Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Autor: Clemens Heni Seite 61 von 70

Erinnern, um zu vergessen

Erinnern, um zu vergessen

 

Alfred Grosser attackiert Israel am 9. November 2010

 

Die Abwehr der Erinnerung an die präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen im Holocaust nimmt tagtäglich zu. Historische Daten wie die Pogromnacht vom 9. November 1938 ziehen die Verharmloser, Schönredner und Erinnerungsverweiger heutzutage besonders an. Am liebsten wird der Holocaust banalisiert und irgendwie klappt es immer, Israel mit ins Spiel zu bringen.

Das Publikum, die Medien und die interessierte Öffentlichkeit sind geradezu geil auf obszöne historische Komparatistik mit Gegenwartsbezug.

 

Wer die Situation von Palästinensern heute mit der Situation von Juden 1938 im Nationalsozialismus auch nur im aller geringsten in Beziehung setzt, agiert antisemitisch.

 

Wer so redet stellt eine Beziehung von Juden als Opfer des Vernichtungsantisemitismus der Deutschen und heutiger Politik des Staates Israel her. Allein die Erwähnung von Menschenrechten und Israel an einem solchen Tag wie dem 9. November ist eine Unverschämtheit aus dem Munde von Menschen, die es besser wissen könnten, wären sie nicht so fanatisiert wie Alfred Grosser.

Grosser betreibt gleichermaßen eine Infantilisierung und Vertrottelung der Erinnerung an die Shoah. Er möchte gar nicht erinnern, vielmehr dient ihm ein solcher Tag wie der 9. November nur dazu, die altbekannten Ressentiments gegen den jüdischen Staat mediengerecht hinaus zu posaunen.

Die Märkische Oderzeitung berichtet über die heutige Rede von Grosser in der Frankfurter Paulskirche:

 

Grosser rief dazu auf, die Leiden anderer anzuerkennen. So sei beispielsweise die Art, wie Ausländer ‚hier und anderswo‘ behandelt werden könnten, eine Verletzung der Grundwerte. An den Anderen zu denken sei eine Voraussetzung für den Frieden, meinte der in Frankfurt geborene Sohn jüdischer Eltern. Man könne von keinem Palästinenser verlangen, ‚dass er die Schrecken der Attentate versteht, wenn man nicht ein großes Mitgefühl hat, die Leiden im Gazastreifen zu verstehen‘.“

 

Terroristen sind für den Redner in der Paulskirche das gleiche wie eine demokratische Armee.

Kein Wunder, dass er sich am Ende positiv auf Luther bezog (nein, sicher nicht ‚nur‘ deshalb, weil auch Luther Synagogen brennen sehen wollte…). Viel ekliger als mit Luther kann man eine solche Rede schwerlich beenden. Aber es ist konsistent, antijudaistischer Antisemitismus und antizionistischer sind eng verwandt.

 

Sodann: Wo wird heute in Deutschland oder Frankreich vom Staat geplant alle Moscheen des Landes anzuzünden, auszurauben, zu zerstören, Muslime oder andere „Ausländer“ in KZs zu stecken, ihre Wohnungen und Ladengeschäfte zu demolieren?

 

„Grosser fasste zusammen: ‚Auschwitz ist die Grundlage dafür, dass man an den Anderen denkt.‘“

 

Das ist vollkommen absurd. Es ist infantil, weil es so tut, Kindern sagen zu wollen, doch bitte lieb zueinander zu sein, ‚den anderen‘ immer und überall zu schätzen und bitte, bitte nicht zu vergasen. Und es insinuiert dass die Palästinenser arme Würstchen seien und ganz a priori keine Antisemiten, sondern ‚die anderen‘, wie früher die Juden.

 

Micha Brumlik hat Grossers heutige Rede scharf kritisiert:

 

„Der Erziehungswissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main warf Grosser außerdem vor, mit einer solchen Rede historisches Bewusstsein zu zerstören: ‚Gewollt oder ungewollt stellt er nun eine Verbindung zwischen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und den Verbrechen der Nationalsozialisten gegenüber den Juden her. Das verfestigt sich im populären Geschichtsbewusstsein und führt dann zu solchen Aussagen, wie dass die Juden auch nicht besser sind, weil sie den Palästinensern dasselbe antun wie die Nazis den Juden.‘“

 

Man kann an einem Tag wie dem 9. November sehr wohl eine Beziehung zu heute ziehen: Antisemitismus ist eine Gefahr, so groß wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Der Iran hat öffentlich angekündigt, eine „World without Zionism“ zu schaffen. Das wird durch jahrzehntelangen arabischen, muslimischen, linken, rechten, jüdischen und zunehmend westlichen Mainstream-Antizionismus ergänzt. Und auch hier ist Deutschland an vorderster Front mit dabei: Geschäfte mit Iran wie auch politische Reisen in den Iran unterstützen den Antisemitismus des Iran.

 

In einem Gespräch mit dem Deutschlandradio sagte selbst Micha Brumlik dass Grosser das „Thema verfehlt“ habe, er sprach einfach kaum oder gar nicht über den 9. November 1938, den Nationalsozialismus und die deutsche Schuld. Die Einladung an Grosser von Seiten der Frankfurter Oberbürgermeisterin Roth war eine „eindeutig falsche Einladung“, die ganze Veranstaltung „skandalös“. Die Zuhörerinnen und Zuhörer, immerhin ca. 900 Leute, waren offenbar ganz happy, was sich darin zeigte, dass das Publikum dem Erinnerungsverweigerer und israelfeindlichen Hauptredner „Standing Ovations“ zollte, auch Dieter Graumann klatschte schließlich, wie die SZ kichernd berichtet.

 

Heutzutage schreibt eine Partei wie die extrem rechte „Die Freiheit“, welche sich kürzlich in Berlin gründete, in ihrem Programm:

 

„Jahrzehnte hindurch haben Meinungsmacher und Politiker dabei mitgewirkt, das Schuldbewusstsein der Deutschen wachzuhalten, was die Identifikation mit ihrer eigenen Nation schwinden ließ. Wir Deutsche dürfen uns nicht auf die zwölf Jahre einer verbrecherischen Periode reduzieren lassen, es muss uns erlaubt sein, auf die kulturellen und historischen Leistungen des Deutschen Volkes stolz zu sein, ohne die Tiefpunkte unserer Geschichte auszublenden.”

 

Das ist Deutschland 2010.

 

Stolz auf Deutschland, eine Leugnung der Spezifik des Antisemitismus und eine täglich frecher, infantiler wie auch vertrottelter werdende „Israelkritik“ sind der Kern des Problems.

 

Das Original dieses Textes ist hier erschienen.

 

 

Salonfähiger Hass auf Israel

Salonfähiger Hass auf Israel

Ex-Israeli sind die neuen Superhelden in Germany: der Fall Tamar Amar-Dahl

Von Dr. phil. Clemens Heni

Der Jüdische Salon am Grindel e.V. in Hamburg plant mit dem von Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum geleiteten Institut für die Geschichte der Deutschen Juden (IGDJ) am 8. Dezember 2010 eine Buchvorstellung mit Dr. Tamar Amar-Dahl über deren Dissertation zu Shimon Peres.

Schüler-Springorum ist die designierte Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) und wird voraussichtlich im Frühjahr 2011 in Berlin ihren Job antreten. Die Veranstaltung mit Amar-Dahl soll zufällig auf den Tag genau zwei Jahre nach der Tagung „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ des ZfA stattfinden, welche „Islamophobie“ mit Antisemitismus analogisierte.

Dr. Tamar Amar-Dahl hat 2008 in München an der Ludwig-Maximilians-Universität über Shimon Peres promoviert. Sie ist eine höchst umstrittene Wissenschaftlerin und politische Aktivistin.

Seit 2009 ist sie Lehrbeauftrage an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aus Anlass des Krieges Israels gegen die Iran-gesteuerte, antisemitische Terrortruppe Hezbollah im Libanon im Jahr 2006 hat sie ihren israelischen Pass zurück gegeben und ist jetzt Deutsche.

Darüber berichtet die Zeit; in einer Rezension zu ihrer Dissertation in der FAZ heißt es:

„‘Der den Frieden in seinen Himmelshöhen stiftet, stifte Frieden unter uns und ganz Israel.‘ Mit dem Kaddisch-Gebet begann Staatspräsident Peres seine historische Rede am 27. Januar 2010 im Deutschen Bundestag. Das entsprach ganz dem Bild vom Friedenspolitiker, das man insbesondere in Deutschland vom 86 jährigen, dienstältesten Politiker Israels hat. Tamar Amar-Dahl will nun dieses Bild zerstören. Das hat wohl auch etwas mit ihrer Vita zu tun: 1968 als Tochter eines aus Marokko eingewanderten Rabbiners in Israel geboren, dort sozialisiert, mit zwei Jahren Wehrdienst et cetera. Als sephardische – orientalische – Jüdin konnte sie mit dem Holocaust als israelisches Staatsverständnis wenig anfangen, ging 1996 in das Land der ‚Täter‘, erhielt einen deutschen Pass und gab 2006 ihren israelischen ab. Ihr missfällt die Politik Israels vom ersten Tag der Existenz dieses Staates.“[i]

Man bemerkt den flapsigen Tonfall, wenn es heißt, Amar-Dahl könne mit „dem Holocaust als israelisches Staatsverständnis wenig anfangen“.

Auf einer Fachtagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 5./6. September 2005 wurde von „professoraler Seite“ (involviert waren Prof. Dr. Klaus Tenfelde, Prof. Dr. Dieter Schönhoven, Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Prof. Dr. Dieter Dowe) scharfe Kritik an Amar-Dahls Verständnis von Wissenschaft und Forschung und ihrem Zugang zu Shimon Peres geübt.[ii]

Bezeichnend ist die Tatsache, dass sich Prof. Dr. Michael Brenner, Historiker mit dem Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte an der Ludwigs-Maximilians-Universität München (LMU), von seiner Promovendin Tamar Amar-Dahl „im gegenseitigen Einverständnis“ trennte, wie mir Brenner im Oktober 2010 schrieb.[iii]

Schließlich hat Prof. Dr. Horst Möller vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ), der auch Professor an der LMU ist, die Dissertation von Amar-Dahl angenommen, Zweitgutachter war Prof. Dr. Moshe Zuckermann von der Tel Aviv University. Diese Informationen sind jedoch in der publizierten Studie gar nicht zu finden[iv], wie auch sonst jeder Dank u.a. an Familie, Freundinnen und Freunde, Bekannte, Kollegen, Gutachter, die Friedrich-Ebert-Stiftung, welche die Studie finanzierte, fehlt[v].

Bei Möller, der am äußersten rechten Rand des Konservatismus beheimatet ist (er redet u.a. vom „roten Holocaust“) und für seine Laudatio auf den revisionistischen Historiker Ernst Nolte im Jahr 2000 selbst von dem Historiker Heinrich August Winkler zum Rücktritt als Leiter des Instituts für Zeitgeschichte aufgefordert wurde, ist Amar-Dahl sicher gut aufgehoben.

Interessant ist, dass am Punkt Israelbashing ein deutscher nicht-jüdischer Akademiker des nationalapologetischen, hardcore antikommunistischen Spektrums mit einem israelischen, antizionistischen und ‚linken‘ Agitator wie Moshe Zuckermann[vi] kooperiert.

Im Mai 2010 war Amar-Dahl Gast im Fernsehen – TV Berlin mit dem Moderator Peter Brinkmann, der ganz verzückt ist ob der ex- und anti-israelischen Autorin (sieht man im verlinkten Video von TV Berlin). Auf die Frage „Wir feiern jetzt – oder die die feiern wollen – diese Tage 62 Jahre Israel – Haben Sie auch gefeiert?“ antwortet Tamar Amar-Dahl: „Nein. Ich feiere nicht.“

Es verwundert nicht, dass der Historiker Hans Mommsen (der Gutachter der Dissertation von Schüler-Springorum[vii] war)[viii], kein Experte der Antisemitismusforschung[ix] oder des Nahen Ostens, oder auch Michael Stürmer, ein Berater Helmut Kohls in ‚nationalen Fragen‘ sowie ein de facto Nolte-Apologet während des Historikerstreits 1986, das Buch der anti-israelischen Agitatorin loben. Auch das Mainstream geschichtswissenschaftliche Portal H-Soz-u-Kult lobt dieses israelfeindliche Machwerk von Amar-Dahl, die Zeitschrift Berliner Republik druckt einen Artikel Amar-Dahls über „Israels Kriege“, der nicht nur unwissenschaftlich und tendenziös ist, vielmehr vom Kern schweigt: die Vernichtungsdrohungen von Israels Nachbarn, die Iranian Threat, der arabische und muslimische Antisemitismus/Antizionismus sind Anathema.

Darüber hinaus: Frau Amar-Dahl sagte 2005 auf einer weiteren FES-Tagung:

„Mich schockiert, dass hier immer wieder das Thema Holocaust und die Juden so stark – wie man sagt – durchgekaut wird. Das ist für mich manchmal viel zu viel.“[x]

Diese sekundär antisemitische Reaktionsweise und Erinnerungsabwehr ist bemerkenswert.[xi]

In ihrem kurzen Eintrag auf der Seite der HU sieht man an Hand ihres Lebenslaufs, dass sie in Zeitschriften wie Inamo publiziert und jüdische Antizionisten in Österreich wie John Bunzl ihre Texte schätzen. In Inamo schreiben auch bekannte anti-israelische Agitatoren wie Noam Chomsky, Amar-Dahl schreibt in der gleichen Nummer wie der antizionistische Linguist im Jahr 2009:

„Besonders nach dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses sind die Palästinenser für die Mehrheit der Israelis zum Feindbild schlechthin geworden – vor allem die entrechteten Palästinenser im Gaza-Streifen und in der Westbank.“[xii]

Das hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun – Amar-Dahl verschweigt einfach die Vernichtungsdrohungen von Hamas, Islamischem Jihad und anderen palästinensischen Terrorgruppen. Sie erwähnt die Qassam-Raketen nur um Außenministerin Tzipi Livni wegen böser Kriegsführung anzuklagen.

Amar-Dahl möchte den Linkszionismus diffamieren und somit jegliche Form von Zionismus als rassistisch und exklusiv denunzieren. Die Idee einen Judenstaat Israel wieder aufzubauen hält Amar-Dahl für falsch. Sie erwähnt auch nicht, dass Juden historisch eng mit dem Land Israel verbunden sind, lange bevor das Christentum entstand, vom späten Erscheinen der Muslime im Nahen Osten ganz zu schweigen.

Amar-Dahl ignoriert oder leugnet einfach den Antisemitismus von Nassers Ägypten, vom heutigen Syrien, von arabischen Schulbüchern, Politikern, Gegenintellektuellen, Terrorgruppen, Zeitungen und TV- oder Radiostationen von Marokko bis Saudi-Arabien, sie spricht nicht davon, dass die gefälschten “Protokolle der Weisen von Zion” wie auch Hitlers “Mein Kampf” Bestseller sind in der islamischen Welt und vor allem agitiert sie gegen Israel in einer Zeit höchster Bedrohung durch den islamistischen Iran.

Amar-Dahl hat also über den israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres promoviert und ihre Studie 2010 publiziert – „Shimon Peres Friedenspolitiker und Nationalist“. Ihre Arbeit basiert u.a. auf Edward Said:

„Hier wird die These aufgestellt, dass die einheimischen Araber und später die ‚arabische Welt‘ in der Ideologie des maximalistisch-separatistischen Zionismus unter den historischen, politischen und demographischen Umständen in Palästina vor und nach 1948 mit orientalistischen Kategorien nach Edward Said gefasst werden. Das Verständnis des ‚Anderen‘ als rückständig, primitiv und irrational – Eigenschaften, an die Gewaltbereitschaft gekoppelt wird – fügt sich in diese Ideologie und Praxis der Abgrenzung und Ausgrenzung.“[xiii]

Diese ‚anti-orientalistische‘ Ideologie ist in den Nahost- und Islamwissenschaften Mainstream. Said setzte in seinem Werk „Orientalismus“ 1978 Antisemitismus mit ‚anti-arabischen Ressentiments‘ auf die gleiche Stufe und leugnet auf elaborierte Weise das Präzedenzlose und Spezifische des Holocaust. Said schuf mit seinem Bestseller und der Stilisierung von Arabern als den ‚neuen Juden‘ eine ideale Vorlage für das ZfA und viele heutige Forscher/innen zu Islam, Kulturrelativismus, Gender Studies, Antisemitismus, Vorurteilforschung.[xiv]

Der Politikwissenschaftler Gerald M. Steinberg, Direktor des Programms für Konfliktmanagement an der Bar Ilan Universität in Israel, hat jüngst die post-kolonialistische Ideologie, die Denunziation jedes westlichen Nationalstaatsdenkens, den Antizionismus und Israelhass, wie auch die paternalistische Haltung gegenüber den Palästinensern von Seiten der Postkolonialisten und vieler Aktivisten im Westen analysiert. Edward Said, Noam Chomsky, wie auch verschiedene Nichtregierungsorganisationen werden von Steinberg kritisiert.[xv]

Das Coverbild zu dem Buch von Amar-Dahl („Shimon Peres – Friedenspolitiker und Nationalist“) zeigt das Gesicht von Peres in einer eher fratzenartigen Art und Weise und wirkt abstoßend, verbissen und aggressiv. Mit einer wissenschaftlichen Studie hat die Dissertation von Amar-Dahl nur den Namen gemein. Sie führt nur 13 Titel von Peres als Quellen an, zudem sieben Seiten Forschungsliteratur, was für eine geschichtswissenschaftliche Arbeit sehr dürftig ist. Formal hat das Buch von Amar-Dahl auch sonst erhebliche Mängel, Dokumente aus dem Archiv der Knesset oder Akten aus dem „Arbeitspartei-Archiv“ mit Aktenzeichen werden zwar mal in einer Endnote erwähnt, doch im Quellenverzeichnis fehlen sie[xvi]. Um nur ein weiteres Beispiel zu nennen: Die mit antisemitischen Verschwörungstheorien arbeitenden Autoren John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt mit dem Buch „Die Israel-Lobby“ werden von Amar-Dahl als seriöse Quelle zitiert.[xvii]

Sie zitiert Peres mit einer luziden Kritik des „Khomeinismus“, doch leugnet Amar-Dahl jede Gefahr aus dem Iran und fantasiert, dass Peres den heutigen Iran attackiere, um sein „Feindverständnis“ zu stärken.[xviii] Es gibt Vernichtungsdrohungen des Iran gegen Israel und nicht umgekehrt, das derealisiert Amar-Dahl.

Politisch ist Amar-Dahl sehr aktiv. Sie trat am 9. Juli 2010 auf den „Palästina-Tagen“ des Palästina-Komitees München auf, wenige Wochen zuvor war dort die Autorin Felicia Langer Rednerin. Langer erhielt 2009 das Bundesverdienstkreuz, was national und international auf scharfe Kritik stieß, da Langer als Antizionistin aktiv ist und unter anderem Israel als „Apartheid der Gegenwart“ bezeichnet – einer der Gründe warum auch die israelische Regierung diese Verleihung scharf kritisierte. Amar-Dahls Auftritt bei den erwähnten Palästina-Tagen hat die CSU zur Kritik veranlasst:

„Die CSU verlangt Auskunft darüber, in welcher Form das Kulturreferat die Veranstaltung unterstützt, und warum von Seiten des Referates nicht angeregt worden sei, „zumindest auch neutrale Stimmen mit einzubeziehen“. Ein nicht israelkritisches Journalistenteam, das über die Veranstaltung berichten habe wollen, sei dem Vernehmen nach abgewiesen worden, so Quaas und Offman. Die einseitige Tendenz der „Palästina-Tage“ werde besonders offenbar, wenn die Biographie über den israelischen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres mit dem Titel „,Friedenspolitiker‘ und Nationalist“ angekündigt werde – wobei „Friedenspolitiker“ in Anführungszeichen steht.“

Amar-Dahl sprach nach der Attacke der Gaza Flottille mit der ZEIT. In dem Gespräch sagt die Jungakademikerin Israel alleine trüge Schuld und man dürfe „die Menschen in Gaza nicht einfach verhungern lassen“ – bar jeder Faktenlage über die Ernährungslage im Hamas-regierten Gazastreifen. Dort verhungert niemand und Grundnahrungsmittel oder andere Nahrungsmittel hatten die Schiffe nicht in größerem Umfang geladen, dafür abgelaufene Medikamente.

Rein akademisch betrachtet stellt sich die Frage, wie kommt Amar-Dahl dazu, am Fachbereich Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus innerhalb des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Wildt als Lehrbeauftragte zu unterrichten? Man findet in ihrem arg kurz geratenen Publikationsverzeichnis keinen einzigen Titel zu deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert, schon gleich gar nicht zum Nationalsozialismus.[xix]

Im Rahmen eines „Kollegium Jüdische Studien“ unter der Leitung von Prof. Dr. Christina von Braun und Prof. Dr. Julius H. Schoeps darf Amar-Dahl im Wintersemester 2010/2011 über den „Nahostkonflikt“ lehren und gibt für die Studierenden wenige Titel als Basislektüre an, darunter wiederum John Bunzl.

