Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Antisemitismus Seite 5 von 14

Österreich schafft Impfpflicht-Gesetz ab – es gibt dringendere Probleme: den Antisemitismus

Von Dr. phil. Clemens Heni, 24. Juni 2022

Die österreichische Bundesregierung in Wien hat ziemlich überraschend bekanntgegeben, dass sie das bislang nur auf Eis liegende und jederzeit wieder aktivierbare Impfpflichtgesetz abschaffen wird. Es wird in Österreich keine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 geben. Dabei war das Gesetz erst Anfang Februar 2022 in Kraft getreten. Schon damals herrschte die noch viel harmlosere Omikron-Variante im Alpenstaat vor. Dabei war aber auch die Situation vor Omikron nicht wirklich dramatisch – medizinisch gesehen. Die Infektionssterblichkeit lag laut WHO im Oktober 2020 bei ca. 0,23 Prozent. Die Influenza-Grippe hatte hingegen in der alten BRD im Jahr 1969/70 eine Infektionssterblichkeit von 0,29 Prozent, so das Robert Koch-Institut (RKI). 1969/70 gab es überhaupt keine „Maßnahmen“. Niemand hat gespürt, dass es eine Epidemie gab.

An der Harmlosigkeit von Corona hat sich zwischen Februar 2022 und Juni 2022 nichts geändert. Aber die Einstellung der österreichischen Politik hat sich geändert. Woher der plötzliche Wandel des grünen Gesundheitsministers und der gesamten Regierung? Es gebe eine zu große Spaltung in der Gesellschaft wegen der Impfpflicht.

Der Standard berichtet:

Die Impfpflicht sei „unter anderen Voraussetzungen, als wir sie heute haben“, eingeführt worden, sagte Rauch, nämlich zu einer Zeit, als Delta dominierte. Sie sei „seinerzeit“ mit deutlicher Mehrheit beschlossen worden, auch er habe sie damals befürwortet. „Aber Omikron hat die Regeln verändert“, so Rauch. Schon grundsätzlich impfwillige Personen seien nun „schwieriger von der Notwendigkeit einer Impfung“ zu überzeugen.

Rauch nahm auch Bezug auf den jüngsten Bericht der Impfpflichtkommission. Diese hatte die Impfpflicht im Mai als „nicht erforderlich“ erachtet. „Die Impfpflicht bringt niemanden zum Impfen“, sagte Rauch und bezog sich dabei auf Befragungen, die das gezeigt hätten. Er habe festgestellt: „Die Impfpflicht und die Debatte um die Impfpflicht haben tiefe Gräben aufgerissen, auch in der österreichischen Gesellschaft“ – auch durch Familien. Da seien Abwehrhaltungen gegen medizinische Maßnahmen entstanden.

Sprich: die monatelangen Proteste, die es in Österreich wie in Deutschland gab, haben sich ausgezahlt!

Wir müssen lernen, mit dem für doch fast alle Menschen relativ harmlosen Virus „zu leben“, so die österreichische Bundesregierung.

Erinnern wir uns: Nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO hat Österreich in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 eine insgesamte Übersterblichkeit von 66 Personen pro 100.000 Einwohner*innen. Da in europäischen Ländern wie Deutschland oder Österreich, Frankreich, Schweden etc., ca. ein Prozent der Bevölkerung im Jahr stirbt, also von 100.000 Bewohner*innen sterben jedes Jahr ca. 1000, sind diese 66 Übersterblichkeitstoten in Österreich eine sehr geringe Zahl. Damit meint die WHO allerdings keineswegs nur die Corona-Toten, sondern ganz im Gegenteil alle Toten, die im Zusammenhang mit den Maßnahmen und aus anderen Gründen starben.

Wie wir wissen, wurde eine ungeheure Anzahl von Patient*innen ab März 2020 einfach nicht behandelt. Routine- oder Krebs-Vorsorgeuntersuchungen wurden einfach abgesagt. Die Ärztinnen und Ärzte saßen dann däumchendrehend herum – das bestätigt jede seriöse Oberschwester und jeder Pfleger in jedem Krankenhaus in Österreich oder Deutschland – und warteten auf die Covid-Fälle, die einfach nicht kamen beziehungsweise in sehr kleiner Zahl kamen. Menschen wurde geradezu abgeraten zu Ärzten oder Zahnärzten zu gehen und wenn, dann mussten sie sich vollständig vermummen und so tun, als ob eine Seuche herrsche. Auch das hat die Gesundheit vieler, unzähliger Menschen geschädigt. Nicht weil alle Panik hatten, zum Arzt zu gehen, sondern weil der denkende Teil der Bevölkerung sich nicht ohne jede Indikation einer Krankheit sinnlos vermummen wollte und möchte.

In Schweden gab es auch in Arztpraxen zu keinem Zeitpunkt eine Maskenpflicht. Mit positivem Erfolg, wie wir gleich sehen werden.

Aber kümmert das die Politik in Berlin oder Wien? In Wien jetzt zumindest ein bisschen.

Der extreme psychische Stress – der größte Stress seit 1945 – hat viele Menschen in Depressionen, den Suizid, in chronische Krankheiten hineingedrängt. Die medizinisch nicht evidenzbasierte Coronapolitik fast aller europäischen Staaten – die sich an China anlehnten, wie Ex-Kanzlerin Merkel aus Deutschland explizit sagte, als es um öffentliche Kritik und Demonstrationen ging, die es in China eben nicht gebe, was ein Vorbild sei! -, diese Politik hat Verwerfungen sozialer, psychischer und ökonomischer Art hervorgerufen, an denen wir noch Jahrzehnte zu leiden haben werden. Doch das reicht nicht, jetzt kommen die Entbehrungen wegen dem Ukraine-Krieg, wegen den Sanktionen, als ob man mit diplomatischem Geschickt Putin nicht längst hätte einfrieden können. Aber dazu hätte es politologische Expertise und politisches Gespür und vor allem politischen Willen gebraucht, eine nicht-militärische Lösung des Ukraine-Konflikts anzustreben. Und das war weder von der NATO, noch von Selenskyi oder der EU gewollt. Sie wollten den Krieg und Putin wollte ihn auch, nachdem er merkte, dass auf sein diplomatisches Friedensangebot von Dezember 2021 so gut wie keine Antwort kam!

In Schweden gab es nie eine Impfpflichtdiskussion. In Schweden gab es auch nie eine Maskenpflicht. Und siehe da: Schweden hat laut WHO-Bericht nur halb soviel Übersterblichkeit in den Pandemie-Jahren 2020 und 2021 wie Deutschland und auch weniger als Österreich:

Übersterblichkeit pro 100.000 laut WHO-Bericht:

Deutschland: 116

Österreich: 66

Schweden: 56.

Da müsste doch jedem Politiker und jeder Politikerin irgenwie klar werden, dass es nicht an den Masken liegen kann. Ja, mehr noch: es könnte an den Masken und der von ihnen eindeutig ausgehenden Panik liegen, dass Schweden enorm viel weniger Tote hat als Deutschland und auch weniger Tote als Österreich.

Wie harmlos aktuell die „Zahlen“ sind, sehen wir hier:

‚Die Zahlen steigen eindeutig, wobei fast alle, die in meine Praxis zum Test kommen, milde oder gar keine Symptome haben‘, sagt der Heilbronner Ärztesprecher Martin Uellner. Er geht von einer hohen Dunkelziffer unentdeckter Infektionen aus. Er persönlich glaube nicht mehr an ‚Schreckensszenarien‘ für den Herbst und Winter, sagt Uellner.

Da stellt man sich natürlich die Frage, warum gehen Menschen ohne Symptome oder nur mit leichten Symptomen überhaupt zum Arzt? Warum werden drei- und vierfach Geimpfte wie verschiedene Minister in Deutschland aktuell getestet, auch wenn sie keine Symptome haben? Und warum jubelte der baden-württembergische Innenminister Strobl im Frühjahr 2022, dass er ’nur‘ eine Lungenembolie bekommen hat und im Krankenhaus lag? Nur eine Lungenembolie wegen Corona, und das obwohl oder weil er dreifach geimpft war? Stellt er sich diese Frage überhaupt? Jedenfalls zeigte dieses Beispiel besonders deutlich, dass man bei Corona im Gegensatz zu Masern oder Pocken nicht von einer Impfung im herkömmlichen Sinn sprechen kann. Denn bei einer Impfung wird man zu fast 100 Prozent gerade nicht krank, also wenn man als Kind gegen Masern geimpft ist, bekommt man keine Masern, eine Krankheit, die zumal im Globalen Süden häufig tödlich endet.

Und dann gibt es noch die wirklich scharfe Kritik am deutschen Gesundheitsminister von der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen, die womöglich für sehr viele Kassenärztlichen Vereinigungen spricht. Was dort in deren aktueller Broschüre über Karl Lauterbach zu lesen ist, kann für einen noch amtierenden Bundesgesundheitsminister gar nicht blamabler sein – immerhin wird er hier von denen kritisiert, die tatsächlich Menschen behandeln, die medizinische ExpertInnen sind. Was schreiben der Vorstandsvorsitzende und sein Stellvertreter der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in deren Heft von Juni 2022?

Sicher, man kennt diesen Spruch nur zu gut: ‚Hinter her ist man immer schlauer.‘ Doch im Fall unseres aktuellen Bundesgesundheitsministers gilt dieser Satz nicht. Jede oder jeder, der sich ein bisschen mit der Materie auskennt, wusste, auf was es mit dieser Personalie hinauslaufen würde. Klar, Herr Prof. Lauterbach ist nicht  so fachfremd wie Herr Spahn und Herr Gröhe oder auch Frau Schmitt. Aber wer geglaubt hat, dass dieses Plus an Expertise die anderen absehbaren Probleme aufwiegen würde, sieht sich nun getäuscht. Wir wollen hier nicht beckmesserisch auftreten, aber dieses Scheitern – und anders kann man das leider nicht mehr einordnen – ist ein Scheitern mit jahrelanger Ansage. Lauterbach, der als skurriler Wissenschaftler mit vermeintlicher epidemiologischer Expertise seine Nische dank Corona gefunden zu haben schien, wäre wohl besser in selbiger geblieben. Es hatte wohl valide Gründe, warum sich der damals noch Bundeskanzler in spe so zierte, Herrn Lauterbach, den Bundesgesundheitsminister vieler Herzen, in dieses Amt zu berufen.

Eine schallende Ohrfeige für Klabauterbach.

Am 23. Juni 2022 hat die südafrikanische Regierung eine Erklärung zum offiziellen Ende der Corona-Pandemie in Südafrika publiziert. Alle verbliebenen Maßnahmen werden vollständig aufgehoben, darunter Masken in Innenräumen, Begrenzungen bei Versammlungen und jeglicher Testnachweis im Lande selbst wie auch bei der Einreise. Es ist also ein „historischer Tag“:

Today is a very historic day as we have reached a turning point since the outbreak of Covid-19 in the world and in the country.

In Österreich gilt nirgendwo mehr Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln – also in allen acht Flächenbundesländern ist diese irrationale Maßnahme aufgehoben, nur nicht in Wien. Man stelle sich das vor. Am Wochenende ist das große Donauinselfest in Wien mit Hunderttausenden Menschen, ohne jeden Abstand, ohne jede Maske.

Die gleichen Leute müssen dann mit der Maske in der U-Bahn, S-Bahn, dem Bus oder dem Zug bis zur Grenze nach Niederösterreich fahren, z.B. Richtung Baden, und nach der Grenze können sie den Lappen vor dem Gesicht wieder abnehmen. In Salzburg, Innsbruck, Graz oder Villach ist der Maskenwahn in Bussen, Bahnen oder Trams aufgehoben.

Deutschland ist noch viel irrationaler als Österreich. Hier dürfen zwar Zehntausende auf Rockfestivals ohne jeden Nachweis und ohne Maske, grölend, schreiend, kreischend, schwitzend, aber in Bussen und klimatisierten Zügen etc. gilt der Maskenwahn wie seit Ende April 2020.

Nochmal: Schweden hat weniger als halb soviele Extra-Toten, also Übersterblichkeit, in den Jahern 2020 und 2021, als Deutschland, 56 zu 116 pro 100.000 EinwohnerInnen.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum die Kassenärztliche Vereinigung in Hessen Lauterbach jegliche Qualifikation abspricht, ein Ministerium für Gesundheit zu leiten:

Was wir an InsiderInformationen aus dem BMG und seinem Umfeld hören, lässt schlimmste Befürchtungen wahr werden beziehungsweise übertrifft sie sogar noch: Strategie, Organisation, Idee – alles Fehlanzeige. Und wir sprechen hier wohlgemerkt von der Pandemie, nicht von sonstigen gesundheitspolitischen Planungen. Mittlerweile sitzt der Bund dem Vernehmen nach auf rund 70 Millionen Impfdosen, die auch noch bald ablaufen werden. Zeitgleich fantasiert der Minister nach dem grandiosen Scheitern der Impfpflicht davon, die Impfkampagne wiederbeleben zu wollen, und ignoriert damit erneut, dass das Potenzial an Impfungen in Deutschland wahrscheinlich ziemlich ausgeschöpft ist.

Österreich hat als eines der ersten Länder in der EU eine „nationale Strategie gegen Antisemitismus vorgelegt“, wie die Juristin, ehemalige Richterin und aktuelle EU- und Verfassungsministerin Österreichs Magistra Karoline Edtstadler jüngst im Fernsehen betonte.

Namentlich der muslimische, migrantische und postkoloniale, gegen Israel gerichtete antizionistische Antisemitismus sind für die Juden in Österreich eine große Gefahr. Das sagt die Ministerin in diesem Gespräch zwar nicht, aber sie weiß es bestimmt. Jüngst schrieb mich ein sich selbst als „links“ verstehender Coronapolitik-Kritiker an und meinte – ganz ohne Ironie oder Sarkasmus, der Typ scheint kein Satiriker zu sein, sondern ein vor antijüdischem Ressentiment triefender deutscher Aktivist:

Antisemitismus hat sich auch zu einem solchen Kampfbegriff entwickelt.

Der Mailschreiber meint ernsthaft, ohne jede weitere Einordnung oder eine luzide Kritik der Besatzungspolitik etc.,

dass der Staat Israel eine rechtlose und menschenunwürdige Politik gegenüber den Palästinensern betreibt.

Dass bei mehreren Coronapolitik kritischen Demonstrationen wie in Kassel Israelfahnen geschwenkt wurden, erwähnt er nicht. Aber insgesamt mag sein Ressentiment gegen Israel typisch sein für die Szene der Kritiker*innen der Coronapolitik. Was nicht heißt, dass im übergroßen Feld der Pro-Coronapolitik-Szene weniger Antisemitismus vorherrsche. Von wegen. Nehmen wir nur mal Claudia Roth, die eine vehemente Anhängerin der Coronamaßnahmen war und ist, und die Documenta in Kassel:

Für wen das Versprechen ‚Nie wieder Antisemitismus‘ keine wohlfeile Phrase ist, und davon ist bei der Bundesregierung ganz sicher auszugehen, der muss das Kulturstaatsministerium jemandem anvertrauen, der glaubhaft gegen Judenhass eintritt. Jemandem, der sein Amt mit Kompetenz und Würde ausübt. Claudia Roth hat mit ihrem Koschersiegel für die BDS-Ideologie weder das eine noch das andere an den Tag gelegt.

Eine wenig beachtete Frage ist übrigens, welchen Anteil die Vorgängerin von Claudia Roth (Grüne), Monika Grütters (CDU), als Kulturstaatsministerin für die Einladung an diese ganze Gruppe von indonesischen und sonstigen antisemitischen ‚Künstler*innen‘ hat … Immerhin wurde die Documenta mit exakt diesen ‚Künstler*innen‘ ja nicht erst seit einigen Monaten, sondern seit Jahren geplant und Claudia Roth hat ihre Stelle erst seit Dezember 2021. Eines der jetzt gezeigten antisemitischen Agitations-‚Kunstwerke‘ tingelt seit 2002 durch die Welt der Antisemitischen Internationale. Hat das niemand gemerkt, wenn man die Namen der ‚Künstler*innen‘ recherchiert im Vorfeld der Einladung zur angeblich wichtigsten Kunstaustellung alle fünf Jahre in der hessischen Provinz?

Die Jüdische Allgemeine wiederum ist auch eine Anhängerin der Coronamaßnahmen und feiert zudem Selenskyi…

Jedenfalls vertritt der E-Mail-Schreiber, der mir schrieb, im Kern die gleichen antiisraelischen Ressentiments wie wir sie jetzt auf der Documenta 15 in Kassel erleben, nur drückt er es etwas anders aus, sein Tonfall ist aber der gleiche wie der in Kassel. Denn eine luzide linkszionistische Kritik hört sich anders an. Aus ihm sprudelt aber das Ressentiment.

Der Kern des palästinensisch-israelischen Konflikts ist die Weigerung der Palästinenser, Israel anzuerkennern. Das ist seit 1947 und schon zuvor der Kern. Davon unabhängig hat auch Israel viele politische Fehler gemacht, über die ich regelmäßig berichte – aber aus linkszionistischer Position heraus.

Schließlich kommt der Klassiker, den alle Antisemiten drauf haben. Der Briefschreiber sendete mir also auch Folgendes:

Ich habe nichts gegen Juden, im Gegenteil ich bewundere deren Zielstrebigkeit, deren Intellekt, Geschäftstüchtigkeit und Humor.

Diese geradezu seinsontologische, philosemitische Tirade gegen Juden als Menschen, die ganz vielfältig, arm, reich, dumm, klug sind, wie alle Menschen, diese Verteidigungsrede nach dem Motto „Ich hasse Israel, aber liebe die Juden“, hätte auch von Judith Butler und einer Phalanx antizionistischer Juden kommen können.

Der Briefeschreiber sendet mir also: ‚Der‘ Jude an und für sich habe also z.B. „Humor“, „Zielstrebigkeit“, sogar „Intellekt“ und natürlich „Geschäftstüchtigkeit“. So denken Antisemiten.

Antisemitismus sei ein „Kampfbegriff“, um Kritik an Israel oder Juden abzuwehren. Er preist dann noch typische Coronapolitik kritische Portale an wie „NachDenkSeiten“, „Rubikon“ oder „Gunnar Kaiser“. Deren jeweils antisemitische oder/und neu-rechte Ideologie hatte ich bereits im Jänner 2021 in einem Working Paper – Antisemitismus im Zeitalter von Corona – des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) decodiert und kritisiert.

Soviel antizionistisches Ressentiment gekoppelt mit philosemitischem Antisemitismus wie in dieser Zuschrift, die ganz typisch ist für unendlich viele Protagonist*innen in Deutschland, nicht nur in der Anti-Coronapolitik-Szene, sind ein Zeichen für politische Unkultur in Österreich oder Deutschland. Die Zuschrift zeigt, wie tief antisemitische Ressentiments sitzen, einerseites im regelrechten Hass auf Israel und andererseits im Betonen der ach-so-schönen Seiten der Juden, ihrem Geist oder Humor, über den die Nicht-Juden vorgeblich so gerne lachen. Soviel Ungebildetheit, soviel Stereotype zeigen an, wie wenig die 68er bezüglich der Kritik am Antisemitismus gebracht haben, wobei solch philosemitischer Antisemitismus auch von ganz rechts kommen kann, denken wir an Thilo Sarrazin und sein Lob für die „jüdische Intelligenz“, die gar vererbbar sei.

Kritik am heutigen Antisemitismus in Österreich oder Deutschland ist von herausragender Dringlichkeit. Dabei muss man klare Kategorien haben, wie man Antisemitismus erkennt. BDS und die Ablehnung jüdischer Souveränität im jüdischen Staat Israel ist die gefährlichste Form des heutigen Antisemitismus. Die ach-so-deutsche oder auch österreichische Vorliebe – gerade nach der Shoah – für jüdischen Humor oder Intellekt ist nur die Kehrseite derer, die gegen „den“ Juden in den Krieg zogen. Wieder andere lehnen die Beschneidung ab und insinuieren wie andere Antisemiten, dass Juden Kinder misshandeln würden. Es gibt noch unzählige weitere Formen des heutigen Antisemitismus. Es ist gut, wenn die österreichische Bundesregierung sich jetzt stark der Kritik des Antisemitismus widmet und so unsinnige wie für die Demokratie gefährliche Vorhaben wie eine Impfpflicht gegen Corona beendet.

Dazu sollten die österreichische wie die deutsche Bundesregierung antidemokratische und irrationale Maßnahmen wie eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Räumen, sowie natürlich die besonders antidemokratische 2G-Regel und alle anderen „Maßnahmen“ für alle Zeiten ad acta legen.

Der „historische Tag“ Südafrikas, die gestrige Verkündigung des Endes aller Corona-Maßnahmen, sollte auch Deutschland oder Österreich ein Vorbild sein.

Der Antisemitismus hingegen wird da bleiben. Wir können versuchen ihn einzuhegen, ihn öffentlich zu bekämpfen, aber tief drinnen in den ach-so-linken, rechten, mainstreamigen, deutschen wie österreichischen Herzen sind diese antiisraelischen wie auch philosemitisch-antisemitischen Ressentiments jederzeit abrufbar.

Der Unterschied ums Ganze zur Zeit vor 1948 liegt darin, dass es jetzt Israel gibt, das jederzeit und für alle Zeit ein sicherer Ort ist für Juden, auch für die Juden Österreichs oder Deutschlands.

 

Hoffnung vom „State of Tel Aviv“: Die Zukunft Israels zwischen Mansour Abbas, Ze’ev Jabotinsky, zionistischen „Militaristen“ und „Vegetariern“ (1923-2022 ff.)…

Von Dr. phil. Clemens Heni, 19. Juni 2022 [Update 20.06]

Der Antisemitismus in Amerika, Deutschland, Österreich und Europa wird seit Jahren bedrohlicher und offener. Gleichzeitig ist Israel als jüdischer Staat im Nahen Osten und weltweit so akzeptiert wie noch nie in seiner Geschichte seit 1948. Der Abraham-Vertrag vom 13. August 2020 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und in dessen Folge diplomatische Annäherungen und Verträge mit Marokko, Bahrain wie auch dem Sudan sind historisch und zeigen: die arabische Welt beginnt, Israel als jüdischen Staat und Teil des Nahen Ostens zu akzeptieren.

Doch paradoxerweise ist womöglich gerade deshalb eine Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts derzeit so weit weg wie lange nicht mehr. Das liegt am Antizionismus der Palästinensischen Autonomiebehörde und am Islamismus von Hamas und anderen Gruppen. Das liegt aber auch an extrem rechten Tendenzen in Israel, der Drohung der Annexion von Teilen oder der ganzen Westbank. Symbolisch dafür mag das Projekt „E1“ unweit von Ma’ale Adumin stehen.

Ein Text der israelischen Politologin und ehemaligen Knesset-Abgeordneten Einat Wilf im neuen Portal „The State of Tel Aviv“ vom 17. Juni 2022 versprüht hingegen Hoffnung. Und diese Hoffnung kommt – nächste Paradoxie – von einem Islamisten und religiösen Konservativen der Ra’am Partei, Mansour Abbas.

Mansour Abbas ist der erste arabisch-israelische Politiker, der in eine Regierung in Israel eintrat. Das war im Sommer 2021. Auch wenn aktuell die Acht-Parteien-Koalition von rechts bis links am Zerbröseln ist: dieser Regierungseintritt von Mansour Abbas ist historisch. Er zeigt die Akzeptanz Israels durch arabische Israelis. Das hatte es seit 1948 noch nicht gegeben. Wie die Ultraorthodoxen, die den Zionismus ablehnen, hatten sich bislang die Araber in Israel jeglicher Regierungsbeteiligung enthalten und wurden auch von den anderen israelischen Parteien geschnitten.

Doch dann kam Mansour Abbas. Die Publizistin Einat Wilf schreibt in „The State of Tel Aviv“:

Abbas represents a radical break with decades of Israeli-Arab refusal to join an Israeli government coalition. Yet, his party is also loyal to the Muslim Brotherhood, which is the parent movement of Hamas and other sworn enemies of Israel.

Das hört sich auf den ersten Blick absurd an. Ein Unterstützer der Muslimbruderschaft, die seit ihrer Gründung im Jahr 1928 durch Hassan al-Banna Juden und den Zionismus bekämpft und mit den Nazis kooperierte – wie al-Banna -, unterstützt explizit den jüdischen Staat Israel. Im Dezember 2021 sagte Mansour Abbas, dass er Israel als „jüdischen Staat“ akzeptiere. Doch für Einat Wilf ist Mansour Abbas exakt das, was dem Zionismus vorschwebte! Juden und Araber in einem Staat, aber – und das ist absolut entscheidend – mit einer jüdischen Mehrheit, kein binationaler Staat und keine Einstaatenlösung mit einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit.

Wilf schreibt:

Abbas was bold enough to raise the ante yet again when he stated clearly in December 2021 that: ‚Israel was born as a Jewish state. It was born that way and that’s how it will remain… the question is how we integrate Arab society into it.‘

Such unqualified acceptance of Israel by an Arab political leader is unprecedented.

Der religiöse Muslim Abbas ist hier fortschrittlicher und aufgeklärter als weite Teile der deutschen und internationalen links-liberalen intellektuellen Szene in jüdischen Studien oder im Bereich der etablierten (zumal deutschen) Antisemitismusforschung, wo BDS und postkolonialer Antisemitismus der letzte Schrei sind.

Einat Wilf geht so weit und analysiert, dass Mansour Abbas den Kern des Zionismus in Bezug auf die arabische Situation auf den Punkt bringe. Gleiche Rechte für alle israelischen Bürgerinnen und Bürger – Juden und Araber, Atheisten, Christen und Muslime und alle anderen. Dazu geht die Tel Aviver Politologin, die ich vor einigen Jahren in Tel Aviv besuchte (wir sind zufällig beide Jahrgang 1970), auf den großen konservativen zionistischen Denker Ze’ev Jabotinsky ein. Jabotinsky, wurde 1880 im russischen Odessa geboren und starb 1940 im US-Bundesstaat New York. Er ist in Israel wohl neben Theodor Herzl und David Ben-Gurion die bekannteste und verehrteste, aber eine umstrittene zionistische Persönlichkeit. Wilf geht auf einen legendären Text von Jabotinsky aus dem Jahr 1923 ein: „The Iron Wall“. Eine „Eiserne Wand“ solle die Juden vor den Arabern beschützen, damit sie ihren Staat aufbauen können. Diese „Eiserne Wand“ waren die Briten. 1918 kämpfte Jabotinsky mit der jüdischen Legion gegen Truppen des Osmanischen Reiches im Jordantal unweit von Jerusalem.

Interessant ist nun, dass eine eher linke Publizistin wie Einat Wilf den sehr konservativen und anti-sozialistischen Ze’ev Jabotinsky als Vordenker einer jüdisch-arabischen Gemeinsamkeit israelischer Staatsbürger*innen wieder liest. Das Leben ist voller Widersprüche, die sich mitunter doch auflösen oder etwas Neues entwickeln – oder aber man muss sie eben aushalten, wie es in einer Demokratie Heterogenität geben muss, wenn sie eine Demokratie sein möchte. Jabotinsky forderte in seinem knappen Pamphlet von 1923 „Iron Wall“ nichts weniger als Gewalt und Stärke, da ein freiwilliges Abkommen mit den Arabern unrealistisch, ja naiv sei.

Jabotinsky beschwört die zionistische Einheit, obwohl ihm klar ist, wie heftig umstritten sein militanter Vorschlag im Jahr 1923 war:

In this matter there is no difference between our ‚militarists‘ and our ‚vegetarians‘. Except that the first prefer that the iron wall should consist of Jewish soldiers, and the others are content that they should be British.

Jabotinsky und sein „revsionistischer Zionismus“ sind die Vorläufer des heutigen Likud und von Benjamin Netanyahu. Doch ganz im Gegensatz zu Netanyahu kokettiert Wilf gerade nicht mit einer Annexion der Westbank, sondern will nur vier Prozent der Westbank, auf der ein Großteil der jüdischen Siedlungen stehen, Israel zuschlagen und alle anderen Siedler sollen keinerlei Unterstützung mehr vom Staat Israel bekommen oder eben Bürger eines zukünftigen Staates Palästina werden, so wie es ja auch 20 Prozent Araber in Israel gibt.

Wie lange muss Israel noch eine harte Politik fortführen?, fragt Wilf:

Israel is closer today than it has ever been in its history to realizing the goal of full acceptance in a predominantly Arab and Islamic region. The Abraham Accords present a compelling alternative Arab-Muslim narrative, one that embraces the Jewish state as an integral part of the region rather than a foreign implant.

Similarly, Mansour Abbas has given political voice to the Arab citizens of Israel who seek true integration into the Jewish state. Those are the Arab citizens who are volunteering in increasing numbers to serve in Israel’s Defense Forces. Those are the Arab citizens who defend Israel in diplomatic forums and on social media against its detractors.

These developments reflect very real achievements of Jabotinsky’s Iron Wall. Many Arab Israelis do not seek the country’s destruction. They support and participate in its success.

But these achievements remain fragile. Abbas’ political rival among Israel’s Arab political leaders, Ayman Odeh, leader of the Joint List (an alignment of Arab parties), recently told young Israeli-Arabs not to join the ‚occupation forces.‘ Odeh described Abbas’ conduct as being ‚insulting and humiliating‘ and called on those who already serve in the security forces to ‚throw the weapons in their (the Israelis’) face and tell them that our place is not with you.‘

Odeh represents a substantial number of Israel’s Arab citizens, if not its majority. This complex situation is best summed up by Abbas himself who, criticizing his colleagues, called on them ‚to not look at the half-empty cup but at what we have achieved so far.‘

Sprich: Abschreckung und militärische Stärke wirken. Die Frage ist nur: Was hat das mit den Palästinensern, zu denen Israel ja am härtesten ist, zu tun? Ist die Kooperation mit arabischen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten nur auf der gemeinsamen Feindschaft gegenüber dem Iran gegründet? Oder ist es zudem die Erkenntnis, dass Israel militärisch und ökonomisch zu stark ist, um ignoriert zu werden, ja dass es für viele arabische Staaten ein westlicher Kooperationspartner ist?

Es gibt nun entgegen dem Abraham-Vertrag innerhalb der großen arabischen Minderheit in Israel zwar weiterhin starke Kräfte, die gegen Israel als jüdischen Staat sind, aber durch Mansour Abbas tritt jetzt erstmals ein Politiker aus deren Kreisen lautstark in der Politik für eine Anerkennung Israels als jüdischer Staat ein.

Und doch ist die Sache noch komplizierter, denn gerade die Abraham Verträge von 2020 zeigen zudem eine starke Abkehr der arabischen Welt von den Palästinensern. Darauf hatte „State of Tel Aviv“ vor wenigen Wochen hingewiesen:

Israel bekommt erstmals offizielle Anerkennung von gleich mehreren arabischen Staaten, von denen so etwas in den letzten Jahrzehnten nicht zu erwarten war. Das ist ein riesiger außenpolitischer Erfolg. Aber zu welchem Preis? Die Palästinenser sind einfach kein Thema mehr, auch nicht für die Araber, wie der Journalist der größten israelischen Nachrichtenseite Ynet News Attila Somfalvi festhält:

Israel’s diplomatic successes have not had any effect on the unresolved issues between Israel and the Palestinians, nor on the sense of neglect that many Israeli Arabs may feel.

Prof. Youssef Masharawi, chairman of the steering committee to integrate Arab students at Tel Aviv University, challenges what he sees as an Israeli approach that deliberately ignores the Palestinian issue, and warns about the fire that is smoldering beneath the surface.

‚In the Arab community there’s a sense of ‘trust-but-verify’ vis-à-vis the Abraham Accords,‘ he says. ‚They’re always trying to put the real story, the harsh, human story of the occupation, to the side. And it blows up every year before Ramadan. It’s been a whole year of suffering and hopelessness, of people getting shot to death in the street. Why do they think they can sweep it under the rug and hide it?‘

Kobi Michael, an expert on the Palestinians and a senior research fellow at the Institute for National Security Studies at Tel Aviv University, has studied the deterioration of the diplomatic status of the Palestinians in recent years.

Palestinian leadership, he notes, has adhered rigidly to its refusal to acknowledge any normalization of relations between Israel and the Arab world, and sees such developments as a threat to Palestinian national and strategic interests.

Arab leaders, however, had made their own calculation: They see Israel as a critically important ally. And the obstructionist Palestinian approach has worn out everyone.

Ohne ein Abkommen mit den Palästinensern, ohne einen zivilen, entmilitarisierten Staat Palästina wird Israel keinen Frieden bekommen. Dass es seit Jahren einen Stillstand im palästinensisch-israelischen Konflikt gibt, mit regelmäßigen Terrorwellen, das liegt eben nicht nur an den Palästinensern, die zwischen Korruption und Jihad hin und her schwanken, wie Somfalvi festhält. Nein, das liegt auch an der israelischen Politik, die sich dem Siedler-Nationalismus und dem religiös-nationalistischen Diskurs anschmiegt und ihn mitbestimmt, anstatt ihn zu bekämpfen.

Überspitzt ausgedrückt: neben der iranischen Gefahr ist Israel aktuell vor allem durch interne Konflikte bedroht, die BDS-Bewegung ist hingegen für Juden in der Diaspora eine sehr große Gefahr. Eine große Hoffnung für Israel liegt in Mansour Abbas, während der (Noch-)Oppositionspolitiker Benjamin Netanyahu und sein ganzes rechtes Umfeld – weite Teile der jüdisch-israelischen Gesellschaft – nach Einschätzung von Kritiker*innen in Israel eine sehr große Gefahr für Israel als demokratischer und jüdischer Staat darstellen.

