Linke unterstützte Islamisten und Nazis auf dem Schiff Mavi Marmara und veranstaltet jetzt wie letzten Samstag in Berlin Demonstrationen zur „sozialen Frage“ mit 20.000 Teilnehmern. Wir kennen die Propaganda in Deutschland für „Sozialismus“ und gegen Amerika und die Juden – so eng UND massenwirksam war das Bündnis von Antisemitismus und „sozialer Frage“ jedoch längere Zeit nicht.

Viele, auch konservative oder liberale, irgendwie Stolzdeutsche wollen jetzt das Wort vom „inneren Reichsparteitag“ als Lapsus oder Bagatelle abtun. Doch das rechtsextreme altermedia hat ungeniert und feixend erkannt, um was es geht: das ZDF hat den Deutschen aus der Seele gesprochen, nicht allen, aber sehr vielen. Gerade das Spontane und Unbewusste und Glück hinaus schreiende ist es, was diese Sache zu einem Skandal macht – und doch nur deutsche Normalität massenmedial repräsentiert.

Wer von Katrin Müller-Hohenstein und ihrem antisemitischen Wort vom „inneren Reichsparteitag“ nicht reden will, soll vom antizionistischen Iran und Ahmadinejad schweigen.


[i] Raphael Gross (2000): Carl Schmitt und die Juden. Eine Rechtslehre, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 116.

[ii] Victor Klemperer (1957)/1996: LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig: Reclam Verlag, S. 49.