Der Autor Thomas Schreiber aus Israel kritisiert im Juni 2010 die anti-Peres Studie und das erwähnte Interview in der Zeit mit Amar-Dahl:

„Ich habe selten ein so unseriöses Interview gelesen. Eine Historikerin, die selber ihre politische Zugehörigkeit in den Vordergrund stellt, verliert ihre Glaubwürdigkeit als Akademikerin. Entsprechend auch die Begriffe, mit denen sie um sich wirft. Was ist ein „Friedenspolitiker“, etwa einer, der gegen die Interessen seines Landes oder seiner Nation handelt? Kann ein Ministerpräsident oder gar Staatspräsident überhaupt ein „anti-Nationalist“ sein, wenn er seine Nation vertreten muss? Waren Begin, Sadat oder Hussein etwa keine Nationalisten? Die haben doch Frieden gemacht. „Er war die ganze Zeit daran interessiert, einen Judenstaat aufzubauen“ – ja was denn sonst? Ist das eine Sünde?“

Vor einigen Jahren hat Prof. Dr. Alvin Rosenfeld von der Indiana University in USA analysiert, dass auch Juden Antisemiten sein können und eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Israel darstellen und den weltweiten Antisemitismus aktiv und gezielt befördern.

Schüler-Springorum ist bislang nicht als Antisemitismusforscherin in Erscheinung getreten, sie hat lediglich für die Zeitschrift WerkstattGeschichte drei Artikel anderer Forscher heraus gegeben und selbst eine problematische Rezension verfasst. Heute arbeitet sie federführend als “Bearbeiterin” in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten Projekt zum Thema “Sport, Körper und Subjekt: Sportgeschichte als Kultur‐ und Gesellschaftsgeschichte der Moderne”.

Sie arbeitet dabei mit Dr. Yotam Hotam von der Hebrew University Jerusalem zusammen, welcher zu Ehren des Historikers Moshe Zimmermann, der schon mal die israelische Armee IDF mit der Waffen-SS verglich, 2006 eine Festschrift herausgab.

Ob angesichts des iranischen Antisemitismus ein aktuelles Projekt über “Sport, Körper und Subjekt” die ideale Ausgangsbasis ist, um sich näher mit der Antisemitismusforschung zu befassen, bevor die Forscherin dann im April 2011 wohl ans ZfA wechselt, sei dahin gestellt.

Schließlich:

Wusste die Leitung des Instituts für die Geschichte der Deutschen Juden nicht, wer Tamar Amar-Dahl ist, wie unwissenschaftlich sie arbeitet und was für Thesen sie vertritt?

Wusste die Leiterin dieses Instituts nicht, dass ihr Kollege Brenner in München sich von seiner Promovendin Amar-Dahl mehrere Jahre vor Einreichung der Dissertation trennte?

Wieso bezahlt die Humboldt-Universität eine anti-israelische Akademikerin?

Der Fall Tamar Amar-Dahl zeigt die Salonfähigkeit des Antizionismus – Wird er zur Gretchenfrage der neuen Leitung am Zentrum für Antisemitismusforschung?

 

 


[i] Rolf Steininger (2010): Militärisch. Israel und Shimon Peres. Rezension zu Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 471 S., 39,90 [Euro], FAZ, 16. August 2010 http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948B/Doc~E17CED31603054F7A99BB19729A96FBB4~ATpl~Ecommon~Scontent.html (22.10.2010).

[ii] “Amar-Dahl befindet sich im dritten Jahr ihrer Dissertation über Shimon Peres und nach der Trennung von ihrem ursprünglichen Doktorvater auf der Suche nach einem neuen Betreuer. (…)Amar-Dahl stellte zwei Hypothesen vor: Erstens sei Peres’ „Security orientation“ derart ausgeprägt, dass sie den Charakter einer „säkularen Religion“ habe und „zivilen Militarismus als das organisatorische Prinzip der israelischen Gesellschaft“ betrachte, und zweitens sei sein Nationalstaatsbegriff „exklusiv“, d. h., er betrachte die Diaspora als gefährlich, den eigenen, starken, jüdischen Staat als alternativlos und schließe davon Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft aus (Beispiel: Vertreibungen 1949-76). Ferner sei sein Demokratieverständnis womöglich „instrumentell“ und die arabische Welt in seinen Augen „rückständig“. Als Sozialist sei er kaum zu bezeichnen, auch weil er die Arbeiterpartei von ihrer ursprünglichen Klientel entfernt habe.

Die Diskussion wurde von professoraler Seite mit dem Vorwurf eröffnet, die Arbeit verfolge keinen mentalitätsgeschichtlichen, sondern einen werkimmanenten und bekenntnishaften Ansatz, der – insbesondere durch die sehr eingeschränkte Quellenauswahl, mangelnde -kritik und die Ignorierung von Peres’ gesamten Umfeld – nicht zu fruchtbaren Ergebnissen führen könne. Dem Ansatz mangele es sowohl an Distanz als auch an kritischer Fundierung und genauer Begrifflichkeit, so dass die Resultate der Dissertation in dieser Form nur völlig unbefriedigend ausfallen könnten.“ (Dokumentation Fachtagung „Zeitgeschichtliche Biographieforschung“ 5./6. September 2005, FES – Tagungsstätte Bonn – Venusberg, http://www.fes.de/fes_stuf/inhalt/documents/Fachtagung_Zeitgeschichte.pdf(22.10.2010)).

[iii] E-Mail von Prof. Dr. Michael Brenner vom 20. Oktober 2010.

[iv] Ich habe die Information über die Gutachter der Dissertation von Amar-Dahl vom Sekretariat Möller in München am IfZ in einem Telefonat vom 22.10.2010 erhalten.

[v] Es gibt lediglich den Hinweis auf Seite 4: “Für ihr Promotionsprojekt erhielt Tamar Amar-Dahl ein Stipendium der FES-Graduiertenförderung.”

[vi] „The next stage at Trondheim university has now started with a seminar on the Middle East. All lectures are to be given by known anti-Israelies, such as Ilan Pappe, Moshe Zuckerman, the American Stephen Walt as well as local scholars” (Manfred Gerstenfeld (2009): NTNU: A NORWEGIAN HATE UNIVERSITY, in: http://www.spme.net/cgi-bin/articles.cgi?ID=5977 (23.10.2010)).

[vii] Schüler-Springorum hat 1993 über die „jüdische Minderheit in Königsberg/Preußen 1871-1945“ promoviert, „Supervisors: Prof. Dr. Helga Grebing, Prof. Dr. Hans Mommsen“, http://bucerius.haifa.ac.il/stefanie.html (23.10.2010).

[viii] „Der mutige Schritt von Tamar Amar-Dahl, eine kritische Biographie über Peres vorzulegen, bedarf der Anerkennung“ (Hans Mommsen, 26.05.2010: http://www.fr-online.de/kultur/literatur/in-der-wagenburg/-/1472266/4464122/-/index.html (23.10.2010).

[ix] Man vergleiche Mommsens Lob für die Antizionistin Amar-Dahl mit seinen früheren Äußerungen zu Antisemitismus. Ein Beispiel mag als Hinweis genügen: Bezüglich der Debatte um Antisemitismus, die Deutschen und der Holocaust, welche durch die publizierte Dissertation „Hitler’s Willing Executioners“ des Politologen Daniel J. Goldhagen im Frühjahr 1996 ausgelöst wurde, schreibt der Politologe Lars Rensmann in seiner Dissertation 2004: „Parallel zu und nach den Fernsehereignissen und Goldhagens Rundreise erreicht die Dynamik des Mediendiskurses und der politischen Kommunikation über Goldhagen ihren negativen Höhepunkt. Ausgerechnet Hans Mommsen leitete in der Zeit eine neue Qualität der Vorwürfe gegenüber Goldhagen ein, indem er als einer der ersten suggeriert, Goldhagen selbst fördere antijüdische Vorurteile, und damit ein gängiges antisemitisches Muster repliziert: ‚Die ätzende Schärfe, mit der Goldhagen den Deutschen den Willen zum ‚dämonischen Antisemitismus‘ zuspricht und sie nicht nur als Komplizen, sondern pauschal als lustvolle Täter hinstellt, ist sicherlich nicht geeignet, Ressentiments stillzulegen‘“ (Lars Rensmann (2005): Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, 1., durchgesehener Nachdruck, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 346f.).

[x] I S R A E L – TAGE 9.-10. Mai 2005 der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und Bonn anlässlich des 40. Jahrestages der Aufnahme deutsch-israelischer diplomatischer Beziehungen, http://www.fes.de/international/nahost/pdf/Doku_Israeltage.pdf (21.10.2010), S. 182.

[xi] „Doch zunächst die Klärung der Bedeutung von »sekundärem Antisemitismus«. Es ist der Antisemitismus nach Auschwitz, wie der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex es auf den Punkt brachte: »Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.« »Sekundärer Antisemitismus« ist ein Begriff von Peter Schönbach, einem Mitarbeiter von Theodor W. Adorno.2) Während es damals, um 1960, generationsspezifisch um das »Nachleben des faschistischen Antisemitismus« ging (genauer hätte von »nationalsozialistischen« gesprochen werden müssen), stellt sich das Problem heute umfassender. Gerade Generationen von nach 1945 und auch nach 1968 Geborenen vertreten heute häufig nicht plumpen, leicht erkennbaren Judenhass, sondern unter dem Deckmantel der »Seriosität« seine salonfähige sekundäre Variante“ (Clemens Heni (2008): „Sekundärer“ Antisemitismus. Ein kaum erforschter Teil des Post-Holocaust-Antisemitismus, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Jg. 47, Nr. 187, S. 132-142, hier S. 132). In Ergänzung sollte angemerkt werden, dass nicht nur Deutsche eine solche Reaktionsweise haben könne.

[xii] Tamar Amar-Dahl (2009): Gaza-Krieg und die Palästinenserfrage, in: Inamo, Nr. 57, S. 59-61, hier S. 59.

[xiii] Tamar Amar-Dahl (2010): Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist, Paderborn u.a.: Ferdinand Schöningh, S. 102.

[xiv] In seinem auch von dem Historiker Ulrich Sieg, der es auf die shortlist des ZfA für die Nachfolge Benz schaffte (Clemens Heni (2010): „Bio-Politik“, Antizionismus oder doch Antisemitismusforschung? Die Nachfolge am ZfA gestaltet sich schwierig, http://clemensheni.wordpress.com/2010/05/09/%E2%80%9Ebio-politik%E2%80%9C-antizionismus-oder-doch-antisemitismusforschung-die-nachfolge-am-zfa-gestaltet-sich-schwierig/ (04.08.2010)), als „Meisterwerk“ (Ulrich Sieg (2006): Rezension von Ian Buruma, Avishai Margali, Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde, in: WerkstattGeschichte, 15. Jg., H.43, 137-139, 137: „Seit Edward Saids Meisterwerk aus dem Jahre 1978 ist eine breite Literatur entstanden, die sich mit den ästhetischen, kolonialistischen, rassistischen und religiösen Motiven des Orientalismus auseinandersetzt, der im Europa des ausgehenden 19. Jahrhundert eine weltanschauliche Großmacht wurde.“ In der Redaktion für Buchrezensionen der Zeitschrift WerkstattGeschichte sitzt Stefanie Schüler-Springorum.) gepriesenen Buch heißt es:„Yet after the 1973 war the Arab appeared everywhere as something more menacing. Cartoons depicting an Arab sheik standing behind a gasoline pump turned up consistently. There Arabs, however, were clearly ‘Semitic’: their sharply hooked noses, the evil mustachioed leer on their faces, were obvious reminders (to a largely non-Semitic population) that ‘Semites’ were at the bottom of all ‘our’ troubles, which in this case was principally a gasoline shortage. The transference of a popular anti-Semitic animus from a Jewish to an Arab target was made smoothly, since the figure was essentially the same” (Edward Said (1978)/1979: Orientalism, New York: Vintage Books, 285f.). Edward Said setzt den Antisemitismus mit ‚anti-arabischen Ressentiments‘ (die, wenn es sie gab, den ‚kleinen‘ Unterschied hatten, dass die Ölkrise von 1973 Realität war und arabische Länder ihre Macht des Ölhahns spielen ließen) gleich. Wenige Jahrzehnte nach dem Holocaust, ja bevor auch nur irgendwo auf der Welt eine größere oder substantielle Erinnerung an die Shoah einsetzte, verharmloste Said die Ermordung von sechs Millionen Juden. Es ist eine Art Holocaustleugnung, welche Said hier betreibt, ganz subkutan, klammheimlich. Konflikte zwischen den Erdöl-produzierenden Staaten und den zumeist westlichen Abnehmern haben kategorial eine komplett andere Dimension wie der Hass auf Juden, nur weil sie Juden sind.

[xv] Gerald M. Steinberg (2009): Postcolonial Ideology and the Arab-Israeli Conflict, in: Brigitte Bailer (Hg.), Israel – Geschichte und Gegenwart, Wien: Braumüller, S. 103-119.

[xvi] Amar-Dahl 2010, S. 413, Anm. 103 bzw. 104.

[xvii] Amar-Dahl 2010, S. 419, Anm. 26 (zu Seite 114).

[xviii] Amar-Dahl 2010, S. 105.

[xix] Tamar Amar-Dahl gibt auf ihrer HU-Seite folgende Publikationen bzw. Arbeitsvorhaben an:

„Monographien

Moshe Sharett: Diplomatie statt Gewalt. Der „andere“ Gründungsvater Israels und die arabische Welt, Martin Meidenbauer Verlag, München, 2003, http://www.m-verlag.net/programm/shop/fachgebiete/1-geschichte-politik-philosophie/amar-dahl-tamar-moshe-sharett-diplomatie-statt-gewalt-br-der-andere-gr/
Resonanz: http://www.genfer-initiative.de/genferinitiative/ge_rezensionen/Rezensionen-3-Amar-Dahl.pdf

Shimon Peres: Friedenspolitiker und Nationalist, Ferdinand Schöningh-Verlag, Paderborn, März 2010: http://www.schoeningh.de/katalog/titel/978-3-506-76910-7.html?tx_mbooks[department]=95&cHash=16ab7ebc10, http://www.schoeningh.de/uploads/tx_mbooks/9783506769107_iv.pdf
Resonanz: Hans Mommsen, In der Wagenburg, Frankfurter Rundschau, 26.5.2010
Gemma Pörzgen, “Mr. Sicherheit“, Das Parlament, Nr. 11 2010, 15.3.2010
Michael Stürmer, “Wie die Auslandspresse schreibt”, in Deutschlandradio, Lesart, 25.4.2010
Dominik Peters, “Der Ritter aus Wischnewa“, Zenithonline: http://www.zenithonline.de/kultur/literatur/?article=735&cHash=ca92b149ee
John Bunzl , „Die Gewalt der anderen“, die Presse, 28.05.2010

Aufsätze, Beiträge, Rezensionen

“Juli 1954: Die Lavon-Affäre – Operation Susanna“, Zeitensprung, INAMO 52, Winter 2007, S. 56-57

“Israels Kriege“, Berliner Republik 1/2009, S. 6-9: http://b-republik.de/b-republik.php/cat/8/aid/1441/title/Israels_Kriege

“Gaza-Krieg und die Palästinenserfrage“, INAMO 57, Frühling 2009, S. 59-61

“Hilferuf eines verzweifelten Israeli“, Buchbesprechung: Avraham Burg: Hitler Besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, Campus Verlag, Frankfurt 2009, in: Deutschlandradio Kultur, Lesart, Sendung von 8.11.2009

“Identitätskrise eines Linkszionisten“, Buchbesprechung: längere Version: Avraham Burg: Hitler Besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, Campus Verlag, Frankfurt, in: INAMO, 60, Winter 2009, S. 72-73.

„Shai und Dror und die israelische Ordnung“:  Haokets-Online: 12.6.2010, heb:  http://www.haokets.org/default.asp?PageID=10&ItemID=4833

In Vorbereitung

Postdoc.-Forschungsprojekt: Holocaust-Diskurse in Israel

Rezensionen von:
Moshe Zimmermann, Angst vor dem Frieden – Das israelische Dilemma, Aufbau, Berlin, 2010
Steffen Hagemann, Die Siedlerbewegung – Fundamentalismus in Israel, Wochenschau, Schwalbach/Ts., 2010

Last Updated on Sunday, 27 June 2010 10:22 http://www2.hu-berlin.de/deutsche-geschichte/en/staff/tamar-amar-dahl (23.10.2010).

Spitzenforschung am Bodensee

Spitzenforschung am Bodensee

Zustimmung zu suicide bombing kann böse gemeint sein, muss es aber nicht…

Die Proteste gegen das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 mögen anzeigen, dass viele Schwaben, die derzeit Bäume umklammern und heulen sowie einen präfaschistischen Bahnhof schützen und dessen „Führer“-treuen Architekten, der er ab 1933 war, verehren, nicht ganz knusprig sind. Dabei wird übersehen, dass im Ländle echte Spitzenforschung betrieben wird, jedenfalls aus Sicht der Protagonisten.  Nehmen wir die Antisemitismusforschung in Konstanz am Bodensee.

Die Welt ist besessen vom Judenstaat und vor allem sehr aktiv, ihn zu destabilisieren und zu isolieren.

Manche Mainstream-Forscher, welche seit Jahrzehnten als Professor für Frieden auf der Welt aktiv und zudem sicher (in der Selbstwahrnehmung) pro-israelisch sind, erarbeiten Studien, die es in sich haben.

Nun: natürlich sind die Deutschen seit dem 8. Mai 1945 große Friedensfreunde. Seither wissen sie, dass jeder größere Krieg irgendwie fies ist und Deutschland eh verliert (vom Sieg im eigentlichen Krieg gegen die Juden mal abgesehen).

„Wir sind ein friedliches Elternhaus und wenn du das immer noch nicht kapiert hast, schlag ich dir den Schädel ein“, sagte einmal ein Kabarettist, deutsche (oft christliche, heute kommt hinzu: muslimische) Alltäglichkeiten betrachtend.

Also entwickelte sich nach dem Nationalsozialismus eine Sehnsucht nach Frieden.

Es gibt sogar „Friedensjournalismus“, die Begründer sind offenbar Johan Galtung, ein Norweger, und Wilhelm Kempf, ein in Konstanz am Bodensee forschender Österreicher.

Während Kempf in den 1980er Jahren sich vornehmlich mit „US-Propaganda“ in Mittelamerika befasste („Nicaragua“, später dann mit der New World Order etc.)[i], liegt ihm seit neuestem Israel am Herzen. So hat Kempf im Juni 2009 in der irischen Hauptstadt Dublin auf einem Jahreskongreß der International Society for Political Psychology über Antisemitismus und Israelkritik gesprochen („Israelkritik und moderner Antisemitismus“).[ii]

Seinen Text hat er, umgearbeitet, 2010 noch einmal publiziert.[iii] Darin heißt es wie schon 2009:

„The same holds even for the statement in example No. 6 (“The Palestinian suicide attacks are an appropriate means to combat Israel”), which takes sides with the Palestinians and involves military logic, but as long as it is not associated with the denial of Israel’s right of existence, its acceptance does not necessarily embody any anti-Semitic content.“ (Hervorhebung von Kempf)

Wer also dem Satz „Die palästinensischen Selbstmordanschläge sind ein angemessenes Mittel um Israel zu bekämpfen“ zustimmt, unterstützt damit laut Kempf „nicht notwendigerweise“ einen „antisemitischen Inhalt“, „solange dies“ „nicht verbunden ist mit der Ablehnung von Israels Existenzrecht“.

Das klingt akademisch und hoch differenziert.

Was würden die zerfetzten Juden dazu sagen?

Sarkastisch gefragt: Sind Judenmord und die Zustimmung dazu tatsächlich mit einem „antisemitischen Inhalt“ direkt verbunden?

Zum nächsten Zitat des Wissenschaftlers:

„A statement like in example No. 7 (“What the Israelis do to the Palestinians resembles what the Nazis did to the Jews”) may result from a Peace Frame and aim at warning Israel not to abandon the high moral standards of Jewish culture, or it may result from a pro Palestinian War Frame and aim at delegitimizing Israel, or it may result from secondary anti-Semitism and aim at trivializing the Holocaust.“

Wiederum ausgesprochen differenziert argumentiert hier der Friedensforscher. Die Aussage „Was die Israeli den Palästinensern antun ähnelt dem was die Nazis den Juden antaten“ könne demnach von Friedensbewegten (jenen, die im „Peace Frame“ zu Hause sind) freundschaftlich warnend gemeint sein, die Juden mögen doch bitte “nicht die hohen moralischen Standards der jüdischen Kultur aufgeben“; andererseits könne der Vergleich von Juden/Israeli und Nazis auch negativ gemeint sein, wenn man einen „pro-palästinensischen“ Standpunkt einnimmt („pro Palestinian War Frame“) und danach ziele, „Israel zu delegitimieren“; ein Israel-Nazi-Vergleich könne sogar drittens „von sekundärem Antisemitismus herrühren, um den Holocaust zu trivialisieren.“ Ist nicht wahr!