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach gestern auf der Eröffnung der Documenta in Kassel, er erzählte von seinen Eindrücken einer kürzlichen Reise nach Indonesien, dem unendlich vielen Müll, den der deutsche, europäische und westliche Kapitalismus dorthin verschifft, über die Klimakastrophe, die Hitze, die Armut und den Erfindungsreichtumg der Slumbewohner*innen, und sagte aber vor allem bezüglich der von der neunköpfigen indonesischen Gruppe Ruangrupa, welche die 15. Documenta kuratieren, zu verantwortenden antiisraelischen Stimmung:

Ich will offen sein: Ich war mir in den vergangenen Wochen nicht sicher, ob ich heute hier bei Ihnen sein würde. (…)

Ich habe die Diskussion im Vorfeld der jetzigen documenta sehr genau verfolgt, über das was wir an Kunst zu erwarten haben, aber auch über manchen gedankenlosen, leichtfertigen Umgang mit dem Staat Israel. Denn so nachvollziehbar manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist: Die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit ist die Anerkennung der Würde und Sicherheit der modernen jüdischen Gemeinschaft. Die Anerkennung ihrer Existenzgewissheit. Als deutscher Bundespräsident halte ich für mein Land fest: Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte!

(…) Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich. Wenn unabhängige Köpfe aus Israel unter ein Kontaktverbot gestellt werden; wenn sie verbannt werden aus der Begegnung und dem Diskurs einer kulturellen Weltgemeinschaft, die sich ansonsten Offenheit und Vorurteilsfreiheit zugutehält; dann ist das mehr als bloße Ignoranz. Wo das systematisch geschieht, ist es eine Strategie der Ausgrenzung und Stigmatisierung, die dann auch von Judenfeindschaft nicht zu trennen ist.

Der Kampf gegen Antisemitismus muss sich also mit dem postkolonialen Antizionismus der Documenta in Kassel oder dem unverhohlenen Antisemitismus, der Erinnerungsabwehr an das Präzedenzlose von Auschwitz auf einer Konferenz im Haus der Kulturen der Welt in Berlin widmen, an der unter anderem das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin (ZfA) beteiligt war, was aufgrund der langen Geschichte der Verharmlosung des Antisemitismus an diesem Institut seit der Zeit von Wolfgang Benz, nicht verwundert. Ich habe zum Beispiel auf einem Vortrag in Jerusalem beim World Jewish Congress, als ich mein Buch „Antisemitism: A Specific Phenomenon“ im Mai 2013 vorstellte, unter anderem Benz und das ZfA kritisiert.

Der Beifall für antisemitische Invektiven auf dieser Konferenz vor wenigen Tagen in Berlin im Haus der Kulturen der Welt ist schockierend, wie der polnisch-kanadisch-jüdische Holocausthistoriker Jan Grabowski in einem Interview mit der Welt am 15. Juni 2022 berichtet:

Grabowski: Ich befinde mich in der privilegierten Situation, die kanadische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Doch: Wenn ich mir an einem sonnigen Samstagnachmittag in Berlin anhören muss, wie der Holocaust zum ‚jüdischen Psychodrama‘ heruntergespielt wird, während Deutsche dem zujubeln, dann muss ich sagen: Für mich ist das tödlicher Ernst. Der Antisemitismus ist auf dem Vormarsch, und er kann gleichermaßen befeuert und beschworen werden durch die rechtspopulistischen Regierungen in Osteuropa wie durch den Nahostkonflikt.

Und weil das alles noch nicht komplex genug zu sein scheint, ist im kleinen Beraterkreis von „State of Tel Aviv“ ausgerechnet der rechtszionistische Publizist Yoram Hazony vertreten, der kürzlich auf einer skandalösen, homophoben Veranstaltung des Tikvah Funds und der Jewish Leaderhip Conference in New York City mit dem Hauptredner und Gouverneur von Forida, Ron DeSantis, auftrat. Auch die bekannte Wissenschaftlerin und Publizistin Ruth Wisse trat dort auf, wie auch der viel jüngere Liel Leibowitz vom Tablet Magazine, der 2014 bei einem Vortrag von mir über „Critical Theory and Zionism“ als Zuhörer in Manhattan dabei war, aber meiner Betonung, dass Adorno, Horkheimer, Löwenthal und Marcuse, also die Hauptvertreter der Kritischen Theorie, unterm Strich (und im Gegensatz zu Erich Fromm) sehr wohl pro-israelisch und zionistisch waren, nicht recht folgen mochte. Linke und Marxisten für Israel? Das kann nur ein böses Gerücht sein…

Dr. Clemens Heni- “Critical Theory and Zionism”

Die New York Jewish Week hat den homophoben, antifeministischen und extrem rechten Auftritt des Trump-Anhängers Ron DeSantis scharf kritisiert:

Outside the venue, several dozen demonstrators from progressive groups, including members of Jews for Economic & Racial Justice, protested his appearance. Chelsea Piers also faced backlash from politicians and activists who denounced the venue for allowing DeSantis to speak there.

Rich Ferraro, a spokesman for LGBTQ advocacy group GLAAD, told the New York Times that the organization would ‚refrain from future events‚ at the venue. The Ali Forney Center, which works with homeless LGBTQ youth in New York, also canceled a program at the venue next month.

In a statement released on Friday, the venue said that it ‚could not disagree more strongly with many of Ron DeSantis’ actions in office.‘

‚Pier Sixty will direct every dollar it receives from Tikvah to groups that protect LGBTQ+ communities and foster and amplify productive debates about LGBTQ+ issues,‘ the statement said.

Protesters noted that DeSantis was speaking in New York during Pride Month and on the six-year anniversary of the shooting at Pulse, a gay club in Orlando, in which 49 people were murdered.

Joseph Kleinplatz, a protester who referred to the Florida governor as ‚DeSatan,‘ told the New York Jewish Week that it’s ‚wrong‘ to have him in the city. ‚The Jewish religion is not about hate,‘ he said.

 

Kehren wir zurück zum „State of Tel Aviv“. Das Projekt „State of Tel Aviv“ wurde im Mai 2022 von der ehemaligen kanadischen Botschafterin in Israel Vivian Bercovici ins Leben gerufen. Bercovici ist die Tochter von Holocaustüberlebenden, das Grab ihrer Oma, die 1969 starb, befindet sich nördlich von Afula und sie schreibt, wie stolz ihre Großmutter wäre, wüsste sie, dass jetzt Vivian in Israel lebt, forscht und schreibt und der zionistische Traum weitergeht.

Bercovici beschreibt ihre Zeit als Botschafterin sehr persönlich. Sie ist im Gegensatz zu den meisten anderen Diplomat*innen keine Karriere-Botschafterin gewesen. Sie wurde aus politischen Gründen vom damaligen kanadischen Premierminister Stephen Harper ernannt. Auf einem ganz typischen Dinner-Empfang in Israel erlebte sie den krassen und so typischen Antisemitismus der sonstigen nicht-jüdischen Botschafter, die ihr zum Beispiel unloyales Verhalten gegenüber Kanada vorwerfen und so weiter und so fort.

Ich wurde einfach so von „The State of Tel Aviv“ im Mai 2022 in deren Mailingliste aufgenommen, das ist womöglich der Vorteil, wenn man ein auch englischsprachiges Forschungsinstitut hat – The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) –

und dazu seit 2013 einen Blog bei einer der größten pro-israelischen bzw. jüdischen Blogger-Communities, der Times of Israel (TOI), betreibt. Jedenfalls ist „State of Tel Aviv“ ein ganz herausragendes Projekt, dem man viel Erfolg wünschen kann. Eine vielfältige Debatte über die Zukunft des jüdischen und demokratischen Staates Israel ist exakt das, was wir heute brauchen. Ergänzt wird das durch den fortdauernden Kampf gegen den Antisemitismus, gegen BDS, gegen das palästinensische „Rückkehrrecht“, das keine „Rückkehr“ ist, sondern die Drohung Israel zu zerstören, und ein Kampf gegen Holocaustverharmlosung, gegen den Antijudaismus wie die Ablehung der Brit Mila auch in pro-israelischen, nicht-jüdischen Kreisen, der sehr wichtige wissenschaftliche und publizistische Einsatz gegen antisemitische Verschwörungsymthen und vieles mehr.

Das dialektische Moment der aktuellen Situation für Israel und die Juden besteht darin, die riesigen Erfolge wie die Anerkennung durch substantielle Teile der arabischen Welt, und die gleichzeitige extrem rechte Politik von weiten Teilen der Israelsolidarität – wie von Typen vom Schlage DeSantis‘ – in eine geradezu synthetische Gemeinsamkeit von zionistischer Politik und dem Kampf gegen Antisemitismus zu bringen. Man kann aber nicht gegen Antisemitismus sein und Homophobie säen, wie es DeSantis tut. Das ist ein  Widerspruch in sich. Man kann nicht gegen Abtreibung sein wie DeSantis und zugleich so tun, als ob man gegen Antisemitismus sich einsetzen würde. Das ist pure Heuchelei. Jetzt hat eine Synagogen-Gemeinde in Florida die Regierung in Tallahassee verklagt, weil DeSantis Abtreibung nach der 15. Woche für strafbar erklären will.

Doch in Israel geht es nicht weniger widerspruchsvoll zu. Pointiert gesagt: Mit Mansour Abbas und einem sehr konservativen religiösen Muslim und zuglich mit dem zionistischen Juden Ze’ev Jabotinks gegen Netanyahu und die rechten Israelfreunde in der Diaspora. Denn Netanyahu lässt keinen Tag verstreichen, wo er Mansour Abbas nicht diffamiert und Unwahrheiten über ihn verbreitet.

Die aktuelle Acht-Parteien-Regierung mit Mansour Abbas als historischem Beispiel der arabischen Anerkennung Israels als jüdischer Staat, ist in starker Bedrängnis und kurz vor dem Kollaps. Der Publizist Yossi Klein-Halevi, ein Senior Fellow beim Shalom Hartman Institute, wo er zusammen mit Imam Abdullah Antepli der Duke University und Maital Friedman die „Muslim Leadership Initiative (MLI)“ betreibt, ein so eloquenter und scharfer Redner wie Yossi Klein-Halevi, der im akademischen Jahr 2008/09 bei unserer Yale Initiative for Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA) der Yale Univeristy sprach, hat am 12. Juni 2022 ein düsteres Bild der aktuellen Situation gemalt. Und dennoch gibt es Hoffnung, die für ihn wie für Einat Wilf, Vivian Bercovici und „State of Tel Aviv“ in der Person Mansour Abbas, mit all den konservativen, religiösen Implikationen, inkarniert ist:

For years we Jews have rightly insisted that the core of the Palestinian-Israeli conflict is the refusal of Palestinian leaders (including Palestinian citizens of Israel) to come to terms with our indigenousness in this land. Abbas delivered; yet many Israeli Jews, especially on the right, have dismissed his outreach or ignored it altogether.

Abbas, whose Islamist Ra’am party has roots in the Islamic Brotherhood and was once close to Hamas, is the least likely candidate for the role of national healer. But this government has proven that when Jews truly own Israel’s democratic identity and treat Arabs as equal players, an opening is created for Arab acceptance of Israel’s Jewish identity. That dynamic will be a long and slow process; much of Abbas’s party has followed him only reluctantly. But Abbas, who is denounced by Hamas as a traitor and is the target of death threats, has taken a step from which there is no turning back.

Klein-Halevi resümiert:

Netanyahu once promised to bring to Israel the ‚can-do‘ spirit of American efficiency and creativity. Now, though, he has brought us the dysfunctional America of fake news and political hatred.

Israel is divided by two visions. But that divide, it turns out, doesn’t run between religious and secular, left and right, or even Arab and Jew. Instead, the divide is between the camp that is committed to the hard and frustrating work of strengthening our common identity, and the camp that relentlessly pries open our schisms and wounds, the multiple ethnic and ideological fault lines that threaten our fragile cohesiveness. One is a coalition of healing; the other, a coalition of hurban, national ruin.

Given the alternative that awaits us if Netanyahu returns to power, it is frankly unbearable to watch the government’s unraveling, the ease with which renegade MKs defect to the opposition or attempt to hold the coalition for ransom. But however this government ends, its vision of an Israel striving for its highest aspirations will remain as an option. For that too, this government deserves our blessing of dayenu.

 

Update 20.06.2022:

Im Spiegel gibt es einen treffenden Kommentar von Ulrike Knöfel zur Rede Steinmeiers in Kassel, sein Nicht-Attackieren von BDS und sein Bezug zu Beuys mögen dabei hervorstechen. Der Spiegel schreibt:

Steinmeier erwähnt also den Streit und landet dann ausgerechnet beim früheren Documenta-Star Joseph Beuys, der sagen würde, alles sei Kunst. Und auch wenn Steinmeier klarmacht, dass die Kunstfreiheit seiner Meinung nach sehr wohl Grenzen hat. Allein die bloße Nennung dieses Künstlers in diesem Zusammenhang lässt einen aufschrecken.

Warum das so ist? Beuys ist längst kein Synonym mehr für einen besonders freiheitsliebenden, weltoffenen und integren Künstler. Vielmehr steht er für eine rechte Schlagseite der Kunst. Schließlich war er ein Mann, der sich mit etlichen Alt-Nazis umgab, sie als seine Entourage auch mit zur Documenta brachte. Dem ehemaligen Nazifunktionär Werner Georg Haverbeck – seine Witwe ist die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck – verschaffte er sogar einen eigenen Redeauftritt auf der Documenta 1977, der Mann sprach da zur »Neuorientierung der Entwicklung unserer Zivilisation«.

Zweites Update:

Wie ich gestern befürchtete, ist es heute passiert: die vielfältige Acht-Parteien-Koaliton in Israel ist am Ende. Es wird Neuwahlen geben. Bis dahin wird Lapid Interimsministerpräsident.

Schwanengesang der Israelsolidarität, „sekundärer Analphabetismus“ oder Kritik am „linearen Denken“ von Corona über die Ukraine bis zu Israel?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 04. Juni 2022

Der Literaturwissenschaftler und Publizist Hans Mayer (1907-2001) fand das Spiel „Reise nach Jerusalem“, das fast jedes Kind irgendwann mal spielte, einigermaßen bedenklich. Einer Gruppe von zum Beispiel 10 Kindern oder auch Jugendlichen sowie Erwachsenen stehen nur neun Stühle gegenüber. Man läuft im Kreis und auf ein Signalwort oder einen Ton muss jede und jeder einen Stuhl finden. Logisch bleibt eine Person übrig. Jede Runde wird so der Kreis kleiner. Ganz am Ende gibt es noch zwei Leute und einen Stuhl, einer gewinnt. Aber der Gewinner oder die Gewinnerin ist – alleine.

Wir kommen auf Hans Mayer zurück. Alleine waren auch fast alle Menschen während der Coronamassenpanik, die gezielt von Horst Seehofer und nahezu allen europäischen und sonstigen Regierungen geschürt worden war („Panikpapier“). Die Menschen wurden isoliert, gerade die 86-jährigen Altersheimbewohner*innen, gegen ihren Willen, ob sie nun Angst hatten vor einem ganz normalen respiratorischen Virus oder nicht. Menschen wurden in ihre Wohnungen gesperrt obwohl jeder Mediziner und jede Epidemiologin weiß, dass enge Räume bei Infektionskrankheiten ungünstige Räumlichkeiten sind. Niemand durfte in Cafés, Restaurants, Veranstaltungsorte gehen, alles war geschlossen, auch die Schulen und Kitas, die Bibliotheken, die Theater, die Hallenbäder, alles. Der Wahnsinn war an Irrationalismus und medizinischem Irrsinn nicht zu überbieten. Woran lag es? Am „linearen Denken“? Kann man gewisse strukturelle Ähnlichkeiten im Umgang mit der Corona-Krise und der aktuellen Ukraine-Krise sowie dem israelisch-palästinensischen Konflikt und der Israelsolidaritäts-Szene erkennen? Kann man für Israel und gegen Antisemitismus sein, ohne dem „linearen“ oder autoritären Denken zu huldigen?

Laut einem aktuellen WHO Bericht hat es in Schweden, wo es nie einen Lockdown gab, die Restaurants, Cafés, Schulen, Geschäfte und Firmen immer geöffnet waren, weniger als halb so viel Übersterblichkeit während der ganzen Coronakrise gegeben als im turbo Panikland Deutschland. Ohne jede Maskenpflicht und ohne jede Diskussion über eine Impfpflicht hat Schweden weniger Tote zu beklagen als Deutschland, und zwar enorm viel weniger Tote.

Mit einer scharfen Kritik wendet sich der Mediziner, Professor und ehemalige Vorsitzende der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e.V. (GQMG) Matthias Schrappe gegen „das neue lineare Denken“, das „top-down“-Denken, das autoritäre, demokratiefeindliche Denken, das seit Corona die neue lingua franca in Deutschland und in fast allen Ländern Europas geworden ist. Schrappe ist bekanntlich mit seiner „Autorengruppe“ seit April 2020 einer der führenden Kritiker der Coronapolitik von Merkel und Spahn bis Scholz und Lauterbach und zumal der Medien und der Gesellschaft insgesamt. Schrappe sieht erschreckende Analogien der Coronapolitik und des aktuellen Ukraine-Diskurses.

Das „lineare Denken“, das hierarchische, ja in Teilen geradezu manichäische Denken setzt sich aktuell in der so nie dagewesenen Agitation für mehr Krieg, mehr Waffen im Lager der angeblichen Pro-Ukraine-Fans verschärft fort.

Warum wurden von den Medien wie den unerträglichen Talkshows, ihren Moderator*innen und Gästen, die sich ja gerade in Coronazeiten als quasi Regierungspolitiker*innen verstanden und Merkel oder Scholz apportierten nur, was Sonntag Nacht (oder Montag, Dienstag etc.) in den Leitmedien im Fernsehen so gebrabbelt wurde, nie, zu keinem Zeitpunkt, genau so viele – oder überhaupt welche! – Kritiker*innen der Coronapolitik in eine Sendung eingeladen, wie unreflektierte Vertreter*innen der Regierungspolitik?

Es war schon viel, wenn einer von fünf Diskutant*innen eine leicht abweichende Meinung hatte, was sehr selten vorkam. Aber drei kritische Gäste und nur zwei de facto Regierungsvertreter*innen plus die ohnehin auf Regierungskurs befindlichen Moderator*innen – das war in Coronazeiten undenkbar. Und es ist beim Krieg Russlands gegen die Ukraine auch undenkbar. Es wird nicht diskutiert, sondern agitiert. Dieses Ungleichgewicht bei den Einladungen zu diesen für die Demokratie schädlichen Talkshows attackiert Schrappe frontal. Heute ist es doch so: De facto schadet jede Waffenlieferung der Ukraine, weil sie den Krieg gegen eine Weltmacht wie Russland nie gewinnen kann – es gibt keinen Sieg gegen eine Atommacht. Es muss um Diplomatie und Verhandlungen gehen, um eine politische Lösung.

Sicher wird die am rechten populistischen Rand der Linkspartei befindliche Sahra Wagenknecht als Alibi regelmäßig in diese Shows eingeladen, sie hat sowohl zu Corona als auch zur Ukraine abweichende Meinungen. Aber niemals kam es vor und niemals wird es in Zukunft vorkommen, nach all dem was wir seit März 2020 erlebt haben, dass drei Gäste eine kritische Position haben und sich womöglich gegenseitig ergänzen oder bestärken könnten, und nur zwei Gäste plus Moderator*in vertreten wieder die Regierungslinie (Pro-Lockdown, Pro-Impfen, oder mehr Waffen für die Ukraine, Russland „ruinieren“ etc.).

All das, was eine vielfältige, moderne Gesellschaft im 21. Jahrhundert ausmacht, „Ambiguität“, all das, was in so dermaßen marginalen Fragen wie dem Geschlecht Mainstream ist, das wurde bei den Freiheitsrechten der gesamten Gesellschaft einfach über Bord geworfen. Keine Reflektion, kein Innehalten, keine evidenzbasierte Diskussion, kein lokales Handeln, sondern autoritäres, hierarchisches 19. Jahrhundert prasselte auf die Menschen herab. Gnadenlos. Schulschließungen ohne jede empirische Prüfung, was das bringen soll, Lockdown, ohne zu analysieren, dass sich die Menschen dann noch viel eher anstecken, eng zusammengedrängt zu Hause, dann Maskenzwang und sinnloses Massentesten bis heute, ohne jede medizinische Evidenz. Dazu dann vor allem in Deutschland und Österreich die Impf-Apartheid, 2G, wo doch alle wissen, die es wissen wollen, dass bei Corona jeder geimpfte wenigstens so ansteckend sein kann wie jeder ungeimpfte Mensch.

Schrappe schreibt am 17. Mai 2022 im Cicero:

In dieser Situation kam „Corona“. Im Jahr 1992 war das Bundesgesundheitsamt in ‚Robert-Koch-Institut‘ umbenannt worden, eine Hommage an den großen Forscher, aber auch ein Rückgriff, so muss man heute erkennen, auf die Strukturvorstellungen des 19. Jahrhunderts. Denn was ist (nicht) geschehen? Erste Corona-Fälle bei Webasto in München – wer war vor Ort? Cluster in Heinsberg – hat jemand 100 Leute vom RKI vor Ort gesehen, die die wichtigen Fragen bearbeitet haben (Übertragungswege, Sterblichkeit …)? Die ersten Cluster in Altersheimen in Wolfsburg und Würzburg – war jemand aus Berlin dort und hat mit modernen Konzepten der Epidemiekontrolle ausgeholfen?

Wir kennen die Antwort. 1150 Mitarbeiter, knapp die Hälfte davon Akademiker, blieben auf ihren Sesseln sitzen, sammelten Meldedaten, von denen alle Fachleute wussten, dass sie nichts taugten (außer den Meldeeifer widerzuspiegeln), veröffentlichten Appelle (und änderten sie nächtens), steigerten die Bedrohungsszenarien, statt sich kompetenter Krisenkommunikation zu bemüßigen, waren nicht in der Lage, eine Epidemie als komplexes System zu begreifen und entsprechend zu handeln.

Sehr treffend wendet Schrappe seine multiperspektivische, demokratische und heterogene Analyse einer Gesellschaft in einer Krise auch auf den erschreckenden Ukraine-Diskurs an:

Allerdings ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass sich diese Neigung zu einfachen Lösungen verstetigt und uns noch beschäftigen wird, wenn die Corona-Pandemie längst in ihre endemischen Ebenen abgetaucht ist. Das wichtigste Indiz ist das Umgehen mit der Ukraine-Krise. (…) Wenn laut Umfragen die Hälfte der Bevölkerung pazifistische Überlegungen (partiell) teilt, warum sind nicht auch die Hälfte der Talkshow-Teilnehmer aus diesem Lager? Woher der aggressive Ton der Befürworter von Waffenlieferungen gegenüber den Beteiligten von Unterschriftensammlungen, die zu mehr Vorsicht und Umsicht aufrufen?

Und das betrifft nun leider auch einen meiner Hauptarbeitsbereiche, den Nahostkonflikt und die Situation in der Pro-Israel-Szene in Deutschland und Österreich bzw. dem Westen. Auch hier gibt es seit langer Zeit einen sehr autoritären Top-down-Mechanismus. Es wird nur auf die großen Entwicklungen und Tendenzen geschaut, ohne sich detailliert mit konkreten Schritten hin zu einem Frieden und einer Zweistaatenlösung zu befassen. Das erreichte seinen negativen Höhepunkt während der US-Präsidentschaft von Donald Trump. Er setzte Zahlungen an die Palästinenser im Gazastreifen aus, ohne sich mit den konkreten Konsequenzen für die Palästinenser und auch für die Israelis zu befassen. War Trumps Präsidentschaft in dieser Hinsicht gar ein verspäteter marxistischer Einsatz, der die schon immer absurde Verelendungstheorie in Anschlag bringen wollte?

Jedenfalls gibt es sehr interessante kritische, zionistische Projekte, die ein solches Top-down-Handeln in Frage stellen. Nehmen wie die NGO Israel Policy Forum aus Washington, D.C. Das 1993 im Zuge der nahöstlichen Entspannungspolitik von Yitzhak Rabin gegründete Israel Policy Forum sieht sich seitdem als Anwalt eines jüdischen und demokratischen Staates Israel und eines Staates Palästina, Seite an Seite von Israel, wie es seit 1937 angedacht und 1947 auch von der UN beschlossen worden war („UN-Teilungsplan“). Bekanntlich lehnten die Araber bzw. die Palästinenser jeden dieser Pläne kategorisch ab. Bis heute. Sie wollten und wollen bis heute das ganze Land, „from the river to the sea“, wie es die antisemitische BDS-Bewegung auf den Straßen Berlins, Frankfurts, Hamburgs, Wiens oder New Yorks, Londons, Bostons etc. hinausschreit.

Und in der Antisemitismusforschung gibt es viel zu viele, die darin, in der BDS-Bewegung, gerade keinen Antisemitismus zu erkennen vermögen oder ihren eigenen Antizionismus nach Auschwitz mit einem Koscherstempel versehen, so sie Juden sind oder aber ganz super ausgebildete Antisemitismusforscher*innen.

Diese offenkundigen Tendenzen des antizionistischen Antisemitismus, der jedwede Existenz eines jüdischen und demokratischen Staates Israel ablehnt, verführte schon vor der 2005 gegründeten BDS-Bewegung viele aus der Israel-Solidarität dazu, selbst nicht so ganz genau hinzuschauen. Dabei war doch die Ermordung Rabins 1995 durch einen fanatisch religiösen, die Thora vorgeblich studierenden, rechtsextremen israelischen Juden das Fanal schlechthin für eine Abkehr von jeglicher Friedenslösung auch von israelischer Seite. Es kamen zwar schätzungsweise eine Million Israelis zu seiner Beerdigung nach Jerusalem, wie der Literaturwissenschaftler Hans Mayer 1997 in seinem Suhrkamp-Band „Reise nach Jerusalem“ festhält. (S. 25) Das „Schalom Chawer“, das Bill Clinton auf der Beerdigung von Rabin sprach, wie Mayer, der selbst vor Ort war, erinnert, das war auch eine Erinnerung an die Arbeiterbewegung, den Sozialismus der allermeisten Chaluzim, der jungen jüdisch-zionistischen Einwander*innen nach Israel seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung des Staates Israel 1948. Zionismus war fast synonym mit Sozialismus, so Mayer. (S. 122)

Die israelische Regierung gab jetzt bekannt, dass sie an dem seit Jahren umstrittenen „E 1“-Projekt festhält und es im Juli 2022 eine letztmalige Prüfung vom Verteidigungsministerium bezüglich Vorbehalten geben soll. Es geht um den Bau von mehr als 3400 Wohneinheiten. 2012 sollte das Projekt bereits unter dem damaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu starten, doch internationale Proteste verhinderten das. So war es auch im Januar 2022, als das Projekt bzw. die letztgültige Entscheidung auch wegen Protestes aus den USA verschoben wurde. E 1 heißt „East 1“, es geht um ein strategisch zentrales Gebiet östlich von Ost-Jerusalem. Genau liegt E1 auf einem Gebiet von ca. 12km2, westlich der 50.000 Einwohner*innen jüdischen Siedlung Ma’ale Adumin. Viele werden den Weg kennen, wer sich nach einem Blick vom Mount Scopus vergewissert hat, dass das Tote Meer noch da ist, fährt auf der Route 1 an der Siedlung, die rechts davon liegt, vorbei durch die Westbank bis man dann unten im Tal, an Eseln und Kamelen vorbei auf die Route 90 trifft, die parallel zum Toten Meer verläuft und auf locker 400 Meter unterm Meeresspiegel kommt man dann beim „Mineral Beach“ an, der allerdings jedes Jahr sich weiter entfernt vom Meer bzw. das Meer von ihm.

Das Projekt E1 würde ein palästinensisches Staatsgebiet noch komplizierter machen. Palästinenser müssten auf dem Weg von Ramallah nach Bethlehem einen großen Umweg machen. Sicher, auch in der Gegend von Tel Aviv ist das Staatsgebiet Israels sehr schmal, ca. 15km bis zur Westbank und den palästinensischen Gebieten. Aber es ist politisch desaströs jetzt und überhaupt das Projekt E1 zu planen.

Die RAND Corporation hat im Jahr 2021 in der 187-seitigen Studie „alternatives in the israeli-palestinian conflict„, an der Israel Policy Forums Shira Efron mitgewirkt hat, untersucht, wie die Chancen auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts stehen. Dabei haben die Autor*innen in 33 Diskussionsgruppen mit über 270 jüdischen Israelis, arabischen Israelis und Palästinenser*innen in der Westbank und im Gazastreifen jeweils in dreistündigen Seminaren die politische Zukunft des israelisch-palästinensischen Konflikts diskutiert.

Bis auf drei exklusiv männliche Gruppen mit Ultraorthodoxen waren es gleichmäßig nach Geschlechtern gemischte Gruppen. Die qualitative Sozialforschung dieses Projekts ist ziemlich interessant. Die Studie stellte die aktuell fünf in Frage stehenden Optionen den Diskutant*innen vor:

1) Beibehaltung des Status Quo

2) Zweistaaten-Lösung

3) Eine Konföderation

4) Einstaaten-Lösung

5) Annexion der palästinensischen Gebiete durch Israel.

Keine der fünf Alternativen bekam von den arabischen Israelis und den Palästinensern eine mehrheitliche Zustimmung, lediglich die jüdischen Israelis plädierten mehrheitlich für eine Beibehaltung des Status Quo – was natürlich völlig unbefriedigend ist:

For Israeli Jews, the only alternative judged as “acceptable” by a majority of focus group participants was the status quo. For the other three populations—Israeli Arabs, Gazan Palestinians, and West Bank Palestinians—none of the alternatives were acceptable to a majority of participants. (…)

The two-state solution was the preferred alternative for both the Israeli Arabs and West Bank Palestinians and the second-highest-rated alternative for Israeli Jews and Gazan Palestinians. None of the other alternatives had anything close to this breadth of support. (S. 12, PDF)

Die Zustimmung zur Zweitstaatenlösung ist von 70 Prozent vor einigen Jahren auf nur noch gut 50 Prozent gefallen.

In der sozialwissenschaftlichen Forschung werden qualitative Studien sehr wohl ernst genommen, auch wenn im Fokus der Öffentlichkeit meist nur simple „Umfrageergebnisse“ oder „Trends“ stehen. Die Ergebnisse der Studie sind insgesamt ernüchternd, wie die Autor*innen festhalten. Es gibt massive Vorbehalte auf beiden Seiten, niemand traut dem anderen oder lehnt das andere Narrativ vollständig ab (kein Staat Israel, kein Staat Palästina etc.).

In einer Studie des Israel Policy Forums über den Nahostkonflikt, die lustigerweise „The New Normal“ heißt und gerade gar nichts mit Corona zu tun hat, betonen die Autor*innen die Hoffnung, die Biden im Gegensatz zu Trump bringen könnte:

There is some room for optimism, however. The transition to a new American administration means new priorities in Washington. While the Trump administration was happy to bifurcate IsraelArab state and IsraeliPalestinian ties in service of a proannexation agenda, the Biden administration is supportive of a twostate solution.

2020 hatte das Israel Policy Forum 50 Gründe genannt, die geklärt beziehungsweise bearbeitet gehören, bevor es zu einer Lösung oder einem „Deal“ – um die patriarchale betriebswirtschaftliche Sprache Trumps zu verwenden – kommen kann. Dabei gehen sie sehr detailliert auf beide Seiten ein, die Israelis und die Palästinenser. So soll Amerika wieder humanitäre Hilfe für den Gazastreifen freigeben, Gelder, die bereits bewilligt worden waren, aber von Trump eingefroren wurden. Das ist mittlerweile von der Biden-Administration umgesetzt worden.

Dann fordert das 50-Punkte-Papier mehr Trinkwasser sowie Entsalzungsanlagen und auch bessere Elektrizität für den Gazastreifen. Zugleich fordert es, dass die Palästinensische Autonomiebehörde aufhört, Angehörigen von Terroristen und Jihadisten („Märtyrern“) Geld zu geben, ja sie für Mord an Israelis zu belohnen. Das muss aufhören. Eine solche detaillierte Liste, die sowohl Israel als auch die Palästinenser in die Pflicht nimmt, jeweils (!) aktiv für den Frieden sich einzusetzen, wird man in Deutschland oder Österreich in den Pro-Israel-Szenen kaum finden. Denn weiters fordert das Israel Policy Forum, dass die Terrororganisation Hamas auf Gewalt verzichten soll, aber Israel soll sowohl den Palästinensern in der Westbank wie im Gazastreifen mehr Arbeitserlaubnisse erteilen. Israel soll seine Verteidigungsmaßnahmen ausbauen, aber Ost-Jerusalem soll mehr Geld für Infrastruktur- und weitere Projekte bekommen. Die ganzen 50 Punkte kann man sich hier anschauen:

 

 

Der 50-Punkte Plan des Israel Policy Forum sagt, dass ein Aktivieren des E1-Projekts eine „rote Linie“ überschreiten würde, was die USA zum Handeln zwingen sollte:

Some areas of the West Bank are particularly sensitive ones because of their importance in preserving the territorial contiguity of a future Palestinian state. E1, for instance, sits outside of Ma’ale Adumim and contains the Bedouin village of Khal al-Ahmar, which has been slated for demolition and was the scene of protests and violence last week before the Israeli High Court enjoined the government from demolishing it. Building in E1 would separate the northern West Bank (Samaria) from the southern West Bank (Judea), turning what is now a 45 minute journey between Ramallah and Bethlehem into a two hour one, and rendering a future Palestine dependent on a patchwork of tunnels and bypass roads.

Israel should maintain the current status of places like E1 and Givat Hamatos (which would cut off Jerusalem entirely from the southern West Bank), and the U.S. should maintain its long-standing policy that any new Israeli construction in these areas is a redline that cannot be violated without consequences.

Sehr interessant ist der 50. Punkt: „Support separation, oppose annexation“. Hört sich geradezu dialektisch an. Israelis (jüdische und arabische) sollen sich von den Palästinensern weiter separieren, aber gleichzeitig wendet sich das Israel Policy Forum gegen die Annexion des Westjordanlandes. Leider ist gerade Letzteres in Israel voll im Kommen. Das E1 Projekt ist nichts anderes als die Annexion eines sehr zentralen Teils der Westbank. Denn mit dem Projekt E1 und einer direkten Verbindung von Ma’ale Adumin mit Ost-Jerusalem wird die Wahrscheinlichkeit, dass Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas wird, massiv geschmälert.

Ohne eine Teilung Jerusalems wird es nicht gehen. Das sagt die linkszionistische und feministische Politikerin, ehemalige Knesset-Abgeordnete und Publizistin Einat Wilf aus Tel Aviv. Sie ist eine vehemente Verteidigerin Israels und des Zionismus. Sie ist gegen ein palästinensisches Rückkehrrecht, das völlig absurd ist, da es nur noch einige wenige Zehntausend tatsächlich 1948 im Unabhängigkeitskrieg vertriebene Araber bzw. Palästinenser gibt – die sich mit der gesamten arabischen Welt einvernehmlich und aus purem Antisemitismus geweigert hatten, den UN-Teilungsplan anzunehmen -, die damals tatsächlich vertrieben wurden. Doch die Palästinenser und die UN-Flüchtlingsorganisation für sie, die UNRWA, sprechen von ca. 5 Millionen palästinensischen Flüchtlingen, da alle Nachkommen, also Palästinenser, die eigentlich als Franzosen oder Ameriker oder Deutsche 1974 oder 1987 etc. geboren wurden, als „Flüchtlinge“ gelten.

Der Backlash den wir in westlichen Demokratien und anderen Staaten seit vielen Jahren erleben, Trump in Amerika, Bolsonaro in Brasilien, Orbán in Ungarn, das Erstarken oder Erscheinen von extrem rechten Parteien im Parlament wie die AfD, dazu der Brexit in UK, aktuell die Anti-Abtreibungsdebatte am Supreme Court in den USA, antifeministische und reaktionäre Familienideologien allüberall, gerade auch bei jungen Frauen, dazu ein Erstarken der religiösen Parteien und Strömungen wie in Israel: All das hat z.B. die ehemalige und seinerzeit jüngste Knesset-Abgeordnete, die Linke Staff Shavir in ihrer Kritik am Status Quo betont. Sie ist bei der Kampagne #ourfutureIsrael des Israel Policy Forums mit dabei. Bei dieser Kampagne wenden sich „Millenial Zionists against Annexation“. In einem Videobeitrag, wo sie in ihrer Wohnung mit Klavier und Fahrrad mit ihren Kolleg*innen vom Israel Policy Forum spricht, betont sie diese rechten Tendenzen.

 

Ähnlich ist die linke Position der Politologin Einat Wilf. Sie möchte nur einen kleinen Teil Land der Westbank via Gebietsaustausch mit den Palästinensern annektieren (4 Prozent), die anderen Siedler*innen sollten ohne jede israelische Unterstützung bleiben oder eben – warum denn nicht, es leben auch ca. 2 Millionen Araber in Israel! – Bürger*innen des zukünftigen Staates Palästina werden. Doch aktuell ist das sehr weit weg, die Palästinenser müssten lernen, jüdische Bürger*innen zu akzeptieren. Und die Siedler*innen müssten die Palästinenser als Bürger*innen akzeptieren. Da ist viel antirassistische Arbeit vonnöten, die politische Kultur müsste sich hüben wie drüben ganz massiv ändern. Das ist ein langwieriger Prozess, der seit der Ermordung Rabins 1995 in die exakt falsche Richtung abbog.

Doch die Pro-Israel-Aktivist*innen in Deutschland, der Schweiz oder Österreich berichten darüber, über den gefährlichen Nationalismus und Rassismus in Israel kaum. Die innerisraelische bzw. israelisch-amerikanische Debatte wie beim Israel Policy Forum oder auch bei der Times of Israel wird weitgehend ignoriert.

Daher zitiere ich Einat Wilf zu diesem so heftig umstrittenen Fragenkomplex Siedlungen:

If I were tsar of Israel, I would immediately delineate Israel’s final eastern border in the following way: I would annex 4% of the West Bank—the 4% that includes large settlement blocs adjacent to the Green Line that are home to 75% of settlers, including Jewish neighborhoods of East Jerusalem (that is, not Ariel, Ofra, Bet El, nor Hebron). I would declare that this is Israel’s final eastern border and there are no territorial claims beyond it. I would acknowledge that we have a legal right and emotional historical connection to the area, but recognize that a competing collective has a similar claim, and I would renounce our territorial claim to that. East of that border, the military would stay as long as the Palestinians are at war with Zionism and the idea that the Jewish people have a legitimate right to self-determination in the land.

Einat Wilf ist vehement gegen das heutige, „vereinigte“ Jerusalem! Die beiden größten Gruppen in Jerusalem seien die Ultraorthodoxen und die Araber – beide Gruppen lehnen den Zionismus ab. Die wirklich coolen Leute wie Einat Wilf würden Gegenden in Israel bevorzugen, wo weniger gelogen wird – „vereinigtes Jerusalem“ ist wirklich eine Lüge, die meisten Ost-Jerusalemer*innen nehmen ja gar nicht an den Wahlen teil, was wäre, wenn sie es täten, ca. 40 Prozent der Bevölkerung von ca. 900.000?:

There is no more transparent political lie than that of “the united city of Jerusalem.” This statement may reflect the desires of certain Jerusalemites (and of some who don’t bother to live there), but it certainly has no relation to the reality of life. The city was, and remains, divided. Had Israel opted to annex the part of Jerusalem that was under Jordanian occupation between 1949-1967, an area six square kilometers in size, we might have had a unified city today. But the colossal mistake of annexing dozens of villages of the West Bank to create the huge jurisdiction of the Jerusalem municipality as it is today, guaranteed that there would be no “unification” between Jerusalem as it was pre-1967 and these villages.

The desperate efforts to create a façade of unification meant that Jerusalem descended into poverty and neglect. Jerusalem went from being a magnet to a “welfare town” in need of ever-growing assistance just to keep the lie of its failed unification from being exposed. The city got bigger, poorer and uglier, and remained stubbornly divided. Jerusalem today is a symbol and metaphor for a nightmare future for Israel – one in which too much territory is annexed in the name of an ideological lie. Then, partly due to this annexation, the two groups that reject Zionism – the ultra-Orthodox and the Arabs – become the majority, while the creative and productive Zionist forces flee to places where there is more openness and freedom, and less lying.

Ich kenne so viele Gruppen in Israel, den USA oder Deutschland und Europa, die aus sicher guten Motiven heraus für ein geeintes Jerusalem aktiv sind, aber kaum jemand von denen wurde in Jerusalem geboren, so wie Einat Wilf, und kennt die Situation ganz konkret vor Ort. Das heißt gar nicht, dass Wilf nicht auch Jerusalem auf ihre Weise liebt, das Herz der israelischen Demokratie, die Knesset, steht in Jerusalem, ebenso der Oberste Gerichtshof, die israelische Nationalbibliothek, die Hebräische Universität.

Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem liegt in Jerusalem.

Das Klima in Jerusalem ist durchaus angenehmer als in Tel Aviv oder der Küste, weniger schwül, dafür trocken und heiß, Jerusalem liegt auf ca. 800 Metern Höhe.

Begeistert teilte Gershom Scholem immer wieder mit, er habe seit Anfang Februar jeden Morgen seine geliebten frischen Erdbeeren genießen können. (Mayer 1997, S. 53)

Hans Mayer betont aber auch, dass er niemals auf den Tempelberg gegangen ist, der von den Römern im Jahr 70 zerstört worden war:

Den Tempelberg betrat ich nicht, auch später nicht bei den folgenden Besuchen in Jerusalem. Da gab es ein inneres Widerstreben. Das tut man nicht als Jude. Es bedarf keines ausdrücklichen Verbots. Ich hätte es auch niemals auf dem römischen Forum über mich bringen können, gleichzeitig durch den Triumphbogen des Titus zu spazieren, weil die römischen Bildhauer dort gezeigt hatten, wie man den siebenarmigen Leuchter aus dem zerstörten Tempel abtransportierte. (S. 19)

Bei den Israeli Policy Forum Broschüren, Texten und Kampagnen, bei Staff Shavir, der RAND-Studie zum israelisch-palästinensischen Konflikt oder auch bei den Texten von Einat Wilf oder schon zuvor bei einigen Passagen von Hans Mayer kann man einen Schwanengesang des Linkszionismus hören. Sicher wird Israel überstehen, militärisch ist es jeder Gefahr gewachsen, auch der iranischen. Aber die politische Kultur nimmt seit Jahren enormen Schaden, vom Nationalstaatsgesetz 2018 über die aktuelle Situation wie dem Tod von Abu Akleh und der Polizeigewalt auf ihrer Beerdigung in Jerusalem bis hin zum E1-Projekt in der Westbank.

Es muss weiter darum gehen, für ein zionistisches Israel zu kämpfen, für ein Israel Seite an Seite mit einem Israel akzeptierenden Palästina, damit wir weiterhin die trockene Hitze Jerusalems und die kühle Brise selbst im Sommer am Abend, den Duft des frischen Gebäcks nach dem Schabbes (Samstag Abend) und das wilde Tanzen auf dem Zion Square und seit einigen Jahren sogar eine Tram in Jerusalem – West-Jerusalem – genießen können.

Und doch kommen immer wieder und verschärft „Ausgrenzungs- und Verhetzungsstrategien“ zum Einsatz, wie Schrappe am Beispiel Corona und der Ukraine sagt. Das gilt auch für den israelisch-palästinensischen Konflikt. Kürzlich gab es in Israel die Diskussion über das Zeigen der palästinensischen Flagge. Dieses Zeigen war ja einer der Gründe, warum die Polizei so dermaßen aggressiv und würdelos auf die Sargträger am Tag der Beerdigung von Abu Akleh losgingen. Daraufhin betonten zionistische, gerade zionistische Publizist*innen, dass es doch absurd ist, wenn Israel überall in Israel seine Fahne zeigen darf – aber nicht in Ramallah oder den palästinensischen Gebieten. Wenn aber Israel eine Demokratie sein möchte, muss es eben dieses Zeigen einer palästinensischen Fahne aushalten, da ja das Ziel für jeden rationalen, im Sinne Israels denkenden Menschen weiterhin und ausschließlich die Zweistaatenlösung ist.

Ähnlich lief es bei der Corona-Krise. Die israelische Regierung reagierte so irrational, panisch und medizinisch nicht evidenzbasiert wie fast überall – und das entgegen den vielfältigen Ratschlägen von israelischen Epidemiolog*innen und anderen medizinischen Fachleuten. So wie in Deutschland die große und differenzierte Expertise von Prof. Matthias Schrappe und seiner Arbeitsgruppe gezielt von der Bundesregierung ignoriert, ja bekämpft wurde – und fast alle Medien machten dabei mit, Ausnahmen wie ZDF-Sendungen oder WELT-Artikel bestätigen nur die Regel -, so wurde in Israel z.B. das „Common Sense“-Modell im Januar 2021 abgelehnt und diffamiert.

Die zitierten „50 facts before the deal“ des Israel Policy Forums sind ein sehr interessanter und wichtiger Beitrag für eine reflexive, kritische, zionistische Israelsolidarität, die ebenso pro-palästinensisch ist.

Die Paradoxie oder geradezu Tragik könnte nun darin bestehen, auch darauf weisen die Autor*innen der zitierten Studien der RAND Corporation wie des Israel Policy Forums hin, dass durch die geradezu „tektonische Verschiebung“ (so Shira Efron) des Verhältnisses der arabischen Welt zu Israel mit der geplanten Aufnahme diplomatischer Beziehungen von den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE), Bahrain und Annäherungen auch an Marokko und andere arabische Staaten durch die „Abraham Verträge“ von 2020 die konkreten Friedenschancen Israels mit Palästina eher geschwunden sind.

Das mag am wachsenden Desinteresse der arabischen und muslimischen Welt (wie der Türkei, die sich Israel auch wieder annähert) an den Palästinensern liegen. Es wäre fatal, wenn die konkreten Vorschläge wie vom Israel Policy Forum, die ja sehr stark auf die amerikanische Israelpolitik zielen, ignoriert oder nur bruchstückhaft umgesetzt würden.

Es ist also mitunter gar nicht so schwer zu definieren, was Antisemitismus in Bezug auf Israel ist und was nicht:

  • es ist antisemitisch, Juden das Recht auf Selbstbestimmung im eigenen Staat Israel zu bestreiten.
  • es ist antisemitisch ein angebliches „Rückkehrrecht“ der Palästinenser zu vertreten, wie es die BDS-Bewegung tut, wobei so gut wie keiner der als „Flüchtling“ Kategorisierten ein Flüchtling ist (sondern syrischer, libanensischer, jordanischer, ägyptischer, deutscher, österreichischer, amerikanischer etc. Staatsbürger, de facto oder de jure).
  • es ist aber nicht antisemitisch, zu fordern, dass Israel einen Großteil der Westbank unverzüglich räumt, z.B. so wie es Einat Wilf vorschlägt – 4 Prozent annektieren und keinen Zentimeter mehr. 96 Prozent gehören den Palästinensern, plus Gaza.
  • es ist ebensowenig antisemitisch auf den Rechtsextremismus und anti-arabischen Rassismus in bestimmten Teilen Israels hinzuweisen, wie wir ihn zuletzt bei den schockierenden Parolen am Jerusalem Tag von extremistischen Juden („Death to Arabs„) im muslimischen Viertel der Altstadt Jerusalems hörten (danach forderten führende Politiker in Israel, die entsprechenden Gruppen als Terrorgruppen zu deklarieren). Die patriarchale Peinlichkeit, dass bei diesem Marsch Zehntausende jüdische Männer ohne Frauen laufen, wird in der vorgeblichen Pro-Israel-Szene auch kaum diskutiert.
  • es ist auch nicht antisemitisch, die Einseitigkeit und „lineare“ oder autoritäre, patriarchale Herangehensweise von Deals im Sinne Trumps und der israelischen Politik zu betonen.
  • schließlich ist es nicht antisemitisch, palästinensische Flaggen auch in Isreal zu erlauben, da dies einem starken und stolzen zionistischen, jüdischen und demokratischen Staat gut zu Gesichte steht. Nur weil in Ramallah keine israelischen Fahnen geweht werden können ohne in richtig große Schwierigkeiten zu geraten, kann das nicht heißen, dass Israel palästinensische Fahnen verbieten kann.
  • es ist hingegen sehr wohl antisemitisch, zu behaupten, wie es islamistische wie säkulare Antizionisten nicht selten tun, dass Juden keinen Bezug zum Land Israel hätten und als „Siedler“ angekommen seien, die dort imperialistische Politik betrieben. Juden waren offenkundig vor den Christen und noch viel früher als Muslime in Jerusalem und im heiligen Land.

Das ist nur eine sehr kleine Auswahl an aktuellen Beispielen, wie man den antizionistischen Antisemitismus in einigen Detailaspekten definieren könnte.

Die Analyse und Kritik des antizionistischen Antisemitismus wie von BDS wie aller anderen Formen des Antisemitismus wie der Holocaustleugnung oder -trivialisierung, aber auch dem Antijudaismus und der auch in linken wie bürgerlichen, konservativen und rechtsextremen Kreisen weit verbreiteten Ablehnung der Brit Mila, ist also weiterhin und seit einigen Jahren von ganz enormer Bedeutung.

Die Zunahme von antisemitischen Verschwörungsmythen gerade im Zuge der Coronapandemie ist ein Warnzeichen. Allerdings ist es auch üblich geworden, jedwede Kritik an der häufig irrationalen und medizinisch nicht evidenzbasierten Coronapolitik als antisemitisch oder von „Schwurblern“ herrührend, zu diskreditieren und diffamieren.

Es muss um eine Kritik am „linearen“, einfachen, widerspruchsfreien Denken gehen – sei es Corona, die Ukraine oder Israel. Das Leben ist zu widersprüchlich und kompliziert, als dass wir uns weiter von obsessiven Vereinfacher*innen und Nachbeter*innen in den genannten Bereichen beherrschen lassen sollten.

Am Beispiel Israel sollte es neben der Kritik am antizionistischen Antisemitismus gleichzeitig tatsächlich um das Wohlergehen des jüdischen und demokratischen Staates Israel und eine Zukunft für die Palästinenser gehen. Dazu muss man sich mit den aktuellen politischen Tendenzen in Israel kritisch befassen. Die zitierten 50 Punkte des Israel Policy Forum aus Washington, D.C., die erledigt werden sollten, bevor ein „Deal“ – eine Friedenslösung mit den Palästinensern – möglich ist, mögen dabei eine facettenreiche und am Alltagsleben der Menschen orientierte Option sein.

Ansonsten werden die Abraham Verträge von 2020 und viele weitere Fortschritte im internationalen Standing Israels leicht zu einem Schwanengesang werden, da die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern, also das Ende der permanenten Bedrohung durch palästinensischen Terror und die Bedrohung der Palästinenser durch fortdauernde Siedlungspolitik und religiösen und maximalistischen politischen Fanatismus, in weite Ferne rücken.

Und wie Sie alle wissen:

Nach den Gesetzen einer antiken Rhetorik hat eine öffentliche Rede mit einer exhortatio zu enden, einer Ermahnung. (Mayer 1997, S. 171).

Und so hören wir angesichts der Corona-Krise, der Ukraine-Krise, dem „linearen“, autoritären, apportierenden ‚Denken‘ und angesichts von Israel Hans Mayer mit seinen letzten Worten aus seinen „Reisen nach Jerusalem“ von 1997 (S. 173):

Es gibt eine einzige Lehre, die man rückblickend für uns alle ziehen kann. Jeder von uns muß zu sich selbst finden. Zu seiner eigenen Identität. Er darf sich nicht willenlos und geistlos den Informationen und Desinformationen überlassen. Er muß, mit Immanuel Kant zu sprechen, die neue und diesmal verschuldete Unmündigkeit in sich bekämpfen.

Der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, Literaturpreisträger der Stadt Köln, hat vor zehn Jahren im Kölner Rathaus in seiner Dankrede von der allgemeinen Gefahr eines ’sekundären Analphabetismus‘ gesprochen. Diese Gefahr ist ständig größer. Sie bedroht bereits die Grundlagen des demokratischen Systems, weil immer weniger rationale Wahlen stattfinden, sondern statt dessen verlogene Bilder und Reizsprüche angeboten werden.

Manches mag man einwenden können gegen die These von Theodor W. Adorno, wonach wahres Leben überhaupt nicht mehr möglich sei in einem ‚Unwahren Ganzen‘. Eines aber ist sicher: keine Bilderflut einer Wegwerfgesellschaft und kein Fundamentalismus heiliger Krieger oder selbsternannter Propheten können jemals das Prinzip Hoffnung in uns allen widerlegen. Dieses Prinzip Hoffnung ist sehr einfach zu beschreiben:

Es ist einfach die Sehnsucht nach einem menschenwürdigen Leben.

Die Bedeutung der IHRA Antisemitismus-Definition für die Generation Z

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 18. Mai 2022

Der Kampf gegen Antisemitismus ist für die junge Generation Z von zunehmender Bedeutung. Jedenfalls für einige jüdische Teenager der Generation Z oder Genz Z.

Die Generation Z umfasst junge Leute, die zwischen 1995 und 2015 geboren wurden. Zachary W. Singerman ist ein Schüler an der Jewish Day School in Rockville im US-Bundesstaat Maryland, ca. 14 Meilen süd-östlich von Germantown und nur wenige Meilen nördlich von Washington, D.C. Singerman hat schon als Neuntklässler im Januar 2020 zum aktiven Kampf seiner Generation gegen Antisemitismus aufgerufen und einen Op-Ed Artikel in der Washington Jewish Week publiziert.

 

 

Er berichtet von seiner Bar Mitzvah im April 2018, wie viel er gelernt hat und eine Party mit DJ hatte. Doch nur sechs Monate später ermordete ein Neonazi in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh 11 Menschen. Der Täter war nachdrücklich durch das von Donald Trump hergestellte, extrem aggressive rassistische wie antisemitische und verschwörungsmythische Klima agitiert worden. In die Tree of Life Synagoge geht die Großmutter von Zack Singerman, die aus Europa geflohen bzw. eingewandert war. Seine Großmutter war an dem Tag nicht in der Synagoge, aber unter den Toten befinden sich Freunde von ihr. Es war Zufall, dass sie nicht auch bei diesem schlimmsten antisemitischen Massaker in der Geschichte der USA ermordet wurde. Das war für Zachary Singerman der Weckruf, dass gerade er als Teenager, gerade mal 14 Jahre alt, politisch aktiv werden muss. Er organisierte das Jewish DC Regional Teen Summit on anti-Semitism.

Für den März 2020 kündigte er für diese Veranstaltung Bari Weiss an, die bekannte anti-linke ehemalige New York Times Kolumnistin, die jetzt auch für die deutsche konservative Springer-Tageszeitung Die WELT schreibt, und abgesehen von ihrer konservativen Ideologie und ihrer Pro-Selenskyi-Kriegsagitation („Wofür es sich zu kämpfen lohnt“, Die Welt, 22.03.2022, ein schwülstiger und kriegslüsterner, anti-diplomatischer Text), eine durchaus mitunter eloquente Kritikerin des heutigen Antisemitismus ist.

Dazu waren von Zack Singerman für den März 2020 die beiden Senator*innen Jacky Rosen und James Lankford eingeladen, die eine Senate Bipartisan Task Force for Combating Anti-Semitism gegründet haben.

Am 12. Mai 2022 publizierte Singerman einen Blog auf der Times of Israel, wo er sich wiederum für ein aktives Engagement seiner Gen Z gegen Antisemitismus ausspricht.

Demnach sind laut FBI in den USA im Jahr 2020 über 55 Prozent aller religiösen Hassverbrechen („hate crime“) gegen Juden gerichtet gewesen – dabei sind nur 2 Prozent der US-Bevölkerung Juden. Am 16. Mai 2022 postete Zack Singerman einen Zoom-Talk mit zwei anderen Schülerinnen sowie einer Studentin aus den USA bzw. Kanada zum Thema Kampf gegen Antisemitismus und jüdischen Leben heute in Nordamerika.

Das sind alles Kids im Alter von 17 bis 19 Jahren. Es ist bemerkenswert wie intensiv sie sich mit dem Judentum und mit Antisemitismus beschäftigen – ja schrecklicherweise mit Antisemitismus tagtäglich beschäftigen müssen. Es ist eine Frage, ob Zack seine „massive Kippa“ im öffentlichen Nahverkehr trägt oder nicht. Er trägt sie. Dabei hat er es noch leicht, er ist auf einer jüdischen Schule, die beiden anderen Schülerinnen, Arielle Edberg und Carrie Tananbaum nicht. Arielle trägt ihre Halskette mit einem Davidstern und Carrie hat an ihrer High-School viele jüdische Freund*innen. Nati Pressmann hingegen, die einzige, die schon an der Uni ist, weiß ob der Probleme, sich als Jüdin oder Jude erkennen zu geben. Sie betont mit Nachdruck, dass es nicht der Fehler einer jüdischen Studentin oder eines jüdischen Studenten ist, wenn sie oder sie sich in einer bestimmten Umgebung mal nicht trauen, ihre jüdische Halskette zu zeigen, und lieber mal unterm T-Shirt oder Pullover verstecken. Das sind Zeiten mit BDS-Hetzer*innen am Campus, aber auch mit Rechtsextremen, die Hakenkreuze an Schulen oder Unigebäude schmieren, wie die vier berichten.

Interessant ist nun, wie selbstverständlich sie die IHRA Antisemitismus-Definition anführen, ohne das Akronym auszusprechen – International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Gleich zu Beginn der Zoom-Konferenz spielt Zack ein Video des Abgeordneten im Repräsentantenhaus (D) Ted Deutch ein, der ganz begeistert ist, dass jüdische Teenager sich so aktiv im Kampf gegen Antisemitismus engagieren.

Im Herbst bei den Midterm-Wahlen in den USA wird Deutch nicht mehr antreten, da er dann Chef (CEO) des American Jewish Committe (AJC) und Nachfolger von David Harris, der diesen Job seit 1990 inne hatte, werden wird.

Einen viel hochkarätigeren Unterstützer für seine Gen Z Jews: Fighting Antisemitism hätte der Teenager Zack Singerman kaum finden können. Nati Pressmann betont, wie heftig es an ihrer Uni bzw. ihrem College zugeht, wo kürzlich 69 Prozent der faculty – also der Angestellten – sich gegen die IHRA Antisemitismus-Definition ausgesprochen haben.

Die nach vielen Jahren Diskussion am 26. Mai 2016 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest angenommene Antisemitismus-Definition der IHRA wird aktuell von 35 Staaten unterstützt. Dabei ist weniger die Definition als solche ein Streitpunkt:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

, als vielmehr aus Sicht von Israelfeinden folgende nähere Erläuterung, was nun unter heutigem Antisemitismus zu verstehen ist:

Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.

Daher schrieb ich am 5. Februar 2020 („Blätter für deutschen und internationalen Antisemitismus?„):

Dass die Blätter für deutsche und internationale Politik, die Crème de la Crème des deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Establishments, sich so offen und aggressiv gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags stellt, sagt alles über die politische Kultur und Situation für Juden und Israel in diesem Land. Es gibt eine ganz dünne Schicht von seriösen Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, darunter jedoch brodelt die Lava der antiisraelischen Elite Seite an Seite mit dem immer abrufbaren Mob (“Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein”, wie es zumal muslimische und arabische Hetzer*innen herausbrüllen). (…)

Der Bundestag würde nun mit seiner Anti-BDS-Resolution von Mai 2019 die IHRA Definition gar „verfälschen“, wie die Blätter insinuieren, und Hass auf Israel als Form von Antisemitismus aufnehmen:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.

Das ist jedoch keine Verfälschung, sondern nur eine Konkretisierung der IHRA Definition, die ja ganz absichtlich und nach vielen Jahren der Diskussion diesen Zusatz wie weitere Beispiele anfügte.

35 Länder haben diese zwar juristisch nicht-bindende Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance unterzeichnet, darunter Deutschland, Österreich, die Schweiz und viele europäische Länder, eine Definition, die für die politische Kultur und den Diskurs von großer Bedeutung ist. Kanada hat die Definition auch unterzeichnet, aber Nati Pressmann ist erschüttert, wie stark die Ablehnung an einer ganz normalen kanadischen Universität gegenüber diesem Kampf gegen Antisemitismus ist. Das kommt zu einer Zeit, wo an der Elite-Universität Harvard in deren Studentenzeitung Crimson am 29. April 2022 ganz aggressiv und offensiv die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt wurde.

Das Engagement von Zack Singerman und seinen drei Kolleginnen erinnert an die jugendlichen Kämpfe gegen Judenhass, die der spätere Starfrisör und Philanthrop (u.a. des legendären Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebräischen Universität Jerusalem 1982 ff.) Vidal Sassoon (1928-2012) führte. Er war bekanntlich Mitglied in London bei der Group 43, die 1946 gegründet wurde und sich in Straßenkämpfen den Mosley-Faschisten entgegenstellte. Am 12. Mai 2012 starb Sassoon. 1948 kämpfte er im Palmach für die Unabhängigkeit des jüdischen Staates Israel.

Ein neonazistischer antisemitischer 18-jähriger Verschwörungsideologe massakrierte am Samstag, den 14. Mai 2022 in Buffalo im Staate New York 10 Menschen, alle Opfer waren Schwarze. Er erschoss sie mit einem Sturmgewehr, das er legal gekauft hatte. Er hatte sich gezielt einen Stadtteil mit der größten schwarzen Bevölkerung ausgesucht, was er mit einer Postleitzahl-Suche (ZIP-Code) hinbekam. Er wollte aus rassistischen Motiven gezielt Schwarze ermorden. Seine Motivation war rassistisch und antisemitisch grundiert: die „Great Replacement“ Theorie, die sich stark an dem französischen rechtsextremen Publizisten Renaud Camus orientiert, der 2011 ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Le Grand Remplacement“. Diese These braucht gar nicht in jedem Fall einen antisemitischen Plot, da es den Rezipient*innen klar ist, dass es darum geht, dass hinter der Migration böse Mächte stehen. Das ist sozusagen die dog whistle, die Hundepfeife, die Antisemiten hören, wenn man vom „großen Austausch“ redet.

Amerikanische Journalisten im Mainstream wie bei FoxNews haben seit Jahren diese Art von antisemitischer Verschwörung und rassistischer Klimaverschärfung gepredigt, wie Tucker Carlson:

„I know that the left and all the little gatekeepers on Twitter become literally hysterical if you use the term ‚replacement,‘ if you suggest that the Democratic Party is trying to replace the current electorate of voters now casting ballots with new people, more obedient voters from the Third World,“ a visibly outraged Carlson began.

Die Strippenzieher und Verantwortlichen für diese im Neonazi-Sprech „Umvolkung“ sind nun für den 18-jährigen Neonazi aus Amerika die Juden. Er hat ein 180-seitiges Manifest publiziert, worin es u.a. heißt:

Es ist der Antisemitismus, der hinter der Verschwörungsideologie vom „großen Austausch“ steckt. Jüdische Milliardäre und Aktivisten stünden hinter NGOs, die Migrant*innen oder Muslime nach Europa oder Nordamerika schleusten, das ist der Kern dieser rechtsextremen Verschwörungserzählung. Auch der Mörder von Pittsburgh in der Synagoge oder jener Neonazi in Neuseeland glauben an diese antisemitische Verschwörungsideologie mit rassistischen Konsequenzen (Ethnopluralismus und „Balkanisierung für Jedermann“ oder: Ein neu-rechtes Massaker an Muslimen in Neuseeland – Wieviel Henning Eichberg, Renaud Camus und Götz Kubitschek steckt in dem Neo-Nazi-Massenmörder in einer Moschee von Christchurch vom 15. März 2019?„).

Dazu kommt die Bedrohung durch BDS und jene sicher super smarten Forscher*innen wie an der Universität in Kanada, an der Nati Pressmann studiert, die die Antisemitismus-Definition der IHRA mit großer Mehrheit ablehnen.

Im Gegensatz zu älteren Rabauken wie dem New York Times Kolumnisten Bret Stephens, der damals gemeinsam mit Bari Weiss Kolumnist der New York Times wurde und gleich zu Beginn seine Zweifel am menschgemachten Klimawandel kundtat, hat die junge Generation Z wie Zack Singerman auch ein Verständnis für die Klimakatastrophe, wie er als Zehntklässler 2021 schreibt:

It seems even more urgent now. I am tired of waiting for adults to take a stronger stand. Just like climate change and stopping school shootings, Gen Z needs to get involved in the fight against white supremacy and antisemitism. It’s not just that it’s urgent. It’s that it already feels two months — or two years — too late.

In diesem Text geht Singerman auf den von Donald Trump angefeuerten Sturm von Nationalisten und Rechtsextremisten auf das Kapitol am 6. Januar 2021 ein, da er nur 30 Minuten zu Fuß entfernt aufwuchs und seine Mutter dort arbeitet.

Wir sehen also, wie groß die Bedeutung der IHRA Antisemitismus-Definition heutzutage ist.

Es bleibt viel zu tun für die Gesellschaften in Nordamerika oder Europa wie auch für die Generation Z im Kampf gegen Antisemitismus. Junge jüdische Schüler*innen und Studierende sollte dabei nicht alleine gelassen werden.

Holocaustgedenkstätte Yad Vashem kritisiert Lufthansa: Der größte Antisemitismusskandal der ganzen Corona-Pandemie: Lufthansa selektiert Juden wg. deutschem Maskenwahn

Von Dr. phil. Clemens Heni, 11. Mai 2022

[Update 13.15 Uhr zu DansDeals und der Kritik an der „Apology“ von Lufthansa]

Die ganze Corona-Krise ist am 4. Mai 2022 am Frankfurter Flughafen zu ihrem geradezu logischen Ende gekommen. Es wurden am Frankfurter Flughafen Juden selektiert. Und zwar wurden ultraorthodoxe Juden selektiert. Sie wurden am Weiterflug nach Budapest gehindert, weil sich einer oder einige während des Fluges von New York City nach Frankfurt nicht an das groteske, epidemiologisch und medizinisch irrationale und totalitäre Maskengebot der Deutschen gehalten hätten.

Eine Mitarbeiterin der Lufthansa rechtfertigt gegenüber einem jüdischen Passagier aus New York City, der wie ca. 130 weitere jüdische Passagiere nach Budapest weiterfliegen wollte mit einem Anschlussflug, die Selektion aller Juden, weil eine kleine Gruppe bzw. Einzelpersonen oder eine einzige Person, so ein Betroffener, der von der Jüdischen Allgemeinen zitiert wird, sich nicht an das fanatische deutsche Maskengebot an Bord des Flugzeugs während des Fluges von JFK nach Frankfurt gehalten hätten.

So wie Juden mit Kippa von muslimischen Jugendlichen oder islamistischen Aktivist*innen regelmäßig weltweit, wie in Berlin-Neukölln, tätlich attackiert werden, so werden hier als Juden erkennbare Passagiere von der größten deutschen Fluggesellschaft selektiert und de facto gewalttätig festgehalten. Die meisten mussten 24 Stunden am Flughafen warten, waren also quasi Gefangene der Deutschen, manche traten die Reise nach Ungarn gar nicht mehr an, so schockiert und psychisch am Ende waren sie nach dem antisemitischen Vorfall in diesem verfluchten totalitären Deutschland.

Es sind gerade nicht die „Querdenker“, sondern die Konformisten (w/m/d), die für diesen Lufthansa-Antisemitismus verantwortlich sind. Jene Karl-Lauterbach-Hörigen, die dem Maskenwahn verfallen sind, entgegen jeder medizinischen Logik, jedem demokratischen Prinzip. Und dazu kommt jetzt als geradezu logische Konsequenz der „längste Hass“ (Prof. Robert S. Wistrich), der Antisemitismus. Es muss Schuldige geben. Und da sind Juden doch historisch schon immer die besten Sündenböcke gewesen.

Nochmal zum Mitschreiben: offenbar hat sich eine in Zahlen nicht näher bezifferte kleine Gruppe von einzelnen jüdischen Passagieren oder auch nur ein einziger Passagier, die oder der aufgrund ihrer Kleidung als Juden erkennbar waren, nicht an den in den USA verbotenen, aber von deutschen faschistoiden Zeugen Coronas exekutierten Maskenwahn gehalten.