Wie Kempf sagt: israelische Politik und Existenz mit den Nazis und somit dem Holocaust zu vergleichen kann zwar eventuell antisemitisch gemeint sein. Genauso gut mag es als Hinweis an die Juden gesehen werden, bloß nicht „ihre hohen moralischen Standards der jüdischen Kultur“ zu beflecken.

Somit mag aus dem Vergleich von Israel mit Auschwitz eine ungeheure Hochachtung vor der jüdischen Kultur Wiens um 1900 gemeint sein, nur etwas verschroben oder umständlich formuliert.

Wenn Palästinenser Juden im suicide bombing ermorden, kann das und die Zustimmung dazu antisemitisch gemeint sein, sagt die Forschung, die den Mainstream repräsentiert (Kempf bezieht sich primär auf Werner Bergmann, Wolfgang Frindte, sich selbst, Klaus Holz und Moshe Zimmermann[iv]).

Aber keineswegs muss eine Zustimmung zu solchen Morden an Juden antisemitisch gemeint sein.

Man kann anschließend Israeli und Juden mit den Nazis vergleichen, gerade um Juden zu schützen, damit sie die „hohen moralischen Standards der jüdischen Kultur“ nicht vergessen.

Das ist der letzte Schrei: Antisemitismus aus Sorge um Frieden und die jüdische Kultur.

Sage noch jemand Forschung könne nicht innovativ sein.

Herausgeber dieser Spitzenforschung ist Roland Imhoff. Seine Doktorarbeit wurde von der Evangelischen Studienstiftung Villigst e.V. bezahlt. Zufällig leitete Klaus Holz dieses Studienwerk von 2000 bis 2009. Imhoff und Holz sind (wie auch Matthias Lorenz und andere) Mitglieder im Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e. V. Jüngst hat Imhoff Samuel Salzborn positiv rezensiert und die Bezugnahme von Salzborn auf Holz zitiert und hervorgehoben. Nun gibt Imhoff Kempf heraus und sitzt mit ihm auf einem Panel in San Francisco.

Früher, in ganz anderem Kontext, nannte man das Seilschaften. In Wahrheit ist das heute Ausdruck von selbständigem Denken und von Kritikfähigkeit.


[i] Hier ist eine Liste von Texten von Wilhelm Kempf, alles ging demnach los mit den „mathematischen Modellen“ in der Sozialpsychologie. Sicher eine herausragende Basis auch für die Forschung zu Antisemitismus:

  • 1977. Mathematical Models for Social Psychology. New York, Wiley (mit B. Repp).
  • 1978. Konfliktlösung und Aggression. Zu den Grundlagen einer psychologischen Friedensforschung. Bern, Huber.
  • 1982. Aggression. Naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Perspektiven der Aggressionsforschung. Bern, Huber (mit R. Hilke).
  • 1990. Medienkrieg oder »Der Fall Nicaragua« Politisch-psychologische Analysen über US-Propaganda und psychologische Kriegsführung. Hamburg, Argument.
  • 1994. Manipulierte Wirklichkeiten. Medienpsychologische Untersuchungen der bundesdeutschen Presseberichterstattung im Golfkrieg. Münster, LIT.
  • 1997. Psychologie. Eine Einführung. Grundlagen, Methoden, Forschungsfelder. München, dtv (mit J. Straub und H. Werbik).
  • 1998. Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster, LIT (mit I. Schmidt-Regener).
  • 2000. Konflikt und Gewalt. Münster, agenda.
  • 2001. Los Medios y la Cultura de Paz. Berlin, regener (mit S. Gutiérrez Villalobos).
  • 2002. Journalism and the New World Order. Vol. II. Studying War and the Media. Göteborg, Nordicom (mit H. Luostarinen).
  • 2003. Constructive Conflict Coverage – A Social Psychological Approach. Berlin, regener.
  • 2003-2009. Forschungsmethoden der Psychologie. Zwischen naturwissenschaftlichem Experiment und sozialwissenschaftlicher Hermeneutik. Berlin, regener.
    • Band 1: Theorie und Empirie (2003).
    • Band 2: Quantität und Qualität (2008).
    • Band 3: Natur und Kultur (2009, mit M. Kiefer).
  • 2008. The Peace Journalism Controversy. Berlin, regener.
  • 2010. Readings in Peace Journalism. Foundations – Studies – Perspectives. Berlin, regener.

http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Kempf_%28Psychologe%29 (14.10.2010).

[ii] Kempf bedankt sich u.a. bei dem ‚Kommunikationspsychologen‘ Wolfgang Frindte für die empirische Basis für seine Analyse, sprich: für Umfrageergebnisse. http://www2.uni-jena.de/svw/instpsy/abteilungen/kompsy.html (14.10.2010).

[iii] http://www.cco.regener-online.de/2010_1/pdf/kempf-2010.pdf (14.10.2010). Zur Kritik an der ersten (sehr ähnlichen) Version siehe meine Kritik vom 9. November 2009: http://clemensheni.wordpress.com/2009/11/09/suicide-bombing-is-not-necessarily-antisemitic/ (14.10.2010).

[iv] Siehe die kurz gehaltene Literaturliste hier http://www.cco.regener-online.de/2010_1/pdf/kempf-2010.pdf (14.10.2010).

German Ideology: Understanding Ahasver, Mammon, and Moloch

Clemens Heni, German ideology: Understanding Ahasver, Mammon, and Moloch was published with the Journal for the Study of Antisemitism (JSA), Vol. 2, No. 1, 2010, 49–87

Antisemitismus, Antizionismus, Bonatz, Reclam und Stuttgart

Antisemitismus, Antizionismus, Bonatz,


Reclam und Stuttgart

Während es in Stuttgart so große und viele Demonstrationen wie selten zuvor gibt, werden die wirklichen Probleme unserer Zeit selbstverständlich ignoriert. Ahmadinejad verbreitet den gefährlichsten Antisemitismus seit 1945, er möchte Israel zerstören und eine „World without Zionism“ blutig erkämpfen. Ein großer Stuttgarter Verlag publiziert ein Buch zu Antisemitismus von einem anti-israelischen Autoren, der Ahmadinejads wahnsinnigen, irrationalen Judenhass verharmlost bzw. gar negiert.[i]

Um was also sollte es heute in Stuttgart gehen?

Am 15. Januar 1941 schrieb der Architekt „Professor Paul Bonatz“ einen Brief an „den Herrn Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ und bat ihn nachdrücklich, einige Kollegen vom Dienst in der Wehrmacht zu befreien, für „die grossen Berliner Aufgaben“ des Architekten, unterzeichnet „Heil Hitler! Paul Bonatz“.

Das „Amt Wissenschaft“ hatte bereits am 7. März 1939 bestätigt, dass Bonatz geeignet sei im Rahmen des „Deutschen Volksbildungswerkes Vorträge über baukünstlerische Themen“ zu halten, zudem sei er „als Mitschöpfer des monumentalen neuen Bahnhofs in Stuttgart rühmlich bekannt“.

Schließlich schreibt die „Partei-Kanzlei“ aus München am 10.10.1941 einen Brief an die „Gauleitung Wuerttemberg-Hohenzollern der NSDAP Stuttgart“ sowie an den „Beauftragten des Fuehrers fuer die Ueberwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP z.Hd. Pg. Haertle Berlin“ und bittet um Auskunft, ob es Einspruch gebe gegen die Verleihung der „Goethe-Medaille fuer Kunst und Wissenschaft“ an den „ordentlichen Professor Architekten Dr. Paul Bonatz“. Begründung: „zu seinen bekanntesten Arbeiten zaehlen der Stuttgarter Hauptbahnhof und die Stadthalle in Hannover. Beim Bau der Reichsautobahnbruecken ist Bonatz weitgehendst herangezogen worden.“[ii]

Dem Antrag wird mit Brief vom 22.10.1941 vom „Hauptamt Wissenschaft“ an die „Partei-Kanzlei“ im „Führerbau“, „München 33“ zugestimmt.

Während also die Demonstranten von K21 kopflos in und vor den Hallen des von den Nazis hoch verehrten Paul Bonatz heulen, gäbe es Grund hier und heute in Stuttgart zu protestieren. Der Reclam-Verlag hat eine lange Verlagstradition, im Zweiten Weltkrieg hatten deutsche Mörder der Wehrmacht den ein oder anderen Reclam-Band im Marschgepäck. Kein einziger Schüler in der alten BRD, jedenfalls in Baden-Württemberg, ist ohne die gelben oder orangenen Reclam-Bücher ausgekommen.

Heute vertritt der Reclam-Verlag folgende Position:

„Insofern ist die Antwort auf den Antisemitismus letztlich nicht ein jüdischer Staat, sondern die Schaffung eines wahrhaft globalen Systems des liberalen Pluralismus.“

Das ist der letzte Satz des Heftes 18643 der „Universal-Bibliothek“ (UB) des Reclam Verlages, Autor ist Steven Beller. Es handelt sich um die Übersetzung des Büchleins „Antisemitism. A very short introduction“, erschienen 2007 in einer modischen Buchreihe von Oxford University Press aus England. Diese wird in vielen Buchläden auch in USA oft neben der Kasse angepriesen, da die Bücher handlich, bunt und günstig sind, thematisch pop-postmodern vielfältig und beliebig mit Titeln wie „Animal rights“ über „Feminism“ hin zu „Antisemitism“.

Beller erläutert in den Absätzen zuvor, warum er gegen Israel als jüdischen Staat ist:

„Antisemitismus in Gestalt einer politischen Bewegung, die darauf zielt, Juden zu verfolgen, zu diskriminieren, zu entfernen oder sogar zu vernichten, stellt in unserer globalisierten Welt keine bedeutende Bedrohung mehr dar.“

Angesichts iranischer Vernichtungsdrohungen oder dem Aufruf zum Judenmord von sunnitischen Agitatoren wie Scheich Yusuf al-Qaradawi im Januar 2009, angesichts von 10.000 Kassem-Raketen, welche aus dem Gaza-Streifen seit Jahren in Richtung Israel abgefeuert wurden, angesichts der Entführung von Gilad Shalit und der Ermordung von anderen israelischen Soldaten durch islamistische Terroristen der Hamas, der Hezbullah und anderer, und angesichts von hunderten ermordeter Israeli durch suicide bomber und andere Sprengsätze im Laufe der Zweiten Intifada seit September 2000 ist das eine völlig realitätsferne Behauptung.

Im nächsten Satz verharmlost Beller den Antisemitismus und spricht, ebenso modisch, von einer immer gleichen Vorurteilsstruktur, welche jede x-beliebige Gruppe treffen könne:

„Antisemitismus in Gestalt des Grolls über jüdischen Erfolg und jüdische Macht, ob eingebildet oder tatsächlich, sowie in Gestalt gesellschaftlicher und kultureller Abneigung oder Vorurteile, wird es so lange geben, wie es Juden gibt, wie im Falle jeder anderen identifizierbaren ethnischen oder religiösen Gruppe.“

Der Antizionismus jedoch ist hübsch verpackt, Beller plädiert für „die Schaffung eines wahrhaft globalen Systems des liberalen Pluralismus“. Hört sich herzlich und zärtlich an, die „Schaffung eines wahrhaft globalen Systems des liberalen Pluralismus“, oder nicht?

Wer angesichts von Israel sagt, dass ein „jüdischer Staat“ Israel „nicht“ „die Antwort auf den Antisemitismus“ sei, möchte diesen Staat allerdings nicht haben.

Das zeigt sich auch in einem Artikel von Beller für das Institute for Jewish Policy Research in London, in dem er sich gegen “Alarmismus” in der heutigen Debatte um Antisemitismus wendet und zumal die jüdische Tradition des Zusammenlebens in Europa mit den Nicht-Juden preist und als Modell für alle Juden sieht (offenbar nach dem Motto: ‚hat ja bis 1945 auch prima geklappt mit der europäisch-jüdischen Symbiose, von ein paar negativen Erfahrungen mal abgesehen, nicht‘?), wenn denn Israel endlich als jüdischer Staat aufgelöst wäre:

„But for the present and in the future it is the diasporic Jewish tradition, whose experience has resulted in a full appreciation of the merits of liberal pluralism, that should be the basis of the Jewish role in this world. It is the path of inclusion and connection, the pluralist path that modern-day Europe is following, that is the best way forward, not a relapse into exclusive ethnocentricity and the nationalist temptation.“

Andernorts attackiert Beller die Forscher Andrei S. Markovits, Jeffrey Herf oder Robert Wistrich, die den heutigen, neuen Antisemitismus analysieren und kritisieren:

„Andy Markovits similarly loses perspective when discussing the anti-Semitism and anti-Americanism of his erstwhile friends in the European left. He states, for example, that the BBC, Guardian and Independent share a ‘hostility towards Israel, Jews, and the USA’ (222). Israel and the USA perhaps, but Jews? As an online reader of the Guardian and BBC, I do not think their criticism of the United States and of Israel is based on a distorting ‘hostility’ so much as an astute objectivity and a refreshing outsider’s perspective, although I can see why many Americans I know are, like Markovits, antagonized by it. But why would Markovits claim that the BBC, Guardian and Independent are hostile to ‘Jews’, that they are effectively antisemitic? That is a grievous misrepresentation of these institutions, ignoring their decades of combatting prejudice and championing the rights of individuals and minorities, Jews very much included.”[iii]

Mit dem Brustton der Überzeugung derealisiert Beller, dass Aufstachelung zum Antizionismus eine Form des Antisemitismus ist und dass das Abfeuern von Raketen auf Aschkelon oder Sderot ein antisemitischer/antijüdischer Angriff ist. Beller möchte Antizionismus reinigen und als harmlos darstellen. Er ignoriert die Geschichte des Antizionismus seit 1948 ganz bewusst, denn er wird natürlich ob der antizionistischen Ideologie der Sowjetunion, der arabischen Staaten und der Neuen Linken sowie der Neonazis und des Mainstream wissen. Doch Beller selbst plädiert ja gegen einen jüdischen Nationalstaat Israel, weshalb ihm Attacken gegen Israel von Jihadisten oder säkularen Linken gerade Auftrieb geben.

Bemerkenswert ist lediglich, dass seine Agitation in der Zeitschrift Patterns of Prejudice erschienen ist, Nr. 2, 2007. Beller sagt, dass der arabische Antisemitismus gar kein wirklicher sei, lediglich Resultat der Gründung Israels, habe also einen rationalen Grund.[iv]

Ahmadinejad ist der gefährlichste Antisemit derzeit auf der Welt. Er drohte am 26. Oktober 2005 Israel mit der Vernichtung, leugnet den Holocaust und droht mit einem zweiten. Er leugnet die islamistischen Hintergründe für die Massenmorde des 11. September (und redet von einem “Inside job”), obwohl doch al-Quaida stolz ist auf diese Morde. Der Wahnsinn des iranischen Führers ist offenkundig, wenn man bedenkt, dass er auch ernsthaft auf die Ankunft des zwölften Iman, des Mahdi, wartet.

Nun gibt es mit Beller und vielen anderen Autoren und Forscher Leute welche leugnen, dass Israel existentiell bedroht ist. Der Reclam-Verlag Stuttgart (Ditzingen) publiziert die anti-israelische wie auch die heutige Gefahr des Antisemitismus negierende Position von Steven Beller. Universitäten wie die Viadrina in Frankfurt an der Oder[v] preisen Bellers Buch für die Studierenden an, nicht zuletzt da es ja mit 5 Euro super billig ist.

Das Leo Baeck Institute New York machte eine Buchvorstellung mit Beller.

Es verwundert nicht mehr, dass sich Beller in dem Buch ganz grundsätzlich gegen weite Teile der internationalen Antisemitismsusforschung wendet (namentlich wieder gegen Wistrich, S. 13), da diese Antisemitismus als „irrational“ analysiere und so tue, als ob Juden keinen Anteil spielten beim Entstehen und Kreieren von Antisemitismus.

Beller hingegen favorisiert eine solche von der Forschung in der Tat großteils abgelehnte Korrespondenztheorie. Er schreibt:

„Man kann nicht behaupten, wie man es so häufig mit Blick auf den Rassenantisemitismus in Europa getan hat, der arabische ‚Antisemitismus‘ habe keine rationale Ursache“ (S. 163).

Oder natürlich, als Klassiker der Antizionistischen Internationale:

„Antizionismus ist nicht notwendigerweise mit Antisemitismus gleichzusetzen“ (S. 164).

Beller geht noch weiter: er sagt, dass Europa gelernt hätte, nach 1945, dass der Nationalstaat keine Lösung, sondern das Problem und verantwortlich für die „Ursachen des Antisemitismus“ sei. Lediglich die Juden hätten diese Lektion nicht gelernt und schickten sich an, einen eigenen, bösen, ausgrenzenden Nationalstaat, den jüdischen Staat Israel zu gründen. (vgl. S. 166-170)

Das Problem, mit welchem sich die Verlags- und Autostadt Stuttgart konfrontiert sieht, ist nicht das Ende eines überkommenen Kopfbahnhofes in einer prä-nationalsozialistischen Halle, nein: Antizionismus und Antisemitismus, die Delegitimierung des jüdischen Staates und eine Verharmlosung des heutigen Antisemitismus sind das Problem, beispielhaft gezeigt an der Publikationspraxis eines Stuttgarter Verlages.

Nicht nur in Berlin werden Juden auch heute, im 21. Jahrhundert verfolgt, geschlagen und bedroht, weil sie Juden sind.[vi] Das derealisiert Beller.


[i] Steven Beller ist der Autor, siehe unten. Hier seine an Absurdität nicht zu überbietende Einschätzung zu Ahmadinejad: „OUP: President Mahmoud Ahmadinejad of Iran famously made a statement about wiping Israel off the map. With such outward proclamations of antisemitism, should the international community be worried about anti-Jew violence on the scale of the Holocaust?

BELLER: We should always be vigilant about genocidal threats to any people or nation, especially Jews, given the Holocaust. And I cannot see into the Iranian president’s head to know whether he really meant what he has said, on various occasions. Frankly, however, I am deeply sceptical whether he has any real intention to murder six million Israelis, and I also do not think he will ever have the power to do so. I would put such statements on a par with Khruschchev’s assertion “We will bury you”. That statement sounded deeply threatening but was apparently simply claiming that Soviet communism would outlast Western capitalism—whatever its supposedly threatening nature, we now see that it proved false. That was because the West not only proved to have the willpower to stand up to the Soviet Union, but also the confidence and wisdom not to over-react to such threats, but rather to practice a policy of containment and later détente. Similarly as regards the remaining threat of anti-Jewish violence in the world, especially in the Middle East, it is most important that cool heads prevail on both sides, not only on the “anti-Zionist” side but also in Israel and among Israel’s supporters. I realise that in the last few years, given developments in Israel and increased Muslim migration to Europe, “antisemitic” incidents have been on the rise in many European states and the tenor of the European media has often pushed up against the line where reasonable, even justifiable criticism of Israeli government policy and actions shades off into anti-Zionism, and worse still, into antisemitism. Yet the extent to which criticism and hostility toward Israel has transformed into a “new antisemitism” where Israel as “the big Jew” has replaced “the Jew” as the target of antisemitic ire, is, I think, highly exaggerated.“ http://blog.oup.com/2008/09/vsi_beller/ 28.09.2010. OUP heißt Oxford University Press und stellt die Fragen des Verlages in diesem Gespräch mit Beller.

[ii] Im Original der Brief in Kleinschreibung.

[iii] Steven Beller (2007a): In Zion’s hall of mirrors: a comment on Neuer Antisemitismus?, in: Patterns of Prejudice, Vol. 41, No. 2, 2007.

[iv] Vgl. folgende Passage aus Beller 2007a: „Matthias Ku¨ ntzel and Wistrich both show how the Nazi propaganda machine influenced the Arab leadership in the 1930s, especially the Grand Mufti of Jerusalem. Yet the mere presence of an ideology explains little. Nazi-inspired antisemitism would have got nowhere had there not been a use for it in opposing and explaining the Jewish colony in Palestine; the intensity of Arab anti-Zionism and antisemitism would never have reached current levels without the founding of Israel and its occupation of Gaza and the West Bank. The question is whether Muslim antisemitism has now taken on a life of its own or whether it is, as Gerd Koenen suggests (187), more likely a means, in all its conspiratorial trappings, by which Arabs have attempted to rationalize their defeats and humiliation at the hands of Israel. I believe that Koenen has it about right when he suggests that, as a rationalization and not a delusion, Arab antisemitism is still provisional, still capable of being discarded, should circumstances change. If so, then delineating a delusional and vile ideological perversion, replete with a television serialization of the Protocols of the Elders of Zion, should not be our main task. Rather, we should be trying to understand what has given rise to this desperate intellectual tactic.“?