Die Lufthansa-„Entschuldigung“ ist keine und macht die Sache nur noch schlimmer, wie die Anti-Defamation League (ADL) sagt:

DansDeals macht klar, was so antisemitisch ist an dem Verhalten der Lufthansa:

2. As mentioned earlier today, the most egregious part of the apology is that Lufthansa refers to denying “the large group” when that was not the issue. If they only denied a group of passengers on a large group ticket traveling together, this story would not be nearly as egregious. The biggest problem is that there were dozens of Jews on the flight who purchased their own tickets, with cash or miles, and were also denied boarding. On the other hand the flight also had non-compliant non-Jews, but all non-Jews were allowed to catch their connecting flights, including to Budapest. The only 2 Jews allowed onboard the flight to Budapest were wearing a baseball cap and polo shirt respectively, so they were not as visibly Jewish as some of the other passengers. Lufthansa has not apologized for racially profiling over 130 Jews on the flight.

Es geht auch um den antisemitischen Piloten, der zur Rechenschaft gezogen gehört:

7. Usher Schik was a Hasidic passenger who used United miles to book his own travel in business class on Lufthansa 401 and Lufthansa 1334. He was paged to board the flight and then denied boarding when he presented himself at the gate. He told me that the Lufthansa gate agent later told him that the captain of the flight to Budapest refused to fly any visible Jews on his flight. The gate agent tried arguing this, but the captain makes the final decision.

Auch die Bundespolizei schüchterte Kinder von Holocaustüberlebenden ein, sie muss wegen ihrem Antisemitismus ebenfalls zur Rechenschaft gezogen werden:

8. Lufthansa paged over 2 dozen police officers, some of whom were holding submachine guns, to rope off over 130 Jews. There were children of holocaust survivors on this flight and frankly, it’s not shocking that they had PTSD and that one person called the officer a Nazi. The officer reacted menacingly while trying to identify the person and intimidate the gathered Jews. I reached out to the Bundespolizei (Germany Federal Police Department) for a statement several days ago, but did not get one. Both Lufthansa and the Bundespolizei owe an apology for this terrifying scene at the gate.

Itsy Halpern war einer der Passagiere, wie die Jüdische Allgemeine, die nicht ein Wort zum wahnsinnigen, irrationalen, fanatischen und medizinisch verrückten, gesundheitsschädlichen Maskenzwang der Deutschen gerade in Flugzeugen verliert, berichtet:

Er sei vergangene Woche erstmals in seinem Leben in Deutschland gelandet, so der Amerikaner, dessen Großeltern deutsche Juden waren. Einige jüdische Namen seien für den Weiterflug nach Budapest aufgerufen worden, aber Passagieren, deren Äußeres auf ihre Religionszugehörigkeit hinwies, sei dies vom Bodenpersonal verweigert worden.

Am Ende startete der Flieger mit nur 30 Personen an Bord Richtung Budapest. Die zurückgewiesenen Juden mussten dagegen am Frankfurter Flughafen ausharren, bevor die meisten wieder in die USA zurückflogen. Halpern sagte »Bild TV«, er sei via Wien zurückgekehrt und habe für den Flug mehr als 800 Dollar zusätzlich ausgegeben. Er sei nicht sicher, ob er jemals nach Deutschland zurückkehren werde.

Die Bild-Zeitung und Bild-TV haben Itsy Halpern per Video interviewt.

Das ist ein sehr bewegendes Video, das die ganzen Abgründe des deutschen Antisemitismus zur Sprache bringt. Ob Itsy Halpern jemals wieder nach Deutschland kommt, ist unwahrscheinlich. Ganz sicher wird er nicht noch einmal Lufthansa buchen.

Nicht etwa wurde den einigen wenigen dieser kleinen Gruppe oder einem einzelnen eine Ordnungswidrigkeit bescheinigt, so unglaublich schon das wäre, da ja in den USA keine Maskenpflicht an Bord eines Flugzeugs mehr gilt und sogar illegal ist, sondern es wurde die ganze Gruppe von Juden selektiert und am Weiterfliegen nach Budapest gehindert. Das gibt diese unfassbar antisemitische Lufthansa-Mitarbeiterin in einem Video, das offenbar ein betroffener Fluggast drehte, offen zu:

Es war gar keine Reisegruppe, sondern es waren über 100 einzelne jüdische Passagiere. Aus Sicht der Deutschen waren es „die Juden“. Alle. Also alle Orthodoxen oder Ultraorthodoxen.

Beim Weiterflug nach Budapest konnten einige wenige Juden, die auch auf dem Flug von JFK waren, mitfliegen – wenn sie nicht als Juden erkennbar waren, also nicht orthodox oder ultraorthodox angezogen waren. Deutsche selektieren wieder Juden! Was ist das für eine Welt? Was sind das für Polizisten, die so etwas mit einer Maschinenpistole im Anschlag exekutieren? Was sind das für Menschen? Was für Menschen sind diese Lufthansa-Mitarbeiter*innen, und zwar alle, die hier involviert sind, am Schalter, im Gespräch mit den Selektierten und so weiter. Auch alle involvierten Bullen sind hier Täter.

Der Mann, der das Video gedreht hat, das von DansDeals verlinkt wurde, ist unsagbar geschockt, er betont, dass es auf der ganzen Welt so viel Antisemitismus gebe und dass jetzt Juden – alle Juden im Flugzeug, die als solche erkennbar waren – selektiert wurden, alle, weil einige wenige einer irrationalen deutschen Aufforderung nach dem Tragen einer Maske nicht nachkamen.

Alle Juden, genauer gesagt alle als Juden für die deutschen Selektierer erkennbaren Juden, wurden vom Weiterflug nach Budapest ausgeschlossen:

“They explicitly said that nobody who is dressed alike on that [JFK] plane is going to board the Lufthansa plane to Budapest,” group member Nachman Kahana told Hamodia.

Der Direktor der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem findet auch die groteske Entschuldigung der Lufthansa nicht ausreichend:

Responding to the statement, Yad Vashem director Dani Dayan wrote on Twitter: “You regret the ‘circumstances surrounding the decision?’ Don’t you regret the decision itself? And your staff’s behavior? And their attitude and statements? This is not an apology. We expect you to do better. Not too late.”

Und jetzt wäre die Antisemitismusforschung gefragt, sich diesem Corona bedingten Antisemitismus der größten deutschen Luftfahrgesellschaft, die aufgrund ihrer Verbrechen im SS-Staat niemals hätte wieder gegründet werden dürfen, entgegen zu stellen und die Verbindung der irrationalen Coronapolitik hin zu dieser Selektion von Juden und dieser Sippenhaft für Juden zu untersuchen.

Eine Gruppe von 20 Polizisten mit Maschinengewehren hat jedem, der jüdisch aussah, die Weiterreise verboten. Egal, ob man das Gesetz gebrochen hat“, schrieb auch ein betroffener Passagier bei Facebook. Der Vorfall am Frankfurter Flughafen sei ein „Skandal“ gewesen. Die Juden an Bord seien nicht einmal eine geschlossene Reisegruppe gewesen. Sie wollten mit der Lufthansa weiter nach Budapest zu einer Gedenkveranstaltung reisen.

All diese als antisemitisch penibel aufgelisteten Vorgänge wie Schilder, die einen Bezug der Nazi-Zeit zum Corona-Regime herstellen, von Armbinden mit einem Davidstern, in dem „ungeimpft“ steht oder weitere Vergleiche des Nationalsozialismus mit der Coronapolitik verblassen angesichts dieser Selektion von Juden am Frankfurter Flughafen durch Mitarbeiter*innen der Lufthansa und der deutschen Bundespolizei, die das exekutierte.

Der größte antisemitische Skandal der ganzen Coronazeit kommt also nicht von Querdenkern, sondern von der Lufhansa und der deutschen Polizei am Flughafen Frankfurt.

Man muss sich das vorstellen: als das Flugzeug aus JFK kommend auf dem Rollfeld gelandet war und die Passagiere das Flugzeug verließen, wurden sie von schwer bewaffneten Bullenschweinen Polizisten empfangen. Deutsche Polizisten (m/w/d) drohen und bestrafen alle Juden, weil manche Juden auf dem Flug keine Maske getragen haben.

Die einzige offene Frage ist, in welcher SS-Division, in welchem Polizeibataillon oder welcher Wehrmachtseinheit die Väter, Großväter oder Urgroßväter dieser Polizist*innen und Lufthansa-Mitarbeiter*innen tätig waren.

Der Skandal sagt einem alles über den Coronawahn der Deutschen. Während in Demokratien der Maskenzwang nie herrschte (Schweden) und diese Länder auch halb so viel Übersterblichkeit haben als Deutschland, so die WHO, gilt noch im Mai 2022 im Nachfolgestatt des SS-Staates der Maskenwahn ungebrochen. Da, wo er nicht aufgezwungen werden kann, in Schulen oder an Theatern und in Läden, werden die Menschen von der deutschen Bundesregierung und allen 16 Landesregierungen gedrängt, entgegen der Gesetzeslage die Maske dennoch zu tragen.

Die deutsche Anmaßung, besser zu wissen, ob eine Maske hilft oder legal angeordnet werden kann, ist schon ungeheuerlich. In den USA machte sich die Lufthansa strafbar, wenn sie z.B. auf dem Rollfeld im Flugzeug die Maske anordnete, weil das gegen ein höchstrichterliches Urteil in den USA verstößt, das jedes Maskenmandat in Flugzeugen und öffentlichen Verkehrsmitteln verbietet. Also da hat sich die Lufthansa schon am Boden illegal verhalten.

Dass in Deutschland gerade wegen so einer Politik mehr als doppelt so viele Menschen während der Coronapandemie starben als in Schweden (Übersterblichkeit), die niemals irgendwo eine Maske vorschrieben, das ist den Deutschen egal. Es geht ums Prinzip. So wie damals. Es geht ums Prinzip und die Deutschen kämpfen bis zur letzten Maske oder Patrone. Wie damals.

Es ist völlig lachhaft, wenn der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen, Uwe Becker, den Vorfall zwar schlimm findet, aber überhaupt keinen Zusammenhang sieht von der irrationalen deutschen Coronapolitik und dem antisemitischen Handeln der Lufthansa und der deutschen Polizei.

Es ist schon illegal, jene Menschen, die auf dem Flug eine völlig läppische Ordnungswidrigkeit begangen haben und sich dem deutschen Maskenwahn nicht beugten, am Weiterflug zu hindern.

Jeder einzelne Polizist, der an dieser deutschen Aktion beteiligt war, sollte entlassen werden. Jede einzelne Lufthansamitarbeiterin, die involviert war – namentlich jene in dem Video oben zu sehende Person – sollte strafrechtlich wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und Antisemitismus angeklagt werden und ebenso fristlos entlassen werden.

Wenn Sie sich diese uniformierten Deutschen anschauen, wie sie Juden selektieren – das ist das deutlichste Bild der gesamten Coronakrise, das ist Deutschland, das sind die antisemitischen Zeugen Coronas.

Das Unerbittliche, das Kompromisslose, das zeigt den ganzen Coronawahn der Deutschen. Kein Land der ganzen Welt ist so fanatisch und so antisemitisch wie Deutschland, wenn es um den Maskenwahn und die Einhaltung der epidemiologisch und demokratisch irrationalen, gesundheitsgefährdenden und totalitären „Maßnahmen“ geht.

Wer wie 3sat das Warschauer Ghetto mit der heutigen Ukraine vergleicht, handelt antisemitisch

Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. Mai 2022

Schauen Sie sich, wenn Sie sehr gute Nerven haben, diese typische Sendung im deutschsprachigen Mainstream auf 3sat vom Montag, 2. Mai 2022 an. Es geht um den Offenen Brief an Olaf Scholz von 28 Intellektuellen, ich habe gestern über ihn berichtet. Es ist nun nicht so, dass die Zuschauer*innen erstmal gesagt bekommen, was in dem Brief steht, wer ihn unterschrieben hat und warum es den Brief gibt, sondern die ersten Minuten des 11-minütigen Beitrags sind reine Hetze, pure Hetze gegen den Brief, der zu dem Zeitpunkt in der Sendung noch gar nicht seriös vorgestellt worden war. Gleich zu Beginn kommt ein drittklassiger Autor, ein Simon Strauß, der einfach so dahinschwätzt, dass der Brief zur völlig falschen Zeit kommen würde und die Leute nicht ganz knusprig seien, die den Brief unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt in der Sendung wurde der Brief noch gar nicht vorgestellt, aber massenhaft Bilder von zerstörten Städten in der Ukraine gezeigt.

Der ganze Beitrag ist also wiederum geframt, eingerahmt in die Volksverhetzung, die darin besteht, eindeutig Gut und Böse zu kennen. Gut ist, wer die Ukraine so stark aufrüstet, dass Russland provoziert wird, und evtl. auch mal NATO-Truppen im Grenzgebiet zu den Fanatikern in Estland, Lettland, Polen oder Rumänien etc. trifft oder auf irgendeine andere Weise ein Atomkrieg in Kauf genommen wird. Dieses Inkaufnehmen ist der Kern des Offenen Briefes, den die Intiator*innen und mittlerweile über 209.000 Unterschriften (am Montag waren es noch 100.000) für so dramatisch halten. Auch Jürgen Habermas ist gegen die potentiell massenmörderische Aufrüstung:

Darauf scheinen diese Kriegshetzer ja nur zu warten. Sie wollen den Atomkrieg geradezu – waren deutsche, europäische und amerikanische Politiker in den letzten Jahrzehnten menschenverachtender und todeslüsterner als aktuell?

Die Ukraine kann und wird diesen Krieg nicht gewinnen.

Wenn sie gewinnt, wird die Welt untergehen. Und das ist auch nicht schlimm, dass die Ukraine nicht gewinnt, sie muss Kompromisse eingehen, so wie Russland.

Das einzige was hierbei „German Angst“ ist, ist nicht die völlig berechtigte Sorge vor einem Atomkrieg, wie der erbärmliche Strauß in den so turbo aggressiv geframten Beitrag zu Beginn sagt. Nein, die urdeutsche Angst seit 1945 oder von Simon Strauß, ist es, wiederum gegen die Russen zu verlieren. Und da Deutschland laut dem wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages mit der Ausbildung von ukrainischen Soldaten Teil des Krieges ist, haben die Deutschen tatsächlich Angst, diesen Krieg – wie 1945 – zu verlieren.

Und die Deutschen werden verlieren – oder die ganze Welt geht unter, was ja auch 1945 das letztliche Ziel war, aber verfehlt wurde. Doch das Hauptziel hatten die Deutschen erreicht: der Holocaust fand statt, sechs Millionen Juden wurden ermordet.

Nachdem also der Beitrag auf 3sat für das ohnehin durch alle – wirklich wiederum alle – Mainstreammedien seit dem 24.02.2022 auf Linie Gebrachten, den Rahmen so klar setzt, dass niemand auch nur ansatzweise die Frage stellt, ob die Ukraine oder die NATO evtl. den Krieg mit verursacht haben könnten mit ihren Provokationen und ihrem Krieg im Donbass seit 2014 -, kommt der Kern der Sendung, das Interview. Während es sonst bei Beiträgen der Kulturzeit häufig der Fall ist, dass ein Thema eingeführt wird, und ein Interviewgast sozusagen schon mal Teile ihrer oder seiner Argumentation positiv zitiert sah, wird hier dem Publikum so was von eindeutig klar gemacht:

Liebe Zuschauer*innen, wie Sie durch unsere ersten Minuten in diesem Beitrag gesehen haben, ist der Offene Brief der 28 Intellektuellen grotesk und politisch exakt der falsche Weg. Da wir aber als öffentlich-rechtliches Medium zumindest so tun müssen, als ob wir an einer ausgewogenen Berichterstattung Interesse hätten, werden wir jetzt eine der Initiatorinnenn dieses völlig bescheuerten Offenen Briefes an Olaf Scholz interviewen. Damit sich diese Frau nicht allzu sehr freut ob Ihrer medialen Präsenz in dem Leitmedium des deutschsprachigen Bildungsbürgertums im Fernsehen, werden wir natürlich eine kleine, aber feine antisemitische Provokation reindrücken. Viel Spaß!

Das ist der Subtext dieser Sendung, das, was zwischen den Zeilen steht, und was Sie und ich lesen können.

Dann kommt also das Gespräch mit einer der Initiatorinnen des Briefes, der Philosophin Svenja Flaßpöhler vom Philosophie Magazin.

Jetzt würden die gleichen Leute, die bei Corona angeblich Menschenleben retten wollten – und dafür „Maßnahmen“ machten, die viel mehr Menschen in den Tod trieben, als das Virus in der Lage gewesen wäre, namentlich im Globalen Süden, aber auch die psychischen und körperlichen Verwerfungen hierzulande, die das Corona-Regime bis heute zu verantworten hat, sind unermesslich, bei einem Virus, das so gut wie ausschließlich ohnehin sehr alte und sehr kranke Menschen, die auch an einer Influenza gestorben wären, trifft, ein Virus, das seit langem eine Infektionssterblichkeit von deutlich unter 0,10 Prozent hat, da ja schon die Fallsterblichkeit nur 0,10 beträgt seit Monaten – plötzlich sich für das Töten von Menschen einsetzen, für mehr und für schwere Waffen an die Ukraine. Diese Heuchelei und diese menschenverachtende Kriegsrhetorik attackiert Flaßpöhler.

Klar, es geht um das Töten von Russen, das mögen alle, nicht nur Deutsche, Letten, Esten, Engländer und Amerikaner, aber es werden eben, auch das weiß jeder, mehr Ukrainer*innen sterben, je länger der Krieg dauert. Flaßpöhler betont auch, dass viele Frauen in der Ukraine keine Lust auf mehr Waffen und Krieg hätten und auch nicht wenige Männer gar keine „toxische Männlichkeit“ hätten, keine Helden werden wollten.

Doch die „Balkon“-Kriegstreiber in Deutschland wollen Waffen in die Ukraine senden, doch an der Front stehen nicht Lindner, Strack-Zimmermann, Baerbock oder Scholz. Warum eigentlich nicht? Warum gehen sie nicht als Freiwillige voran, wenn sie so dermaßen heiß sind auf Krieg? Warum sollen da 19-jährige ukrainische Männer an die Front und sterben? Warum nicht Strack-Zimmermann, Baerbock, Scholz oder Merz? Es gibt doch Freiwilligenverbände in der Ukraine.

Insgesamt schlägt sich Flaßpöhler also ziemlich gut und kämpferisch, sie ist an Eloquenz der ablesenden und erbärmlich indoktriniert wirkenden Moderatorin, die auf keinen Fall den Eindruck vermitteln wollte, eventuell eine eigene Meinung zu haben, mit österreichischem Akzent um Welten überlegen.

Eine Stelle aber ist so widerwärtig – und dafür ist diese Moderatorin selbstredend mit verantwortlich neben der gesamten 3sat-Redaktion -, dass es einen vom Stuhl haut. Diese wirklich unerträgliche Moderatorin zitiert einen viertklassigen Politiker der deutschen Grünen (Bündnis 90/Die Grünen), dessen Namen völlig unbedeutend ist, da er ein Twitter-User ist wie Millionen andere und hier eine Position vertritt, wie sie viele ganz normale Deutsche oder Österreicher haben, ein Mann also, der offenkundig ein starkes Bedürfnis nach Holocaustverharmlosung verspürt, und die 3sat Moderatorin, die ja extra dieses widerwärtige Beispiel in den a-sozialen Medien gefunden hat, zitiert ihn mit der volksverhetzenden Frage, ob die Initiator*innen und Unterzeichner*innen (wie ich selbst) des Offenen Briefes an Olaf Scholz den Juden im Warschauer Ghetto auch geraten hätten, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben.

Damit wird der Holocaust mit der ganz typischen Kriegssituation in der Ukraine gleichgesetzt. Das ist eine Leugnung des eliminatorischen Antisemitismus, der mit dem ganz normalen Krieg in der Ukraine gleichgesetzt wird. Die Ukrainer – alle Ukrainer! – werden zu den Juden von heute, auch das ist antisemitisch und verhöhnt die Juden im Warschauer Ghetto. Auf der anderen Seite, und auch das ist antisemitisch, werden somit Putin und die Russen zu Hitler und den Nazis, die alle – alle! – Ukrainer vernichten wollen, so wie die Deutschen, die Wehrmacht, die SS und ihre Verbündeten – vorneweg Bandera und die Pro-Nazi-Ukrainer – alle Juden vernichten wollten.

Flaßpöhler ist ziemlich angewidert, man sieht das an ihrer Reaktion, von diesem unerträglichen und antisemitischen Vergleich, den die 3sat-Moderatorin so eiskalt in den Raum wirft und zitiert.

Flaßpöhler hat völlig Recht und ist sehr hellsichtig, wenn sie sagt, dass man einen Krieg gegen eine Atommacht „nicht gewinnen kann“. Sprich: Das unerträgliche Männergeschwätz von Boris Johnson, der jetzt dem ukrainischen Parlament und Selenskyi sagte, sie „werden gewinnen“, möchte eine „toxische Männlichkeit“ (Flaßpöhler) wieder reaktivieren, die wir doch im Westen glaubten zumindest eingehegt zu haben. Wobei auch das ein Trugschluss ist, wenn wir die aktuelle Debatte über das befürchtete Verbot der Abtreibung in den ganzen USA via einem zu erwartenden Urteil des Supreme Court, betrachten. Auch dort ist die toxische Männlichkeit wieder vorherrschend, so wie bei den antifeministischen Familienideolog*innen, Pro-Life-Frauenverachter*innen, Nazis, Christen, der AfD und unzähligen anderen in der BRD.

Wer die ausweglose Situation der Juden im Warschauer Ghetto mit dem Krieg in der Ukraine vergleicht, handelt antisemitisch.

Putin und die russische Armee gaben z.B. den Neo-Nazi-Banden und anderen in Mariupol lange Zeit, sich zu ergeben. Wer diesen ganz normalen Krieg mit dem Holocaust und dem Warschauer Ghetto vergleicht, handelt antisemitisch und möchte leugnen, was im Warschauer Ghetto passierte, da heute nichts auch nur minimal Vergleichbares in der Ukraine passiert.

Die Ukraine hat seit acht Jahren Krieg gegen die russischsprachige Minderheit im Donbass geführt, mit 14.000 Toten. Wer jetzt dieses Nazi-Banden, die Teil der ukrainischen Armee sind wie die Azow-Brigaden, mit der Situation der Juden im SS-Staat vergleicht, verleugnet den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen (und ihrer ukrainischen Helfer), macht also Täter zu Opfern und verhöhnt die jüdischen Opfer der Shoah.

Es scheint der 3sat Moderatorin regelrecht Spaß zu machen, Flaßpöhler so zu provozieren. Und das zeigt den ganzen antisemitischen Abgrund, an dem die deutsche und österreichische Kulturelite steht.

Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele (Teil 3)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Der folgende Text ist Teil 3 eines Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) zum Thema Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele.

3. Antizionistischer Antisemitismus

Dieses Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) untersucht vier aktuelle Beispiele von Antisemitismus, genauer gesagt sind es vier unterschiedliche Kategorien: Sekundärer Antisemitismus und Universalisierung („Ukraine“, „Zivilisationsbruch“…), Sekundärer Antisemitismus und Derealisierung („Heidegger, Auschwitz, motorisierte Ernährungsindustrie“), Antizionismus und viertens Antijudaismus. Mehrere dieser Kategorien sind aber miteinander verwoben, es handelt sich um einen „Komplex Antisemitismus“.

In diesem Teil drei geht es um Antizionismus, der aber in die aktuelle politische Situation eingebettet wird. Die ausführlichere Analyse der Coronapolitik in Teil 1 und 2 wird hier kursorisch fortgeschrieben, da die moralische Überheblichkeit vieler irrationalen Verfechter*innen der Corona-Maßnahmen, die jedwede substantielle Kritik am Corona-Regime als mehr oder weniger antisemitisch diffamieren, so weit verbreitet ist, gerade unter den Jüngeren und an Universitäten, dass selbst die wichtige Kritik am Antizionismus darunter leidet. Es ist jedoch kein gänzlich neues Phänomen, dass sich Menschen gegen die eine Form von Unterdrückung oder Herrschaft wenden, aber zu anderen Formen schweigen. So ist eine bürgerliche Kritik am Antisemitismus häufig verkürzt, wenn sie nicht typische Abspaltungsprozesse in den Blick nimmt wie die Lobpreisung ‚konkreter Arbeit‘ und die Ablehnung virtueller Prozesse wie Geld, Börse, Spekulation. Als ob das eine von dem anderen zu trennen wäre. Hingegen hat die linke Kritik am Kapitalismus seit langer Zeit keinen Blick für die antisemitischen Tendenzen ihrer Ablehnung der Geldwirtschaft, was bis auf Marx zurückgeht, der allerdings seine eigene verkürzte Kapitalismusmuskritik in späteren Jahren zurücknahm.

Viele wollen aktuell die Panik bezüglich der Ukraine noch weiter aufrechterhalten oder gar massiv erhöhen. Dabei hat die russische Kriegspartei sich bereits aus der gesamten Region Kiew zurückgezogen und befindet sich nur noch im ohnehin seit acht Jahren im Krieg befindlichen Donbass sowie den südlichen Regionen bis hin zur Krim, die sich seit Jahren eindeutig pro-russisch positioniert hat. Die deutsche Bundesregierung möchte offenbar Russland als Teil Europas beerdigen, sich von Russland ökonomisch, kulturell, sozial vollständig abkoppeln. Dieser Rassismus ist ein ungeheuerlicher Vorgang und wird nicht ohne Konsequenzen für die BRD bleiben. Dabei gibt es seit Jahren viel not-wendige Kritik am Putinismus, an den autoritären Tendenzen in Russland, doch es gab auch bis Anfang 2022 scharfe Kritik an der Oligarchenherrschaft, der Korruption und den Neonazi-Banden in der Ukraine.

Wir leben in der politisch gefährlichsten Zeit seit 1945. Ein Atomkrieg zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen ist im Bereich des Möglichen. Damit auch die Selbstauslöschung der ganzen Menschheit. Auch die USA sollten sich gewahr sein, dass Russland Hunderte, ja Tausende Atom-Raketen hat, die auch das Festland der USA treffen und alles Leben auslöschen können. Die Provokationen der USA und des Westens mit NATO-Manövern in der Ukraine vor allem seit 2014 sind ein zentraler Faktor im aktuellen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands und dieser Gefahr eines alles Leben vernichtenden Atomkriegs.

Dazu kommen ungeheuerliche antisemitische Äußerungen. Zuerst verglich der ukrainische Präsident Selenskyi in einer Ansprache an das israelische Parlament, der Knesset, den Angriff Russlands mit dem Holocaust, ja das Datum des Einmarsches der Russen in der Ukraine, 24. Februar, mit der Gründung der NSDAP. Das ist hochgradig verschwörungswahnsinnig – als ob Putin dieses Datum gewählt habe, um eine Kontinuität zu den Nazis herzustellen! – und antisemitisch.[21] Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem hat auch umgehend Selenskyi der Trivialisierung des Holocaust beschuldigt. Einige Wochen später fantasiert, deliriert und hetzt der russische Außenminister Lawrow, dass Hitler „jüdisches Blut“ in sich gehabt habe und „Juden seien selbst die größten Antisemiten“. Dieser Antisemitismus des russischen Außenministers ist genauso wahnhaft wie die Fantasien von Selenskyi. [Update: für diesen Antisemitismus hat sich Putin persönlich bei Bennett entschuldigt, Times of Israel, 05. Mai 2022]

Es läuft ein Wettbewerb des Sich-Hochschaukelns mit den absurdesten Vorwürfen, wozu ja auch wie in Teil 1 dieses Working Paper gezeigt die in Deutschland von führenden Politikern benutzte Rede vom „Zivilisationsbruch“ gehört.

Olaf Scholz hat nach seinem Scheitern mit der irrationalen und demokratiefeindlichen Impfpflicht jetzt noch deutlicher als Politiker versagt, indem er als Reaktion auf die Aggression Russlands die Bundeswehr in nie dagewesener Weise aufrüstet – 100 Milliarden Sondervermögen, jährlich mehr Geld für das Kriegsministerium („Verteidigungsministerium“). Jetzt liefert er sogar schwere Waffen an die Ukraine und – das ist noch heftiger – bildet ukrainische Soldaten (vielleicht auch Neonazis der Asow-Bataillone) in Deutschland an diesen schweren Waffen aus, was laut des wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag juristisch einem Kriegseintritt gleichkommt.

Waffenstillstand statt Waffenlieferung – das ist die Parole der Stunde, auch wenn für Argumente nicht mehr zugängliche Agitatoren wie Scholz, von den noch viel brutaleren HetzerInnen wie von der FDP, den Grünen und der CDU/CSU ganz zu schweigen, das zu old-school diplomatisch und reflektiert, weitblickend ist. Mehr Waffen haben seit 1945 noch nirgendwo zu weniger Krieg geführt. Mehr Waffen führen zu mehr Toten, hier: in der Ukraine.

 

Der gegen Israel gerichtete Antisemitismus, der antizionistische Antisemitismus, ist der sichtbarste Ausdruck von Judenfeindschaft. Bevor wir näher auf aktuelle Fälle in Berlin und den USA eingehen, muss das Thema Corona noch einmal kurz gestreift werden.

Die 2015 gegründete und vom Berliner Senat und anderen Einrichtungen wie der Amadeu Antonio Stiftung finanzierte „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)“ schreibt Ende Januar 2022 in einem Bericht über „Antisemitische Vorfälle und Erscheinungsformen im Kontext der aktuellen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland“ Folgendes:

Der aktuell unvermindert starke Zulauf bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen geht mit einer vermehrten Sichtbarkeit von antisemitischen Inhalten auf diesen Versammlungen einher. Als Reaktion auf die angekündigte Impfpflicht und die Einführung der 2G- und 3G-Regeln häufen sich die Analogien zur Schoa und insbesondere zur antisemitischen Markierungspraxis im Nationalsozialismus.

Was hier auffällt ist ein ungeheuerliche Bias, eine Vorurteilsstruktur gegen jedwede Kritik an den „Corona-Maßnahmen“. Es gibt in der Tat vielfältige antisemitische Verharmlosungen des Holocaust und des Nationalsozialismus, wenn Menschen sich Armbinden mit einem Judenstern und dem Wort „Jude“ oder „ungeimpft“ darin umbinden, wenn sie Plakate tragen, auf denen Kontaktverbote als „sozialer Holocaust“ bezeichnet werden, wenn „Rothschilds“, „Soros“ und „Bill Gates“ als eine Art Verschwörergruppe imaginiert werden, wenn die antisemitische Verschwörungsideologie von QAnon intoniert oder wenn Israel beschuldigt wird – wie von Neonazis in den USA oder vom Iran oder arabischen Antisemiten – an Corona schuld zu sein. Das alles gibt es und das ist sehr gefährlich und problematisch. Es ist ebenso sehr gefährlich, wenn organisierte Rechtsextremisten in einigen Fällen bei der Organisation der „Montagsspaziergänge“ zur Kritik der Coronapolitik federführend aktiv waren wie die Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ in Berlin-Mitte, wie die NZZ berichtete.

Es ist erstmal faktisch falsch, wenn RIAS behauptet, ab dem „13. Dezember 2021“ hätte es solche Montagsspaziergänge gegeben, schon am 22. November 2021 berichtete die Presse von einem solchen gegen die Coronapolitik gerichteten Montagsspaziergang in der sächsischen Stadt Freiberg.

Diese harmlose Ungenauigkeit mag aber Ausdruck einer Ignoranz gegenüber dieser sozialen Bewegung sein, die nur aus Gründen der Abwehr überhaupt in den Fokus von RIAS gerät. Es ist ebenso faktenfrei, wenn RIAS behauptet, es würde nur eine „breite bundesweite Mobilisierung zu suggerieren“ (Herv. CH) versucht von den Protagonist*innen der Coronapolitik kritischen Montagsspaziergängen. Bei bis zu 1500 oder mehr zeitgleich an Montagen stattfindenden Demonstrationen bzw. Montagsspaziergängen bundesweit und bis zu 300.000 Teilnehmer*innen – wöchentlich! – muss man schon empirisch, faktenbasiert von einer tatsächlichen Massenmobilisierung sprechen. Vermutlich waren die Montagsspaziergänge zur Kritik der Coronapolitik die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das wird die sozialwissenschaftliche Protest- und Bewegungsforschung weiter erforschen.

Und es ist ganz sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, dass eine einzige Demonstration von einigen Hundert BDS-Anhänger*innen in Berlin eine weit größere Gefahr für Juden darstellt, als diese im Winter 2021/22 bis zu 1500 oder mehr gleichzeitig am Abend stattfindenden Montagsdemonstrationen (allein in Baden-Württemberg, dem bundesweiten Spitzenreiter, waren es mitunter knapp 300 Demonstrationen bzw. Spaziergänge), die nicht in aggressiven Sprechchören „Palestine from the river to the sea“ brüllten.

Es gab es in der der Bundesrepublik noch nicht, dass gleichzeitig zum selben Thema 1500 Demonstrationen stattfanden, und das ohne zentrale Organisation, mit einem breiten Spektrum an Teilnehmenden. Darunter waren sicher auch üble Personen, Antisemiten oder Rechte, Sexisten, SUV-Fahrer*innen etc. pp., aber ob z.B. Rechte mehr als zwei, fünf oder 10 Prozent ausmachten, wurde bislang noch nicht erforscht.

Viele der Spaziergänge hatten keine Parolen, keine Fahnen oder Plakate, mitunter Trillerpfeifen und Musik. Wer schaute früher bei linken Demonstrationen, wer für Mao ist? Dabei war Mao ein größerer Verbrecher als heutige Coronapolitik-Kritiker*innen. Holocaustleugner und Nazis müssen von jeder Demonstration ausgeschlossen werden. Doch unter diesem strafrechtlich relevanten Bereich gibt es eine Vielzahl von Positionen, die man höchst abstoßend finden kann und politisch bekämpfen sollte, aber tolerieren muss, wenn man in einer Demokratie leben will und nicht einem totalitären Staat wie in ZeroCovid-China.

Damit wird der von einigen Coronapolitik kritischen Demonstrant*innen vertretene strukturelle, erinnerungsabwehrende oder auf Verschwörungsmythen basierende Antisemitismus nicht weniger schlimm – aber man muss wissenschaftlich ganz genau differenzieren und kann nicht wie RIAS wenigstens vom Duktus her so tun, als ob so gut wie jede Kritik an den Coronamaßnahmen irgendwie mit Antisemitismus in Verbindung stünde. Das ist schlicht falsch und schadet dem so wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus.

Es ist ebenso problematisch, wenn RIAS ohne jeden analytischen Bezug zur wissenschaftlichen Kritik an der irrationalen Coronapolitik von Merkel oder Scholz, Spahn oder Lauterbach einen eindeutigen Konnex von „Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“ und einer angeblichen oder tatsächlichen Häufung von Antisemitismus herzustellen.

RIAS konzediert zwar der Form halber, dass die Coronapolitik-Kritiker*innen-Szene irgendwie „divers“ sei, aber von der Wissenschaftsfeindlichkeit von RIAS, das hier wie auch sonst primär seinen Unterstützern wie dem Berliner Senat Folge zu leisten scheint, wird nicht gesprochen. Denn folgender Satz von RIAS widerspricht der virologischen und epidemiologischen internationalen Forschung bzw. möchte mit dem Wörtchen „konsequenter“ offenkundig andeuten, dass die „2G- und 3G-Regel“ exakt richtig gewesen wären:

Ab Anfang Dezember 2021 wurden die Auflagen für Versammlungen aufgrund der hohen Inzidenz regional verschärft und die 2G- und 3G-Regel konsequenter umgesetzt.

Am 19. November 2021 publizierte ein großes Forschungsteam der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und dem amerikanischen Justizministerium eine Studie, die empirisch zeigt, dass gegen SARS-CoV-2 geimpfte Personen exakt so lange und intensiv ansteckend sein können wie nicht geimpfte Personen. Ich habe darüber am 9. Dezember 2021 berichtet. Das macht jede Unterscheidung von geimpft versus ungeimpft zu einem antidemokratischen, medizinischen Willkürakt. Und im Gegensatz zu den Vorstellungen von RIAS ist ein Großteil der Demonstrant*innen gegen die Coronapolitik wissenschaftlich ziemlich gut informiert, jedenfalls besser als der überwiegende Teil der Gesellschaft, der sich mit solchen Studien oder der internationalen Forschung kaum beschäftigt und nur die der Regierung hörigen – so muss man das leider sagen – Mainstreammedien konsumieren. Dass wiederum nicht wenige Teilnehmende an der Coronapolitik-Kritik so wie viele andere Deutsche Verschwörungsmythen zum Beispiel zum 11. September 2001, der ein „inside job“ gewesen sein soll, anhängen, ist dramatisch und ob da noch Aufklärung hilft, über 20 Jahre nachdem wir die Fakten kennen, ist unwahrscheinlich. Doch das betrifft auch sehr viele ganz normale Coronapolitik-Anhänger*innen.

Dass die „2G“-Regel tatsächlich eine Apartheid bedeutet, das wird soweit ich sehe, von RIAS und seinem Leiter in Berlin Benjamin Steinitz nicht einmal diskutiert, sondern jede Kritik von vornherein – a priori – tendenziell ins antisemitische Lager gepackt oder eingerahmt, also geframt, wie das neudeutsch heißt.

Es wäre seriös und wissenschaftlich gewesen, wenn RIAS zum Beispiel sinngemäß geschrieben hätte, dass die 2G- und 3G-Regeln epidemiologisch, demokratietheoretisch und auch virologisch gar keinen Sinn machen und bloße Willkür sind. RIAS hätte auch dazu sagen können, dass Politiker mitunter ganz ehrlich waren im Herbst 2021 und betonten, dass es epidemiologisch völlig sinnlos ist, 2G oder 3G einzuführen, aber die Menschen zum Impfen gedrängt werden sollen, was dann durch eine Impfpflicht in Deutschland mit nie dagewesenem Zwang verbunden gewesen wäre. Nun ist vor wenigen Wochen die Impfpflicht krachend im Deutschen Bundestag gescheitert.

Soweit ich sehe, ging RIAS auch mit keinem Wort auf die Israelfahnen ein, die auf einer der bekanntesten Anti-Coronapolitik-Demonstrationen geschwungen wurden, und zwar am 20. März 2021 in Kassel.

Wie antisemitisch ist eine politische Szene, die Israelfahnen mit sich führt? Bei allen Widersprüchen und allen klar erkennbaren antisemitischen und Holocaust verharmlosenden Tendenzen im Lager der Coronapolitik-Kritik muss doch eine Dokumentationsstelle Antisemitismus wie RIAS hellhörig werden, wenn da immer wieder positive Bezüge zu Israel auftauchen, was bei BDS-Demonstrationen oder islamistischen und muslimischen Anti-Israel-Aktionen niemals passieren würde, genausowenig wie bei Neonazi-Demonstrationen. Selbst bei den Anti-Coronapolitik-Demos in Berlin im August 2020, wo nachweislich Rechtsextremisten mit dabei waren, flatterten mitunter, man konnte das in Livestreams am Computer verfolgen, Reichskriegsflaggen unweit von einer Israelfahne, die offenkundig erstere überdecken wollte, wobei die größte Fahne auf einer dieser Großdemonstrationen eine riesige Deutschlandfahne war, was ja zeigt, wie deutschnational die ganze Szene ist – aber eben in Teilen auch klar pro-israelisch.

RIAS versagt auch insofern, als man in seinen Berichten nicht entdecken kann, dass die Befürchtung vieler Kritiker*innen seit 2020, es würde auf eine Impfpflicht hinauslaufen, was von Merkel bis Scholz, Lindner und Habeck bis September 2021 geleugnet wurde – Bundestagswahl! – richtig war. Ja, das war offenkundig keine Verschwörungsideologie, sondern entsprach den Tatsachen. Das ist noch viel interessanter und demokratietheoretisch von höchster Bedeutung zu eruieren, warum gerade in den Ex-Nazi- bzw. ehemals faschistischen Staaten Deutschland, Österreich und in Teilen in Italien (nicht aber z.B. in Spanien, Rumänien, Griechenland oder Argentinien, auch ehemals faschistische Länder bzw. Ex-Militärdiktaturen) eine Impfpflichtdebatte geführt und eine Impfpflicht in Teilen eingeführt (und in Österreich aktuell wieder ausgesetzt) wurde. Warum in diesen drei Ländern und sonst weltweit so gut wie nirgends? Was sagt das über die politische Kultur des Autoritarismus, der Willkür oder der Bedeutung von staatlichem Zwang aus? Selbst in Israel gab es keine wirkliche Debatte über eine Impfpflicht, obwohl unter Netanyahu und später unter Bennett eine sehr aggressive Coronapolitik – unter anderem mit Maskenzwang im Freien! – exekutiert wurde.

Diese Befürchtung nach dem Ruf einer Impfpflicht in Deutschland hatte sich seit November 2021 bewahrheitet, plötzlich waren Scholz, Habeck und Lindner für die Impfpflicht. Exakt das Gleiche war schon ganz zu Beginn der Pandemie passiert, als Mitte März 2020 der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn es als Fake News diffamierte, dass einige Leute befürchteten, dass gravierende „Maßnahmen“ zur Einschränkung des Lebens angesichts von Corona bevorstünden. Wenige Stunden bzw. Tage später wurde der erste Lockdown beschlossen. Wer Fake News, also Unwahrheiten verbreitet hatte, waren Spahn und die Bundesregierung.

Ich habe mich zum Beispiel in einem Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) im Januar 2021 ausführlich mit antisemitischen Tendenzen in der Coronapolitik-Kritiker*innen beschäftigt und diese Kritik in Dutzenden Texten ergänzt und untermauert – „Antisemitismus im Zeitalter von Corona“.

Aber das war eben immer eingebettet in eine wissenschaftliche Analyse der Fehler der Coronapolitik und des Irrationalismus sowie der Willkürlichkeit und verfassungsmäßigen Fragwürdigkeit der Coronapolitik der Bundesregierung und der 16 Landesregierungen.

Es ist dramatisch, dass gerade Antisemitismusforscher*innen weltweit die antidemokratische, unwissenschaftliche, irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, juristisch häufig verfassungsfeindliche, rein auf die Exekutive und nicht auf Diskussion und Kompromiss basierende Coronapolitik nicht nur durchgewunken haben, sondern sogar Kritiker*innen fast komplett in die Kategorie „rechts“, „Verschwörungsideologe“ oder „Schwurbler“ gesteckt haben. Es wirkt selbstbeweihräuchernd und eben unwissenschaftlich, wenn nicht zuletzt Nachwuchsforscher*innen immer nur von der Gefahr der Querdenken-Bewegung sprechen ohne auch nur einmal ein Referat über den Irrationalismus von Merkel, Scholz, Spahn oder Lauterbach zu halten oder wenigstens juristisch die Unhaltbarkeit einer Unzahl von Maßnahmen zu thematisieren. Wer vom Irrationalismus, der Unwissenschaftlichkeit und der Impf-Apartheid wie von 2G nicht reden will, soll vom Rechtsextremismus von Teilen der Coronapolitik-Kritik schweigen.[22]

Schauen wir uns nun den antizionistischen Antisemitismus, der im Vergleich zu den Anti-Coronapolitik-Demonstrationen ein viel höheres Gewaltpotential hat, etwas näher an. Die problematische Position der Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, von Stefanie Schüler-Springorum und vielen ihrer Kolleg*innen im Bereich Jüdische Studien, Geschichte und Sozialwissenschaften, bezüglich Israel und der BDS-Bewegung habe ich im Januar 2021 in einem Working Paper näher untersucht („Initiative GG 5.3 Weltoffenheit„). Schon damals ging es wie auch wenig später in der „Jerusalem Decoaration“ um eine Verharmlosung der antisemitischen Parole „Palestine from the River to the Sea“.[23]

Am Samstag, den 23. April 2022 gab es eine Demonstration gegen Israel in Berlin-Neukölln. Angesichts von mörderischen Anschlägen in Israel durch Palästinenser, von Polizei- und Militäreinsätzen auf dem Tempelberg, in den palästinensischen Gebieten und in Israel, demonstrierten ca. 500 Personen gegen Israel – und gegen Juden. Dabei wurden antisemitische Parolen geschriene wie „dreckiger Jude“, „Kindermörder Israel“, „Frauenmörder Israel“.

Organisiert worden war die Hetzveranstaltung von einer Gruppe mit dem Namen „Palästina spricht“. Schockierend war auch das Verhalten der Polizei, für das der Berliner Senat verantwortlich ist, der aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 es ermöglicht, dass willkürlich Pressevertreter*innen von Demonstrationen ausgeschlossen werden können:

Journalisten-Gewerkschafter Jörg Reichel von der Deutschen Journalisten-Union hat das Geschehen beobachtet. Er schildert WELT den Vorfall so: Der Veranstalter und Teilnehmer hätten die Pressevertreter auf unterschiedliche Weise als „zionistische, rassistische, jüdische Presse“ markiert. Dann seien Ordner gekommen und hätten gedrückt und geschoben. „Teilnehmer haben aus diesem Pulk heraus zugeschlagen. Dann wurde die Polizei vom Veranstalter zugezogen und ein Ausschluss gefordert.“ Im Vorgehen der Polizei sieht Reichel eine „presserechtliche Katastrophe“.

(Die Welt, 26.04.2022, S. 6)

Auf der „Revolutionären 1. Mai“-Demonstration der linksradikalen Szene Berlin liefen am 1. Mai 2022 auch viele BDS-Anhänger*innen und Palästinenser*innen mit Fahnen mit. Wie am 22.4. wurde auch da wieder „Palestine from the river to the sea“ geschrien, also die Auslöschung des jüdischen Staates Israel gefordert.

Der antizionistische, auf Israel bezogene Antisemitismus spricht Juden das Recht ab, in einem eigenen Staat zu leben. Dabei ist Israel bereits ein sehr multikultureller Staat mit ca. 20 Prozent Arabern – welche europäische Demokratie würde eine so riesige nationale Minderheit ertragen, ohne zu einem antidemokratischen Regime zu mutieren (einmal abgesehen davon, dass ganz Europa bis auf Schweden während der Corona-Krise nicht mehr rechtsstaatlich und demokratisch war, sondern irrational, antidemokratisch und nur auf die Exekutive sowie ein einziges Virus fokussiert, ohne gesundheitliche Schäden, massive, für die ganze Bevölkerung durch Lockdown, Quarantäne, Masken usw. zu berücksichtigen, von den „Kollateraltoten“ im Globalen Süden nicht zu schweigen, die nach Millionen zählen).

Also: Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat. Das heißt nicht, und da ist die Pro-Israel-Szene zumal in Deutschland und Österreich häufig blind, dass Israel nicht auch Fehler macht. Es gibt Rassismus gegen Araber, Muslime und Palästinenser in Israel bzw. den palästinensischen Gebieten. Es gibt auch gezielte Provokationen von jüdischen Extremisten, die z.B. den Tempelberg zum Beten nutzen wollen, was eben nun mal für Muslime eine extreme Provokation darstellt. Daher hat auch jüngst der stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister Lapid betont, dass es keinerlei Erlaubnis geben wird für nicht-muslimische Menschen, auf dem Tempelberg zu beten. Die Räumung bzw. Enteignung von palästinensischen Wohngebieten ist ebenso heftig umstritten. Es gibt in Israel viele zionistische Stimmen, die sich gegen den Nationalismus Israels wenden und die weiterhin eine Zweistaatenlösung anstreben.

Antisemiten, die so wie in Berlin krakeelen und Juden bedrohen, Journalist*innen angreifen und ausschließen von der Berichterstattung, die sind völlig verloren für eine rationale Diskussion. Da muss man mit aller Härte durchgreifen und antisemitische Gewalttäter zur Rechenschaft ziehen.

Das heißt aber nicht, dass man politisch die Situation in Israel näher betrachten muss. Darauf weist die Politologin an der Hebräischen Universität, Stadträtin in Jerusalem seit vielen Jahren für die linke Partei Meretz und Publizistin Dr. Laura Wharton hin. In einem Text vom 19. Februar 2022 erläutert sie die Situation in Jerusalem und vor allem in Ost-Jerusalem. Die Enteignungen, die dort im Viertel Sheik Jarrah stattfinden, hält sie für höchst problematisch. Jüdische Siedler und andere melden plötzlich Anspruch auf Eigentum an, weil sie 1948 im Krieg vertrieben worden seien. Wharton betont, dass dies doch genauso andersherum passieren könne, Palästinenser, die aus West-Jerusalem oder jedem anderen heutigen Ort in Israel vertrieben wurden. So wie Israel zu Recht gegen jedes Recht auf Rückkehr sich ausspricht, weil dies das Ende des jüdischen Staates bedeutete, so sollten auch jüdische Israelis solche Enteignungen von Palästinensern in Ost-Jerusalem sofort stoppen. Dabei ist es ohnehin zynisch, da die jüdischen Ex-Eigentümer dieser Häuser oder Wohnungen bereits vor Jahrzehnten entschädigt wurden, wie Wharton betont:

1. Many of the Palestinians now living in East Jerusalem were refugees in 1948 from what is today Israel proper. They were settled in their current homes by the Jordanian government and the U.N., in return for which they waived their rights as refugees. To evict them would make them refugees twice over, an unthinkable prospect from a humanitarian perspective.

2. Jewish families who lived in parts of Jerusalem that were taken over by Jordan in 1948 were compensated and given abandoned property by the Israeli government. This offering them title to the property they left constitutes double compensation, as Adv. Michael Ben-Yair (ex-Attorney General), who was born in Sheikh Jarrah, explains in his eponymous book on the subject.

Es ist also eine Sache, sich gegen den rabiaten, handgreiflichen und zu Gewalt anstachelnden Antisemitismus wie letzten Samstag in Berlin zu wenden. Es ist eine komplementäre Sache, sich konkret mit der Situation in Israel im Sinne des Projekts Zionismus und jüdischer und demokratischer Staat Israel sich mit dem Rassismus gegen Araber und Palästinenser sowie der rechtsextremen Siedlerpolitik kritisch zu befassen.

Wie weit verbreitet mittlerweile die BDS-Bewegung ist, zeigt ein sehr besorgniserregendes Beispiel aus den USA, das uns auch gleich zurückführt auf Jerusalem und den Stadtteil „Sheikh Jarrah“. Am 29. April 2022 publizierte die Redaktion der ältesten kontinuierlich erscheinenden Studentenzeitung in den USA, The Harvard Crimson von der Eliteuniversität der Ivy League Harvard, ein Editorial, das sich hinter die antisemitische BDS-Bewegung stellt:

 

In dem Artikel beziehen sie sich unter anderem auf den ehemaligen CNN Kommentator Marc Lamont Hill, der den sowohl islamistischen wie säkular-antisemitischen Slogan „From the River to the Sea“ für den arabisch-israelischen Konflikt benutzt.

Der Harvard Crimson ist eine sehr einflussreiche Studierendenzeitung und hat fast 90 Mitglieder in der Redaktion, wozu auch eine eigene Druckerei gehört. Viele einflussreiche Politiker*innen und Prominente waren früher als Studierende Teil von Crimson. Die Texte des Herausgebergremiums bzw. der Redaktion (Editorial Board) werden mit Mehrheitsbeschluss gefasst. Bislang hatte sich Crimson gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen. Solche Elitestudierenden wie in Harvard, wo 2021 nur 3,4 Prozent der Bewerber*innen als Student*in aufgenommen wurden, haben ein scharfes Sendungsbewusstsein, wer in Harvard, Yale oder Columbia etc. war, wird eine wichtige gesellschaftliche Position bekommen. Das ist also ein sehr schlechtes Zeichen, wenn jetzt so ein studentisches Gremium von 18-25-jährigen Studierenden so eine antisemitische Bewegung wie BDS gutheißt.

Der Direktor der Anti-Defamation League (ADL) Jonathan Greenblatt ist sichtlich angewidert von der Pro-BDS-Positionierung der jungen Harvard-Studierenden von Crimson, wie der Algemeiner berichtet:

Responding to the editorial on Twitter, Anti-Defamation League (ADL) CEO Jonathan Greenblatt called it “beyond disturbing.”

“Contrary to its claims, endorsing BDS does nothing to help Palestinians & only serves to delegitimize Israel’s existence, and isolate & intimidate the Jewish community, especially on campus,” he wrote. “Before publishing blanket statements on such complex and important issues, the Crimson editors should check their own blind spots in this matter and ask why they deem it necessary to expressly single out the state of Israel.”

“Just imagine if the Crimson would have instead promoted engagement and dialogue, and sponsored efforts on campus & beyond to build foundations for a future of self-determination, security and peace for both Israelis and Palestinians,” Greenblatt continued.

Wie stark gegen Israel sich die jungen Studentinnen und Studenten in Amerika, hier in Harvard, wenden, zeigte bereits ein Artikel von Oktober 2021, der den palästinensischen Aktivisten und Publizisten Mohammed El-Kurd vorstellte. El-Kurd kommt aus Jerusalem und Sheikh Jarrah, hat 250.000 Follower auf Twitter, wurde 2021 Palästina-Korrespondent der Zeitschrift The Nation, die Times wählte ihn und seine Zwillingsschwester zu zwei der einflussreichsten Personen des Jahres 2021. Was macht ihn so außergewöhnlich und erfolgreich mit 23 Jahren? Seine Familie wohnt in einem Haus, das zu den umstrittenen Gebäuden und Grundstücken in Sheikh Jarrah gehört. Über den Fall wurde ein Film gedreht. El-Kurd hat 2021 ein Buch publiziert, Rifqa, worin er wie selbstverständlich die jahrhundertealte antisemitische Blutbeschuldigung aufgreift und zitiert:

In 2009, Swedish photojournalist Donald Boström published an essay titled “Our Sons Are Being Plundered for Their Organs,” in which he exposed the decades-long Israeli practice of returning the bodies of young Palestinian men to their families with organs missing.[24]

Organhandel ist weltweit ein sehr lukratives Geschäft. Auch in Deutschland gab es Organhandelskandale, wie in vielen Ländern, auch in Israel. Was hier aber bei Boström vorliegt, ist eine klassische antisemitische Blutbeschuldigung. Es wird in einem Text von Boström in der größten schwedischen Tageszeitung Aftonbladet behauptet, dass die israelische Armee IDF absichtlich Organe von Palästinensern verwenden würde. Dafür hatte er keinerlei Beweise, wie er im israelischen Radio selbst zugab. Es gab in Schweden allerdings wie auch in Israel und weltweit einen Aufschrei, dass so eine antisemitische Verschwörungsideologie und Blutbeschuldigung in einer großen und als seriös betrachteten Tageszeitung in Schweden publiziert wurde. Eine andere große schwedische Zeitung kritisierte Aftonbladet scharf:

Writing in rival newspaper Sydsvenskan, Mats Skogkär attacks Aftonbladet’s decision. In an Op-Ed piece called Antisemitbladet, he gets to the heart of the issue:

Whispers in the dark. Anonymous sources. Rumors. That is all it takes. After all we all know what they are like, don’t we: inhuman, hardened. Capable of anything. Now all that remains is the defense, equally predictable: ‘Anti-Semitism’ No, no, just criticism of Israel.

El-Kurd tweetet besonders vulgär, sexistisch, antisemitisch und aggressiv,

er trat im Frühjahr 2022 auf der Israeli Apartheid Week in den USA auf, wie die Anti-Defamation League (ADL) berichtet. Die ADL hat auch ein ganzes Dossier über den Antisemitismus von El-Kurd publiziert,

der regelmäßig Israel mit dem Nationalsozialismus vergleicht. Sein Twitter-Account ist voll von solchen antisemitischen Vergleichen von Nazis und Israel, israelischer Politik und der „Kristallnacht“, „der Zionismus“ sei „blutdürstig“ und so weiter. Es ist absolut schockierend, was für Hetze tagtäglich auf Twitter und anderen a-sozialen Medien möglich ist. Und der von der Harvard Law School’s Middle Eastern Law Student Association eingeladene und von Crimson promotete Mohammed El-Kurb ist ein typischer antisemitischer Agitator, der im Mainstream der USA angekommen ist.

Die Tatsache, dass ein Typ wie El-Kurb in Harvard auftreten darf und sogar von einer Zeitung für seine Agitation bezahlt wird (The Nation) ist skandalös. Aber es passt in ein antisemitisches Klima in Harvard, das jetzt vor wenigen Tagen zu dieser Pro-BDS-Position des Harvard Crimson führte. Die linksradikale Szene Berlin und Harvard Hand in Hand gegen die Juden und den jüdischen Staat Israel.

Wer Israel als jüdischen Staat auflösen möchte, handelt antisemitisch. Das macht BDS und das machen jene, die „Palestine from the River to the Sea“ schreien. Das sind Gewaltandrohungen. Ganz im Gegensatz dazu versuchen linkszionistische Lokalpolitikerinnen wie die Publizistin und Politologin Laura Wharton wie gezeigt auf pragmatischem Weg eine Lösung für Jerusalem, die Palästinenser und den arabisch-israelischen Konflikt zu finden. Sie setzt sich gegen Gewalt von Siedler*innen und gegen den anti-palästinensischen Rassismus ein.

Doch BDS wie auch auf ganz anderer Ebene das Corona-Regime kennen nur Schwarz und Weiß. „From the River to the Sea“ oder „Wir impfen euch alle”, wie die Berliner Antifa und andere Antifas krakeelen, haben jeweils wissenschaftlich und politisch keinen Sinn, außer Gewalt anzudrohen.

Ein riesiges Problem für die Demokratie ist also das Schwarz-Weiß-Denken, wie auch das Gruppendenken. Durch die Regierung Merkel und jetzt durch Scholz werden diese beiden autoritären Denkweisen auf nie dagewesene Weise seit 1945 verschärft. Zuerst – und bis heute – ist es die Corona-Ideologie, die jede Kritik an den willkürlichen, medizinisch wie verfassungsrechtlich fragwürdigen Maßnahmen diffamierte, heute ist es die unglaubliche Dämonisierung alles Russischen. Eine rationale Analyse dieses Krieges bleibt aus, ja Deutschland sieht sich zum ersten Mal seit 1945 wieder in einem Krieg mit einem der Befreier vom Nationalsozialismus, nachdem es schon 1999 im Luftkrieg gegen Serbien einen Tabubruch begangen hatte: Nie wieder Krieg. Heute heißt es: Nie wieder Krieg ohne schwere deutsche Waffen auch in Europa!

Die so wichtige Einrichtung RIAS aus Berlin, die Antisemitismus dokumentiert, hat wie gezeigt keinen Blick für die medizinisch und demokratisch äußerst fragwürdige Coronapolitik und diffamiert jedwede substantielle Kritik als irgendwie dem antisemitischen Lager zugehörig. Damit leistet RIAS der Kritik an allen Formen von Antisemitismus einen Bärendienst. Übrigens gab es auf der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ am 1.5.22 in Berlin auch wenigstens eine Person im Schwarzen Block, die ein Plakat hielt mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“ (so ein Live-Blog im Berliner Tagesspiegel), womit seit vielen Jahren gerade auch der antizionistische Antisemitismus mit gemeint ist.

Schließlich ist das Schwarz-Weiß-Denken auch im arabisch-israelischen Konflikt deutlich. Während die kulturelle Elite häufig Israel als Staat der Juden ganz grundsätzlich ablehnt (Judith Butler und die BDS-Bewegung vorneweg) und die Palästinenser nur als Opfer betrachtet werden – es also nur „Gut“ und „Böse“ gebe, ignorieren auf der anderen Seite Pro-Israel-Aktivist*innen die offenkundigen Fehler israelischer Politik seit 1967 und der Besatzung.

Der Unterschied jedoch zwischen CDU-Politikern, die vom „Zivilisationsbruch“ daherreden, ohne jede historische Kenntnis, aber viel psychischem Bedarf nach Entlastung von der deutschen Schuld, und jenen antisemitischen, häufig, aber nicht immer islamistischen Hetzern, die vom Gazastreifen als „KZ“ fabulieren oder von Coronapolitik-Kritikern, die meinten, Israel würde eine noch schlimmere (Corona-)Politik betreiben als die Nazis, dieser Unterschied ist gering und kaum zu erkennen.

Es geht seit Jahren um maximale Erregung, Propaganda, Headlines, was nicht zuletzt Folge der schnelllebigen Welt der a-sozialen Medien Twitter, Telegram, Facebook oder Instagram und YouTube etc. ist.

Diese Sensationsgeilheit und zumal eines der ältesten antijüdischen Ressentiments führt uns zum letzten der vier Beispiele für heutigen Antisemitismus: die Beschneidungsdebatte.

 

 

[21] Selensky sagte wörtlich: “On February 24, 1920, the National Socialist Workers‘ Party of Germany (NSDAP) was founded. A party that took millions of lives. Destroyed entire countries. Tried to kill nations. 102 years later, on February 24, a criminal order was issued to launch a full-scale Russian invasion of Ukraine”, https://www.president.gov.ua/en/news/promova-prezidenta-ukrayini-volodimira-zelenskogo-v-kneseti-73701. Die Holocaustverharmlosung von Selenskyi, selbst Jude, ist unerträglich und auch in Israel kam diese Hetze sehr schlecht an: „Listen to what the Kremlin says. Just listen! There are even terms that sounded then. And this is a tragedy. When the Nazi party raided Europe and wanted to destroy everything. Destroy everyone. Wanted to conquer the nations. And leave nothing from us, nothing from you. Even the name and the trace. They called it ‚the final solution to the Jewish issue‘. You remember that. And I’m sure you will never forget! But listen to what is sounding now in Moscow. Hear how these words are said again: ‚Final solution‘. But already in relation, so to speak, to us, to the ‘Ukrainian issue’.” Schließlich möchte der ukrainische Präsident gerade Israel dazu bringen, gegen die Ukraine zu kämpfen und damit zu „Gerechten unter den Völkern“ zu werden, das ist so ahistorisch und so Holocaust verharmlosend, da fehlen einem fast die Worte: „Ukrainians have made their choice. 80 years ago. They rescued Jews. That is why the Righteous Among the Nations are among us. People of Israel, now you have such a choice.”

[22] Ein Beispiel ist die auch mit Bundesmitteln finanzierte Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IIA) an der Universität Trier, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles/archiv-1. Sicher arbeitet diese Initiative zu vielen wichtigen Themen, aber die Art und Weise wie die häufig sehr wichtige und richtig Kritik an der Coronapolitik, nehmen wir exemplarisch die Great Barrington Declaration von Oktober 2020, präsentiert wird – ausschließlich als antisemitisch und rechtsextrem – ist jedenfalls hier fragwürdig: „Gerade die Verbreitung von Verschwörungstheorien während der Corona Pandemie verstärkt stereotype Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden“. Diese sehr einseitige Vorstellung der Coronapolitik-Kritik gilt auch für Veranstaltungen, die Impfkritik nur in Bezug auf Antisemitismus thematisieren, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/projekte-1-1-1. Da wird nicht mal angedeutet, dass viele Kritiker*innen der Corona-„Impfung“ gegen andere Krankheiten sehr wohl geimpft sind, aber hier, gerade auch als Medizinerin oder Mediziner, skeptisch sind, was ja die nie dagewesene Zahl von Impfnebenwirkungen auch bestätigt. Die Ankündigung der VA, die für den 24. Juni 2021 angekündigt war, zeigt wie undifferenziert hier vorgegangen wird: „Vortrag von Mathias Berek (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) | Online | Facebook-Veranstaltung | Livestreamaufzeichnung. Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne gegen die Covid19-Pandemie wächst auch die öffentliche Präsenz der Impfkritik. Vergleicht man den heutigen Zustand der deutschen impfgegnerischen Bewegung mir ihrem Beginn im 19. Jahrhundert, zeigt sich, dass sich seit 1874 nicht nur an ihren Argumenten wenig geändert hat, sondern auch am Vorhandensein antisemitischer Inhalte. Die Bewegungen gegen das Impfen waren und sind sehr heterogen, und es gibt gravierende Unterschiede zwischen der Situation heute und der vor 100 Jahren. Dennoch lassen sich übereinstimmende Muster im antisemitischen und impfgegnerischen Denken identifizieren, die sich in all der Zeit kaum geändert haben. Diese Gemeinsamkeiten, aber auch strukturelle Parallelen der impfgegnerischen Bewegungen wird der Vortrag diskutieren.“ Dass zudem die mRNA-„Impfstoffe“ von der Firma Bayer ganz offiziell auf dem World Health Summit im Oktober 2021 in Berlin gar nicht als Impfung, sondern als „Gentherapie“ (Video) bezeichnet werden, wird nicht einmal angetippt. Der von der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der Uni Trier hier angekündigte Vortragende Mathias Berek vom Zentrum für Antisemitismusforschung ist Unterstützer der unwissenschaftlichen, irrationalen und sich an China orientierenden „Zero Covid“-Bewegung von Januar 2021, die auch von einigen radikalen Linken scharf kritisiert wird, unter anderem von dem Altlinken und Mediziner Karl-Heinz Roth (Jg. 1942): „Zero Covid war eurozentristisch und extrem staatsfixiert“, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161466.karl-heinz-roth-zero-covid-war-eurozentristisch-und-extrem-staatsfixiert.html. Die Initiative aus Trier unterstützt auch den völlig einseitigen Offenen Brief von „Genozidforschern“ zum völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine vom 27.02.2022, der mit Schaum vor dem Mund, aber ohne jede rationale Analyse, ohne mit einem Wort auf den Krieg der Ukraine im Donbass seit 2014 mit 14.000 Toten, die NATO-Provokationen in der Ukraine seit Jahren, den von den USA mit finanzierten Putsch 2014 auf dem Maidan oder das antirussische Klima in der Ukraine, das mit staatlichen Sprachverboten einhergeht, einzugehen, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles. Der Krieg Russlands ist völkerrechtswidrig. Der Krieg entstand aber nicht aus einem Vakuum oder purer russischer Aggression, sondern hat eine ukrainische Vorgeschichte, die alle kennen. Die Forderungen nach einem Nicht-Beitritt der Ukraine zur NATO hatte Russland zuletzt im Dezember 2021 an die USA geschickt, aber ohne eine richtige Antwort zu erhalten. Diese Ignoranz war gewollt, gerade die USA hatten offenbar kein Interesse an einer Stabilisierung, sondern an einer Destabilisierung. Diese Erklärung einiger Hundert Forscher*innen und Student*innen hat nach der Holocaust trivialisierenden Rede Selenskyis vom 20. März 2022 keine Ergänzung erfahren, soweit ich sehe, diese Holocaustforscher*innen und Studierenden haben sich nicht in gleicher Weise gegen diese Art von Antisemitismus wie in der Rede von Selenskyi an die Knesset gewandt. Und wo waren oder sind diese Hunderten Historiker*innen und Studierenden, als es um den Krieg im Jemen (andauernd) oder dem Krieg der Türkei gegen die Kurden ging und geht? Wo waren sie, als die NATO völkerrechtswidrig Serbien angriff 1999? Der US-Außenminister James Baker wie auch Bundeskanzler Helmut Kohl, ich habe es oft betont und wissenschaftlich dokumentiert in den letzten Monaten, haben Gorbatschow und der Sowjetunion im Februar 1990 mehrfach und nachdrücklich (!) versprochen, dass die NATO nach einer möglichen Wiedervereinigung von BRD und DDR „not one inch“ ostwärts sich erweitern würde. Und was ist seither passiert? So gut wie ganz Osteuropa ist NATO-Mitglied geworden. Jeglicher Versuch Russlands in die NATO aufgenommen zu werden – Putin hat das nachweislich versucht – wurde zurückgewiesen und dafür mit höchster Aggressivität osteuropäische Staaten aufgerüstet und zu NATO-Mitgliedern gemacht. Schließlich verlinkt die Trierer Initiative auf eine Tagung in Essen am 6./7. Mai 2022 mit dem Titel „Warum Antisemitismus? Zur Politischen Theorie der Judenfeindschaft – 06./07. Mai Campus Essen“, auch hier zeigt sich das Muster, dass interessante Themen vermischt werden mit einer Denunziation offenbar der gesamten Coronapolitik kritischen Szene, anders kann man diese Ankündigungen kaum lesen: „Der Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen als Element des Autoritarismus und seiner Refiguration in der Gegenwart“, Paul Erxleben und Dr. David Jäger (Leipzig)“ sowie der Vortrag „Gefühl als Entscheidung. Emotionstheoretische Überlegungen zur Rolle von Gefühlen im Antisemitismus am Beispiel der Querdenken-Bewegung. Johanna Bach und Valerie Schneider (Berlin)“, https://warum-antisemitismus.de/tagungs-programm/. Es geht also um den „Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen“, was schon im Titel falsch ist, da es eine Coronapolitik-Protestbewegung gibt, aber „Coronaprotestbewegung“ ist ja ein völlig absurder Begriff, als ob diese politische Bewegung gegen Corona, das Virus, protestieren würde. Die Politik, die Medien, die Gesellschaft werden kritisiert – von einigen auf sehr problematische Weise, wie ich gezeigt habe, aber von sehr vielen Leuten auf oft sehr differenzierte und kritische Weise. Eines der wenigen etwas größeren Medien, das sich einigermaßen kritisch mit der Coronapolitik wie auch der Ukrainepolitik beschäftigt, Telepolis, wird aktuell von einem neuen Chefredakteur geleitet, Harald Neuber (der auch politisch wohl in die Fußstapfen von Florian Rötzer tritt), der früher bei der nicht gerade israelfreundlichen Tageszeitung junge Welt beschäftig war und zumal Mitarbeiter der Ex-MdB Heike Hänsel (Die Linke, Wahlkreis Tübingen) war, die insbesondere für einen Antisemitismusskandal bekannt ist, über den ich 2014 berichtete. Seriöse linksintellektuelle Coronapolitik-Kritik, wie auch Kritiker*innen der aktuellen Militarisierung und Kriegstreiber in der Bundesrepublik Deutschlands müssen sich – wie bislang, nur jetzt verschärft –, ihre für Publikationen verfügbaren Orte suchen (Nicht-NATO-Länder sind aktuell sehr begehrt bei unabhängigen Denker*innen, Schweiz? Österreich?) und dazu selbst gestalten. Dazu gibt es immer wieder Kompromisse und große, massenwirksame Aktionen wie jetzt am 29. April 2022 einen Offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz von 28 Intellektuellen, von der Feministin Alice Schwarzer über den Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Merkel, den Schauspieler Edgar Selge bis hin zu den Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wenden: „Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik. Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis. Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“ https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463 In wenigen Tagen haben diesen Offenen Brief über 180.000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben, Tendenz steigend: https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=1263059096&recruited_by_id=707cc780-c7b0-11ec-b13c-f51ede250610. Im Gegensatz zur tatsächlich volksgemeinschaftlichen Unterstützung der irrationalen Coronapolitik, wie von Alice Schwarzer, sind jetzt die Reihen der Intellektuellen und der Regierung nicht mehr geschlossen, vielmehr gibt es massiven Widerstand gegen die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine, gegen die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland (!) und dem ganz offenkundig geradezu herbeigeschrienen NATO-Bündnisfall, damit Russland ein für alle Mal aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen wird. Um die Ukraine geht es dabei überhaupt gar nicht, so wenig wie die Deutschen an den Kriegsopfern in Kurdistan oder im Jemen je interessiert waren, um nur diese beiden Beispiele von blutigen Kriegen (einer davon geführt von einem NATO-Land) zu erwähnen. Das ist alles deshalb von Bedeutung, weil es den wichtigen wissenschaftlichen Einsatz auch von Nachwuchswissenschaftler*innen wie hier in Trier oder Essen trübt, wenn diese sich so undifferenziert gegen die Kritik an der Coronapolitik wenden und die wichtige Kritik an antisemitischen Facetten der Coronapolitik-Kritik damit auch noch verharmlosen, wenn so gut wie die ganze Szene der Kritiker*innen der Coronapolitik (und das suggerieren die zitierten Ankündigungen) antisemitisch codiert wird. Es ist nicht weniger problematisch, wenn solche Kreise von Nachwuchswissenschaftler*innen dann auch noch völlig einseitige, antirussische Propaganda unterstützen und nicht wirklich an einer Friedenslösung Interesse zu haben scheinen (oder haben sie etwa auch den Offenen Brief an Olaf Scholz unterschrieben?), sondern es muss gegen Russland gehen, das ist ja der Tenor des oben zitierten Offenen Briefes der „Genozidforscher“. Dass gerade ein in den letzten Jahren wegen seiner Verharmlosung des Holocaust in seinem Buch „Bloodlands“ in die Kritik geratener Historiker von Yale wie Timothy Snyder ein Erstunterzeichner dieses Briefes ist, ist symptomatisch, siehe zu Snyder: „Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013“.