[v] So die Ankündigung für das Sommersemester 2010 an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät: „Christian Hörnlein ‚Antisemitismus in Deutschland und Italien zwischen Nationsbildung und Faschismus‘ Seminar: BA, Vertiefung Kulturwissenschaften, Vertiefung Kulturgeschichte, 8 ECTS Mittwoch: 11:15 Uhr – 12:45 Uhr, Beginn 14.04.2010 GD 04“. Literatur: Zur Anschaffung, vor allem aber zur Lektüre empfohlen: Steven Beller, Antisemitismus, Stuttgart 2009 (Reclamband für 5 €)“ http://www.kuwi.euv-frankfurt-o.de/de/lehrstuhl/kg/kulturneu/Sommersemester_2010/index.html (28.09.2010).

[vi] „Ein jüdischer Junge an einer Schule in Berlin. Die Mitschüler sprechen nicht mit ihm, rufen ihm Schimpfworte hinterher, nennen ihn »Scheißjude«. Lauern ihm an der Straßenecke auf, um ihn zu verprügeln. Wann spielt die Geschichte? Das kann nur in der Hitler-Zeit sein, in den dreißiger, vierziger Jahren. Und die anderen Kinder sind Deutsche, die Kinder von Nazis. Aber Arye Shalicars Geschichte spielt in der Gegenwart. Im Berlin unserer Tage. Und die Kinder, die den jüdischen Jungen verhöhnen und verprügeln, sind »Deutsche mit Migrationshintergrund«, junge Türken, Libanesen, Araber. Als Arye Shalicar dieses Buch in Israel schrieb, konnte er nichts von den Thesen Sarrazins und der ganz Deutschland elektrisierenden Debatte über »Integration« wissen. Er wollte sich die bedrückenden Erinnerungen von der Seele schrei­ben: an seine Kindheit und Jugend in Berlin. Arye, geboren 1977 in Göttingen, ist der Sohn nach Deutschland eingewanderter Perser. Von den anderen Einwanderern aus islamischen Ländern unterscheidet sie nur dies: Sie sind Juden“ (Chaim Noll (2010): Ein Berlin des Hasses. Arye Shalicar schildert in seiner Autobiografie, warum er von Deutschland nach Israel geflüchtet ist, in: Jungle World Nr. 38, 23. September 2010).

„Schadenfreude“ – der 11. September 2001 aus Sicht eines syrischen Philosophen

„Schadenfreude“ – der 11. September 2001

Superhelden der Forschung, Teil 5:

Der Philosoph Sadik J. Al-Azm

Von Dr. Clemens Heni

Der international bekannte syrische Professor Sadik J. Al-Azm (Jg. 1934) ist in Deutschland und dem Westen ein gern gesehener Nahostforscher, ja Philosoph und wird als Dissident vorgestellt. Das staatlich finanzierte online Portal Qantara.de nennt ihn einen „streitbaren Aufklärer“[1], die Tagesschau stellt ihn im Interview als Kritiker der islamischen Attacken gegen westliche Botschaften im Zuge der Mohammed-Karikaturen vor, wenngleich er die Karikaturen als „Dänische[n] Fauxpas“ bezeichnet[2], und die Universität Tübingen verleiht Al-Azm 2004 den Leopold-Lucas Preis, benannt nach einem im Holocaust ermordeten Juden.[3] Lucas kann sich nicht mehr wehren, wem ein Preis in seinem Namen verliehen wird (auch bei manch anderen Preisträgern wird man sehr skeptisch[4]).

Al Azm hat eine distanzierte Haltung zum Islamismus, da er philosophisch eine grundsätzlich religionskritische Position, verbunden mit einer Version von Marxismus vertritt. Er kritisiert auch mitunter Antisemitismus alten Stils sowie Antimodernismus, Antiamerikanismus und Wissenschaftsfeindlichkeit, betont aber vehement die christliche Herkunft des Antisemitismus im Islam und möchte den fundamentalistischen Islam nicht als solchen, vielmehr als Spiegelbild des katholischen untersucht wissen.[5]

Viele nahöstliche Despoten stehen Al-Azm feindselig gegenüber und sein Image ist deshalb in Deutschland das eines Kritikers der Zustände in der arabischen und muslimischen Welt. Das zeigt sich u.a. daran, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung ihn als Mitglied in einem „Berliner Forum für Fortschrittliche Muslime“ führt.[6]

Al-Azm hat die einzige Stellungnahme bzw. den einzigen Artikel in der islamwissenschaftlichen Fachzeitschrift Die Welt des Islams zum 11. September verfasst.

Sein Text erschien allerdings erst im Jahr 2004, was bereits indiziert, wie wenig der 11. September die deutsche Nahostforschung zum Nachdenken brachte. Es ist auch bezeichnend, dass ein nicht in Deutschland lebender oder forschender Philosoph eine solche Stellungnahme, einen „Viewpoint“, publizierte.

Was schreibt Al-Azm?

Sein Text versteht sich als „persönliche“, „politische“ und „kulturelle“ Antwort auf jenen Tag und die Folgen.[7] Am 11. September war er gerade „visiting professor“ an der „Tohoku Universität“ in Japan.[8] Er schaute gerade Fernsehen und musste sich vergewissern, dass er weder einen „science fiction channel“ oder einen „panic movie“ aus Hollywood sehe. In der Gewissheit, reale Bilder zu sehen von den brennenden Türmen in New York City, überfiel ihn dann eine „strong emotion of Schadenfreude“![9]

Noch abstoßender wird das ganze, wenn er betont, dass Schadenfreude („shamata“[10] auf Arabisch) im Falle eines Todes, selbst wenn es sich um die schlimmsten Feinde handelt, in der arabisch-islamischen Kultur angeblich verboten sei. Die ach so hohe arabische Kultur, da ist sie wieder, mit Stolz präsentiert von einem Philosophen, der sich das Lachen kaum verkneifen kann während Menschen im World Trade Center ersticken, zerquetscht werden, verbrennen oder sich in den Tod stürzen aus dem 97. Stockwerk.

Diese spontane Reaktion Al-Azms am 11. September 2001 sagt alles über diesen Mann.

Al-Azm versuchte seine Schadenfreude zu verbergen und sich zu beherrschen, aber sie war da.

Er erklärt seine Schadenfreude: die News aus „Palästina“ seien die letzten Tage vor dem 11. September schlecht gewesen; die „Arroganz der Macht“ der Amerikaner attackiert zu sehen, sei darum naheliegend.

Seinen verdutzten japanischen Kollegen, denen es rätselhaft war, warum sie Bilder sahen von jubelnden Palästinensern, die Süßigkeiten verteilt bekamen wegen des Massenmords im World Trade Center, erklärte er, dass es wohl kaum Menschen im Nahen Osten geben würde, wie „nüchtern, kultiviert oder gebildet“ sie auch immer seien, die nicht auch „Schadenfreude“[11] verspürten. Offenbar eine ganz natürliche Reaktion für Araber und Muslime, will Al-Azm, der dissidente syrische Philosoph sagen.

Der Islam sei viel zu schwach für einen „Kampf der Kulturen“, wie ihn Samuel Huntington vorhersagte. Zugleich wird Huntington des „Essentialismus“ geziehen, dieser „klassische orientalistische Essentialismus“ sei von Edward Said „so schön“ „zerstört“ worden.[12] Kein Wort zum basalen Antizionismus bei Said, vielmehr argumentiert auch Al-Azm vehement gegen Israel und die „aggressive Agenda“[13] von Ariel Scharon im Jahr 2002, ohne auch nur mit einem Wort die Selbstmordanschläge gegen Juden und Israeli in diesem fürchterlichen Jahr 2002 zu erwähnen.

Schließlich findet Al-Azm es völlig übertrieben aus dem 11. September ein historisches Datum zu machen, das sei „pseudo apokalyptische Rhetorik“.[14]

Sadik Al-Azm hatte also spontan Schadenfreude ob des Massenmordes im World Trade Center, er teilt die antisemitischen und antiamerikanischen Motive der Jihadisten, ohne selbst ein Islamist zu sein, da er ja eher säkular orientiert ist. Der Text von Al-Azm zeigt zudem, was die deutschen Herausgeber von Die Welt des Islams für eine Position haben: der einzige Text bis 2010, welcher in dieser wegweisenden islamwissenschaftlichen bzw. nahostwissenschaftlichen Zeitschrift zum 11. September publiziert wurde, äußert Schadenfreude und rechtfertigt den Massenmord auf elaborierte Weise, indem schließlich auch lamentiert wird, dass die arroganten Europäer bei der Entwicklung der Moderne die Araber und Muslime gar nicht konsultiert hätten.[15] Was für ein Verbrechen!

Der 11. September als eine Art Rache auch in dieser Hinsicht.

Doch am meisten schockierend ist die Tatsache, dass ein arabischer Philosoph, ein sogenannter Dissident, Mitte sechzig wie Al-Azm, am 11. September 2001[16] spontan Schadenfreude empfand und er bis heute im Westen geehrt wird und wiederum als ‚moderat‘ oder gar kultiviert gilt. Was für eine Kultur hat ein Akademiker, der spontan (!) Schadenfreude empfand am 11. September 2001?

Die Reaktionsweise Al-Azms drückt die Wahrheit aus über die politische Kultur, die psycho-soziale Realität und die antiamerikanische und antizionistische Ideologie in der arabischen Welt (von den „Bin-Laden-Cocktail“-Schlürfern aus Deutschland am 11. September einmal zu schweigen).

Die Tatsache, dass noch Jahre später eine deutsche Zeitschrift einen solchen Viewpoint Al-Azms als einzige Reaktion auf diesen historischen Tag publiziert, spricht mehr als Bände.[17]


[1] Kersten Knipp (2009): Porträt Sadik Al-Azm. Ein streitbarer arabischer Aufklärer, in: http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-469/_nr-1126/i.html (03.09.2010).

[2] http://www.tagesschau.de/ausland/meldung134530.html (03.09.2010).

[3] http://www.uni-tuebingen.de/en/news/archive/leopold-lucas-preis.html (03.09.2010).

[4] Z.B. bei Annemarie Schimmel oder Moshe Zimmermann wird man nachdenklich, http://de.wikipedia.org/wiki/Dr.-Leopold-Lucas-Preis (11.09.2010).

[5] Vgl. Sadik J. Al-Azm (1993): Unbehagen in der Moderne. Aufklärung im Islam, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 77-137.

[6] http://www.fes.de/BerlinerAkademiegespraeche/interkultureller-dialog/islam-gesellschaft/Berlin-Forum/ (03.09.2010).

[7] Sadik J. Al-Azm (2004): Islam, Terrorism and The West Today, in: Die Welt des Islams, Jg. 44, H. 1, 114-128.

[8] Al-Azm 2004, 114.

[9] “I was in Sendai, Japan as a visiting professor at Tohoku University when the September 11, 2001 airborne assaults on the World Trade Center in New York and the Pentagon fortress in Washington DC occurred I happened to be watching television when the stunning image of the smoking first tower flashed on the screen. As soon as I assured myself that this was neither the science fiction channel nor some mega Hollywood urban fear and panic movie on display and that what I saw was for real this time, I could not help experiencing a strong emotion of Schadenfreude that I tried to contain, control and hide” (Al-Azm 2004, 114).

[10] Al-Azm 2004, 114.

[11] Al-Azm 2004, 115.

[12] Al-Azm 2004, 126.

[13] Al-Azm 2004, 116.

[14] Al-Azm 2004, 116.

[15] “Modernity is basically a European invention. Europe made the modern world without consulting Arabs, Muslims or anyone else for that matter and made it at the expense of everyone else to boot. There is no running away from the fact that the Arabs were dragged kicking and screaming into modernity, on the one hand, and that modernity was forced on them by superior might, efficiency and performance, on the other” (Al-Azm 2004, 125).

[16] Ganz anders die Reaktion des Holocaust Überlebenden Ralph Giordano, der in seinen Memoiren berichtet: “11. September 2001. Als ich an diesem Tag die brennenden twin towers von New York sehe, diese qualmende Kriegserklärung an die gesittete Welt, an alles, was das Leben lebenswert mach, denke ich: ‚Da zeigt ein neuer Todfeind seine Visitenkarte, da wird gerade ein anderes Zeitalter eingegongt – ade, du heimliche Hoffnung auf ein geruhsameres Alter.‘ Die Feuersbrunst auf kleinstem Raum, tausend Grad und mehr; das Grauen in den steckengebliebenen Fahrstühlen; die Menschen oberhalb der Flammen abgeschnitten, die darunter auf meist aussichtsloser Flucht; durch die Luft von hoch herabwirbelnde Gestalten, wie vereiste Vögel, wenn da nicht die rudernden Arme wären; schließlich die in hunderttausend Einzelfetzen zerstiebenden Wolkenkratzer – Bilder, die sich für immer in das Bewußtsein eingerammt haben. Wer tut so etwas? Wer?“ (Ralph Giordano (2007): Erinnerungen eines Davongekommenen. Die Autobiographie, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 516).

[17] Es gibt eine deutsch-sprachige Version dieses Artikels, der in einer österreichischen Zeitschrift erschien, Sadik J. Al-Azm (2005): Die Zeit aus den Fugen. Westliche Vorherrschaft, islamistischer Terror und die arabische Vorstellung, in: Wespennest, Nr. 138, online einsehbar auf http://www.eurozine.com/articles/2005-05-09-alazm-de.html (03.09.2010). Bezeichnend ist, dass der Text gekürzt ist und die anti-israelische Stoßrichtung nicht vorkommt, was gleichsam eine Verleugnung einer der Intentionen des Textes ist. In der gleichen Ausgabe von Wespennest mit dem Schwerpunkt Islam schreiben u.a. auch Katajun Amirpur, Navid Kermani, Stefan Weidner.

Der „Global Mufti“ in Berlin – Gender Mainstreaming und suicide bombing

Von Dr. phil. Clemens Heni, 10. September 2010

Superhelden der Forschung, Teil 4:

Islamwissenschaft – Gudrun Krämer und Bettina Gräf

Die Organisatoren des zehnten internationalen Literaturfestivals Berlin (ilb) haben den Gen- und Intelligenz-Forscher, elitären Biologisten und Deutsch-Nationalen SPDler Thilo Sarrazin wieder ausgeladen[1] – mit einer Lobeshymne auf einen der gefährlichsten und beliebtesten Islamisten, der öffentlich zum Mord an Juden aufruft, haben sie dagegen keine Probleme.[2]

Das Festival ist ein großer Event, gesponsert nicht nur von der Heinrich Böll Stiftung, der Robert Bosch Stiftung, le Monde diplomatique, der taz, radio eins, sondern auch der Deutschen Bundesregierung via Auswärtiges Amt. Veranstalter sind die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e.V. und die Berliner Festspiele in Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt.

Am 16. September 2010 soll der „Global Mufti“[3] von seinen ihm ergebenen deutschen Forscherinnen und anderen geehrt werden.[4]

Um was geht es? Yusuf al-Qaradawi!

Qaradawi ist der derzeit wohl bekannteste und einflussreichste Islamist weltweit, seine Predigten werden wöchentlich von dutzenden Millionen Muslimen gehört bzw. im TV angesehen, seine an die einhundert Bücher und nicht zuletzt seine Fatwas („islamische Rechtsgutachten“) im Internet haben eine große Verbreitung. Dieser alte Islamist ist ein Superstar für Fans des anti-israelischen Jihad.

Qaradawi dankte zuletzt im Januar 2009 Hitler für den Holocaust und rief dazu auf, gegen Israel aktiv zu werden; Qaradawi wünscht sich selbst noch im Rollstuhl, wenn es denn soweit kommen sollte, Juden in Israel zu ermorden und dann von den IDF (Israel Defense Forces) getötet zu werden, um als „Märtyrer“ zu sterben. Man kann das in einem Video auf youtube sehen und hören (vgl. unten).

Der Mann wurde 1926 geboren und wird von seinen Anhängern als „moderat“ bezeichnet. Im Folgenden wird gezeigt, was unter „moderat“ zu verstehen ist.

Zwei seiner deutschen wissenschaftlichen Fans, Prof. Dr. Gudrun Krämer, Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin[5] und Dr. Bettina Gräf vom Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin[6], wollen auf dem Festival mehrere ihrer Bücher zu Qaradawi vorstellen.

Ein kurzer Blick in die diesbezüglichen wissenschaftlichen Arbeiten von Krämer und Gräf mag Aufschluss geben.

Seit Oktober 2001 bis heute wurden mehrere tausend sogenannte Kassam Raketen vom Gaza-Streifen auf Israel abgefeuert. 28 Israeli wurden dabei ermordet, mehr als 600 verletzt (Stand August 2010).[7] Diese Kassam-Raketen sind nach Scheich Izz ad-Din al-Qassam (1882 – 1935) benannt, einem militanten, palästinensischen Jihadisten und verehrtem „Martyrer“. 1935 ermordete er einen Juden und wurde wenig später von britischen Einheiten gestellt und kam im Kampf um.

Was sagt die Wissenschaft dazu? Gudrun Krämer schreibt:

„Wie bei Hasan al-Banna und den ägyptischen Muslimbrüdern gingen bei Qassam und seinen Anhängern ein reformierter Islam und ein kämpferischer Nationalismus Hand in Hand. Zentral war für Banna wie für Qassam die individuelle Erneuerung verbunden mit der Reform der praktizierten Religion, so daß individuelle Umkehr und gemeinschaftliches Handeln ineinandergriffen und sich gegenseitig verstärkten.“[8]

Wie sah das „gemeinschaftliche Handeln“ aus? Kartenspielen, Fußball spielen, tanzen, singen?

„Den Jihad begriff Qassam wie andere muslimische Aktivisten vor und nach ihm als intensives Bemühen um ein gottgefälliges Leben (al-jihad fi sabil allah), reduzierte ihn also keineswegs auf die politische oder gar die militärische Dimension. Das hielt ihn nicht davon ab, Gewalt zu predigen – und sie zu praktizieren: Angesichts der bedrohlichen Lage in Palästina erklärte er den bewaffneten Kampf zur individuellen Pflicht jedes Muslims (fard al-‘ain) und verkündete das Ideal des Märtyrers, der sich für die Sache des Islam opfert.“[9]

Krämer schreibt, wie Qassam im Oktober 1935 im Kampf fiel – dass er zuvor einen jüdischen Polizisten ermordet hat, verschweigt sie, kommt dafür zu dem Schluss:

„In seinem Aktivismus, der im Märtyrerakt gipfelte, lag das Neue, Faszinierende, auch Überraschende, das weit über die religiösen Kreise hinaus Bewunderung und Nachahmung weckte.“[10]

Man hört geradezu die Begeisterung der Berliner Islamwissenschaftlerin heraus, wenn sie so über den Namensgeber der tödlichen Kassam-Raketen schreibt.

Die Historiker Michael Mallmann und Martin Cüppers kommentierten dies so:

„Daß ein Terrorist dieses Schlages auch nach dem 11. September 2001 in der wissenschaftlichen Literatur noch als ‚Märtyrer‘ bezeichnet wird (…) kann nur mit einer Mischung aus Blindheit und unkritischer Verliebtheit jener Autoren in ihren Gegenstand erklärt werden.“[11]

Andernorts schreibt Krämer über den Islamisten Yusuf al-Qaradawi. Interessant ist, warum sie ihn als „moderat“ einstuft:

„While castigating the ills and evils of modern times, he does not invite or condone violence against others, be they Muslims or non-Muslims (the exceptions are foreign occupation, colonialism, Zionism and Israel). In this sense he can be considered a representative of moderate Islam, or, as he would say, of Islamic centrism (al-wasatiyya al-islamiyya).”[12]

Für Krämer kann also Qaradawi als „Vertreter eines moderaten Islam“ bezeichnet werden.

Qaradwi würde „nicht” zu „Gewalt gegen andere” aufrufen, die „Ausnahmen” seien „fremde Besatzung, Kolonialismus, Zionismus und Israel”. Sind Juden, Zionisten und (jüdische) Israeli keine Menschen oder keine „anderen“? Wie kommt es, dass diese renommierte Islamwissenschaftlerin aus einem Aufruf zur Gewalt gegen Juden/Israeli und ‚Kolonialisten‘ ein Plädoyer gegen Gewalt bzw. keines für Gewalt herbei fantasiert? Ist jemand, der nur zum Völkermord an Juden aufruft aber nicht sofort die ganze Welt in Schutt und Asche legen möchte ein zärtlicher Friedensfreund?