[23] Angesichts einer Diffamierung der Coronapolitik-Kritikerszene und jener legendären Demonstration in Kassel – Nena brachte es auf den Punkt: „Danke Kassel“ – durch das Internationale Ausschwitz Komitee schrieb ich in einem Offenen Brief Ende März 2021: „Es wäre politisch womöglich weitaus wichtiger, wenn sich das Auschwitz Komitee um die Kritik am Antisemitismus kümmern, und nicht die Kritik am Corona-Hygienestaat diffamieren würde. So wäre es vor allem naheliegend, wenn sich das Internationale Auschwitz Komitee, wenn es sich gegen Antisemitismus aussprechen möchte, auch gegen die „Jerusalem Declaration on Antisemitismus“ wenden würde. Diese Erklärung (vermutlich vom März 2021, sie hat kein Datum) von seit vielen Jahren als Förderer des antizionistischen Antisemitismus in Verdacht stehenden Agitator*innen, von Wolfgang Benz und Gudrun Krämer über Stefanie Schüler-Springorum hin zu ein paar frustrierten jüdischen Israelfeinden, schreibt nämlich Folgendes:

It is not antisemitic to support arrangements that accord full equality to all inhabitants ‚between the river and the sea,‘ whether in two states, a binational state, unitary democratic state, federal state, or in whatever form.

Diese Ausdrucksweise „from the river to the sea“ ist ein Schlachtruf der Palästinenser, von der PLO über die PFLP hin zur jihadistischen Hamas. Der CNN-Kommentator und Professor an der Temple University in den USA Marc Lamont Hill verwendete den Slogan in einer Rede vor den Vereinten Nationen (UN) im November 2018. Der ehemalige Botschafter der USA in Israel unter Barack Obama, Dan Shapiro, kritisierte die Äußerung als „antisemitisch“. Während jedoch das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin weiterhin staatliche Gelder bekommt, wurde Lamont Hill für die gleiche antisemitische Äußerung von CNN entlassen.“

[24] Mohammmed El-Kurd (2021): RIFQA (Kindle-Positionen 424-426). Haymarket Books.

Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele (Teil 2)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Der folgende Text ist Teil 2 eines Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) zum Thema Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele.

2. Heideggers Antisemitismus im Gewand der Coronapolitik-Kritik: Auschwitz als Pendant zu „motorisierter Ernährungsindustrie“

Das Jahr 1889 war in vielerlei Hinsicht ein schlechtes Jahr. In diesem Jahr wurde der Fußballclub Jahn Regensburg gegründet und er gab sich ausgerechnet den Namen des antisemitischen „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn, ja die Elf wird auch noch „Jahnelf“ genannt und keiner der heutigen so allseits informierten Fußballmoderatoren (m/w/d) geht auf die Judenfeindschaft und das völkische Geraune in „Deutsches Volkstum“ von 1810 ein.

In meiner Dissertation von 2006 (Universität Innsbruck) über die Neue Rechte, die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland von 1970-2005 und den einflussreichsten Protagonisten der ‚nationalrevolutionären‘ Neuen Rechten – Henning Eichberg (1942-2017) –, habe ich mich auch eingehend mit der Sportwissenschaft beschäftigt. Jahn war für Eichberg ein absolut zentraler Topos. In meiner Dissertation bzw. der fast identischen Druckausgabe von 2007 (Tectum Verlag Marburg) heißt es:

Im Oktober 1978 referierte Eichberg auf einem internationalen Symposium aus Anlass des 200. Geburtstags von F. L. Jahn in Westberlin. Sein Text Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes und die Veränderung der Gesellschaft[4] wird bis heute rezipiert[5] und lässt seine Verbindung von Sportwissenschaft und Politik hervortreten. Er sieht in Jahn – zum wiederholten Male – einen ›Nationalrevolutionär‹, der sich gegen Dynastie und Obrigkeit ›gewehrt‹ habe. Die »›Deutschtümelei‹ Friedrich Ludwig Jahns, Ernst Moritz Arndts« wird als »revolutionäre Massentendenz« eines »›Erwachens der Völker‹« gepriesen und als »Versuch, ›von unten her‹ die Politik selbst in die Hand zu nehmen« für die nationalrevolutionäre Bewegung der 1970er Jahre beschworen.[6] Das wird deutlich, wenn Eichberg Jahn für die ›Alternativen‹ wie die ›Nationalrevolutionäre‹ gleichermaßen zu reklamieren versucht:

»Die alternative Körperkultur war nur ein Teil dieses alternativen ›ganzen Lebens‹, das die nationalrevolutionären ›Chaoten‹ um Friedrich Ludwig Jahn verbreiteten.«[7]

Was kennzeichnete Jahn neben seiner Begründung des Turnens? Eichberg streicht das nationale Moment deutlich hervor:

»Zur altdeutschen Tracht als ›Uniform einer aggressiven Minderheit‹ kam die Jahnsche Sprachreform, die zum grobianischen Jargon und Unterscheidungsmerkmal einer jugendspezifischen Subkultur wurde. Man wollte nicht sein wie die feinen Bürger, also redete man auch anders. Feste mit Höhenfeuern – darunter die Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817 – und ein Fahnengebrauch, der die deutsche Trikolore Schwarzrotgold einführte, festigten den Zusammenhalt und die Selbstdarstellung gegenüber den außenstehenden Bürgern ebenso wie die Entwicklung eines aggressiven eigenen Liedguts, das brüderliche Du und die Praxis des Wanderns, das zum politischen Aufmarsch wurde.«[8]

Eichberg lobt damit nicht nur ganz euphorisch – »Feste mit Höhenfeuern«, die den »Zusammenhalt« »festigten« – die öffentliche, auch antisemitische Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817, sondern schmiegt sich an Jahns Judenfeindschaft, die sich hier unter dem Euphemismus »die Entwicklung eines aggressiven eigenen Liedguts« verbirgt, an.

Die Kritik an Jahn und dem Wartburgfest 1817 hat Eleonore Sterling Mitte der 1950er Jahre auf den Punkt gebracht:

»Von den Jahnschen Turnvereinen sind Juden streng ausgeschlossen. Sie werden als Nicht-Deutsche und ›Unchristen‹ diffamiert. Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden, behauptet Turnvater Jahn, seien Deutschlands Unglück. Ebenso antijüdisch sind die Burschenschaften, namentlich die Gießener Verbindungen der ›Schwarzen‹ und die Jenaer ›Unbedingten‹, die ihre ›Christlichkeit‹ aus der germanischen Volkstümlichkeit herleiten, die das Gegenprinzip des ›Jüdischen‹ sein soll. (…)

Vor allem [Jakob] Fries fordert seine Studenten auf, ihren Individualismus und die Humanitätsideale der Aufklärung aufzugeben und sich zum ›deutschen Volkstum‹ zu bekehren. Er verlangt von seinen Heidelberger und Jenaer Schülern, die jüdischen Studenten als ›Feinde unserer Volkstümlichkeit‹ von den Burschenschaften auszuschließen. Gegen die Bücherverbrennung anläßlich des Wartburgfestes 1817, dem er als einziger Professor beiwohnt, hat er nichts einzuwenden. Bei dieser Bücherverbrennung werden nicht nur der ›preußische Ulanenzopf‹ und der Codex der preußischen Polizei als Symbole der Reaktion den Flammen übergeben, sondern auch Werke über den Konstitutionalismus. Auch die Schrift eines Juden wird als Zeichen der Französelei und des Kosmopolitismus und als ›Judenschrift‹ per se unter wilden Schreien in die Flammen geworfen.«[9]

 

Und dann sind 1889 auch noch zwei Personen geboren worden, die für die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verantwortlich sind beziehungsweise sie philosophisch legitimiert oder beschönigt haben: Hitler und Heidegger.

Der Politikwissenschaftler und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) Hans-Martin Schönherr-Mann hat in Dutzenden Online-Vorlesungen für eine Leipziger philosophische Gruppe – Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie – eine Kritik der Corona-Politik unternommen. Im Februar 2022 sind daraus zwei Hefte mit komprimierten Kapiteln publiziert worden, zusammen 128 Seiten im Format Din A 5.

Schönherr-Mann taucht auf vielfältige Weise in die Philosophiegeschichte ein, von Platon bis Kant und Nietzsche. Es liest sich recht flüssig – und fühlt sich weniger langatmig als die 90-minütigen Vorlesungen, von denen ich aber nur ein paar wenige gesehen habe –, und der Autor lässt politisch sehr aktuell seine eigene Position gerade nicht außen vor. Schönherr-Mann macht eine klare Ansage:

Ich jedenfalls kaufe erst wieder Bekleidung und gehe erst zum Frisör, wenn die Masken gefallen sind. Ich unterstütze das Corona-Regime nicht und hintertreibe dessen Maßnahmen, wo ich nur kann. (S. 9)

Seine Kritik am Lockdown ist ebenso herausragend – zumal für einen Professor an einer führenden deutschen Universität:

Eine autoritäre Gesellschaft, die ihre Mitglieder eher als Kinder denn als mündig behandelt, hat wenig Interesse daran, dass zwischen diesen ein reger Austausch stattfindet, schon gar keiner, bei dem sich die Bürgerinnen und Bürger intensiv über die sozialen, politischen oder medizinischen Zustände austauschen, so dass eventuell kritische Gedanken entstehen und sich womöglich oppositionelle Strömungen entwickeln. (S. 10)

Insbesondere die Maske wird als das Symbol der Corona-Politik von Schönherr-Mann ethisch, ästhetisch und politisch decodiert und scharf kritisiert:

Ich habe im November 2020 einen Vortrag in der evangelischen Bildungsstätte Hospitalhof in Stuttgart vor ca. 50 Maskierten gehalten. Das war ein sehr unerfreuliches Erlebnis: Man sieht keine Reaktion in den verdeckten Gesichtern. Im Rahmen der Ulmer Denktage an der Universität Ulm nahm ich als Vortragender an einer Veranstaltung teil. Außer auf dem Podium herrschte Maskenzwang. Da ich die Leute nicht kannte, weiß ich nicht, mit wem ich redete und würde die Leute schon gar nicht wiedererkennen. Der Sinn solcher Veranstaltungen ist aber die zwischenmenschliche Kommunikation, so dass man sich unter diesen Bedingungen quasi gleichgeschaltet fühlt. Niemand hat ein Gesicht. Die Individualität ist massiv beeinträchtigt. Denn ohne Gesicht ist man niemand. Das ist das Ergebnis des Maskenzwangs. Mit der Maske verleugnet man sich selbst und andere, die keine Anderen mehr sind, sondern gleichgeschaltete. (S. 11)

In genau diesem „Hospitalhof“ in Stuttgart wohnte ich offenkundig am 2. Oktober 1989 einer politischen Veranstaltung bei, weder Referent*in noch Thema sind mir erinnerlich. Ich hatte Schönherr-Manns Buch „Von der Schwierigkeit Natur zu verstehen“ (Fischer Verlag) dabei und wollte es womöglich dem nicht ganz so säkularen oder religionskritischen Referenten oder der Referentin schenken, da ich vorne in das Buch ohne Anrede eine Widmung hineinschrieb, aber das Buch dann besser doch selbst behielt. In dem Band geht es um eine Kritik der instrumentellen Vernunft, der modernen Naturwissenschaft, auch wenn schon damals (wie in seinem dickeren Band zur Technik und der Schwäche 1989) Heidegger eine Rolle spielte.

Was wir aktuell erleben, ist ziemlich einmalig. In so gut wie jedem Land in Europa (und weltweit) gibt es keine Maskenpflicht mehr, in Demokratien wie in Schweden gab es sie nie. Doch in Deutschland tragen die Menschen großteils weiter Masken. Sie sind gehirngewaschen, irrational, fanatisch. Manche Verkäufer*innen in Bäckereien und Läden haben sogar weiter, entgegen der Gesetzeslage und ohne Anwendung des „Hausrechts“, sondern aus ‚freien‘ Stücken, die Maske auf, doch in Supermärkten sind fast alle Mitarbeiter*innen mit nacktem Gesicht anzutreffen und das auch fröhlich (vom Alltagsstress eines schlecht bezahlten Jobs abgesehen). Da die Medien weiterhin nicht berichten, wie unglaublich harmlos Corona ist – die Infektionssterblichkeit liegt noch weit unter der Fallsterblichkeit von aktuell 0,10 Prozent, da ja, logisch (!), niemals alle Infektionen erkannt werden, da viele überhaupt nicht krank werden oder nur schwache Symptome haben, mit denen sie auch bislang niemals zum Arzt gegangen wären.

Glaubt auch nur ein Mensch ernsthaft, dass die „Inzidenz“ gleich bliebe, wenn wir statt 1,5 Millionen Tests plötzlich 10 Millionen Tests pro Woche machen würden? Was aber exakt gleich bliebe, egal ob 1,5 Mio., 10 Mio oder gar keine (!) Tests gemacht würden: die Zahl der Kranken und die Zahl derjenigen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, entweder auf die Normal- oder die Intensivstation. Dass bei sehr vielen Patient*innen Corona gar nicht der Grund für die Einweisung ist, aber im Laufe des Krankenhausaufenthalts ein positiver Test auf das Virus hinzukommt, das haben viele auch weiterhin noch nicht verstanden.

Schließlich gilt weiterhin die Befürchtung der britischen bzw. UK-Statistikbehörde, dass nur ca. 12 Prozent oder weniger der als Corona-Tote Aufgelisteten tatsächlich nur an Covid-19 starben, die anderen hatten eine Vielzahl von Krankheiten, wovon Corona nur eine war und ohne die anderen Vorerkrankungen wäre bei diesen ca. 88 Prozent Patient*innen der Verlauf womöglich oder wahrscheinlich nicht tödlich verlaufen. Also die offiziellen Corona-Todeszahlen in Deutschland sind ganz sicher nicht korrekt, das ist der wissenschaftliche Stand.

Seit August 2020 hat Schweden weniger Patient*innen wegen oder mit Covid-19 auf den Intensivstationen liegen als Deutschland – und zwar durchgehend deutlich weniger.

Schon das ein Hinweis, wie vollkommen medizinisch sinnlos Masken sind, die in Schweden nie angeordnet wurden und freiwillig war kaum jemand so irrational, unwissenschaftlich oder fanatisch und hat sie getragen. Ende Dezember 2021 fiel mir selbst in Bussen, die voll besetzt waren, in Malmö nicht eine Person mit Maske auf, von Supermärkten ganz zu schweigen. In England fiel die Maske im Juli 2021 und wurde nur kurz und irrational im Winter wieder befohlen, in Holland gab es in weiten Teilen der Jahre 2020 und 2021 ebenfalls keine Maskenmandate – und Holland hat weniger Tote an oder mit Corona als Deutschland.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie hierzulande noch Ende April 2022 das links-liberale journalistische Establishment diese medizinischen Erkenntnisse in den Wind schlägt und weiter für die Maske plädiert. So agitiert die Journalistin der Frankfurter Rundschau Katja Thorwarth gegen die FDP, die es verhindert habe, dass wir weiterhin in Supermärkten Masken tragen müssen. Das sei doch nur ein Akt der Solidarität zumal den Beschäftigten gegenüber. Nun, diese Beschäftigen mag es in besonders krassen Vierteln in Frankfurt am Main vielleicht geben, in den vielen Supermärkten, in denen ich seit Anfang April wieder bin, habe ich so gut wie keine maskierten Angestellen gesehen. In einem Kaufland begrüßte mich eine Verkäuferin mit breitem Lachen und betonte, wie unglaublich schön es sei, endlich wieder Menschen zu sehen, von der wegfallenden Belastung für sie selbst – die Frau ist so Anfang 50 – ganz zu schweigen.

Oder nehmen wir das höchstrichterliche Urteil aus den USA, das Maskenmandate in Flugzeugen, Zügen und allen anderen öffentlichen Transportmitteln verbietet. Das war Mitte April 2022. Nun dürfte selbst einer Journalistin der Frankfurter Rundschau womöglich ersichtlich sein, dass Menschen in Flugzeugen deutlich engeren Kontakt zu anderen Passagier*innen haben, denn Einkäufer*innen in einem Supermarkt zu anderen Einkäufer*innen. Die meisten Flüge dauern auch länger als ein Supermarkteinkauf und kurz mal frische Luft schnappen ist im Flugzeug auch eher kompliziert. Während sich umgehend die 14 führenden Fluggesellschaften in den USA darauf einstellten und die amerikanische Bundesregierung unter Joe Biden noch nicht mal in Berufung geht, weil sie offenbar erkennt, dass sie juristisch und medizinisch keinerlei Argument hat, möchte sich die Frankfurter Rundschau am liebsten nicht an diesen aktuellen Stand der Rechtslage und der medizinischen Forschung halten.

Merkel, Scholz und die ganze politische Klasse, in konzertierter Aktion mit den Medien und der kulturellen Elite haben die Menschen so dermaßen in Todesangst versetzt, dass einem das Grauen kommt. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit für Menschen unter 65 Jahren, wirklich „an“ – und nicht nur mit – Corona zu sterben, so gering wie die Wahrscheinlichkeit auf dem Weg zur Arbeit tödlich zu verunglücken, so der weltweit bekannteste Epidemiologe John Ioannidis mit einem Team schon im September 2020:

The COVID-19 mortality rate in people <65 years old during the period of fatalities from the epidemic was equivalent to the mortality rate from driving between 4 and 82 miles per day for 13 countries and 5 states, and was higher (equivalent to the mortality rate from driving 106–483 miles per day) for 8 other states and the UK. People <65 years old without underlying predisposing conditions accounted for only 0.7–3.6% of all COVID-19 deaths in France, Italy, Netherlands, Sweden, Georgia, and New York City and 17.7% in Mexico.

Mit Omikron hat sich die Situation noch mal dramatisch verharmlost. Aber all das ist in Deutschland absichtlich, vorsätzlich nie kommuniziert worden. Karl Lauterbach und vor ihm Jens Spahn und die jeweilige Bundesregierung wollten und wollen intentional die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, Stichwort Panikpapier von Horst Seehofer. Hätte sich Thorwarth im Frühjahr 2020 mit diesem Panikpapier beschäftigt, wüsste sie, woher ihre Panik und irrationale Berichterstattung zu Corona herrühren könnte. Mittlerweile wird ja auch die Kompetenz des Virologen Christian Drosten von der Charité in Berlin von einer Vielzahl von Mediziner*innen angezweifelt, zuletzt von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die sich hinter eine ausführliche und luzide Kritik an Drosten im Hessischen Ärzteblatt von Professorin Ursel Heudorf stellt, ehemalige stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main. Dabei ging es um Drostens wissenschaftlich fragwürdige Begründung für Schulschließungen und die „Bundesnotbremse“, die vom Bundesverfassungsgericht durchgewunken wurde, aber wissenschaftlich ist der Mainstream in Deutschland – wie das Hessische Ärzteblatt – anderer Meinung.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene stellt fest:

Juristisch haben wir die Entscheidung des BVerfG in dieser Frage selbstverständlich als solche zu akzeptieren und es ist nicht unser Anliegen, die besondere Bedeutung des überparteilichen und unabhängigen BVerfG für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu relativieren.

Trotzdem stimmen wir mit Frau Prof. Heudorf überein: die Entscheidung des BVerfG zur Verhältnismäßigkeit der Bundesnotbremse im Hinblick auf Kinder und Schulen ist aus medizinischer (v.a. pädiatrischer) und wissenschaftlicher Sicht fragwürdig u.a., weil sie sich auf ein unzureichendes Gutachten der Charité stützt. Wichtige Aspekte der anderen Gutachten und Mängel der Stellungnahme des Instituts für Virologie der Charité wurden nicht gewürdigt, obwohl das Gericht auf diese Widersprüche und Fehler hingewiesen wurde. Wir sehen, wie Frau Prof. Heudorf, die Gefahr, dass auch in Zukunft Kinder und Jugendliche in ihren Lebenschancen u.a. in ihrem Recht auf Bildung und uneingeschränkte altersentsprechende soziale Teilhabe aufgrund dieser Entscheidung stärker eingeschränkt werden, als es durch die Studienlage und auch durch die Erfahrungen in anderen Ländern geboten wäre.

Dabei sind weder Heudorf und das Hessische Ärzteblatt oder die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene scharfe Kritiker aller Maßnahmen oder wenigstens der Maske. Aber selbst immanent zeigt sich, wie unwissenschaftlich und politisch autoritär, ohne Kontakt zu Mediziner*innen der Chef-Virologe von der Charité vor sich hindümpelt. Drosten ist isoliert, das sollte so langsam auch mal bei Gerichten sich herumsprechen, wenn denn deutsche Gerichte Interesse haben sollten an einer evidenzbasierten Medizin und nicht einer autoritären Virologie, die vom Leben der Menschen so viel Ahnung hat wie Helge Braun oder Ricarda Lang von ausgewogener Ernährung und sportlicher Betätigung.

Die allerfanatischsten Menschen, die wir aktuell noch haben in Deutschland, sind neben Journalist*innen und Politiker*innen (wie der Immer-noch-Gesundheitsminister) die Beamten, Lehrer*innen und auch fast alle Schüler*innen, die großteils fanatisiert wurden und selbst nicht in der Lage sind, sich ein eigenes rationales Bild der Nicht-Gefahr durch Corona zu machen.

In vielen Klassen sind weiterhin, ohne jeden direkten Zwang, 100 Prozent maskiert. Dabei war seit März 2020 klar, dass Kinder und Jugendliche, Teenager überhaupt nicht von dem Virus SARS-CoV-2 und der von ihm resultierenden Krankheit Covid-19 betroffen sind. Es ist ein Virus, das so gut wie ausschließlich sehr alte und sehr kranke Menschen trifft. Aktuell bei Covid-19 liegt die Sterblichkeit bei wirklich läppischen 0,10 Prozent (Fallsterblichkeit, wobei die Infektionssterblichkeit noch deutlich darunter liegt). Das durchschnittliche Todesalter liegt von Anfang an bei über 80 Jahren. Es wäre also von Anfang an sehr wichtig gewesen, dass sich alle Kinder und Jugendlichen anstecken, die meisten haben keine, manche leichte oder mittlere, kurzfristige Symptome und das war es. So lief es in Schweden, wo kein Kindergarten und keine Schule je geschlossen wurde und niemals Maskenpflicht herrschte.

Dass heutzutage, wo seit Anfang April in keiner Schule mehr Maskenzwang herrscht, aufgrund der menschenfeindlichen – das ist es – Politik und den Empfehlungen sowohl von Klabauterbach wie so gut wie jedem einzelnen Schuldirektor (m/w/d) weiterhin alle, wirklich so gut wie alle Leerkörper (ohne „h“) und Schüler*innen sich weiter maskieren, während die Jugendlichen am Wochenende ohne jeden Abstand und ohne Maske in der Disko feiern und wochentags ohne jede Maske einkaufen gehen können oder Freund*innen treffen – die gleichen, mit denen sie völlig hirnverbrannt (das ist es wirklich!) maskiert im Unterrichtsraum saßen, das ist Resultat der schlimmsten Gehirnwäsche in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Und diese Teenager sind keineswegs nur Opfer ihrer fanatischen Eltern und Lehrer*innen sowie der Politik. Sie könnten ja streiken, was beim KlimaStreik auch geht. Nein, gerade die jungen Leute zwischen 14 und 19, und dann die noch krasseren Irrationalisten (m/w/d) von 20-30 sind extrem autoritär, unwissenschaftlich, irrational und menschlich desolat. Von Solidarität mit Minderheiten wie Kritiker*innen, Behinderten, Masken-Befreiten oder gar den  Menschen im Globalen Süden, die extrem unter der Panik des kapitalistischen Westens leiden, eines Westens, der einfach so den von ihm selbst diesen Ländern seit 1492 schrittweise aufgezwungenen Weltmarkt im März 2020 aussetzte – was sind schon 130 bis 270 Millionen Hungernde mehr? -, haben diese geistigen und menschlichen veganen wie fleischlichen Würstchen – wie soll man die anders bezeichnen, haben Sie eine Idee? – keine Ahnung. Was hier gerade für eine Generation heranwächst spottet jeder Beschreibung – für eine Demokratie eine tödliche Generation, die der Generation der Totengräber der Demokratie, also ihren Eltern folgt und noch rücksichtsloser, a-sozialer sein wird. Wenn diese Leute mal Pfleger/in werden sollten und wir dann Pech haben und in so einer hierarchisch-autoritären Anstalt liegen sollten, dann Gnade uns – wer? Es rettet uns kein höheres Wesen …

Wer sieht mit welcher Freude Verkäufer*innen in allen Supermärkten jetzt wieder lächeln, merkt, dass dort der Wahn gebrochen ist. Aber Beamte und deren Abhängige, die sind für die Demokratie auf unabsehbare Zeit verloren, das gilt auch für vollkommen durchgeknallte Polizeibeamte, die maskenfrei im Auto sitzen und sie dann aufziehen, wenn sie aussteigen (hab ich selbst in Städten gesehen).

Exakt diese Autoritätshörigkeit ist zutiefst deutsch. Die Internalisierung irrationaler Imperative gehört dazu. Schönherr-Mann schreibt:

Die christliche Ethik wie moderne säkulare Ethiken, die mit der Moral das Individuum der Gemeinschaft unterordnen wollen, haben damit kaum ein Problem. Für sie soll sich der einzelne Mensch den vorgegebenen moralischen Regeln unterwerfen. Das passt zum Corona-Regime – Regime im Sinne einer Ordnungsstruktur, wie man im 19. Jahrhundert vom Ehe-Regime spricht. Der Staat erlässt diverse Maßnahmen und setzt mit polizeilicher Gewalt die Befolgung derselben durch. (S. 14)

Sehr interessant ist nun der Bezug zu Max Weber und dem deutschen Beamtentum:

Dabei werden die Menschen freilich entmündigt und zum Gehorsam gezwungen wie in den militarisierten Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Für den Zeitgenossen im Corona-Regime gilt, was Weber 1919 über den Beamten sagt:

‚Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat.‘ (S. 14f.)

Schönherr-Mann kommentiert diese Apologie staatlicher Gewalt des Beamtentums durch Max Weber:

Anders funktionieren die Corona-Maßnahmen nicht, die gar nicht erklärt werden können und an die daher geglaubt werden muss. (S. 15)

Nach dem litauischen Philosophen Emmanuel Levinas ist die „Zwischenmenschlichkeit“ Resultat einer „sozialen Beziehung“ von Menschen. (S. 16) Die Maske zerstört die Ethik und jede Zwischenmenschlichkeit. Warum aber trugen dann alle Maske und warum tragen die besonders Fanatischen sie weiterhin? Weil sie von den irrationalen und unwissenschaftlichen Virologen agitiert wurden oder weil sie hässlich sind, innen wie außen:

Die Maske wird von den Virologen gepredigt wie von den Hässlichen. Und nach Nietzsche hat sich die Moral der Hässlichen und Unerotischen durchgesetzt, die medizinisch wie religiös gepredigt wird. (S. 20)

Auch die Hinweise auf Ivan Illich und Michel Foucault, die Analyse von „Hospitalisierung als polizeiliche Hygienisierung“ (S. 54) sind erhellend.

Doch viele dieser kritischen Erkenntnisse Schönherr-Manns werden durch problematische Referenzen getrübt. Seine Bezüge zu Giorgio Agamben oder Gianni Vattimo, beide promoten auf ihre Weise antisemitische Tropen wie die Analogie heutiger rassistischer Flüchtlingspolitik mit der Shoah oder in der vulgäreren Variante bei Vattimo im Hass auf Israel. Wenn Schönherr-Mann sich vom „Wächterrat wie im Iran“ distanziert und eine durchaus nachvollziehbare Analogie dieses „Wächterrats“ zu den Zeugen Coronas sieht (S. 114), so verpasst er die pro-iranische, pro-islamistische Ideologie des schwulen, kommunistischen Katholiken Vattimo.

2014 schrieb ich in der Times of Israel (Blogs):

Gianni Vattimo (born 1936) is a Member of European Parliament for the Liberal Democratic alliance (ALDE). He is a renowned Italian philosopher, a follower of both Martin Heidegger and Karl Marx. He is a self-declared gay-communist Catholic. He could be a minority rights activist, right? Europe has plenty of homophobic tendencies, and Iran hangs gay men on a regular basis.

Early in 2014, Vattimo co-edited a book on “Deconstructing Zionism. A Critique of Political Metaphysics,” published by Bloomsbury (New York, London, New Delhi, Sydney). The book is dedicated to leading French philosopher Jacques Derrida, known for his anti-American agenda alongside with his friend Jürgen Habermas in 2003. They were the philosophical supporters of German-French anti-Bush-agitation at the time.

In his contribution to the book, Vattimo admits that his piece is a kind of autobiography: “How to become an anti-Zionist”. He writes about his generation, born around the Second World War, and raised with the idea that Jews deserved a state due to the Holocaust. For him the “myth” of “antifascist resistance” (against the Germans/Nazis) was accompanied and promoted by “American films” about Jews and Israel, which argued in favor of a Jewish state.

Vattimo starts his article with reference to anti-Israeli Ilan Pappé and the encounter with what both call “Nakba” or Palestinian history. Around 1968 Vattimo was a socialist fan of Israeli kibbutzim, ignoring “Nakba” as he recalls. Following conspiracy theories, Vattimo writes about the “unbelievable official version” of the US Government of 9/11. Several thousand of potentially lethal missiles from Hamas launched into southern Israel are called “totally harmless missiles.” For him, Holocaust denier and propagandist of a “world without Zionism,” Mahmoud Ahmadinejad, was and is a hero, who dared to attack Israel, the Jews, and American power.