Die Islamwissenschaftlerin Bettina Gräf, eine Schülerin von Krämer, befasst sich seit vielen Jahren mit Qaradawi[13]. 2005 schreibt sie im online-Portal qantara.de, welches u.a. von der Bundesregierung finanziert wird:

„Al-Qaradawi unterstützt entschieden den Unabhängigkeitskampf der Palästinenser, insbesondere seit der zweiten Intifada im Jahr 2000. Er initiiert Solidaritätsaktionen, sammelt Geld, bezieht Stellung im Fernsehen, im Internet, in Freitagspredigten, auf Konferenzen gegen die Besetzung Palästinas. Er rechtfertigt in islamischen Rechtsgutachten Selbstmordattentate der Palästinenser und Palästinenserinnen als Mittel der Verteidigung gegen die Politik Israels.

Für Yusuf al-Qaradawi sind die Attentäter Märtyrer und keine Selbstmörder. Selbstmord gilt im Islam als Sünde, der Märtyrertod nicht. In Palästina werde islamischer Boden und die heilige Stadt Jerusalem verteidigt. So äußerte er sich auf al-Jazeera in der Sendung ‚Das islamische Recht und das Leben‘: ‚Nicht ich allein sage, dass diese Attentate legitim sind, sondern auch Hunderte anderer muslimischer Rechtsgelehrter sehen das so. (…) Ein Mensch, der sich für eine große Sache opfert, ist kein Selbstmörder‘.

Diese Sicht erlaubt die Rechtfertigung der palästinensischen Selbstmordattentate als Märtyrerakt, der Terroranschlag auf das WTC sowie die Anschläge auf Zivilisten in Indonesien und in Saudi Arabien werden hingegen klar verurteilt.“[14]

Damit übernimmt Gräf die Apologie des suicide bombing, das als „Märtyrerakt“ bezeichnet wird. Qaradawi hätte den „Terroranschlag“ auf das World Trade Center „klar verurteilt“ – dass er andere antisemitisch motivierte Anschläge wie in Israel explizit verteidigt und einfordert, wird unkommentiert bzw. ohne Distanz auszudrücken hingenommen. Mit dem Ausdruck „klar verurteilt“ möchte Gräf womöglich anzeigen, dass Qaradawi ein ganz friedvoller und nicht aggressiver Muslim sei. Wenn es gegen Juden geht wird das hinter einer betont ‚unblutigen Sprache‘ des „Selbstmordattentat[s]“ und „Verteidigung gegen die Politik Israels“ versteckt.

Gegen Ende ihres Textes stellt Gräf heraus, wie „gespannt“ sie ist, ob der inner-islamischen Debatten um Recht und Autorität in der von Qaradawi mit gegründeten „Internationalen Vereinigung Muslimischer Rechtsgelehrter“” (The International Association of Muslim Scholars, IAMS). Den Antisemitismus Qaradawis und seine Befürwortung und Einforderung von Selbstmordanschlägen auf Juden kritisiert die Forscherin mit keiner Silbe, von der Gefahr der Islamisierung Europas, welche Qaradawi gezielt mit seinem Wirken voran bringen möchte, und vom gemeingefährlichen Aspekt der Scharia weltweit schweigt sie ebenso.

In einem weiteren Text zu Qaradawi[15] erwähnt Gräf wiederum seine Befürwortung von Selbstmordattentaten gegenüber Israel und Juden, dass er aber Anschläge wie auf das World Trade Center oder in London ablehne. Daraus fantasiert sie herbei, Qaradawi wäre ganzen Herzens bei einer „Antigewaltkampagne“ des ihm sehr nahe stehenden Internetportals www.islamonline.net aktiv. Gegen Gewalt ist er jedoch (wenn überhaupt) nur dann, wenn es nicht gegen Juden und Israel geht oder gegen Amerikaner/Briten/“Kolonialisten“ in „fremdem“ Gebiet, von der Gewalt gegen Musliminnen und Muslime, die nicht ‚islamisch‘ genug sind oder anti-islamisch, ganz zu schweigen.

Logisch gedacht heißt das, dass der Aufruf zur Ermordung von Juden nicht unter „Gewalt“ fällt. Gräf schreibt:

„Im Widerstand gegen koloniale und imperiale Übergriffe und ungerechte Herrschaft zeigt sich Yusuf al-Qaradawi kämpferisch – vor allem gegenüber den USA und Israel. Umso fragwürdiger erscheint seine Unterstützung des sudanesischen Regimes. Hier tappt er in die Falle des Freund-Feind-Denkens (‚Der Islam gegen den Westen‘) und wird seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht.“[16]

An dem Punkt Sudan ‚kritisiert‘ die Islamforscherin also ihren Liebling, doch wenn es gegen „koloniale und imperiale Übergriffe“ von Amerika und Israel geht, rechtfertigt sie damit Qaradawi.

Qaradawi hat mehrfach die Ermordung von Juden/Israeli befürwortet, so auch in einem exklusiven Interview für die englische BBC newsnight im Jahr 2004.[17] Wie das Tel Aviver Stephen Roth Institute for the Contemporary Study of Racism and Antisemitism berichtete gab es in England im Sommer 2004 Widerstand gegen einen öffentlichen Auftritt Qaradawis: Eine Koalition jüdischer, Sikh, Hindu und lesbian/gay Communities protestierte vehement gegen seine Einladung von Seiten muslimischer Verbände und vom Londoner Bürgermeister Ken Livingstone.[18] Der Antizionist Livingstone („der rote Ken“) und dessen positiven Beziehungen zu Qaradawi werden vom Antisemitismusforscher Robert Wistrich als typisches Beispiel für die „rot-grüne Achse“ (sozialistisch-islamistisch) analysiert.[19] Gräf hat Qaradawi persönlich gesprochen, am 23. Dezember 2005, wovon sie 2010 berichtet, ohne sich auch nur in Ansätzen von ihm zu distanzieren.[20]

2007 schreibt Gräf einen Artikel über Qaradawi für Die Welt des Islams, einer führenden, internationalen, islamwissenschaftlichen Fachzeitschrift.[21] Sie betont die Präsenz des Islamisten im Internet und beschreibt en detail seine online-Aktivitäten. Cyber-Islamismus wird aufgrund seiner ‚modernen‘ Form gelobt. Gräf betont mit Nachdruck, dass Qaradawi die Anschläge vom 11. September verurteilt hätte, direkt in Anschluss jedoch erwähnt sie eine Fatwa des in Doha, Qatar, residierenden Hasspredigers, welche den Boykott von amerikanischen und israelischen Waren beinhaltet. Sie stellt diese Fatwa wiederum positiv dar, als „Unterstützung für die zweite Intifada“ und schmiegt sich der Position Qaradawis an.[22] So kann man in jedem antisemitischen und antiamerikanischen Ressentiment und jeder Attacke gegen USA und Israel etwas Positives sehen: Solidarität für die Sache der Palästinenser etc., wenn man die Sicht der Islamisten und anderer Antizionisten teilt.

Am 30. Januar 2009 sagte Yusuf al-Qaradawi im arabischen Fernsehsender al-Jazeera:

„Durch die Geschichte hindurch hat Allah Leute eingesetzt um die Juden für ihre Korrumpiertheit zu bestrafen. Die letzte Strafe wurde von Hitler durchgeführt.“

Zwei Tage zuvor sagte er an selber Stelle, dass er am liebsten am Ende seines Lebens in das Land des Jihad reisen würde um auf „die Feinde Allahs, die Juden“ „zu schießen“. Selbst in einem „Rollstuhl“ würde er dorthin gehen und sodann als „Märtyrer“ sterben.[23]

Im gleichen Jahr 2009 kam das Buch „Global Mufti“ heraus, Ko-Herausgeberin ist Bettina Gräf[24], die Qaradawi ebenso wie Krämer als Vertreter einer „Vision von einem moderaten Islam“[25] bezeichnet; das Vorwort zum Global Mufti schreibt Gudrun Krämer.[26]

In diesem Buch wird Qaradawi nicht nur obsessiv als Superstar der islamischen Welt präsentiert, auch seine Rechtfertigung von Selbstmordanschlägen auf Juden in Israel durch muslimische Frauen wird explizit gewürdigt, da es sich dabei ja um einen „defensiven Jihad“ und keinen „aggressiven Jihad“ handeln würde. Die Autorin Barbara Freyer Stowasser[27] von der Georgetown University in den USA findet hierbei Qaradawis Fatwa sehr bemerkenswert, dass Frauen alleine, ohne männliche Begleitung und Erlaubnis-Fragen, den Weg zum Judenmord gehen dürfen[28], zum „defensive Jihad“. Judenmord gilt in diesen Kreisen als „defensiv“. Das hört sich zynisch oder sarkastisch an, ist aber todernst gemeint, die Autorin lässt sich eine ganze Seite darüber aus[29] und resümiert:

„It is in this situation that Qaradawi’s definition of women’s rights and obligations signifies not gender equivalence but true gender equality.“[30]

Wistrich analysiert den Judenhass von Qaradawi und dessen Legitimierung von suicide bombing von unverschleierten Frauen und betont auch, dass Qaradawi der „spirituelle Führer der Muslimbrüder und Hamas“ ist.[31]

 

Orient. Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur des Orients wird herausgegeben vom Deutschen Orient-Institut in Berlin, gegründet wurde sie vom Nah- und Mittelost-Verein (NUMOV, der seine Anfänge im Nationalsozialismus hatte) im Jahr 1960. Die Autorin Bettina Gräf – wer sonst? – vom Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin schreibt in einem Artikel über Yusuf al-Qaradawi zu dessen Fatwas und seiner Stellung als islamische Autorität. Sie beschreibt Formen der online Präsenz von Muslimen, ohne mit einem Wort die ideologischen Positionen von al-Qaradawi auch nur minimal zu kritisieren. Eine geradezu obsessive Hingabe zur Website von Qaradawi.net rundet dieses affirmative Bild ab.[32] Es geht um die Form, nicht um Inhalt.

Der Aufruf zum Judenmord von Qaradawi von Januar 2009 wird von Gräf auch 2010 in Orient weder erwähnt noch attackiert, vielmehr goutiert.

Qaradawi hat sich am 4. Dezember 2001 gegen Fatwas gewandt, die einen Selbstmordanschlag auf Israeli, bei dem 26 Menschen ermordet wurden, verurteilten.[33]

Aus all diesen Gründen wird Bettina Gräf auf dem Internationalen Literaturfestival in Berlin 2010 zusammen mit Gudrun Krämer und Jakob Skovgaard-Petersen ihre Dissertation zu al-Qaradawi wie auch die Lobhudelei in „Global Mufti“ präsentieren. Es ist offenbar normal einen Antisemiten und Islamisten wie Yusuf al-Qaradawi hoch leben zu lassen und die Lüge zu verbreiten, er sei „moderat[34].

Qaradawi ist gegen Homosexualität, gegen Abtreibung und gegen selbstbestimmte Sexualität und steht zudem für einen

„Euro-Islamismus, der mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat und mit unveräußerlichen Menschenrechten unvereinbar ist.“[35]

Der neueste Trend von Antisemiten ist das Feiern des Holocaust, „celebrating the Holocaust“. So geschehen im deutschen Facebook in hunderten von Hasseinträgen zumeist von Deutsch-Türken unmittelbar nach der Mavi Marmara Aktion (Gaza Flotille) am 31. Mai 2010. Zuvor hatte bereits das ägyptische Fernsehen am 26. Januar 2009 in einem Hetzbeitrag des ägyptischen Predigers Amin Al-Ansari die Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen gefeiert. Der Theologe Richard L. Rubenstein, 2009 Autor von „Jihad and Genocide“, schreibt 2010 zu al-Ansari:

„Unlike Iranian president Mahmoud Ahmadinejad, Al-Ansari makes no attempt to deny the Holocaust. On the contrary, he glorifies it as Allah’s ‘way of wreaking vengeance’ on the Jews and offers graphic film images of the most inhuman Nazi cruelty as the behavior Allah expects from pious Muslims. In Al-Ansari’s narrative, the Germans are the innocent victims and the Jews the evil oppressors.”[36]

Rubenstein analysiert, dass Qaradawi nicht in einem unkontrollierten Hassausbruch, vielmehr aus gezielter, islamistischer Perspektive heraus zum „Genozid“ an Juden aufruft, das sei gleichsam muslimische „Pflicht“.[37]

Würde ein deutscher Neonazi wie Horst Mahler ein Buch schreiben, indem er den Holocaust lobt – es würde mit 100prozentiger Sicherheit keine Buchvorstellung zu diesem Buch auf dem internationalen Literaturfestival Berlin geben. Wenn ein ägyptischer Muslim, in Qatar lebend, wie Yusuf al-Qaradawi sich öffentlich genauso äußert und Hitler für den Holocaust dankt – dann ist das kein Grund eine Lesung zu Ehren dieses Hasspredigers abzusagen. Es wird mit zweierlei Maß gemessen:

Nazis: unerwünscht, Islamisten: super! Dabei sind Nazis und Islamisten die engsten Freunde seit jeher.

Man kann sich nicht neutral oder äquidistant zu Antisemitismus verhalten. Jedes Gewähren lassen ist eine Einverständniserklärung. Gräf und Skovgaard-Petersen nehmen jedoch genau so eine vorgeblich ‚neutrale‘ Haltung ein, sie geben vor, Qaradawi weder „zu verteidigen“, noch „ihn zu attackieren“.[38] Antisemiten müssen aber attackiert werden, bevor sie noch Schlimmeres anrichten. Das ist die Lehre aus dem Holocaust. Doch viele Akademiker haben aus der Geschichte nichts gelernt.

Das internationale Literaturfestival Berlin bietet wieder einmal Antisemitismus bzw. der äquidistanten bis apologetischen Haltung mehrerer Akademikerinnen und Akademiker zu einem der wirkungsmächtigsten Antisemiten unserer Zeit, Yusuf al-Qaradawi, ein Podium. Antizionismus, Israelhass und die Liebe zum Jihad, zu Islam und Islamismus sind en vogue. Da sind mir Gemüse- und Obsthändler mit migrantischem, muslimischem Hintergrund und ohne Abitur lieber – sie sind im Zweifelsfall harmloser und freundlicher als gewisse promovierte deutsche Islamwissenschaftler_innen des Mainstream, was wiederum Sarrazin und seinem großen, deutschen Fanclub zu denken geben sollte (so deren ‚Gene‘ das Denken erlauben).


[1] http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/sarrazin-bei-literaturfestival-ausgeladen-1.html (09.09.2010).

[2] http://www.literaturfestival.com/programm/veranstaltungen-nach-kategorien/reflections/global-mufti-2013-medialer-islam-von-yusuf-al-qaradawi (09.09.2010).

[3] Der Begriff wurde z.B. von J. Skovgaard-Petersen als Titel eines Vortrags im Jahr 1999 auf einer Konferenz an der Harvard University, USA, verwendet, siehe Gräf 2000 (vgl. Anm. 13), 12, Anm. 22.

[4] „Global Mufti – medialer Islam von Yusuf al-Qaradawi. Buchpräsentation mit Bettina Gräf, Gudrun Krämer und Jakob Skovgaard-Petersen Die Podiumsdiskussion zum Sammelband »The Global Mufti. The Phenomenon of Yusuf al-Qaradawi« (2009) und zur Monographie »Medien-Fatwas@Yusuf al-Qaradawi. Die Popularisierung des islamischen Rechts« (2010) stellt den ebenso bekannten wie umstrittenen Medien-Mufti Yusuf al-Qaradawi vor. Neben einem Ausschnitt aus der Fernsehsendung auf Al-Jazeera »Die Scharia und das Leben« (mit Übersetzung und Kommentar) werden kontroverse Themen des 1926 in Ägypten geborenen und 1961 nach Katar emigrierten al-Qaradawi diskutiert. Eine Veranstaltung des Zentrums Moderner Orient in Kooperation mit dem ilb“ (http://www.literaturfestival.com/programm/veranstaltungen-nach-kategorien/reflections/global-mufti-2013-medialer-islam-von-yusuf-al-qaradawi (09.09.2010) ).

[5] http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/islamwiss/mitarbeiterinnen/professorinnen/kraemer/index.html (09.09.2010).

[6] http://www.zmo.de/Mitarbeiter/Graef/Lebenslauf.htm (09.09.2010).

[7] http://sderotmedia.org.il/bin/content.cgi?ID=388&q=1&s=4 (06.09.2010).

[8] Gudrun Krämer (2002): Geschichte Palästinas, München: Verlag C.H. Beck, 304f.

[9] Krämer 2002, 305.

[10] Krämer 2002, 307.

[11] Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers (2006): Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 24. Die Autoren meinen mit ihrer Kritik Gudrun Krämer.

[12] Gudrun Krämer (2006): Drawing Boundaries. Yusuf al-Qaradawi on Apostay, in:  dies./Sabine Schmidtke (Hg.), Speaking for Islam. Religious Authorities in Muslim Societies, Leiden/Boston: Brill, 181-217, 214.

[13] In ihrer Magisterarbeit im Jahr 2000 (1) untersucht Bettina Gräf die Fatwa „Der politische Islam“ von Qaradawi, welche in zwei Teilen 1979 bzw. 1993 entstanden ist (2), sie zitiert nach der Fassung aus dem Jahr 1994 (3) und resümiert: „Al-Qaradawis Projekt lenkt den Blick auf die religiöse Autorität der Religions- und Rechtsgelehrten und ihre Bedeutung für die islamischen Gesellschaften bzw. die islamische Gemeinschaft. Nicht mehr länger sollen sie als rückständig und reaktionär bezeichnet werden. Als politische Akteure mit ungeahnten medialen Möglichkeiten soll von ihnen die Chance genutzt werden, auf nicht-radikalen Wegen und unabhängig von Regierungspolitik in die politische Debatte über die Veränderung der Gesellschaft einzugreifen.“ (4)

In dieser Fatwa schreibt Qaradawi, dass Islam und Staat untrennbar seien: „Denn der Islam ist kein theologischer Glaube oder stellt lediglich Anbetungsriten dar. Das heißt, er ist nicht bloß eine Beziehung zwischen dem Einzelnen und seinem Herrn, ohne Verbindung zur Organisation des Lebens und Lenkung der Gesellschaft sowie des Staates. Es heißt im Gegenteil, daß er Glaube und religiöse Pflicht, Moral und umfassendes islamisches Recht (saria) ist.“ (5) Weiterhin sagt der Islamgelehrte: „Der Islam erlegt jedem Muslim eine politische Verantwortung auf: Er muß in einem Land leben, das von einem muslimischen Führer gemäß dem Buch Gottes geführt wird. Die Menschen müssen ihn im Amt anerkennen. Ohne dies ist er mit den Unwissenden. In ‘As- sahih heißt es: ‚Wer ohne die Anerkennung eines Imam stirbt, stirbt den Tod eines Ungläubigen.‘“ (6) Auch den Zusammenhang von Antizionismus und Islamismus kann man unschwer erkennen, Gräf schreibt, Qaradawi zustimmend: „Besonders bemerkenswert sind hier die Beispiele zur Praxis der Erstellung von Rechtsgutachten im ‚politischen Interesse der Herrschenden‘, welche al-Qaradawi wiederum in die Vorstellung einbettet, daß im Islam Welt und Religion nicht getrennt gedacht werden können. Diejenigen, die zur Trennung von Staat und Religion aufriefen, seien auch die, die z. B. Rechtsgutachten zur Legitimation ihrer Politik anfertigen ließen. Zum einen erwähnt er die Rechtsgutachten, die das für al-Qaradawi verräterische Friedensabkommen mit Israel im Jahr 1978 legitimierten. Zum anderen erinnert er an die Fatwa des Großmuftis Sayyid Tantawi im Jahr 1989, die das Erheben von Bankzinsen und die Verwendung von Schuldverschreibungen rechtfertigte.“ (7) Mit keiner Silbe kritisiert die junge Islamwissenschaftlerin den Antisemitismus und Israelhass dieser Fatwas (8) und der Position Qaradawis. Vielmehr lobt sie ihn ganz grundsätzlich: „Das Ziel von Yusuf al-Qaradawi ist nicht eine Reform des Islam und die Anpassung des Islam an veränderte gesellschaftliche Bedingungen, wie es die islamischen Reformer Ende des 19. Jahrhunderts zum Ziel hatten. Er strebt umgekehrt eine Reform der Gesellschaft an, die von den Grundlagen und Zielen des Islam getragen werden soll, was ihn zu einem Islamisten macht. Obwohl Yusuf al-Qaradawi für die Veränderung der derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse in Ägypten und der islamischen Welt eintritt, vertritt er keine radikalen islamistischen Ansichten. Vielmehr schließt er beispielsweise die Möglichkeit einer parlamentarischen Demokratie als Staatsform für Muslime nicht aus, womit er eine liberale islamistische Position einnimmt, die auch Erfahrungen von nicht-islamischen Gesellschaften akzeptiert, solange diese der Sache der islamischen Gemeinschaft dienen. Mit den islamischen Reformern teilt der Islamist al-Qaradawi jedoch deren Internationalismus. Er setzt sich für das Projekt einer globalen islamischen Gemeinschaft ein.“ (9); Fußnoten: (1) Bettina Gräf (2000): Die Fatwa als politisches Instrument am Beispiel der Fatwa „Der politische Islam“ (al-islam as-siyasi) von Yusuf Abdallah al-Qaradawi, Berlin, Magister Artium am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften am Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin. Gutachterin war Prof. Dr. Gudrun Krämer. (2) Vgl. Gräf 2000, 43. (3) Gräf 2000, 44. Gräf übersetzt die Fatwa, welche im Anhang der Arbeit auf Arabisch dokumentiert wird. (4) Gräf 2000, 82. (5) Qaradawi, der politische Islam, zitiert nach der Übersetzung in Gräf 2000, 47. (6) Ebd., 57. (7) Gräf 2000, 66. Qaradawi schreibt in seiner Fatwa: „Außerdem erinner ich mich – und erinnern sich die Leute – wie von den Rechtsgelehrten (ahl al-fatawa) gefordert wurde, Rechtsgutachten zur Legitimität des Friedens mit Israel zu erstellen. Um ihre verlorene Politik zu verewigen, nachdem bereits fatawa erstellt worden waren, die den Frieden mit Israel für unerlaubt erklärt hatten. Dies wurde als Verrat an Gott, seinem Gesandten und den Gläubigen betrachtet!“ (zitiert nach Gräf 2000, 60). (8) Vgl. auch Gräf 2000, 23. (9) Gräf 2000, 80.