Vattimo writes:

“Better still: the entire Gaza affair contributed in a decisive way, more than any other aspect of Israeli politics, to the idea (I believe with great likelihood) that against the risk of a return of refugees, which would entail the end of the ‘Jewishness’ of the State of Israel, this situation might see no other solution than the progressive extermination of Palestinian Arabs.”

Gianni Vattimo is a loudspeaker for former Iranian President Ahmadinejad and says:

“As to the idea of making the state of Israel ‘disappear’ from the map – one of the usual themes of the Iranian ‘threat’ – its sense may not be completely unreasonable: it could, and ought, according to us, mean that the State of Israel becomes a secular, democratic, non-racist state, without walls and without discrimination among its citizens.”

Vattimo concludes:“When Ahmadinejad invokes the end of the State of Israel, he merely expresses a demand that should be more explicitly shared by the democratic countries that instead consider him an enemy.”

For Vattimo, “memory of the Holocaust” “is imposed like a penalty”. He then takes aim at “Nazi hunters” (!) like French philosopher and critique of Heideggerian antisemitism, Emmanuel Faye. Vattimo attacks “Anglo-Saxon” “mainstream thinking of the Atlantic, North American” region and is upset about Chilean philosopher Victor Farias, another critic of Heidegger, for his linking – for good reason – of “Heideggerianism and Iranian Islamic thought”.

 

Schon 1989 bezog sich Schönherr-Mann auf Vattimo, der sogar ein Vorwort zum im gleichen Jahr erschienenen Band „Die Technik und die Schwäche. Ökologie nach Nietzsche, Heidegger und dem ‚schwachen‘ Denken“ schrieb.

Das Problem lag schon damals darin, dass Vattimo, wie es viele bis heute bei allen möglichen Typen tun, Heidegger als „vollkommener Bastard“ dem „übergroßen Denker“ aus Meßkirch gegenüberstellt. Und das ist ein kategorialer Denkfehler. Heidegger war gerade als Denker ein Nazi, nicht nur als zahlendes Mitglied der NSDAP. Somit sind Schönherr-Manns Bezüge auf Heidegger und dessen Text „Das Gestell“ (eigentlich „Ge-stell“) von 1949 fragwürdig. Heidegger wird als angeblicher Kritiker der Technik und Technisierung vorgestellt, was kaum falscher sein könnte. Schönherr-Mann schreibt 2022 in „Medizin als göttliche Gewalt“:

Da die Medizin durch und durch technisiert ist, trifft auf sie Heideggers Wort vom Gestell zu, wenn er 1949 schreibt: ‚Gestell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen.‘ Das Gestell ist nach Heidegger das Wesen der Technik, das nichts Technisches ist, sondern etwas Hermeneutisches, das die Welt zu verstehen gibt: In der technischen Welt versteht man Natur und Mensch technisch, in der medizinischen medizinisch: Man kann gar nicht mehr anders denken. Freilich ist das für Heidegger nicht Denken, sondern bloßes Rechnen, was aber den Zeitgeist noch besser auf den Begriff bringt. (S. 114f.)

Dieses Zitat bei Hans-Martin Schönherr-Mann präsentiert den zitierten Text „Das Ge-stell“ beschönigend und philosophisch problematisch. Ein kleiner Exkurs in das ‚Denken‘ Heideggers und zumal in diese Schrift Das Ge-stell ist daher angebracht.

Am 28. August 1947 schrieb der Kritische Theoretiker Herbert Marcuse einen Brief an seinen ‚Lehrer‘ Martin Heidegger:

Ein Philosoph kann sich im Politischen täuschen – dann wird er seinen Irrtum offen darlegen. Aber er kann sich nicht täuschen über ein Regime, das Millionen Juden umgebracht hat – bloß weil sie Juden waren, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was je wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit und Wahrheit verbunden war, in sein blutiges Gegenteil verkehrt hat.[10]

Am 20. Januar 1948 antwortet ihm Heidegger und sendet sechs durchnummerierte Aspekte. Beim letzten dieser Punkte meint er, Marcuse könne „Juden“ durch „Ostdeutsche“ ersetzen.[11] Damit war in der Tat der Historikerstreit des Jahres 1986, als der Revisionist Ernst Nolte meinte, Stalin habe schon vor Hitler gemordet und also sei der Zweite Weltkrieg und der Holocaust nur eine Reaktion gewesen, vorweggenommen.

Mehr noch. 1949 hielt Heidegger seine berüchtigten Bremer Vorträge (Das Ding, Das Ge-stell, Die Gefahr, Die Kehre). Was Schönherr-Mann nämlich nicht zitiert ist folgende Stelle aus „Das Ge-stell“, die den ganzen Revisionismus von Heidegger auf den Punkt bringt:

Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.[12]

2008 habe ich diese Passage und ihren erinnerungsabwehrenden Antisemitismus in einem fachwissenschaftlichen Artikel kritisiert.

Faye analysiert diese Passage wie folgt:

Indem Heidegger einen solchen Satz ausspricht, schließt er sich selbst aus der Philosophie aus und zeigt, dass er allen menschlichen Verstand verloren hat. Nachdem er in seinen Vorlesungen die Motorisierung der Wehrmacht als ‚metaphysischen Akt‘ gefeiert hatte – und man weiß, dass die ersten Vergasungen in Lastwagen durchgeführt worden sind – bedient er sich nun des globalen Charakters moderner Technik, um die nicht verallgemeinerbare Besonderheit des nationalsozialistischen Völkermords zu negieren und ihn mit einer der alltäglichsten Erscheinungsformen der modernen Technisierung des Daseins, der Verwandlung der Landwirtschaft in eine motorisierte Agrarindustrie zu vergleichen.[13]

Der Philosoph Hassan Givsan hat das „Ge-stell“ ebenfalls analysiert.[14]

In ‚Seminar in Le Thor 1969’ sagt Heidegger: ‚Ein ausgezeichneter Weg zur Annäherung an das Ereignis wäre, bis in das Wesen des Ge-stells zu blicken, insofern es ein Durchgang von der Metaphysik zum anderen Denken ist‘. Bedeutsam an diesem Satz ist, daß Heidegger hier das Ge-stell als den Durchgang von der Metaphysik zum anderen Denken, d.i. zum Heideggerschen Denken, ansieht. (…) An dieser Stelle muß ich eine Zwischenfrage aufnehmen. Es geht um die Frage, wie Heidegger zum Ge-stell steht. Es gehört zum Grundinventar der Heidegger-Literatur zum Thema ‚Ge-stell‘, daß Heidegger als ‚Kritiker‘ desselben dargestellt wird. Ich muß dem grundsätzlich widersprechen. Denn ich frage mich, wie kann Heidegger überhaupt etwas gegen das Ge-stell haben, wenn das Ge-stell die gegenwärtige Wesung des Seins ist.[15]

Den Holocaust trivialisierenden, universalisierenden, ja in seinem Kern leugnenden Satz vom „Ackerbau“, der „motorisierten Ernährungsindustrie“, die „im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern“ sei, zerlegt Givsan in seine Einzelteile und attackiert die Heidegger-Forschung frontal:

Sätze dieser Art gibt es mehrere in dem genannten Vortrag und in den anderen Vorträgen von 1949. (…) Nur eines sei gesagt: Der Satz wird als ‚Kritik‘ am Ge-stell aufgefaßt, weil man stillschweigend die Annahme macht, daß Heidegger, wenn er von ‚Fabrikation von Leichen‘ spricht, dies niemals ‚gutheißen‘ könne. (…) [Das] Grundfalsche daran besteht in der Frageebene der Annahme selber, nämlich ob ‚gutheißen‘ oder ‚nicht gutheißen‘. Denn das eine wie sein Gegenteil gehört zum ‚Denken in Werten‘, von dem Heidegger (1946) sagt, daß es ‚die größte Blasphemie (ist), die sich dem Sein gegenüber denken läßt‘. Also: Heidegger geht es nicht darum und kann es nicht darum gehen, ob etwas ‚gut‘ oder ‚nicht gut‘ ist. Das heißt: Die Rede von ‚Kritik‘ ist, da ‚Kritik‘ hier und in solchen Zusammenhängen allein ein ‚wertendes Ablehnen‘ meinen kann, schlicht falsch.[16]

Heidegger denkt das „Sein“ („Seyn“), aber gerade nicht das Seiende, nicht das Was-hafte. Die gesamte Philosophie von Martin Heidegger ist eine „schlechthinnige Entmenschung des Menschen als Menschen“.[17]

Sich nach der Publikation der „Schwarzen Hefte“ weiterhin nicht mit dem Antisemitismus von Heidegger zu befassen, oder ihn als Schrulle abzutun, ohne ihn in der gesamten anti-metaphysischen Seinsphilosophie zu finden, ist schon bemerkenswert.

Manchmal ist Schönherr-Manns Text auch ein arges eklektizistisches Rumgehüpfe zwischen philosophischen Texten aus Jahrtausenden, ohne viel Erkenntnisgewinn. Andere Stellen mögen Anregung sein zu mehr Forschung wie die Kritik am Ende der Gewaltenteilung im Corona-Regime, Machiavelli oder Hobbes und seine Kritik am NS-Juristen Carl Schmitt. Sein unbedarftes Heranziehen von Israelfeinden wie Judith Butler[18] in einer seiner Vorlesungen (Video) oder sein permanentes Zitieren von Hannah Arendt, ohne auch nur einmal den internationalen Forschungsstand zu ihren skandalösen Texten „Zionism Reconsidered“ sowie „Eichmann in Jerusalem“ zu erwähnen, ist wissenschaftlich und politisch schwach.[19] Sein Bezug auf Butler ist besonders faktenfrei, da sich Butler entgegen der Hoffnung von Schönherr-Mann oder seiner instrumentellen Aneignung anderer Texte von Butler, exakt im Rahmen des Corona-Regimes verhalten hat. Ende April 2020 fabulierte Butler, dass alle Menschen gleich vulnerabel seien, was empirisch schon damals völlig falsch war.[20]

Es ist ärgerlich oder bezeichnend (?), dass Schönherr-Mann auch mit den nach ganz rechts offenen Protagonisten der Coronapolitik-Kritik wie Gunnar Kaiser sprach. In der Tageszeitung Die Welt hat der Journalist Mladen Gladic Ende Januar 2021 eine Kritik an Kaiser publiziert, die gleichermaßen Impffanatiker und Menschenfeinde kritisiert, aber bei Kaiser eine „rote Linie“ überschritten sieht.

Insgesamt allerdings sind die Einwürfe von Schönherr-Mann interessante Hinweise auf philosophische Anknüpfungspunkte zur Kritik der irrationalen Coronapolitik und häufig pointierte und fundierte Widersprüche gegen das herrschende Corona-Regime. Die beiden letzten Sätze in „Medizin als göttliche Gewalt“ bringen die Kritik wunderbar auf den Punkt:

Die Medizin ist an die Stelle der Religion getreten und ihre Anhänger erscheinen als untertänige Gläubige. Man lernt langsam den Sinn von Nietzsches großer Verachtung. (S. 121)

 

Nach dieser Analyse von erinnerungsabwehrendem Antisemitismus geht es in Teil 3 um heutige, ganz offene Formen von Juden- und Israelhass.

 

 

[4] Henning Eichberg (1978c): Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes und die Veränderung der Gesellschaft, in: Stadion, H. IV, S. 262–291. Die Herausgeber waren Wolfgang Decker und Manfred Lämmer, die Redaktion hatte Hartmut Becker vom Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln. Eichberg war eines von fünf Mitgliedern im „Beratenden Komitee“ von Stadion.

[5] Zu Eichbergs Beschäftigung mit Jahn und dessen ›grünen‹ Anteilen sagt der anerkannte Historiker Dieter Langewiesche: „Sehr anregend dazu Henning Eichberg: Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes“ (Dieter Langewiesche (2000): Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland, München (C. H. Beck), S. 253, Anm. 52).

[6] Eichberg 1978c, S. 265.

[7] Ebd., S. 290.

[8] Ebd., Herv. C. H.

[9] Eleonore Sterling (1956)/1969: Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815–1850), Frankfurt a. M. (Europäische Verlagsanstalt), S. 148 f. Diese Studie ist erstmals 1956 unter dem Titel „Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland 1815–1850“ in München erschienen.

[10] Emmanuel Faye (2005)/2009: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935, Berlin: Matthes & Seitz, S. 403.

[11] Ebd., S. 405.

[12] Zitiert nach ebd., S. 406.

[13] Ebd.

[14] Hassan Givsan (1998): Heidegger – das Denken der Inhumanität. Eine ontologische Auseinandersetzung mit Heideggers Denken, Würzburg: Königshausen & Neumann (zgl. Habil. TU Darmstadt).

[15] Ebd., S. 291f.

[16] Ebd., S. 295.

[17] Ebd., S. 477.

[18] Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus (= The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Nahen Osten, Band 2), Berlin: Edition Critic.

[19] Siehe dazu Elhanan Yakira (2006)/2010: Post-Zionism, Post-Holocaust. Three Essays on Denial, Forgetting, and the Delegitimation of Israel. Translated by Michael Swirsky, Cambridge: Cambridge University Press.

[20] “Judith Butler: On the one hand, the pandemic exposes a global vulnerability. Everyone is vulnerable to the virus because everyone is vulnerable to viral infection from surfaces or other human beings without establishing immunity”, https://truthout.org/articles/judith-butler-mourning-is-a-political-act-amid-the-pandemic-and-its-disparities/. In einem Video-Interview von Juli 2020 hat Butler weiterhin keinerlei substanielle Kritik an Lockdowns oder Masken, vielmehr fantasiert sie von „Solidarität“, die es in Großbritannien bzw. UK in Teilen der Bevölkerung gegeben habe, zu der extrem unsolidarischen Konsequenz der westlichen Coronapolitik auf die Länder im Globalen Süden, wo laut Schätzungen des World Food Programmes bis zu 270 Millionen Menschen mehr hungern werden aufgrund der Coronapolitik, sagt sie nichts, https://www.versobooks.com/blogs/4807-judith-butler-on-covid-19-the-politics-of-non-violence-necropolitics-and-social-inequality. Allein diese beiden Quellen zeigen, wie widersinnig es ist, gerade Judith Butler in eine Vorlesung zur philosophischen Kritik der Coronapolitik aufzunehmen. Zu Butler siehe auch Edward Alexander (2006): Antisemitism-Denial: The Berkeley School, in: Edward Alexander/Paul Bogdanor (Hg.), The Jewish Divide over Israel. Accusers and Defenders, New Brunswick/London: Transaction Publishers, S. 195–207.

 

Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele (Teil 1)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Der folgende Text ist Teil 1 eines Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) zum Thema Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele.

1. Ukraine, Holocaustverharmlosung, „Vernichtungskrieg“ und „Zivilisationsbruch“

Einer der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein, sprach am 22.04.2022 im ZDF-Morgenmagazin über einen Antrag der CDU/CSU im Bundestag für die Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine (wer wirklich gute Nerven hat, kann sich das in der Mediathek anschauen). Am 28.04.2022 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Damit ist Deutschland seit 1945 das erste Mal wieder im Krieg gegen Russland. Die Ukraine hat schon angekündigt, auch Ziele in Russland anzugreifen, damit wäre Deutschland Teil eines Angriffskrieges auf das Territorium Russlands.

In diesem knapp fünfminütigen Gespräch im ZDF, das pars pro toto für die aktuelle deutsche Ideologie steht, verharmlost dieser CDU-Politiker den Holocaust auf bemerkenswerte Weise. Er verwendet erstens das Wort „Vernichtungskrieg“, um den ganz normalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der sich um gar nichts vom Angriffskrieg auf Jugoslawien von der NATO und Deutschland 1999 oder von den USA und ihren Verbündeten 2003 im Irak, von Saudi-Arabien bis heute im Yemen und von unzähligen weiteren Kriegen seit 1945 unterscheidet, zu dämonisieren. Es würde was ganz besonders Schreckliches in der Ukraine passieren. Und dann verwendet dieser zwar sicher nicht sonderlich gebildete, aber doch immerhin mit einer enormen Machtfülle ausgestattete CDU-Politiker gar das Wort „Zivilisationsbruch“, der von Russland und Putin in der Ukraine verbrochen werden würde:

Es ist nicht nur ein rechtswidriger Angriffskrieg, sondern ein Zivilisationsbruch sondergleichen.

Weiter fabuliert der CDU-Großagitator unwidersprochen vom ZDF-Moderator:

Die Freiheit Deutschlands und Europas wird zur Zeit in der Ukraine verteidigt.

Das ist natürlich pure faktenfreie Propaganda. In der Ukraine wird überhaupt nichts verteidigt, außer eben der Ukraine. Wenn jemand eine Gefahr für Europa darstellt, dann ist es die Ukraine mit ihren Tausenden Neonazis, die schwer bewaffnet und politisch gut vernetzt sind. Sollte die Ukraine in die EU aufgenommen werden, hätte die EU nicht nur einen extrem korrupten Oligarchenstaat an der Backe, sondern auch diese brutalen Extremisten.

In dem Vortrag „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ von 1962, den der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno vor dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hielt, geht es um „Krypto-Antisemitismus“.[1] Es geht um das Gerücht, das Tuscheln, aber es geht auch um die Erinnerungsabwehr, daher der von Adornos Mitarbeiter Peter Schönbach kreierte Begriff „sekundärer Antisemitismus“.[2] Was damals „Dresden“ war ist heute „die Ukraine“:

Beispiel: das beliebte Schema des Aufrechnens; daß es zwar wahr sei, soundso viele Juden wären umgebracht worden; ‚Krieg‘ – so wird einem dann bedeutet – ‚sei Krieg, dabei flögen eben Späne, aber Dresden wäre doch auch entsetzlich gewesen‘. Kein Vernünftiger wird das bestreiten, wohl aber das ganze Schema des Denkens, die Vergleichbarkeit von Kriegshandlungen mit der planmäßigen Ausrottung ganzer Gruppen der Bevölkerung.“[3]

Ja, mehr noch: Von der Kollaboration ukrainischer Antisemiten und Judenmörder ist von dem CDU-Typen nichts zu hören. Dabei stehen in Dutzenden Städten in der Ukraine Büsten, Statuen oder Denkmäler zu Ehren solcher Antisemiten. Viele Straßen und Plätze sind nach ihnen benannt. Nehmen wir Yaroslav Stetsko als Beispiel. Zu seinen Ehren steht in der Großstadt Ternopil, ca. 130 km südöstlich von Lwiw („Lemberg“, früher Galizien), eine Büste. Wer war Stetsko? Ich komme gleich auf ihn zurück.

Verharren wir erst einmal kurz bei dem CDU-Politiker. Was motiviert ihn, den Vernichtungskrieg der Deutschen mit dem ganz normalen Krieg gerade Russlands zu analogisieren? Es liegt nahe, unterbewusst genau jene antisemitische Denkweise zu erahnen, die eben aufrechnet und damit erstens den Holocaust verharmlost und in die ganz normale Geschichte von Kriegen einbettet und zweitens somit eine stabilere deutsche nationale Identität zulässt – wenn doch andere überhaupt nicht besser sind als die Nazis damals.

All das fällt niemand mehr auf, der Mainstream stoppt solche Agitation nicht nur nicht, sondern befördert sie tagtäglich mit solchen Sendungen, den die Demokratie täglich mehr zerbröselnden, so einseitigen wie unwissenschaftlichen Talkshows, und den a-sozialen Medien vorneweg.

In diesem Fall hat die CDU mit solchen Statements Scholz und die SPD vor sich hergetrieben und am heutigen Donnerstag, 28.04., weilt der Kanzler in Japan, während der Bundestag das erste Mal in seiner Geschichte de facto einen Krieg an Russland erklärt. Was für ein historisches Versagen von Olaf Scholz und fast aller Deutschen. Scholz ist für diese seit 1945 nie dagewesene Kriegsbegeisterung, dafür waren die Deutschen ja zuvor schon berüchtigt, dankbar, wie für nichts in seinem Leben, wie es scheint:

Das Treffen der NATO auf dem US-Stützpunkt Ramstein vor wenigen Tagen unterstreicht, dass sich Deutschland, Amerika und fast der ganze Westen als Kriegstreiber verstehen. Die restliche Welt – also die übergroße Mehrzahl der Weltbevölkerung! – allerdings überhaupt nicht. Der Großteil der Weltgemeinschaft, China, Indien, Brasilien, Mexiko, Nigeria, ja ganz Mittel- und Südamerika, ganz Afrika, ganz Nahost (Israel ist gespalten, aber nicht so aggressiv gegen Russland wie Europa oder die USA) und ganz Asien (außer Japan) machen bei der Dämonisierung Russlands nicht mit, ohne den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands zu verharmlosen.

Die fünf Milliarden Euro, die der Westen, vor allem die USA, an Kriegsmaterial für die Ukraine bereitstellen, sind ein Freudenfest für die Rüstungsindustrie und werden noch mehr Menschen in der Ukraine töten. Diplomatisch wird der Krieg beendet, mit Waffenlieferungen wird er verlängert und Deutschland wie die USA und alle anderen – außer der Schweiz, die jetzt nicht mitmacht und keine Munition liefert für die deutschen Panzer – kokettieren mit Provokationen und einem Atomkrieg oder dritten Weltkrieg.

Dabei ist der Angriff Russlands auf die Ukraine zwar klar völkerrechtswidrig, aber das war der Irak-Krieg auch und das ist der aktuelle und viel mörderischere Krieg im Jemen (u.a. von Saudi-Arabien) auch, ohne jeden Aufschrei in Europa, die Opfer sind aber auch keine weißen blonden Frauen. Und entscheidend ist nun mal, wer stirbt und wer dafür verantwortlich ist. Wenn dunkelhäutige, jedenfalls nicht europäische (Australien, Neuseeland, Amerika und Kanada zählen als Ableger von Europa) Menschen in Nahost oder Afrika in Kriegen getötet werden, dann ist das keinen Aufschrei wert, Saudi-Arabien ist ja ohnehin schon ein extremer Waffenimporteur und zahlt auch gut, vor allem aber sind die Opfer weit weg und es sind keine Weißen.

Also ist der Krieg im Jemen kein Skandal, sicher gibt es auf Arte mal eine Doku zum Thema, aber keine Brennpunkte, keine Treffen in Ramstein oder Washington, D.C. Es geht um den Kapitalismus in der Ukraine, der muss mit aller Gewalt fest in westlicher Hand bleiben, Korruption hin oder her, und es geht um eine Umschreibung der Geschichte. Endlich kann das einzige Land, das wirklich mit unfassbarer Kraft und unbeschreiblichen Verlusten gegen Nazi-Deutschland kämpfte, selbst mit den Nazis in eine Linie gesetzt und ein neues Nürnberger Tribunal (heute z.B. in Den Haag) geplant werden.

Russland ist das größte Land Europas. Jetzt wird massiv daran gearbeitet, Russland und alle außerhalb Russlands lebenden Russinnen und Russen zu diffamieren und ökonomisch, sozial, kulturell auszuschließen. Es werden Konzerte mit Musik von Tschaikowsky abgesagt und Dirigenten entlassen, wenn sie nicht den Kopf von Putin gefordert haben. Diese antirussische Hetze muss umgehend aufhören.

Es muss auf diplomatischem Wege verhandelt werden. Die Ukraine muss über den Status der Ostukraine verhandeln und erklären, dass ihr militärischer Kampf gegen offenkundig Abtrünnige, der seit 2014 über 14.000 Menschenleben gekostet hat, verloren ist und es um eine Autonomie von Luhansk und Donezk gehen muss. Die Krim hat sich bereits vor Jahren in einem Referendum zu Russland bekannt, was nicht weiter verwundert, wenn man historisch argumentiert und daran erinnert, dass die Krim der Sowjetrepublik Ukraine 1954 „geschenkt“ wurde, also willkürlich Teil des Staatsgebietes wurde, nachdem es zuvor 170 Jahre russisch war und heute wieder russisch sein möchte.

Der Kern aber des Konflikts ist die Aggression durch NATO Manöver in der Ukraine seit Jahren. Der Putsch von 2014, der von den USA massiv unterstützt wurde, brachte die Ukraine endgültig auf einen ethnonationalistischen Kurs. Das heißt nicht, dass Putin und Russland nicht ebenso Ethnonationalismus betrieben und mit Dugin einen Heidegger affinen rechtsextremen Vordenker haben, der ideologisch den Kreml befeuert. Doch in Deutschland wie den USA und Europa wird der Konflikt völlig einseitig dargestellt, ein Schwarz-Weiß-Denken wie zu Zeiten des Kalten Krieges reaktiviert. Ukraine=gut, Russland=böse. Und so einfach ist die Welt nicht. Wer von dem Versprechen der USA und von Helmut Kohl, die NATO würde sich „keinen inch“ ostwärts ausbreiten nach 1990, nicht reden will, soll vom Ukrainekrieg schweigen.

Es muss um einen sofortigen Waffenstillstand gehen. Verhandlungen sind das Gebot der Stunde. Was aber macht der Westen? Er torpediert jede Verhandlung, indem er sich vollständig (sofort oder bis 2027) von russischem Öl oder Gas unabhängig machen will. Damit soll Russland tatsächlich komplett von Europa entfernt werden, so wie die offenbar in Kategorien von Sippenhaft denkenden Verantwortlichen des Tennisturniers in Wimbledon, die alle russischen und weißrussischen (!) Sportler*innen ausgeschlossen haben. Auch die UEFA und FIFA haben Russland ausgeschlossen, ja fast alle Sportverbände haben die Russen ausgeschlossen. So beendet man den Krieg in der Ukraine keine Sekunde eher, doch damit wird Vertrauen zerstört und regelrechter Hass auf alle Russen und alles Russische in einem seit 1945, selbst zu Zeiten des Kalten Krieges nicht dagewesenen Maß geschürt.

Die Ukraine muss unmissverständlich klar machen, dass sie sich von Holocausttätern, für die Denkmäler gebaut wurden, distanziert, dass sie nie in die NATO aufgenommen werden möchte und als Brückenland zwischen Russland und dem westlichen Europa fungieren könnte. Dafür gibt es Sicherheitsgarantien von Russland, die international abgesichert werden.

Auch der Angriffskrieg Deutschlands und der NATO gegen Serbien 1999 war ein Verbrechen. Es war ein doppeltes Verbrechen, erstens an der Bevölkerung in Serbien und zweitens an der Erinnerung an Auschwitz, das auf widerwärtige Weise vom damaligen (wie heute: grünen) Außenminister instrumentalisiert, ja in seinem Kern geleugnet wurde.

Diese Leute im Gefolge des US-Außenministers Austin wollen nicht etwa das Ende des Krieges in der Ukraine, sondern – völlig wahnsinnig – einen Sieg der Ukraine. Jeder Panzer, jedes Maschinengewehr und jede Flugabwehrrakete wird mehr Menschen in der Ukraine töten. Also will die deutsche Bundesregierung, dass noch mehr Menschen in der Ukraine sterben. Und natürlich will sie Russen töten, das ist eh klar. Deutschland will wieder Russen töten, das muss man sich klar machen, 77 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus. Die Rote Armee kämpfte gegen die ukrainischen Nationalisten und Antisemiten, die Teil von SS-Divisionen waren und der Wehrmacht halfen, Juden und Polen zu massakrieren. Die deutschen Waffen sollen auch helfen, die Denkmäler, die es in der ganzen Ukraine zu Ehren dieser Antisemiten und Holocaustbeteiligten gibt, zu schützen, denn das ist eine Konsequenz der militärischen Unterstützung dieses Landes.

Die jüdische Zeitung Forward hat eine umfangreiche Forschung des Journalisten Lev Golinkin publiziert, wo er das Gedenken an Antisemiten, Nazikollaborateure und Judenmörder weltweit dokumentiert. Die Ukraine hat ein besonders langes Kapitel. So heißt es über Stetsko:

Ternopil — A bust of the genocidal Yaroslav Stetsko (1912–1986), who led Ukraine’s 1941 Nazi-collaborationist government which welcomed the Germans and declared allegiance to Hitler. A rabid antisemite, Stetsko had written “I insist on the extermination of the Jews and the need to adapt German methods of exterminating Jews in Ukraine.” Five days prior to the Nazi invasion, Stetsko assured OUN-B leader Stepan Bandera: “We will organize a Ukrainian militia that will help us to remove the Jews.”

Das war die Ideologie des Vernichtungskrieges. Da mordeten die Wehrmacht, andere Nazi-Einheiten wie die SS oder die Einsatzgruppen Hand in Hand mit ukrainischen Nationalisten um Bandera (Organisation ukrainischer Nationalisten, OUN-B) oder Melnyk (OUN-M). Auch solche Denkmäler sollen jetzt mit deutschen Panzern und Geschützen verteidigt werden.

Es ist falsch, wenn Putin oder Russland von einem „Genozid“ im Donbass reden, genauso falsch wie die Rede von einem Genozid an den Ukrainern. Es ist aber für die politische Kultur der Ukraine schockierend, dass dort nach Antisemiten und Mördern, die nachweislich am Holocaust beteiligt waren, Denkmäler in der heutigen Ukraine errichtet wurden – fast alle seit Anfang der 1990er Jahre, als die heutige Ukraine entstand.

Aktuell im Kampf um Mariupol hat Putin die russische Armee und ihre Verbündeten angewiesen, das von ukrainischen Kämpfern gehaltene Stahlwerk nicht zu stürmen, sondern den Bewaffneten wie einigen dort verschanzten Zivilisten die Möglichkeit zu geben, sich zu ergeben. Das ist kein Vernichtungskrieg.

Im ZDF aber darf der CDU-Politiker eine direkte Linie vom Holocaust zum heutigen, alles nur nicht auf die Vernichtung der Bevölkerung gerichteten Krieg Russlands ziehen:

Auf dem Gebiet der Ukraine ist der Angriffskrieg von Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion mit besonderer Brutalität und Härte geführt worden.

Es ist exakt dieses oben analysierte Aufrechnen, das der CDU-Politiker hier betreibt. Das ist sekundärer Antisemitismus nach Adorno.

Da redet der Nicht-Historiker von der CDU von einem „Angriffskrieg“, doch das war tatsächlich der Vernichtungskrieg. Und bei diesem Vernichtungskrieg und im Holocaust waren gerade die Ukrainer aktiv beteiligt und enge Nazi-Kollaborateure. Nach einigen dieser Massenmörder sind heute in der Ukraine Straßen und Plätze benannt, nicht nur nach Stepan Bandera, dem bekanntesten Nazi-Kollaborateur und Antisemiten, sondern auch nach Roman Shukhevych, ukrainischer Nationalist und Massenmörder bei der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), Roman Rudiy, Mitglied der SS-Division Galizien, Yaroslav Stetsko, Kopf der ukrainischen Regierung, die mit der Wehrmacht und den Nazis zusammenarbeitete.

Im März 2021 wurde ein Fußballstadion in der Stadt Ternopil nach Roman Shukhevych benannt, was zu einem Protest des Simon Wiesenthal Centers bei der FIFA und zu einem Aussetzen der städtepartnerschaftlichen Kooperation mit der polnischen Stadt Zamość führte. Heute: alles vergessen, Waffen für die Ukraine!

Der Historiker Per A. Rudling hat den Antisemitismus, die völkische Purifikationsideologie („Ukraine den Ukrainern“) und die Pro-Nazi-Ideologie in einem wissenschaftlichen Aufsatz analysiert:

[The OUN periodical] Visnyk subscribed to a conspiratorial worldview. It perceived Bolshevism as a tool of Jewish dominance. The United States, as well as the Soviet Union, were controlled by Jewry, nationalist ideologues argued, and Jewish interests were setting Britain, France, and the United States against Nazi Germany. Referring to the United States, Visnyk spoke of “120 million Aryans over the ocean, under the yoke of Israel.” When Mussolini introduced anti-Semitic legislation in 1938, Visnyk approvingly cited the “practical realization” of the “Jewish question” in Fascist Italy. Nationalist intellectuals like Dontsov and Martynets presented the OUN with a racial theory.

Their repeated rejection of assimilation suggests that the OUN had internalized and “wholeheartedly accepted” a full- fledged, racial, anti-Semitic discourse by the late 1930s.36 The OUN described the 1918–1919 pogroms during the civil war in Ukraine as part of a “social liberation struggle.” Radicalized over the 1930s, anti-Semitism became particularly prominent between 1939 and 1943, reaching a high point in 1941–1942.

Leading members of the Bandera wing wanted Ukrainian Jews killed or removed, and offered to participate in the process. 39 In April 1941, the OUN(b) declared that they “combat Jews as supporters of the Muscovite-Bolshevik regime.” Its propaganda directives in the following month demanded the destruction of the Jews: “Ukraine for the Ukrainians! . . . Death to the Muscovite-Jewish commune! Beat the commune, save Ukraine!”

Soviel zu Stepan Bandera, seinem und der OUNs Antisemitismus. Warum der ukrainische Botschafter Melnyk, der am Grab von Bandera in München Blumen niederlegte und die Neo-Nazi Militärs der Asow-Einheiten feiert, ja sich Kritik verbittet und zugleich ein großer Fan des Antisemiten Bandera ist, weiterhin Botschafter in diesem Land sein darf, ist ein Rätsel. Zu normalen Zeiten wäre ein solcher Pöbler längst ausgewiesen worden. Aber die Politik von Scholz entspricht ja der Agitation des ukrainischen Botschafters, auch wenn der am liebsten Atomraketen hätte oder wenigstens das Verbot der russischen Sprache auf deutschen Schulhöfen etc.

Der Forward betont, dass auch in Deutschland weiterhin Krankenhäuser, Seenotrettungsschiffe, Straßen, Plätze oder Universitäten nach NS-Kriegsverbrechern und Antisemiten benannt sind wie nach Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Das war der letzte Krupp als Leiter des Krupp Konzern. Wegen Sklavenarbeit bei den Krupp-Werken, wo er ab 1943 alleiniger Chef war, wurde er in den Kriegsverbrecherprozessen 1947 zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt, aber 1951 von den Amerikanern begnadigt.

Seit 1931 war Alfried Krupp (1907-1967) ein eifriger Nazi und Förderer der Schutzstaffel (SS), seit 1938 Mitglied der NSDAP. Als er im Februar 1951 vorzeitig entlassen wurde, gab es Jubelstürme in Essen und er konnte zurück in die Villa Hügel fahren, wo er aufgewachsen war. Dass diese Villa eines Hauptkriegsverbrechers nicht enteignet und den Opfern der Politik der Krupp-Familie übergeben wurde, das ist symptomatisch für das Beschweigen und tatkräftige Beklatschen von Nazis in der frühen Bundesrepublik Deutschland, die ein post-nationalsozialistischer Staat war, der seine eigenen Verbrechen beschwieg und affirmierte.

Heute heißen zum Beispiel folgende Einrichtungen nach Alfried Krupp von Bohlen und Halbach:

Das Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald, das Alfried Krupp Krankenhaus in Essen, der Seenotrettungskreuzer Alfried Krupp, ein Lehrstuhl für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Bucerius Law School sowie das Alfried Krupp College auf dem Campus der Jacobs University Bremen sind nach ihm benannt.

Der Forward-Artikel erwähnt noch weitere Nazis, nach denen Straßen oder Plätze etc. in Deutschland benannt sind, bis heute:

The country is strewn with streets honoring Wernher von Braun, who built rockets used to kill civilians in Allied nations; more than 10,000 concentration camp prisoners died constructing these weapons.

There are also streets named for Friedrich Flick, whose steel empire was built on the expropriation of Jewish businesses; Max Ilgner, an executive for IG Farben which produced the Zyklon B gas for the Auschwitz gas chambers; Albert Reinmann Jr., whose plants abused prisoners to the point where even the local Nazi Party office had to step in; and Ferdinand Sauerbruch, who headed the medicine branch of the Third Reich office responsible for authorizing horrific experiments on concentration camp inmates.

Oder denken wir an den Nazi, SS-Mann und Ariseur Hans Martin Schleyer, nach dem in Stuttgart eine Halle und in Esslingen am Neckar eine Brücke benannt sind.

Von all dem spricht der CDU-Politiker natürlich nicht. Er verharmlost aber Auschwitz und den Holocaust wie in Babi Yar unweit von Kiew, wenn er heute bei einem ganz normalen, schrecklichen, aber eben typischen Krieg wie im Blutdurst von einem „Zivilisationsbruch“ daherredet. Wadephul ist ganz stolz auf die deutsche Rüstungsindustrie, die sofort Panzer und schwere Waffen in die Ukraine liefern könnte – wäre Olaf Scholz bislang nicht so zögerlich in dieser Hinsicht.

Es ist ähnlich schockierend, dass da ein ZDF-Journalist bei der antisemitischen Rede vom „Zivilisationsbruch“, der hier und heute in der Ukraine geschehe, nicht abbricht oder die Frage stellt, ob dieser CDU-Mann überhaupt weiß, was der Zivilisationsbruch war. Denn das weiß dieser CDU-Politiker aus Schleswig-Holstein offenkundig nicht. Sonst wüsste er ob der Differenz von industriellem Massenmord an einem Volk, dem Töten um des Töten Willens in der Shoah, dem sechs Millionen Juden den Deutschen und ihren willigen Helfern wie in der Ukraine zum Opfer fielen, und einem ganz typischen Krieg.

Wer angesichts dieses ganz normalen Krieges, der nicht anders abläuft – eher harmloser – denn der Vietnam-Krieg oder der Irak-Krieg der Amerikaner oder ganz aktuell der äußerst blutige Krieg im Jemen, der schon bis zu 300.000 Tote gefordert hat, völlig durchdreht und von „Zivilisationsbruch“ daherredet, ist eine Gefahr für die Demokratie und die Holocausterinnerung.

Im Krieg herrscht Gewalt, aber vor allem geht es um Interessen. Es geht um Expansion, um Macht und Herrschaft.

Im Holocaust ging es weder um Interessen, noch um Expansion, Macht oder Herrschaft. Es ging um die Vernichtung der europäischen Juden. Jegliches Vertrauen in die Rationalität eines Kriegsteilnehmers wurde dort dementiert. Entgegen jeder Kriegslogik wurden die Juden vernichtet. Nichts auch nur im kleinsten Ansatz Vergleichbares passiert aktuell in der Ukraine oder im Jemen etc.

Es ist obszön, infam, unerträglich wie hier dieser CDU-Politiker Auschwitz verharmlost und das ZDF sendet es ohne Widerspruch, dem ZDF-Moderator ist es nur etwas zu vorschnell, dass die Deutschen ausgerechnet „Panzer“ liefern wollen, was doch nicht mal die Amerikaner, Franzosen oder Briten täten. Aber mit den Worten „Vernichtungskrieg“ und „Zivilisationsbruch“ hat der ZDF-Mann kein Problem, sonst hätte er da nachgehakt oder – wäre er konsequent – wegen antisemitischer Verharmlosung von Auschwitz dem CDU-Mann den Saft abgedreht.

Was unterscheidet Auschwitz, Sobibor, Treblinka und den Holocaust von allen anderen Verbrechen in der Geschichte der Menschheit? Dass sie mit jeglicher zivilisatorischen Gewissheit gebrochen haben. Sklaven wussten, dass sie am Leben bleiben, wenn sie sich so oder so verhalten, Kriegsteilnehmer konnten damit rechnen, gefangen genommen zu werden. Auch die auf geradezu widerwärtige Weise instrumentalisierten „Vergewaltigungen“, die dieser CDU/CSU-Vize hier erwähnt, sind bekanntlich in jedem Krieg Teil der Gewalt. Das ist kein Zivilisationsbruch.

Was war der Zivilisationsbruch? In diesem Band von 1988 steht:

Und indem Menschen der bloßen Vernichtung wegen vernichtet werden konnten, wurden auch im Bewußtsein verankerte Grundfesten unserer Zivilisation tiefgreifend erschüttert – ja gleichsam dementiert.

Weiter heißt es im Vorwort des Herausgebers Dan Diner:

Nicht die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion des Menschheitsverbrechens, sondern anhand des eingetretenen Dementis von auf Selbsterhaltung und Überleben gerichteten Denk- und Handlungsformen wird der Bruch offenbar, den Auschwitz zivilisatorisch tatsächlich bedeutet.

Die Journalistin Claudia Mäder sieht in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die Inflation der maximalen verbalen Verdammung sehr kritisch. Treffend und ziemlich fassungslos geht sie auf ein Video der deutschen Bundesregierung von November 2020 zu Zeiten der Corona-Krise ein, wo ein alter Mann rückblickend diese Zeit des Rumlümmelns auf dem Sofa – dem totalitären Lockdown! – wie als Erinnerung an den „Krieg“ gegen Corona beschreibt. Und da als erster wohl der französische Präsident Macron vom „Krieg gegen ein Virus“ schwadronierte, ist es jetzt angeblich zu wenig, das, was Russland aktuell macht, einfach nur „Krieg“ zu nennen. Dabei war bis März 2020 Krieg eigentlich schon schlimm genug.

Und, ja, die russische Polizei kontrolliert sehr wohl, was die Leute so chatten oder welche Kanäle und Seiten sie in der Chronik haben etc. Auf der anderen Seite hat der andere Vladimir (Selenskyi) Oppositionsparteien verboten und Medien gleichgeschalten. Welche deutschen Medien und welche Politiker*innen der Regierung berichten von Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine, die zum Militär- und Kriegsdienst gezwungen werden? Was für eine „Demokratie“ soll die Ukraine sein, die 18-60-jährigen Männern die Ausreise, also Flucht verweigert?

Wer heute Waffen an die Ukraine liefert, möchte unweigerlich, dass noch mehr Menschen in der Ukraine sterben. Sicher ist die unterbewusste Hauptmotivation dieser Waffenlieferungen das Töten von Russen, sehr wohl als Revanche für 1945 und den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Wenn doch Putin irgendwie mit Hitler in einem Atemzug genannt werden kann, ja wenn beide jeweils einen „Zivilisationsbruch“ zu verantworten haben, dann sind wir endgültig quitt.

Wer jedoch heute von einem „Zivilisationsbruch“ faselt, möchte die Verbrechen der Deutschen im Holocaust diminuieren, ja diese Universalisierung leugnet das Nie Dagewesene und auch seither nie wieder Stattgefundene von Auschwitz, Sobibor, Babi Yar und Treblinka.

Wobei diesen Gedanken der Gleichsetzung von Rot und Braun oder von Moderne und NS, Landwirtschaft und Gaskammer schon kurz nach 1945 der einflussreichste deutsche Denker und Philosoph des 20. Jahrhunderts – dem eine gewisse Rolle auch bei den Coronapolitik-Kritiker*innen attestiert werden kann – formuliert hat, wie Teil 2 zeigen wird.

 

[1] Theodor W. Adorno (1962)/1998: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Ders., Gesammelte Werke, Band 20/1, S. 360–383, hier S. 363.

[2] Ebd., S. 362.

[3] Ebd., S. 368.

 

Mit Max Horkheimer gegen 2G oder Ehud Qimron, Tel Aviv University, Neustadt am Rübenberge und das Versagen des Hauses am Wannsee…

Von Dr. phil. Clemens Heni, 20. Januar 2022

 

Der Publizist und Historiker Hubert Brieden hat sich jahrzehntelang mit dem Antisemitismus einer westdeutschen Kleinstadt in Niedersachsen beschäftigt: Neustadt am Rübenberge. Er hat sich für die Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Juden aus Neustadt eingesetzt, 2000 einen preisgekrönten Essay und Radiobeitrag zum Thema publiziert,

und später Stolpersteine verlegen lassen. Die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover Ingrid Wettberg hielt im März 2014 eine Rede dazu:

 

Schließlich hat Brieden mit dem AK Regionalgeschichte es doch noch geschafft, dass ein Mahnmal für die vertriebenen und ermordeten Neustädter Juden errichtet wurde, das am 4. November 2018 eingeweiht wurde.

Brieden geht auf die rassistischen Morde an Flüchtlingen und Migrant*innen durch Neonazis in den 1990er Jahren ein, auf den Antisemitismus bei alten und neuen Nazis und auf das Vertuschen der Vertreibung und Ermordung der Juden nach 1945, wo die gleichen Eliten wie zuvor wieder ans Ruder kamen:

Bereits 1950 wurde der einflussreichste Nazi vor Ort, Bauunternehmer Wilhelm Rahlfs, als Chef der wiedergegründeten, einflussreichen Neustädter Schützengesellschaft vom Rat mit der Durchführung des ersten Nachkriegsschützenfestes beauftragt. Damit qualifizierte er sich – jetzt zur FDP konvertiert – erneut für politische Ämter. 1956 wurde er zum Bürgermeister der Ackerbürgerstadt gekürt. Obersturmbannführer Rahlfs war als Schläger bekannt, hatte missliebige Menschen denunziert und im Januar 1942 die letzte in Neustadt noch lebende Jüdin an das Landratsamt gemeldet, die dann „ordnungsgemäß“, wenige Wochen vor Kriegsende, noch ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Seine Baufirma hatte vom Rüstungsbauboom profitiert. Politik und Geschäft waren zur gewinnbringenden Einheit verschmolzen. Niemand protestierte, als dieser Mann seine politische Karriere in den fünfziger Jahren fortsetzte. Rahlfs’ erste Amtszeit dauerte bis 1961. Dann machte er eine Pause und repräsentierte die Stadt von 1966 – 1968 zum zweiten Mal als Bürgermeister. Jetzt förderte er gemeinsam mit dem Heimatbund die Herausgabe einer Stadtchronik, in der die Zeit des Faschismus und damit auch seine eigene Rolle bei der Vernichtung der Neustädter Juden komplett verschwiegen wurde.

Diese Mischung aus Derealisierung und Affirmation der Shoah durch die Bundesrepublik ist ganz typisch. Solche Wilhelm Rahlfs gab es an jedem Ort, in jedem Dorf, jeder Stadt und jeder Großstadt. Bis heute ist das nur ganz sporadisch mal aufgearbeitet worden und bis heute sträuben sich die lokalen Eliten, Tacheles zu reden oder zucken kurz mit der Schulter, wenn sie erfahren, dass ein Vorgänger im Amt als Bürgermeister bei der SS war oder antisemitische Hetze betrieben hatte bis Anfang 1945. Das ist Deutschland.

Das Neue, Interessante und enorm Wichtige ist nun, dass Hubert Brieden sich seit März 2020 auch kritisch mit der Coronakrise beschäftigt. Im Juni 2020 sprach er mit einem meiner beiden Co-Autoren von „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik„, Peter Nowak, im Radio Flora.

Im Gegensatz zu fast der gesamten Linken in diesem Land hat Brieden aus linker Perspektive die Beförderung von Zoonosen durch Massentierhaltung, die neoliberale Deregulierung und den Abbau von Krankenhäusern, den Abbau von Pflegekräften sowie insbesondere den antidemokratischen Diskurs analysiert:

Statt besonnen und rational zu handeln, was nur möglich gewesen wäre, wenn die Ursachen der Pandemie in den Blick genommen worden wären, verbreiteten Politik und Medien von Anfang an ein Horrorszenario. Das Virus wurde als Feind der Menschheit definiert, dem der Krieg erklärt werden müsse. Die Belegung von Krankheitserregern und deren Bekämpfung mit Kriegsmetaphern hat nichts mit den biologisch-ökologischen Gegebenheiten zu tun. Vielmehr werden vorherrschende Gewalt- und Gesellschaftsvorstellungen auf biologische Vorgänge projiziert. Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Entwicklung von Impfstoffen begann, tauchten solche Ideologien auf, die dem preußisch-militaristischen Weltbild entsprachen und die politischen Befindlichkeiten von Biologen und Medizinern widerspiegeln.

Der Ursprung des Krankenhauses und der Schule liegt im Militär. So viel Foucault sollte eigentlich Mainstream sein, doch das ist es nicht. Biopolitik, Patriarchat und Kapitalismus sind eine toxische Mischung für eine freie Gesellschaft – nie wurde das seit 1945 deutlicher als seit März 2020 in der Coronapolitik.

Ich würde mich selbstredend im Gegensatz zu Hubert Brieden nicht positiv oder unkommentiert auf BDS-Unterstützerinnen wie die Kanadierin Naomi Klein beziehen, im Text von Brieden auf S. 13 bezüglich der „Schocktherapie“, was eine interessante Analyse ist, aber den Antizionismus von Klein nicht verschwinden lässt, weshalb ich schrieb:

„Im September 2014 trugen wir unten stehendes großes Transparent auf einer Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin, es ist weiter aktuell. Der religiöse Fanatismus der Islamisten ist gerade in Ramadan-Zeiten besonders gefährlich. Kampf dem Jihad, Kampf dem Islamismus in all seinen Facetten, und auch Kampf dem säkularen, westlichen Antizionismus von Naomi Klein über Greta Thunberg (Fridays for Future Germany hat sich von ihr distanziert wegen des anti-israelischen Twitter-Tweets) bis Judith Butler und Roger Waters etc.“

oder auf den österreichischen Publizisten und Verleger Hannes Hofbauer (im Text von Brieden auf S. 17), über den ich jüngst schrieb:

„Ein Rubikon-Autor ist Stefan Kraft, der im Herbst 2020 im Wiener ProMedia Verlag zusammen mit dessen Verleger Hannes Hofbauer das Buch Lockdown 2020. Wie in Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern herausbrachte.[146] Es stellt sich die Frage, warum Andreas Sönnichsen, Vorsitzender des Vereins Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) einer der Autoren in diesem Buch ist, da doch der ProMedia Verlag wegen wiederholtem Antisemitismus in Österreich und Deutschland in die Schlagzeilen kam.“

, sowie den italienischen Holocaustverharmloser und antiamerikanischen 9/11-Verharmloser Giorgio Agamben (der die Deportation der Juden aus Frankreich mit der Abschiebung von Flüchtlingen, der gerade nicht nach Auschwitz abgeschoben oder deportiert werden, in direkte Beziehung setzte, vor Jahrzehnten schon) beziehen; aber andere Aspekte der Kritik von Hubert Brieden in seinem Text von November 2021 („Von Seuchen, Sündenböcken und Goldeseln in Zeiten großer Angst oder: Pandemie und Ausnahmezustand„) sind sehr wichtig und absolut treffend:

Bislang oft unpolitische Gegner der repressiven Anti-Corona-Maßnahmen, welche die Eingriffe in ihre private Lebensführung und die Zerstörung ihrer ökonomischen Grundlagen beklagten, wurden in die Arme von rechten Antisemiten getrieben, die diese fatale Situation geschickt zu nutzen wussten. Teile der Linken, weitgehend unfähig, die Situation zu analysieren, stellten sich in dieser Situation vorbehaltlos auf die Seite des repressiven Staates, forderten ein härteres Vorgehen der Polizei und verbreiteten die doppeldeutige Parole „Wir impfen euch alle!“, womit der medizinische Akt gemeint sein könnte oder die Indoktrination oder beides. Bei diesem autoritär-totalitären Auftreten hatten die Nazis leichtes Spiel, sich als Vorkämpfer der Freiheit aufzuspielen.

Sehr bedeutsam ist Briedens Hinweis auf das Verhältnis der Kritischen Theorie zur Medizinkritik:

Auch Max Horkheimer, Vertreter der Kritischen Theorie, bewahrte sich zeitlebens einen distanzierten Blick auf Ärzte und Medizinbetrieb. Seine These, nach der die bürgerliche Gesellschaft am Ende zwangsläufig in gegeneinander kämpfende Rackets und Banden zerfallen werde, entwickelte er auch am Beispiel der Ärzteschaft. Die Medizin sieht er in der Tradition eines unkritischen Objektivismus und Empirismus, die zur Fetischisierung der formalistischen Wissenschaft führe und das Subjekt von seinen Erfahrungen isoliere.62 Dazu Carl Wiemer in seiner Studie „Krankheit und Kriminalität, Die Ärzte- und Medizinkritik der kritischen Theorie“: „Die Medizin gilt Horkheimer als empiristischer Vorposten, der den komplexen Zusammenhang von Subjekt und Objekt auf den bloßen Befund der Krankheit reduziert. Die subjektive Erfahrung des Schmerzes und des Leidens kommt darin genausowenig vor wie die Beziehung dieser Erfahrung auf Gesellschaft.“

Wenn wir uns sogleich anschauen, wie heutige Holocaustgedenkstätten oder Bildungszentren, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus befassen, mit der irrationalen, unwissenschaftlichen und demokratie-, verfassungs- wie minderheitenfeindlichen Coronapolitik umspringen, ist diese Kritik von Brieden sehr wichtig:

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie kann diese Beschränktheit des Blickes in den Aussagen der öffentlich präsentieren medizinischen Experten tagtäglich konstatiert werden: Für die gesellschaftlichen Ursachen der Pandemie interessieren sie sich genauso wenig wie für die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns und ihrer Ratschläge. Beispielhaft sei der aus Funk und Fernsehen bekannte Virologe Christian Drosten genannt. Mitte November 2021 konstatiert er die nur kurzfristige Immunisierung durch die Corona-Impfstoffe und forderte „mangels Alternativen“ „wieder kontakteinschränkende Maßnahmen“ für Ungeimpfte. Ob das rechtlich zulässig sei, wisse er nicht.64 Der Experte macht also einen Vorschlag, bei dessen Befolgung für rund ein Viertel der Bevölkerung Grundrechte abgeschafft und massive Eingriffe in die ökonomische und private Lebensführung vorgenommen werden, ohne dass er sich über die rechtlichen Folgen Gedanken gemacht hat.

Ob also die ganzen „Maßnahmen“ legal sind, mit den Grundrechten, der Würde des Menschen, der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz vereinbar sind, das ist den meisten Virologen einfach völlig egal – so wie es der Politik völlig egal ist. Regelmäßig werden illegale Praktiken wie jetzt 2G im Einzelhandel in Bayern von Verwaltungsgerichtshöfen oder anderen Gerichten verurteilt.

Doch das macht offenbar Einrichtungen wie dem Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin gar nichts aus. Dort findet seit gestern eine dreitägige Konferenz zu 80 Jahre Wannsee-Konferenz statt. Ein wichtiges Thema. Doch es liegt ein Schatten über der Konferenz:

Screenshot, 19.01.2022, 21:47 Uhr

Es gilt also die Impf-Apartheid in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee Konferenz. Auch in den beiden Örtlichkeiten, wo die Konferenz live stattfindet, im dbb Forum (Deutscher Beamtenbund) und natürlich in der Akademie der Künste wird die Impf-Apartheid (2G oder 2G+) kompromisslos exekutiert.

Das Motto der dbb „Wo Begegnung begeistert“ ist besonders zynisch, da nicht Geimpfte aktuell keinen Zutritt haben. Aber dafür gibt es dort eine „Extraförderung für Nachhaltigkeit“.  Nachhaltige Entwicklung wird hier groß geschrieben –

– mit der Demokratie hingegen, da haben es die Beamten halt nicht so, dafür mögen sie die Impf-Apartheid:

Wie stark die Politik die Kultur im Kampf für die Impf-Apartheid unterstützt, zeigt auch die Akademie der Künste:

Dass Geimpfte nicht minder infektiös sein könnten wie Ungeimpfte, dass die Belegung von Intensivstationen mit Patient*innen mit einem positiven Test auf SARS-CoV-2 am 20.01.2021 noch 380 in Berlin betrug und am 20.01.2022 174, ja bundesweit aktuell nur schlappe 2418 ITS oder ICU-Pats. liegen, verglichen mit 4816 ICU-Pat. vor einem Jahr, das macht hier niemandem was aus. Wie auch? So sind doch allein zwei der Grußworte von Teilen der politischen Elite, die für das Ende der freien Wissenschaft, Kunst und Kultur paradigmatisch stehen: Klaus Lederer (Die Linke), Senator für Kultur und Europa aus Berlin und Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesregierung. Wäre gerade Claudia Roth, die so gerne die Mullahs im Iran besucht, nicht prädestiniert, eine Art Wächterrat der Zeugen Coronas einzurichten in Deutschland? Auf diesen Bezug zum „Wächterrat“ und den irrationalen Anhänger*innen der unwissenschaftlichen Coronapolitik brachte mich jüngst ein Redakteur einer Zeitung.

Während also typische Mainstream Institutionen in Deutschland der Impf-Apartheid frönen, kämpfen in Holland die Menschen für die Demokratie und die Gleichheit der Menschen. Jetzt haben dort Museen sich kurzerhand als „Frisörsalon“ umbenannt, es gibt Yoga-Kurse im Van-Gogh-Museum oder Frisörtermine bei den Philharmonikern, damit sie öffnen können – Haare schneiden gilt dort als „Grundbedarf“, Kultur und Kunst nicht.

Während also die Regierung in Den Haag ähnlich religiös fanatisch agiert wie in Deutschland – die Zeugen Coronas -, ist die Bevölkerung in Holland viel schärfer, dissidenter und kritischer als in Deutschland:

Wer im Gegensatz zum Haus der Wannsee Konferenz

eine Ahnung von Demokratie, Epidemiologie und Infektionskunde hat, ist der israelische Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Tel Aviv, Ehud Qimron:

Ich habe schon Anfang November 2020 über Ehud (Udi) Qimron berichtet („Yes, we can. Celebrate the end of Trump„), da er einer der Erstunterzeichner der legendären Great Barrington Declaration ist, die sich für einen gezielten Schutz der Vulnerablen in der Coronakrise einsetzt und allen anderen ein normales Leben ermöglichen möchte.

Qimron hat jetzt einen wütenden und scharfen offenen Brief an die israelische Regierung geschrieben. Der Gesundheitsminister soll endlich sein Versagen eingestehen. Man kann mit „Maßnahmen“ ein respiratorisches Virus nicht an seiner Ausbreitung hindern. Damit steht Qimron auf dem aktuellen internationalen Forschungsstand. Egal, welche „Maßnahmen“ ergriffen werden – nehmen wir den deutschen Maskenwahn und die schwedische Maskenfreiheit -, am Ende sterben gleich wenige Menschen (in Bayern sogar etwas mehr als in Schweden, pro Million Ew.).

Darin konstatiert er das totale Versagen der Regierung, die einen aussichtslosen und sinnlosen „Krieg gegen ein Virus“ führe. Lockdowns, Masken- und Testpflicht haben Kinder und Erwachsene unglaublich beschädigt, nicht einen alten Menschen dadurch geschützt, sondern isoliert und somit das Immunsystem noch mehr geschwächt.

Da sind die Millionen Toten in den Trikont-Ländern, die an Hunger, Erschöpfung, zu späten (Masern-)Schutzimpfungen starben und noch sterben werden, da sind die gestiegenen Tuberkulose-Toten, der Anstieg der Genitalverstümmelungen allein in Kenia, weil die Schulen geschlossen wurden, die Eltern zu Hause eingesperrt mit den Kindern waren, etc. – das World Food Programme befürchtet bis zu 270 Millionen extra Hungernde – gar nicht eingerechnet, alles Opfer – und nur Opfer – der Lockdownpolitik des Westens und Chinas, sowie der Politik der Eliten in den Trikont-Ländern, die sich aus Fanatismus, Opportunismus – Masken sind le dernier crie, Lockdowns cool und a-soziale Distanz der letzte Schrei – an die Europäer und Amerikaner anlehnten, gar nicht eingerechnet.

Prof. Ehud Qimron schreibt:

Sie haben Kollegen verleumdet, die sich Ihnen nicht ergeben haben, Sie haben die Menschen gegeneinander aufgehetzt, die Gesellschaft gespalten und den Diskurs polarisiert. Sie haben Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage als Feinde der Öffentlichkeit und als Überträger von Krankheiten gebrandmarkt. Sie fördern auf beispiellose Weise eine drakonische Politik der Diskriminierung, der Verweigerung von Rechten und der Auswahl von Menschen, einschließlich Kindern, für ihre medizinische Wahl. Eine Auswahl, die jeder epidemiologischen Begründung entbehrt.

Wenn Sie die destruktive Politik, die Sie verfolgen, mit der vernünftigen Politik anderer Länder vergleichen, können Sie deutlich sehen, dass die von Ihnen verursachte Zerstörung nur Opfer gebracht hat, die über die Anfälligkeit des Virus hinausgehen. Die Wirtschaft, die Sie ruiniert haben, die Arbeitslosen, die Sie verursacht haben, und die Kinder, deren Bildung Sie zerstört haben – sie sind die überschüssigen Opfer, die nur durch Ihre eigenen Handlungen entstanden sind.

Es besteht derzeit kein medizinischer Notfall, aber Sie kultivieren einen solchen Zustand seit zwei Jahren aus Macht-, Budget- und Kontrollgier. Der einzige Notfall besteht jetzt darin, dass Sie immer noch Richtlinien festlegen und riesige Budgets für Propaganda und psychologische Technik bereithalten, anstatt sie zur Stärkung des Gesundheitssystems anzuweisen.

Dieser Notfall muss aufhören!

 

Professor Udi Qimron, Medizinische Fakultät, Universität Tel Aviv

Ganz in diesem Sinne schreibt auch der Historiker und Publizist Hubert Brieden in seinem Text und man kann das als Radio-Feature auch anhören:

Das schmutzige Geschäft, die Anwendung von struktureller und offener Gewalt zur Durchsetzung der Ratschläge, werden an den Staat und die Politik delegiert, welche sich wiederum zur Legitimierung des eigenen Handelns auf diese Art der formalistischen Schmalspur-Wissenschaft berufen können. Horkheimer kritisierte das autoritäre Herrschaftsverhältnis des Arztes gegenüber dem Kranken, von dem die widerspruchsfreie Befolgung der ärztlichen Verordnung und damit seine eigene Entmündigung erwartet werde.

Dazu Carl Wiemer: „Die Entmündigung des Laien durch die Herrschaft des Spezialistentums – das ist es, was Horkheimer ‚Racketeering der Wissenschaftler‘ nennt. Gegen dieses Regime des Spezialisten, für den ‚das Individuum nichts als ein Gegenstand der Manipulation ist‘, artikuliert Horkheimer immer wieder sein Misstrauen. Er erblickt in ihm die zeitgemäße Version der alten totalitären Ordnung.“65

Horkheimer wörtlich: „Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre.“66

Carl Wiemer ergänzt: „In der Erscheinung des Arztes verschmilzt dieser Habitus des Spezialisten mit allen Attributen der bürgerlichen Kälte. Die ‚Gleichgültigkeit der Mediziner gegen die Leidenden‘ wird jenen aber nicht vom Gebot professioneller Nüchternheit diktiert, sondern entspringt betriebswirtschaftlichen Überlegungen.“67

Die Kritik Horkheimers trifft den Kern der Inszenierung und Selbstinszenierung der medizinischen Spezialisten in den Massenmedien. Patientinnen und Patienten, die für sich selbst und ihren eigenen Körper sprechen, werden belächelt, mit paternalistischer Geste entmündigt und für dumm erklärt.

In einem weiteren kritischen Beitrag von Januar 2022 („Impfgeschichte(n) und die Verharmlosung der NS-Medizin in der Corona-Impfkampagne“), der zudem wiederum im Freien Radio Flora aus Hannover als Radio-Feature gesendet wurde,

beschäftigt sich Brieden mit der Geschichte des Impfens vom 18. Jahrhundert über das späte 19. Jahrhundert und dem Aufkommen der Mikrobiologie, dem kolonialistischen Testen von Impfstoffen, über die Weimarer Republik und evidenzbasierte Kritik an Impfpflichten hin zur Nazi-Zeit und brutalsten und mörderischen medizinischen Menschenversuchen.

Darin heißt es treffend:

Weltärztepräsident Montgomery verschärfte die Hetze und gab die Parole von der „Tyrannei der Ungeimpften“ aus. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) assistierte dem Ärztefunktionär und meinte, 20 Prozent der ungeimpften Erwachsenen reichten aus, „um eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen“. Warum 80 % Geimpfte sowie Genesene nicht ausreichen, um eine so genannte Herdenimmunität“ aufzubauen, erklärten die Herren nicht, denn dann hätten sie über die Qualität der eingesetzten Impfstoffe reden müssen. Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vom FDP-Vorstand legte noch eine Schippe nach, als sie Ungeimpfte belehrte, sie sollten sich „im Klaren darüber sein, dass sie nicht als Minderheit, die Mehrheit terrorisieren dürfen“.2

Wollte sie damit ausdrücken, dass nur die Mehrheit befugt sei, Minderheiten zu terrorisieren? Es tat sich aber noch ein anderer Abgrund auf: Gegner der neuartigen Impfstoffe – bislang fälschlich verallgemeinernd als „Impfgegner“ und „Coronaleugner“ bezeichnet, um sie so in die Nähe von weltfremden Irren zu rücken – wurden nun des Massenterrors bezichtigt. Dass im Kampf gegen Terroristen alle Mittel recht sind, dürfte speziell in Deutschland bekannt sein. Die FDP- Militärexpertin wurde inzwischen Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie als militärischer Kampf aufgefasst wird, zeigte sich, als die neue Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen die Tradition der Merkel-Regierung fortsetzte und einen Bundeswehrgeneral, der u. a. in Afghanistan und im „Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr“ Erfahrungen sammeln konnte, zum Vorsitzenden des Covid-Krisenstabes machte.

Brieden resümiert:

1947 wurde als Konsequenz aus den NS-Medizinverbrechen vom I. Amerikanischen Militärgerichtshof der „Nürnberger Kodex“ formuliert, in dem es um zulässige medizinische Versuche geht. Dort heißt es: „Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst von Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können.“55 In Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschlands ist festgelegt, dass die „Würde des Menschen“ unantastbar sei, sie „zu achten und zu schützen“ sei „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Im Artikel 2, Absatz 2 wird als Grundrecht zwar „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ proklamiert, gleichzeitig aber festgelegt, dass in dieses Recht „auf Grund eines Gesetzes“ eingegriffen werden kann.

Seit den 1980er Jahren, gibt es von manchen Ärzten, Genetikern und anderen Wissenschaftlern immer wieder Vorstöße, das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Interesse „der Forschung“ aufzuweichen und zu relativieren.56 Nachdem die NS-Geschichte des Robert Koch-Instituts aufgearbeitet worden war, hob sein damaliger Präsident Prof. Dr. Reinhard Burger anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung 2013 die zentrale Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und der Unantastbarkeit der Menschenwürde hervor: „Für das Übertreten humanistischer Grundsätze, für die Verletzung der Würde und der körperlichen Unversehrtheit des Menschen gab es und gibt es zu keiner Zeit der Welt eine Rechtfertigung. Dies gilt auch, wenn die Mehrheit oder politische Führung ein solches Verfahren toleriert oder gar fordert.“57

Ob der seit 2015 amtierende Präsident des Robert Koch-Instituts, Wieler, oder Ärztefunktionär Montgomery diesen Satz formulieren würden, darf in Anbetracht ihrer eingangs zitierten Äußerungen bezweifelt werden. Neben Gesundheitsexperten und Ärztefunktionären stellen Politiker und Unternehmerverbände durch die Forderung nach einer Covid-19-Impfpflicht das Recht auf körperliche Unversehrtheit zur Disposition. Und wieder soll es dabei um vermeintlich höherwertige Belange gehen, die Rettung der Gesellschaft, des deutschen Volkes oder auch der deutschen Wirtschaft. Ob den Protagonisten dieser Politik bewusst ist, welche Traditionen sie pflegen und wie dünn das Eis ist, auf dem sie sich bewegen?

Insofern gilt es dem Haus der Wannsee Konferenz, dem dbb Forum im Herzen Berlins und der Akademie der Künste in Anlehnung an Max Horkheimer mitzuteilen:

Wer aber 2G exekutiert und von Epidemiologie, Demokratie, der neoliberal-kapitalistischen Zurichtung des Gesundheitswesens, den biopolitischen Zumutungen der Zeugen Coronas, der neuen deutschen Volksgemeinschaft, dem neuen „wir“, von der Würde des Menschen, den Grundrechten, dem Grundgesetz und dem Nürnberger Kodex nicht reden möchte, der soll von der Geschichte des Nationalsozialismus und der Wannsee Konferenz schweigen.

Nochmal das Zitat von Max Horkheimer, das in der BRD nie passender war als seit März 2020, im Zeitalter des pandemic turn und der Zeugen Coronas:

Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre.

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