[14] Bettina Gräf (2005): Yusuf al-Qaradawi und die Bildung einer ‘globalen islamischen Autorität’. Internationale Vereinigung muslimischer Gelehrter, in: http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-323/i.html (07.09.2010). Gräf wird wie folgt angepriesen: „Eine kürzere Version des Artikels erschien erstmals in der Zeitschrift ISIM-REVIEW, herausgegeben vom ‘International Institute for the Study of Islam in the Modern World’. Der Artikel basiert auf acht Texten, die auf al-Qaradawis Homepage vom 13.7. bis 3.9. 2004 in verschiedenen Rubriken zur IAMS veröffentlicht wurden sowie auf der Sendung “Das islamische Recht und das Leben” des Satellitenfernsehsenders al-Jazeera vom 27.7.2004, die transkribiert unter www.aljazeera.net zu finden ist. Bettina Gräf ist Direktionsassistentin am Zentrum Moderner Orient in Berlin. In ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit der ‘Produktion und Rezeption von islamischen Rechtsgutachten im Zeitalter der elektronischen Medien am Beispiel von Yusuf al-Qaradawi’“ (ebd.).

[15] Bettina Gräf (2006): Yusuf al-Qaradawi: Das Erlaubte und das Verbotene im Islam, in: Katajun Amirpur/Ludwig Ammann (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion, Freiburg/Basel/Wien: Herder, 109-117.

[16] Gräf 2006, 115.

[17] http://www.bbc.co.uk/pressoffice/pressreleases/stories/2004/07_july/07/newsnight.shtml (07.09.2010).

[18] http://www.tau.ac.il/Anti-Semitism/asw2004/uk.htm (07.09.2007). Ebenso kritisch gegenüber Qaradawi Jeff Barak (2005): Anti-Semitism or a war with the ‘Mail’? It would be simpler if Ken just said sorry. Livingstone’s stance has shocked gays and lesbians, in: The Independent, 11. Dezember 2005, http://www.independent.co.uk/opinion/commentators/jeff-barak-antisemitism-or-a-war-with-the-mail-it-would-be-simpler-if-ken-just-said-sorry-518932.html (07.09.2005).

[19] Robert Wistrich (2010): A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad, New York: Random House, 400-402.

[20] Bettina Gräf (2010): Media Fatwas, Yusuf al-Qaradawi and Media-Mediated Authority in Islam, in: Orient, 51. Jahrgang, H. 1, 6-15, 9, Anm. 18.

[21] Bettina Gräf (2007): Sheikh Yusuf Al-Qaradawi in Cyberspace, in: Die Welt des Islams, 47. Jg., Heft 3-4, 403-421.

[22] Gräf 2007, 413.

[23] http://www.memri.org/report/en/0/0/0/0/0/0/3062.htm (07.09.2010), ein Video mit den Botschaften ist hier zu sehen: „Yusuf al-Qaradawi Praises Hitler and the Holocaust“, http://www.youtube.com/watch?v=VcB_DZ4YQYQ (07.09.2010).

[24] Bettina Gräf/Jakob Skovgaard-Petersen (Hg.) (2009): Global Mufti. The Phenomenon of Yusuf al-Qaradawi, London: Hurst & Company. Eine Rezension des Buches von Götz Nordbruch auf dem Mainstream geschichtswissenschaftlichen Internet-Portal H-Soz-Kult lobt den Band und erwähnt das Bejahen von suicide bombing gegen Israel durch Qaradawi en passant, so als könne man im Folgenden einfach so über diesen Antisemiten referieren, siehe Götz Nordbruch: Rezension zu: Gräf, Bettina; Skovgaard-Petersen, Jakob (Hrsg.): The Global Mufti. The Phenomenon of Yusuf Al-Qaradawi. London 2008, in: H-Soz-u-Kult, 03.03.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-164 (09.09.2010). Perfide wird es, wenn man sich anschaut, dass Nordbruch vor Jahren auch von einem Forschungszentrum zu Antisemitismus, SICSA in Jerusalem, publiziert wurde mit einem (nicht bemerkenswerten, vielmehr zumal Klaus Holz oder vor allem Gudrun Krämer völlig unkritisch zitierenden) Text über Holocaustleugnung und Roger Garaudys Rezeption im arabischen Nahen Osten, http://sicsa.huji.ac.il/17nordbruch.html (09.09.2010). Sich irgendwie kritisch zu Holocaustleugnung zu stellen, so zu tun, als sei man auch gegen Antisemitismus, aber gleichzeitig eine Lobhudelei auf einen der weltweit einflussreichsten Antisemiten wie Yusuf al-Qaradawi positiv zu rezensieren, das ist entweder vollkommen inkonsistent und absurd oder eben perfide.

[25] Bettina Gräf (2009a): The Concept of Wasatiyya in the Work of Yusuf al-Qaradawi, in: Gräf/Skovgaard-Petersen (Hg.), 213-238, 228.

[26] Gudrun Krämer (2009): Preface, in: Gräf/Skovgaard-Petersen (Hg.), ix-xi. Sie setzt so ein: “How do we explain the fact that Yusuf al-Qaradawi is easily the best-known if not the most popular Muslim preacher-scholar-activist of the early 21st century?” (ebd., ix). In einem anderen Text in diesem Band wird erwähnt, dass Qaradawi Einreiseverbot in die USA hat wegen seiner Verteidigung des “Märtyrertums”, das ist jedoch für den Autor kein Grund Kritik an Qaradawi zu üben: Husam Tammam (2009): Yusuf al-Qaradawi and the Muslim Brothers. The Nature of a Special Relationship, in: Gräf/Skovgaard-Petersen (Hg.), 55-83, 62f.

[27] Barbara Freyer Stowasser (2009): Yusuf al-Qaradawi on Women, in: Gräf/Skovgaard-Petersen (Hg.), 181-211.

[28] Eine Dokumentation der Fatwas ist hier zu finden, vor dem Hintergrund der Einladung an Qaradawi nach England im Jahr 2004: http://www.americancongressfortruth.com/downloads/All_Files_by_Type/www-meforum-org_article_646_sf3kysu3.pdf (10.09.2010).

[29] „At the centre of Qaradawi’s argument that this practice [“participation as suicide bombers”, d.V.] is lawful are the following points: that the Palestinians struggle against Israel is a defensive jihad which renders participation an individual, not a collective, duty (fard ‘ayn); that the woman may therefore participate without permission of her husband and the young without permission of the father; that a woman’s participation in suicide bombings in Palestine [damit meint die Autorin Israel!!, d.V.] is a pious deed and her death is martyrdom, for which ‘God willing’ she earns the reward of fighters for the Cause. Women are the full sisters of men. In the Qur’an legislates in 9:71 that ‘the believing men and the believing women are guardians one of the other, commanding what is right and forbidding what is wrong’, and God says in 3:195 ‘I will never let the work of any of you be lost, male or female, you are members one of the other’, and then the verse goes on to specify some of the works for which God will reward both sexes: emigration, and endurance of injury and suffering, fighting, and death for the cause of God. This differs from the aggressive jihad (now usually called ‘preventive war’) when Muslims attach non-Muslims areas; in these wars, women can only participate with the husband’s permission if married, and the father’s if not. Since a woman’s participation in the defensive jihad is a religious duty, she may even take off her kerchief (head-covering, khimar) during the last moment before the action, to deceive the enemy and avoid calling his/their attention to herself, which falls under the law of necessity as revealed in Sura 2:172: ‘But if he who is forced by necessity without willful desire or transgression of the limits, then he is guiltless.’ Qaradawi emphasizes that all of the arguments that he is presenting in this fatwa are validated by the consenus of the fuqaha. It is in this situation that Qaradawi’s definition of women’s rights and obligations signifies not gender equivalence but true gender equality” (Freyer Stowasser 2009, 208).  Damit beendet Freyer Stowasser ihren Artikel – man könnte meinen, das sei sehr krasse Satire, aber sie meint es ernst, und Qaradawi ebenso. Frauen dürfen also ihren Schleier lüften und ablegen, kurz bevor sie ihre jüdischen Opfer zerfetzen. Junge muslimische Mädchen dürfen das ‚sogar‘ ohne die Eltern gefragt zu haben.

[30] Freyer Stowasser 2009, 208.

[31] Wistrich 2010, 754.

[32] Gräf 2010. Bezeichnend ist, wer auf dem “Board of the German Orient-Foundation“ sitzt, welche diese Zeitschrift herausgibt, ebd., 81: Prof. Dr. Christina von Braun, Humboldt-Universität, Bernd Romanski vom Board der NUMOV sowie Direktor des Managements von Hochtief, Prof. Dr. Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Auf dem Board of Trustees sitzen u.a. Dr. Peter Frey, Chef des ZDF-Hauptstadtstudios, Berlin, Dr. Max Stadler, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär, sowie Thomas Ellerbeck, ebenfalls Mitglied des Board von NUMOV, sowie Vertreter von Vodafone D2 GmbH, oder auch Jürgen Chrobog, Mitglied des Board von NUMOV sowie Vorsitzender des Board der BMW Stiftung Herbert Quandt. Neben anderen ist zudem der Präsident der Qatar Universität, Sheikha Abdullah Al Misnda, Ph.D., Teil des Board of Trustees. Die Förderung der deutsch-arabischen/deutsch-muslimischen Wirtschaftsbeziehungen wie auch der politischen Beziehungen ist ein offenkundiges Ziel dieser Zeitschrift; gekaufte Wissenschaft mithin.

[33] http://www.adl.org/NR/exeres/788C5421-70E3-4E4D-BFF4-9BE14E4A2E58,DB7611A2-02CD-43AF-8147-649E26813571,frameless.htm (10.09.2010).

[34] Bettina Gräf/Jakob Skovgaard-Petersen (2009b): Introduction, in: dies. (Hg.), 1-15. Nachdem die beiden Autoren deskriptiv dargestellt haben, dass Qaradawi „suicide attacks“ befürworte – wobei sie in antizionistischer Manier sagen, er befürworte diese Mordanschläge in „Palestine“, was natürlich eine Lüge ist, erstens gibt es diesen Staat nicht gibt, zweitens finden die Anschläge fast immer in Israel statt und drittens befürwortet al Qaradawi ja wohl keine Massaker unter Palästinensern – schreiben sie, wie selbstverständlich, ohne Antisemitismus auch nur anzusprechen: „However, many Arab Muslims regard Yusuf al-Qaradawi as a moderate, and this is certainly how he sees himself“ (ebd., 8). Schließlich erwähnen sie, dass es „Muslime groups and shaykhs with a radical agenda“ gebe, welche Qaradawi „attackieren“ würden, vgl. ebd. So wird aus einem Aufruf zum suicide bombing in Israel ein moderater Muslim, da es noch aggressivere Islamisten gibt. An anderer Stelle bezeichnet Gräf Qaradawi als Vertreter einer „Vision eines moderaten Islam“, Gräf 2009a, 228.

[35] Carsten Polanz (2010): Yusuf al-Qaradawi und sein Konzept der Mitte, in: Materialdienst. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen, 73. Jg., H. 5, 170-179, 178.

[36] Richard Rubenstein (2010): Defeat, Rage, and Jew Hatred, in: Journal for the Study of Antisemitism, 1. Jg., H. 2, 95-138, 122; http://www.jsantisemitism.org/pdf/jsa_1-2.pdf (10.09.2010).

[37] Rubenstein 2010, 124.

[38] „Our book is not intended to be a defence of, or an attack on, Yusuf al-Qaradawi.“ (Gräf/Skovgaard-Petersen 2009b, 11)

ADL Downgrades the Swastika

ADL Downgrades the Swastika

by Dr. Clemens Heni

The Anti Defamation League (ADL) is a vitally important NGO in the United States, known for the fight against anti-Semitism since 1913.

On July 27, 2010, the ADL announced the downgrading of the most important symbol of Nazism, the swastika.

“‘We know that the swastika has, for some, lost its meaning as the primary symbol of Nazism and instead become a more generalized symbol of hate,’ said Abraham Foxman, the ADL’s national director, in a statement. ‘So we are being more careful to include graffiti incidents that specifically target Jews or Jewish institutions as we continue the process of re-evaluating and redefining how we measure anti-Jewish incidents.’”

Even one of the best organizations on the planet can make an honest mistake. We are all but human.

This was an unfortunate, dangerous and frankly a truly relevant decision with serious implications for the US, Europe, the Middle East and the entire world.

“The painting of a swastika—the dark, ubiquitous signature of hateful vandals everywhere—will no longer be automatically considered an act of anti-Semitism under new guidelines for recording attacks against Jews announced by the Anti-Defamation League.”

Prominent support comes from Los Angeles, California:

Michael Berenbaum, former project director of the U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington and now a consultant, said he agrees with ADL’s decision.

“The presence of swastikas in certain contexts is not sufficient to prove anti-Semitism,” he said.”

However fine the motives (showing universalist feelings of inclusiveness to all targeted minorities), this is, in the final analysis, a distortion of history and an obfuscation of the most anti-Semitic symbol Germany (and the world) ever had. But it is not only a matter of history.

Here are some personal encounters from recent years.

On a sunny late summer day in 2008 I travelled to the mountains near Bennington, Vermont, just before starting a Post-Doctoral appointment at Yale University at the Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA). The Green Mountain is part of a lovely countryside, just disturbingly overshadowed by the fact that we saw a well set in a stone swastika at a river. Wow, are we back in Austria or Germany, where swastikas can be found aplenty in public?

The swastika is the best known and most important anti-Semitic symbol, even before the Holocaust. Everyone who knows German and has a little background in history knows the Hakenkreuz-Verlag (‘Swastika Publishing House’), a German publishing house, established in 1919 by Bruno Tanzmann, a “volkish” author. Hitler himself declared in his “Mein Kampf”, which you can even find easily at the book-store at Grand Central Station in New York City (in Germany printing and distributing of the book is prohibited, for good reasons):

“In 1920, Adolf Hitler decided that the Nazi Party needed its own insignia and flag. For Hitler, the new flag had to be “a symbol of our own struggle” as well as “highly effective as a poster.” (Mein Kampf, pg. 495)

“On August 7, 1920, at the Salzburg Congress, this flag became the official emblem of the Nazi Party. In Mein Kampf, Hitler described the Nazis’ new flag: “In red we see the social idea of the movement, in white the nationalistic idea, in the swastika the mission of the struggle for the victory of the Aryan man, and, by the same token, the victory of the idea of creative work, which as such always has been and always will be anti-Semitic.” (pp. 496-497)

After the Holocaust the swastika became the most important symbol for all Nazis and Neo-nazis to show their support of National Socialism and particularly the destruction of European Jewry. The swastika is by far not just a symbol of some generalized form of “hatred” as the ADL claims.

Showing a swastika on a wall, a sidewalk, a traffic sign, on pillars, roofs etc. etc. indicates that someone is 1) well aware of Nazi Germany and the Holocaust and 2) wants to show very quickly and unmistakably his or her support for this.

Is there ANY symbol more anti-Jewish than such a swastika?

In Germany swastikas are forbidden in public, though this does not prevent them for being everywhere.

Applying the psychoanalytical concept of derealization of Sigmund Freud we can analyze the ADL decision as a means to say: “the swastika was not the symbol of the Holocaust and of anti-Semitism, it is just a symbol of hatred of what- and whoever”. This is a distortion of history.

Or have a look at some streets in Beirut, Lebanon, during the last soccer world cup: they displayed German flags, including swastikas, because these Arabs are so proud of Germany and Hitler. Even a swastika in India at a Restaurant, or in Latvia on a sidewalk is not at all a symbol of cultural heritage, today. After 1920, when the swastika became the definitive symbol of the Nazi Party in Germany, a swastika was already indicating that someone is in support of the German anti-Jewish Nazi movement.

After the gas chambers of Auschwitz, after Treblinka, Sobibor, the killing of Jews in the woods in Lithuania or at Babi Yar in Ukraine and all other places of the Shoah the swastika, part of every iron helmet of German soldiers, their uniforms etc. etc., every swastika is a symbol of the Shoah. Period.

A painted swastika in the woods of Vermont indicates that there are people who have no problem with the Holocaust, who intimidate Jews and other victims of Nazis. In any case such a painted swastika makes fun of the killed Jews, and endorses the Holocaust, as Neo-nazis or Muslim Jihadists do. Even youngsters are acting anti-Semitic when painting a swastika, because every single Holocaust survivor, her and his relatives, grand grandchildren, and all people who remember (personally or collectively or by knowledge of history) the unprecedented crimes of the Germans (and their friends) during National Socialism remember a swastika as the very core of what happened in the Holocaust and Nazi Germany.

Now, of  course Nazis, right-wing extremists or supremacists who wear T-shirts showing the swastika, as some did in Tennessee recently, aim at African Americans, immigrants, Hispanics, and others. Racism comes as an addition to anti-Semitism in this case.

But firstly and foremostly, a swastika intimidates Jews.  It is the symbol that nowadays says what it means:

“Have a look, Jews, we remember Hitler and his Germans, thanks ever so much for what happened in the Holocaust”.

As ever, a benign slackening of standards in the West is contemporaneous with a malicious change undertaken for the worst possible motives in the East. It was only several months ago that Yiddish scholar Dovid Katz reported in the Yiddish edition of the Algemeiner Journal on a Lithuanian court’s ruling in May 2010 that the swastika is just an ancient national symbol and is therefore legalized entirely (more on his website: www.HolocaustInTheBaltics.com). This is the moment to be sending the most unambiguous possible message to the Lithuanian authorities.

The ADL should reconsider its decision to downgrade the swastika. Showing, painting or endorsing this symbol first of all means support for the Holocaust. The swastika is the best known anti-Semitic, anti-Jewish symbol worldwide, regardless of where it is painted.

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Dr. Clemens Heni is a political scientist and author. He received a Ph.D. in political science in 2006 (Innsbruck, Austria, “summa cum laude”).

He published two books on German anti-Semitism and has published articles in the US, Israel, New Zealand, Australia, Germany, Norway, Czech Republic in English and German about anti-Semitism, the Holocaust, German ideology and political culture, anti-Americanism, cultural relativism, Islamism, and Israel.

He was a post-Doctoral researcher at Yale University until 2009. In 2010 his new book Antisemitism as a Specific Phenomenon will appear.

Stuttgart ist doch keine „Vorstadt von Jerusalem“…

Stuttgart ist doch keine „Vorstadt von Jerusalem“…

Paul Bonatz, der Nationalsozialismus und Die Grünen (K21)

Stuttgart 21 ist weiterhin in der Diskussion, K21 macht mobil (K = „Kopfbahnhof“). Paul Bonatz genießt Kultstatus im Ländle, allerorten. Mit dem Stuttgarter Hauptbahnhof solle sein architektonisches „Meisterwerk“ teilweise abgerissen werden jault eine Erklärung von K21. Geschichtsklitternd zieht die Grünen dominierte Ländlesrevolte dabei auch eine Linie zur Weißenhofsiedlung.[1] Doch wie stand Bonatz zu dieser Mustersiedlung des Werkbundes und was machte Bonatz ab 1933 im SS-Staat?

Der Stuttgarter Hauptbahnhof wirkt wie ein Nazi-Bauwerk, obwohl er doch schon 1928 fertig gestellt wurde. Paul Bonatz nahm typische Elemente der NS-Architektur vorweg:

„So kommt den Bahnhofsportalen die symbolische Funktion von Stadttoren zu, die in ihrer Monumentalität auch für sich alleine stehen könnten. Dieser Ausdruck von Herrschaft und Macht ist auch in den Großprojekten des ‚Dritten Reiches‘ zu erkennen, so an der von Bonatz entworfenen Reichsautobahnbrücke bei Limburg an der Lahn.“[2]

Diese architektonische Verwandtschaft von Bonatz und dem Nationalsozialismus zeigte sich auch in seiner Abwehr der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Er schreibt bereits 1926 während der Planung für die moderne Siedlung:

„Man hat das Gefühl, als stürze sich die Stadt mit der Werkbundsiedlung am Weißenhof in ein Abenteuer. (…) In vielfältigen horizontalen Terrassierungen drängt sich in unwohnlicher Enge eine Häufung von flachen Kuben am Abhang hinauf, eher an eine Vorstadt Jerusalems erinnernd als an Wohnungen für Stuttgart.“[3]

Sodann wurde von Bonatz, Paul Schmitthenner und anderen ein Gegenprojekt zur Weißenhofsiedlung geplant und 1933 umgesetzt, die Kochenhofsiedlung. Kernpunkt war architektonisch die „Satteldachpflicht“, also Vorder- und Hinterseite der Häuser müssen Schrägdächer haben („Walmdächer“ haben gar alle vier Seiten des Daches als Schräge), ganz konträr zur modernen Weißenhofsiedlung mit ihren Flachdächern, die in vielen Aspekten an Tel Aviv erinnert.

Bonatz darf das größte Haus der Kochenhofsiedlung bauen[4], die Eröffnung war ein Fest für den Nationalsozialismus an der Macht:

„‘Im Jahre der nationalen Revolution – 1933 – da – Adolf Hitler – die Macht übernommen, da Wilhelm Murr Reichsstatthalter von Württemberg und Dr. Karl Strölin Oberbürgermeister von Stuttgart war – wurde diese Siedlung aus deutschem Holz erbaut.‘

Diese Worte waren auf der hölzernen Gedenktafel zu lesen, die anläßlich der Eröffnung der Stuttgarter Bauaustellung ‚Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung‘ am Eingang der Kochenhofsiedlung angebracht worden war. Auch die Eröffnungsfeierlichkeiten für die 25 in Holzbauweise errichteten Häuser waren eine Demonstration politischer Macht. So berichtete das ‚Stuttgarter Neue Tagblatt‘ in seiner Abendausgabe vom 23. September 1933, daß die Siedlung ‚mit einem dreifachen Sieg-Heil auf Hindenburg und Hitler, sowie mit dem gemeinsam gesungenen Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied‘ der Öffentlichkeit vorgestellt worden sei.“[5]

Da fühlt sich Paul Bonatz wohl, kein Jerusalem vor der Tür, dafür flatternde Hakenkreuzfahnen[6] und ‚deutsches‘ Holz.

„Schon bald nach der Machtergreifung nutzte Paul Bonatz die Gelegenheit, ideologische Konformität mit den neuen Machthabern in Stuttgart zu zeigen.“[7]

Im August 1934 erschien das erste Heft der neuen Zeitschrift „Die Strasse“, herausgegeben vom Generalinspektor für das deutsche Strassenwesen, Fritz Todt, im Volk und Reich Verlag, Berlin. Auf Seite eins ist eine Abbildung mit Hitler und einem Spaten. Fritz Todt, der 1938 die „Organisation Todt“ gründete, schreibt in einem programmatischen Text „Straßenbau – Bekenntnis und Forderung“:

„Das Straßenbauprogramm des Führers war die erste große Maßnahme, die das nationalsozialistische Deutschland in Angriff genommen hat. Der Straßenbau muß die erste Maßnahme bleiben, nicht nur zeitlich, sonder auch in der Leistung, dann wird das Straßenbauprogramm zum kennzeichnenden Ausdruck deutschen Lebenswillens und deutscher Reichseinheit.“[8]

In diesem Heft ist auch Paul Bonatz als Autor mit dabei.[9] In der nächsten Ausgabe, welche auf dem Titelblatt neben Arbeitsgerät selbstverständlich auch zwei große Hakenkreuzflaggen abbildet, schreibt Bonatz:

„Die Autobahn ist die sinnfälligste Äußerung der Kraft des neuen Staates.“[10]

1936 beschreibt der Stuttgarter Professor „eine rassige Eisenbahnbrücke“[11] und möchte alles harmonisch mit der Natur verbunden sehen. „Rassig“ muss es zugehen, in der Natur, der Gesellschaft wie der Architektur.

1937 erschien zum sechzigsten Geburtstag des Stararchitekten ein Festband. Der Herausgeber Friedrich Tamms schreibt:

„Hamburg ist zusammen mit Berlin und München vom Führer dazu bestimmt worden, durch das nationalsozialistische Deutschland ein neues städtebauliches Gesicht zu erhalten, da dieser Stadt als Deutschlands Eingangstor von Übersee eine besondere Bedeutung zukommt. Einer der wichtigsten der neu zu planenden Großbauten ist die Hochbrücke, die die Elbe überqueren wird. Bonatz selbst berichtet zu seinem Vorschlag: ‚Mit dieser Brücke ist eine Aufgabe gestellt worden, die alle unsere gewohnten Vorstellungen und Maßstäbe weit hinter sich läßt.‘“[12]

Bonatz war ein nationalistischer Architekt, was sich z.B. in der Planung eines „Ehrenmals“ für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1931-1936 zeigt. Der Langemarck-Mythos und das Gedenken an die Soldaten des Ersten Weltkriegs waren konstitutiv für die nationale Bewegung zur Zerstörung der Weimarer Republik und sehr wichtig in der Frühphase des Nationalsozialismus.[13]

Dieses Ehrenmal wie auch der starke Einsatz von Bonatz für die Reichsautobahn werden in dem Huldigungsband gewürdigt, 1937:

„Die Bauten der Reichsautobahn, deren Berater P. Bonatz seit 1935 ist, sind auf diesem Wege ein gutes Stück vorangekommen. (…) Diese Bauten haben den Geist gemein, der auch für die jüngsten großen Arbeiten bestimmend sein wird. Sie zeigen eine männlich ernste deutsche Gesinnung, wie sie aus den großen Bauten des frühen Mittelalters zu uns spricht.“[14]

Die „ernste deutsche Gesinnung“ zeigt sich auch, wenn Bonatz 1942, während des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs, die Reichsautobahnen mit plant. Bonatz möchte mit der Architektur der Reichsautobahn wie deren „Tankanlagen“[15] und „Strassenmeistereien“[16] den nationalsozialistischen Staat stolz und kraftvoll repräsentiert wissen:

„Die preußischen Straßenwärterhäuser um 1800 drückten bei all ihrer Kleinheit aus: Ich vertrete den Staat. Dazu müssen wir bei den um so vieles vergrößerten Aufgaben auch kommen.“[17]

Folgerichtig werden in dem Band auch „Richtlinien für den Entwurf von RAB-Strassenmeistereien“ („RAB“=Reichsautobahn) in der „Fassung vom 1. Oktober 1941“ dokumentiert:

„Für die Lage, Größe und bauliche Durchbildung der Dienstwohnungen müssen nicht nur die Notwendigkeiten des Dienstbetriebs, sondern auch die Grundsätze völkisch-sozialer Lebensanschauung maßgebend sein. Es müssen die wohnlichen Grundlagen geschaffen werden für den Aufbau eines natürlichen, dem Land und der Scholle verwachsenen Familienlebens, dessen Triebkräfte eine Schar gesunder, froher, heim- und heimatbewußter Kinder sind.“[18]

Paul Bonatz stellt sich nicht erst seit 1933 in den staatlichen Dienst „völkisch-sozialer Lebensanschauung“. Er publiziert wie zitiert 1942 Bücher zur Reichsautobahn, darin sind viele Abbildungen wie ein „Eingang zum Dienstgebäude der Straßenmeisterei Halle-Peißen“. Zu sehen ist oberhalb der Türe eine Plastik, bestehend aus einem Adler, auf einem Hakenkreuz sitzend.[19] Bonatz betreibt Nazi-Propaganda mit architektonischen Mitteln.

Bonatz schmiegt sich an Worte des „Führers“ an und möchte in dessen Sinne wirken, 1941:

„Bonatz schrieb, ‚wenn der Führer die Städte in der Ebene an den Hauptverkehrszug oder einen Platz mit großer Ausdehnungsmöglichkeit‘ hinweise, ‚wenn er für Köln und Hamburg die Plätze am Strom‘ bestimme, ‚also überall nach dem Einmaligen, dem Charakteristischen‘ suche, ‚so würde er für Stuttgart sicher mit der Höhenbekrönung einverstanden sein. Die exakte bauliche Gestaltung dieser Anlage, etwas mit Freitreppen wie bei den Propyläen‘, müsse ‚ein Wettbewerb unter den heimkehrenden Kriegern entscheiden‘.“[20]

Heute verteidigen Grüne bruchlos einen Architekten wie Paul Bonatz, der seinen Beitrag gern leistete zum ‚Erfolg‘ des Nationalsozialismus und mit den deutschen „Kriegern“ der Wehrmacht, des SD, der SS, den Polizeibataillonen mit fieberte – während des Holocaust machte er sich Gedanken und entwickelte Pläne wie Straßenmeistereien oder Reichsautobahntankstellen gebaut werden sollen, damit die deutschen Räder rollen können für den ‚Endsieg‘.

Das verweist auf eine ganz eigentümliche Geschichte bis heute: wenig bekannt, analysiert und diskutiert ist die Tatsache, dass bei der Gründung der Grünen Ende der 1970er Jahre ehemalige NSDAP-Mitglieder und Rechtsextremisten beteiligt waren.[21]

Es geht insbesondere um die ideologischen Affinitäten von Ökologie, Nationalismus, Purifikation des ‚Volkskörpers‘ oder des Gartens. Auch die Tatsache, dass die Schutzstaffel (SS) in Dachau einen Kräutergarten anlegen ließ, war kein Zufall.

Die Architekten von Stuttgart 21 sind jedoch noch viel zu zurückhaltend und indifferent gegenüber dem allzu deutschen Erbe: sowohl die große Halle wie auch der Turm (mit dem Mercedes-Stern drauf) sollen stehen bleiben. Damit wirbt die Bahn.

Es ist wohl keine gute Idee dutzende Kilometer Tunnels zu graben, damit der ICE ein paar Minuten schneller rauschen kann. Deshalb ist Stuttgart 21 ein jedenfalls in der Streckenführung merkwürdiges Projekt.

Ein neuer Bahnhof für Stuttgart jedoch – das wäre ein Fortschritt, wenn es denn wirklich etwas Neues gäbe. Doch die Bonatzsche Halle soll ja gerade stehen bleiben.

Warum jedoch sind so viele Grüne – immerhin politisch die stärkste Fraktion in Stuttgart – engagiert gegen Stuttgart 21 und für K21?

Analytisch relevant ist vor diesem Hintergrund ein Text von Andrei S. Markovits, Professor für Politikwissenschaft an der University of Michigan, aus dem Jahr 1988:

„Die Gefahr liegt überspitzt gesagt darin, daß die Grünen zu einem immer wichtigeren Bestandteil einer politischen Kultur der ‚neuen Unbefangenheit‘ werden, die sich in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit in den letzten Jahren sogar des komplizierten und einzigartigen Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden bemächtigt hat – und somit auch des Holocaust. Eines unvergleichlichen Faktums in der Geschichte, das zwar ohne die nationalsozialistische Zwangs- und Willkürherrschaft undenkbar gewesen wäre, das jedoch mehr als ‚Faschismus‘ war, ein Phänomen sui generis, das auch von der deutschen Linken nie als solches aufgearbeitet wurde“.[22]

Markovits und Philip S. Gorski schreiben wenig später, diesen Gedanken von Markovits fortführend:

„Wir wagen die kühne Behauptung, daß es direkte – wenn auch zumeist versteckte – Verbindungslinien zwischen Auschwitz und den Grünen gibt.“[23]

Diese Verbindungslinien sind es, welche es zu analysieren gilt. Wer sich Fernseh- oder Radioberichte, Internettexte wie auch die Printmedien zu Stuttgart 21 anschaut, sieht mit welcher geradezu religiösen Stimmung die Gegnerinnen und Gegner mobil machen. Der Zaun vor dem vor dem Abriss stehenden Seitenflügel wurde als „Wallfahrtsort“ bezeichnet (ZDF).

Es geht hier weniger um ökonomische Krise, leere Kassen für solche unmäßigen Projekte oder um die Bahn mit ihren hauseigenen Problemen. Es geht um diesen Bahnhof. Die Schwaben verteidigen ihn, so als ob das ein schönes Bauwerk oder Bonatz ein ehrenwerter Architekt gewesen sei. Weder noch.

Vielmehr sind die „Verbindungslinien von Auschwitz zu den Grünen“ und die Verbindung von Bonatz, seinem monumentalen, den NS architektonisch antizipierenden Stuttgarter Hauptbahnhof, sein Mitbauen an den Reichsautobahnen und seine Ehrerbietung für den „Führer“ 1941 in den Fokus zu nehmen. In den Archiven gibt es noch viel mehr Dokumente über Bonatz und seine Aktivitäten während des Nationalsozialismus.

Es ist von besonderer Bedeutung, dass gerade die Grünen, Linke, sog. Umweltschützer, Pfarrer, Architekten, Künstler und viele andere ‚Engagierte‘ im Schwabenland nicht auf die Nazi-Zeit, die Autobahn und NS-Architektur reflektieren.

Antisemitismus zeigt sich auch in einer Erinnerungsabwehr und diese „neue Unbefangenheit“, die heute nicht mehr ‚neu‘ ist, gilt es zu kritisieren.

Renate Künast, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, ging kürzlich nach Stuttgart um auf einer Großdemonstration gegen Stuttgart 21 und für den Bonatz-Bau zu reden. Zuvor arbeitete ihre Kollegin Kerstin Müller federführend am anti-israelischen Bundestagsbeschluss vom 1. Juli 2010 zur Gaza-Flotille, der fraktionsübergreifend und einstimmig beschlossen wurde.

Es ist vor diesem Hintergrund konsequent, dass sich Grüne, ‚Linke‘ und Gleichgesinnte gegen Stuttgart 21 wie auch gegen Israel, dafür aber für einen Architekten einsetzen, der 1926 Stuttgart nicht zu einer „Vorstadt Jerusalems“ ‚verkommen‘ lassen wollte.

Honni soit qui mal y pense, gell?


[1] „Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist ein architektur- und geistesgeschichtliches Kulturzeugnis ersten Ranges. Die Gefahr besteht, dass die DB noch vor Genehmigung aller Teilabschnitte von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke voreilig Fakten schafft, nur um die ‚Unumkehrbarkeit‘ von Stuttgart 21 vordergründig zu demonstrieren: durch den Teilabbruch dieses Meisterwerks! Wichtigstes Bauwerk der ‚Stuttgarter Schule‘.
Der Stuttgarter Hauptbahnhof, zwischen 1914 und 1928 von Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer erbaut, steht seit 1987 als ‚Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung‘ unter Denkmalschutz. Seine Bedeutung als Meisterwerk der Architektur ist einzigartig: Der Stuttgarter Hauptbahnhof stößt zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Tor in eine neue Welt auf und wirkt in Deutschlands Süden ähnlich wie die Turbinenhalle von Peter Behrens in Berlin oder die Fagus-Werke von Walter Gropius in Alfeld im Norden, auch wenn er aufgrund der kriegsbedingt langen Bauzeit bei seiner Fertigstellung zum Zeitgenossen der Weißenhofsiedlung wird“ (http://www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=509 (22.08.2010)). Kein Wort darüber, dass Bonatz aggressiv GEGEN die moderne Weißenhofsiedlung aktiv war als Aktivist und Architekt für die völkisch-konforme Kochenhofsiedlung.

[2] Andreas Brunold (1992): Verkehrsplanung und Stadtentwicklung. Die städtebauliche Entwicklung des Stuttgarter Bahnhofsgeländes – eine Fallstudie, Stuttgart: Silberburg Verlag, 285, Anm. 246. Vgl. zu dieser Brücke in Limburg auch: „Verhoeven, Jennifer: ‚…hier war einmal Vollkommenheit erreicht.‘ Die Reichsautobahnbrücke von Paul Bonatz bei Limburg a.d. Lahn. Die Reichsautobahn wollten die Nationalsozialisten nicht nur als technische, sondern auch als “kulturelle” Aufgabe verstanden wissen: Mit ihr sollte ein das eigene Selbstverständnis repräsentierendes landschaftsgestaltendes Gesamtkunstwerk geschaffen werden. Zu den besonders markanten und monumentalen Bauten in diesem Zusammenhang gehörte die nach Plänen von Paul Bonatz von 1937 bis zum Winter 1939/40 errichtete 13-bogige Natursteinbrücke bei Limburg an der Lahn. Der Artikel gibt zunächst grundlegende Informationen zum Reichsautobahnbau und würdigt dann die besonderen gestalterischen Aspekte der Bonatzbrücke, die zum einen in der Einbindung in die umgebende Natur zu sehen sind, zum anderen in dem Bezug auf die nahe gelegene mittelalterliche Bogenbrücke sowie den exponierten Dom. Anschließend wird auf die propagandistische Inszenierung solcher Bauwerke eingegangen. Nach der Kriegszerstörung der Brücke hat man sich beim Neubau in den 1960er Jahren von Formgebung und Materialwahl des Bonatzbaus bewusst abgesetzt, in Fachzeitschrift: Denkmalpflege & Kulturgeschichte (2007)Nr.2, S.2-8, Abb.,Lit.“ (http://www.baufachinformation.de/artikel.jsp?v=631 (24.08.2010)).

[3] Paul Bonatz (1926): Noch einmal die Werkbundsiedlung, in: Schwäbischer Merkur, Abendblatt, 5. Mai 1926, zitiert nach Stefanie Plarre (2001): Die Kochenhofsiedlung – Das Gegenmodell zur Weißenhofsiedlung. Paul Schmitthenners Siedlungsprojekt in Stuttgart 1927 bis 1933, Stuttgart: Hohenheim, 88, Herv. d.V.

[4] Plarre 2001, 53:“Das Haus Nr. 4 wurde von Paul Bonatz und dessen Kompagnon Friedrich Eugen Scholer geplant. Das dreistöckige Mietshaus schließt mit seinem zweistöckigen Bäckereianbau an die ‚Hermann-Pleuer-Straße‘ an. Es ist sicherlich kein Zufall, daß die ersten Gebäude des Siedlungsrundganges von den beiden bedeutendsten Professoren der Stuttgarter Technischen Hochschule entworfen wurden. Die exponierte Lage der Häuser sollte die Bedeutung der Architekten unterstreichen. Ihre Häuser stehen zudem an der höchsten Stelle des Geländes und bekrönen damit die gesamte Siedlung. Bonatz hat im Gegensatz zu Schmitthenner zwar nur ein Gebäude geplant, doch ist seines das größte der Kochenhofsiedlung.“

[5] Plarre 2001, 11.

[6] Vor dem Eingang zur Ausstellung ‚Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung‘, also der Kochenhofsiedlung, hingen mehrere Hakenkreuzfahnen, siehe Abbildung von 1933 in Plarre 2001, 12, Abb. 2.

[7] Brunold 1992, 84.

[8] Fritz Todt (1934): Straßenbau – Bekenntnis und Forderung, in: Die Strasse, 1. Jg., Heft 1, 2.

[9] Paul Bonatz (1934): Die Form der Brücken der Reichsautobahn, in: Die Strasse, 1. Jg., Heft 1, 14-18.

[10] Paul Bonatz (1934a): Die Gestaltung der Brücken im Zuge der Reichsautobahnen, in: Die Strasse, 1. Jg., Heft 2, 52-55, 52.

[11] Paul Bonatz (1936): Kleine Bauwerke in Stein, in: Die Strasse. Vereinigt mit der Zeitschrift „Die Autobahn“ (Reichsautobahn), 3. Jg., Heft 7 (1. Aprilheft), 200-205, 204.

[12] Friedrich Tamms (Hg.) (1937): Paul Bonatz. Arbeiten aus den Jahren 1907 bis 1937. Mit 102 Abbildungen, Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 83. Völlig größenwahnsinnig wird diese Brücke in Relation gesetzt zu anderen Bauwerken: „Nur durch einen Vergleich mit bekannten Größen kann man sich über die Maße Rechenschaft ablegen. Das wurde in obiger Zeichnung versucht, die in der Mitte das Brückenportal der neuen Elbhochbrücke zeigt, im übrigen von links nach rechts folgende Bauten: Pantheon Rom. Kongreßhalle Nürnberg, Berliner Rathausturm. Bavaria, Michaeliskirche Hamburg. Stefansdom Wien, Bahnhof Stuttgart; in der Mittelachse Kölner Dom, Cheopsypramide, Siegessäule Berlin, Freiheitsstatue New York, Kolosseum Rom, Triumphbogen auf dem Etoile de Paris“ (ebd.).

[13] Vgl. Abbildung des Ehrenmals in Heilbronn in Tamms 1937, 53.

[14] Tamms 1937, 7.

[15] Paul Bonatz/Bruno Wehner (1942b): Reichsautobahn – Tankanlagen, Berlin: Volk und Reich Verlag. Der Verlag war auch in „Amsterdam Prag Wien“ ansässig – wir sind im Jahr 1942!

[16] Paul Bonatz/Bruno Wehner (1942): Reichsautobahn – Strassenmeistereien, Berlin/Prag/Wien: Volk und Reich Verlag.

[17] Paul Bonatz (1942a): Die Gesichtspunkte der Gestaltung, in: ders./Wehner (1942), 11-15, 15.

[18] Richtlinien für den Entwurf von RAB-Strassenmeistereien. Fassung vom 1. Oktober 1941, in: Bonatz/Wehner (Hg.) (1942), 111-132, 131f.

[19] Bonatz/Wehner 1942, 88.

[20] Brunold 1992, 289, Anm. 325. Brunold zitiert aus Paul Bonatz (1941): Städtebauliche und Verkehrsfragen in Stuttgart, Gutachten vom 31. Juli 1941, Stadtarchiv Stuttgart, Hauptaktei Gruppe 6, Aktenzeichen 6110-9“, ebd., 288, Anm. 313.

[21] Vgl. z.B. Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ›Nationale Identität‹, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970-2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum Verlag, 348-375.

[22] Andrei S. Markovits (1988): Was ist das „Deutsche“ an den Grünen? Vergangenheitsaufarbeitung als Voraussetzung politischer Zukunftsbewältigung, in: Otto Kallscheuer (Hg.), Die Grünen – letzte Wahl? Vorgaben in Sachen Zukunftsbewältigung, Berlin: Rotbuch, 146-163, 148.

[23] Andrei S. Markovits/Philip S. Gorski (1993)/1997: Grün schlägt rot. Die deutsche Linke nach 1945, Hamburg: Rotbuch, 14.

Wurden die Juden gar nicht als Juden ermordet?

Wurden die Juden gar nicht als Juden ermordet?

Superhelden der Antisemitismusforschung, Nahostforschung und

Philosophiegeschichte, Teil 3:

Giorgio Agamben, Gil Anidjar und Martin Heidegger

Der italienische Mode-Philosoph Giorgio Agamben, der in Deutschland maßgeblich vom Suhrkamp-Verlag promotet wird, steht exemplarisch für die antimoderne Theorie, welche Auschwitz in einem Orkus von ‚Lagern‘ und Ordnung untergehen lässt. Der Zivilisationsbruch Auschwitz hat demnach nicht stattgefunden. Nicht zufällig ist Agamben ein wichtiger Referenzpunkt für manche Islam- und Nahostforscher.

Agamben spricht vom „Lager als nómos der Moderne“[1] und setzt die Festsetzung illegaler Einwanderer in Italien 1991 mit der Deportation von Juden aus Vichy-Frankreich oder heutigen Warteräumen für Flüchtlinge auf internationalen Flughäfen gleich.[2]

Agamben benutzt Auschwitz um antiwestliche Ressentiments zu schüren, er suggeriert im Einklang mit vielen antimodernen Philosophen und Theoretikern, dass die Moderne Schuld trüge an den Verbrechen der Deutschen und gerade nicht ein völkischer, durchaus spezifisch deutscher Antimodernismus und vor allem ein eliminatorischer Antisemitismus, der gleichwohl in einer hoch industrialisierten und arbeitsteiligen Industriegesellschaft seine Basis hatte. ‚Das Lager‘ sei ein rechtsfreier Raum, und typisch für den Staat an und für sich. Der Nationalsozialismus kommt lediglich in der Kontinuität solchen Lagerdenkens vor.

Noch perfider ist die Benutzung des Wortes „Muselmann“ von Agamben. Dieses Wort bezeichnete diejenigen KZ-Häftlinge, die so abgemagert und körperlich wie psychisch am Ende waren, dass der Tod unmittelbar bevor stand. Agamben kommt zu dem unsagbaren Satz:

„Jedenfalls wissen die Juden in Auschwitz, und dies wirkt wie eine grausame Selbstiroinie, daß sie nicht als Juden sterben werden.“[3]

Agamben will sagen, dass die Juden als Muslime ermordet worden seien. Darin wird er vehement unterstützt von dem poststrukturalistischen Autor und Nahostforscher Gil Anidjar, beide werden z.B. von dem Islamwissenschaftler Achim Rohde herangezogen[4], insbesondere weil Anidjar Juden wie Araber als Opfer des christlichen Europas definiert. Diese nominalistische, realitätsferne Gleichsetzung steigert der in der Nachfolge von Edward Said stehende Columbia Professor noch indem er sagt, Juden seien als „Muslime“ gestorben. Er suggeriert, die Mörder hätten die Juden nicht als Juden, sondern als Muselmänner, als Muslime ermordet.[5]

Solche sprachlichen Spielereien sind angesichts von Auschwitz nicht nur zynisch, es ist eine Form der Holocaustleugnung. Dass Juden als Juden ermordet werden, wird von Agamben wie von seinem Kollegen Anidjar, der sich auf Agamben stützt, geleugnet.

Mehr noch: Agamben bezieht sich auf Martin Heidegger. Dessen Bremer Vorträge aus dem Jahr 1949 haben es Agamben angetan, darin erwähnt der Schwarzwaldphilosoph anteilnahmslos das Ermorden/Töten der Juden und anderer in den KZs, im Kern jedoch geht es um das „Wesen des Todes“, welches wiederum das Denken von Heidegger bestimmt. Agamben zitiert aus einem der vier Bremer Vorträge, Die Gefahr.[6] Er zitiert unvollständig (und auch teilweise falsch), lässt einiges weg, zumal eine Gleichsetzung von den KZ- und Vernichtungslagern mit an Hunger sterbenden in China.

Zentraler noch ist die Kritik des „ontologischen Negationismus“ Heideggers, wie sie der französische Philosoph Emmanuel Faye jüngst vorgelegt hat.[7] Faye zitiert den von Agamben ebenso herangezogenen Abschnitt aus dem Text Die Gefahr, Heidegger 1949:

„Hunderttausende sterben in Masse. Sterben Sie? Sie kommen um. Sie werden umgelegt. Sterben Sie? Sie werden Bestandsstücke eines Bestandes der Fabrikation von Leichen. Sterben Sie? Sie werden in Vernichtungslagern unauffällig liquidiert. Und auch ohne Solches – Millionen verelenden jetzt in China durch den Hunger in ein Verenden. Sterben aber heißt, diesen Austrag vermögen. Wir vermögen es nur, wenn unser Wesen das Wesen des Todes mag. Doch inmitten der ungezählten Tode bleibt das Wesen des Todes verstellt. Der Tod ist weder das leere Nichts, noch ist er nur der Übergang von einem Seienden zu einem anderen. Der Tod gehört in das aus dem Wesen des Seyns ereignete Dasein des Menschen. So birgt er das Wesen des Seyns. Der Tod ist das höchste Gebirg der Wahrheit des Seyns selbst, das Gebirg, das in sich die Verborgenheit des Wesens des Seyns birgt und die Bergung seines Wesens versammelt. Darum vermag der Mensch den Tod nur und erst, wenn das Seyn selber aus der Wahrheit seines Wesens das Wesen des Menschen in das Wesen des Seyns vereignet. Der Tod ist das Gebirg des Seyns im Gedicht der Welt. Den Tod in seinem Wesen vermögen, heißt: sterben können. Diejenigen, die sterben können, sind erst die Sterblichen im tragenden Sinn dieses Wortes.“[8]

Agamben bemerkt knapp, dass eine „flüchtige Anspielung auf die Vernichtungslager“ „zumindest unangebracht sei“, wie manche Kritiker Heidegger vorgeworfen hätten, da dieser ja in den „Nazismus“ ‚verstrickt‘ gewesen sei. Philosophisch jedoch affirmiert Agamben Heidegger, zumal dessen Todesphilosophie.[9] Faye hingegen analysiert Heidegger:

„Dieser Text übersteigt alles, was die Nationalsozialisten behauptet haben. (…) Die Redewendungen von der ‚Wahrheit des Seyns‘, vom ‚Gedicht der Welt‘ und vom ‚höchsten Gebirg‘ können die Abscheulichkeit des Gesagten nicht verdecken. Das dreimal wiederholte ‚Sterben sie?‘ verlangt nach einer unhaltbaren Antwort: Heidegger zufolge ist in den Vernichtungslagern niemand gestorben, denn keiner der Ermordeten trug in seinem Wesen die Möglichkeit des Todes. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass diese Aussagen auf nichts anderem als auf dem schieren Gegenteil menschlicher Vernunft beruhen. Wir haben es hier nicht mehr mit Revisionismus zu tun, sondern mit totalem Negationismus, ja mit etwas, das alle Worte übersteigt und das recht eigentlich namenlos ist. (…)

Mit Absicht verwendet Heidegger zu Beginn des Abschnittes, wo von den in den Vernichtungslagern Ermordeten gesprochen wird, niemals das Wort ‚Mensch‘. Heidegger behauptet nämlich, dass nur der sterben ‚kann‘, der im ‚Gebirg‘ des ‚Wesens‘ des ‚Seyns‘ ist. Die in den Vernichtungslagern Ermordeten konnten nicht vom ‚Seyn‘ ‚geborgen‘ werden. Es waren keine ‚Sterblichen‘. Es sind für Heidegger keine Menschen.“[10]

Diese Analyse von Emmanuel Faye zeigt, dass Heidegger sich vom Subjekt abwendet, zumal es nicht den völkischen Kategorien dieses allzu deutschen (und alsbald nationalsozialistischen) Denkers entspricht. Faye erwähnt auch den derzeit „stetig wachsenden Einfluss Heideggers auf die iranischen Fundamentalisten“, wie eine Studie von Victor Farias belege.[11]

In einem weiteren seiner Bremer Vorträge von 1949 redet Heidegger von der „Fabrikation von Leichen“, was Agamben ebenso affirmativ zitiert[12], ohne dieses Wort zu analysieren oder den Kontext des Zitats kenntlich zu machen. Heidegger sagt:

„Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“[13]

Die Gleichsetzung der präzedenzlosen Vernichtung der europäischen Juden in Gaskammern mit modernem Ackerbau ist ein Antisemitismus neuen Typs, eine Banalisierung des Unfassbaren[14], für Islamforscher wie Anidjar sowie für Philosophen wie Agamben besteht der Nutzen dieser Form des Antisemitismus darin, ‚die‘ Moderne oder ‚die‘ Technik zu beschuldigen für den Massenmord und die Shoah verantwortlich zu sein.

Deutsche oder auch Muslime, also die konkreten Täter und Kollaborateure im Holocaust und im Vernichtungskrieg gegen die Juden, werden als Täter derealisiert. Das ist praktisch und en vogue.

Philosophisch jedoch wurde Heidegger auch diesbezüglich kritisiert, in jüngerer Zeit von Hassan Givsan:

„Das Ungeheuerliche und Grauenhafte des Heideggerschen Satzes [„Fabrikation von Leichen…“, d.V.] besteht darin, daß er die Vernichtung der Juden als Seinsgeschick faßt: denn das Ge-stell ist Seinsgeschick. Jene, die Heideggers Verabschiedung der Subjektphilosophie und des ‚Subjekts‘ als Wohltat feiern, müßten dann auch zur Kenntnis und in Kauf nehmen: die Vernichtung der Juden hat keine Subjekte. Denn es ist das Sein, das als Ge-stell west und die Vernichtung ins Werk setzt: es ist das Sein, das ‚dem Grimm‘ ‚Andrang zu Unheil‘ gewährt wie es in ‚Brief über den ‚Humanismus‘ (1946) heißt, und das ‚Wesen‘ des ‚Bösen‘ ‚besteht nicht in der bloßen Schlechtigkeit des menschlichen Handelns, sonder es beruht im Bösartigen des Grimmes‘. Nicht die Menschen haben ‚Böses‘ getan, niemand hat ‚Böses‘ getan – es ist das Sein, das Unheil schickt und das Böse gewährt. Die Menschen sind dabei bloß vom Sein gebraucht: sie sind bloß Werkzeuge des Sich-ins-Werk-setzens der Wahrheit des Seins. So gibt es keine ‚Schuld‘ und kein ‚Entschuldigen‘. Kurz: Das Ungeheuerliche und das Grauenhafte ist Heideggers Seinsdenken selbst. Heidegger hat nicht geschwiegen, auch nicht über den Holocaust.“[15]

Schließlich wurde 2004 deutlich, wie Antiamerikanismus und eine Verharmlosung des Antisemitismus und des Holocaust, ja wie das Reden vom ubiquitären ‚Lager‘ bei Agamben jeglichen Realitätsbezug vermissen lässt. Ein kleines Buch zur Einführung in das Denken des italienischen Modephilosophen von Eva Geulen ist eine typische Antwort heutiger Mainstream Philosophen/Gegenintellektueller auf radikalen Islam und den 11. September:

„Viel Ärger und viel Lob hat sich Agamben eingehandelt, als er unter skandalträchtigem Verweis auf die Tätowierung von KZ-Häftlingen im Frühjahr 2004 eine Gastprofessur an der New York University nicht antrat, weil er sich exemplarisch und öffentlich der von den USA nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 von allen Einreisenden verlangten Abnahme eines DNA-Fingerabdrucks verweigerte (wer im Besitz einer green card ist, hat ihn längst hinterlegt). (…) Ihm einen direkten Vergleich zwischen der Immigrationszone des New Yorker Kennedy-Flughafens und einem Konzentrationslager zu unterstellen ist offensichtlich verfehlt. Schockiert könnte man sich aber darüber zeigen, dass wir uns an biopolitische Interventionen im Alltag offenbar schon so sehr gewöhnt haben, dass es der Auschwitz-Insinuation bedarf, um die Lethargie zu unterbrechen. Was in solchen Räumen geschieht, ist nicht mehr rechtlich abgesichert, sondern hängt ‚von der Zivilität und dem ethischen Sinn der Polizei‘ ab, die vorübergehend in solchen Räumen als Souverän agiert.“[16]

‚Bio-Politik‘, ‚Souverän‘, ‚Muselmann‘ oder ‚Lager als nómos der Moderne‘ sind beliebte Code-Wörter einer Wahrheit, Geschichte und Kritik apriori eskamotierenden und lediglich Sprachspielereien evozierenden Wissenschaft in der Folge Giorgio Agambens, Michel Foucaults respektive Carl Schmitts.

Agamben schürt den Antisemitismus und die Erinnerungsabwehr an die Shoah, wenn er sagt dass Juden nicht als Juden in Auschwitz ermordet worden seien oder wenn er sagt, dass ‚das Lager‘ und die KZs in einer Kontinuität zu harmlosen, lächerlichen DNA-Fingerabdrücken im 21. Jahrhundert in USA stünden.

Exakt aus diesen Gründen wird Agamben von deutschen Islamwissenschaftlern und vielen anderen angepassten Modeakademikern und Publizisten herangezogen und ist Standardliteratur an vielen heutigen Universitäten, nicht nur in Deutschland.


[1] Giorgio Agamben (1995)/2002: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 175 (Kapitelüberschrift). Dieser Band erschien in der Reihe „Erbschaft unserer Zeit. Vorträge über den Wissensstand der Epoche Band 16. Im Auftrag des Einstein Forums herausgegeben von Gary Smith und Rüdiger Zill.“ Die Verharmlosung des Präzedenzlosen von Auschwitz ist offenbar (gewollt/ungewollt, bewusst/unbewusst) Programm dieser Reihe, wenn man Smiths programmatische Erklärung zu Beginn des Buches liest („Erbschaft unserer Zeit“, ebd., 5): „Das 20. Jahrhundert, dessen geistiges Erbe in dieser Buchreihe geprüft werden soll, hat durch einen unvorstellbaren Verlust an Ethik Geschichte gemacht. Es war uns vorbehalten, die Techniken der Naturbeherrschung so zu entfalten, daß sie auch an der inneren Natur des Menschen keine Grenze mehr fanden und damit das Jahrhundert der Völkermorde ermöglichten. Verdun und Vietnam, Auschwitz und der Archipel Gulag waren die inhumanen Stationen jenes Fortschrittzuges, den wir lieber zu Freud und Benjamin, Picasso und Godard fahren sahen“ (ebd.).

[2] Agamben 2002: 183.

[3] Agamben 2002: 39.

[4] Achim Rohde (2010): Unter Südländern. Zur Geschichte der Orientalistik und Judaistik in Deutschland, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 58. Jg., H. 7/8, 639-652, 645; Achim Rohde (2005): Der Innere Orient. Orientalismus, Antisemitismus und Geschlecht im Deutschland des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Die Welt des Islams, 45. Jg, H. 2, 370-411, 385, 400f.

[5] Siehe ein langes Interview mit Anidjar über dessen Buch „The Jew, the Arab: An Interview with Gil Anidjar“, in: http://asiasociety.org/policy-politics/international-relations/us-asia/the-jew-arab-an-interview-gil-anidjar (31.07.2010). „[Frage, d.V.] The Italian philosopher Giorgio Agamben has commented that, “With a kind of ferocious irony, the Jews knew that they would not die at Auschwitz as Jews.” How does your reading of the understanding of Islam in certain canonical/philosophical texts of the Western tradition [Kant, Montesquieu, and Hegel], help us to understand the use of this appellation in the context of the concentration camp? [Anidjar, d.V.] I started working on the Muselmann (a term I translate as ‘Muslim’ since that is what the German was taken to mean, according to countless testimonies) when I wrote the introduction to Derrida’s Acts of Religion although at the time I was not quite sure where it was taking me. By the time I read Agamben’s Remnants of Auschwitz, which had just come out in French (the English translation had not yet appeared), I was really taken with the book, and thought that I would have nothing to add. Agamben is after all the first to take Levi seriously on the crucial importance of the Muslim, and to dedicate an entire book to a figure that, though well known in circles familiar with Holocaust literature, has hardly attracted attention, or indeed, any serious reflection.”

In dem Gespräch sind auch viele weitere höchst problematische Aussagen Anidjars enthalten wie folgende: „I should also point out that there is a dreadful similarity between the way in which Israel and Europe speak publicly about their Muslim populations as a “demographic threat”. It is incredible, although it remains an absolutely legitimate discourse to maintain. To invoke an illustration I am loath to invoke, think of when Jews were declared a demographic threat, and think of what happens when a state and public personalities (rather than oppressed minorities living in poverty and without prospects for a future) deploy such rhetoric as if this were no problem at all. Or for a major politician, who is not Le Pen, supposedly not a fascist, to say that the inclusion of Turkey into Europe would threaten the integrity of Europe, a statement that was promptly endorsed by the Pope, who of course agrees with it! It boggles my naïve mind. Imagine if a major French politician were to say today that the Jews were a demographic threat to Europe. No one says that. Until then, I will not believe in the so-called ‘new anti-Semitism’. Such an irresponsible concept!“

[6] Agamben 2002: 64.

[7] Emmanuel Faye (2005)/2009: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie Im Unkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935, Berlin: Matthes & Seitz, 407.

[8] Martin Heidegger (1949): Die Gefahr, in: ders.  (1994): Bremer und Freiburger Vorträge, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, Gesamtausgabe Band 79, 46-67, 56.

[9] Vgl. Agamben 2002: 64-66.

[10] Faye 2009, 408.

[11] Faye verweist auf eine Studie von Victor Farias, „Heidegger y su Herencia“, Faye 2009: 523, Anm. 63.

[12] Agamben 2002: 64.

[13] Martin Heidegger (1949b): Einblick in Das Was Ist, in: ders. 1994, 3–77, 27.

[14] Vgl. die Kritik von Clemens Heni (2008): „Sekundärer Antisemitismus“. Ein kaum erforschter Teil des Post-Holocaust-Antisemitismus, in: Tribüne . Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Jg.. 47, Heft 187, 132-142, 136f.

[15] Hassan Givsan (1998): Eine bestürzende Geschichte: Warum Philosophen sich durch den „Fall Heidegger“ korrumpieren lassen, Würzburg: Königshausen & Neumann, 83. Diese dünne Buch ist eine etwas längere „Anmerkung“ (133 Seiten) zu Givsans Habilitationsschrift aus dem selben Jahr, ebd.: 9.

[16] Eva Geulen (2005): Giorgio Agamben zur Einführung, Hamburg: Junius, 101. Auch an anderer Stelle verharmlost die Autorin den Nationalsozialismus, wenn sie in Anlehnung an Agamben die „Schutzhaft im Nationalsozialismus“ mit der Situation „der Gefangenenlager in Guantanamo Bay“ gleichsetzt und jeweils als „Ausnahmezustand“ bezeichnet (vgl. ebd.: 96f.), letzteres eine Begrifflichkeit des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt, der ein wichtiger Vordenker auch für Agamben ist.

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