Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. Mai 2022
Schauen Sie sich, wenn Sie sehr gute Nerven haben, diese typische Sendung im deutschsprachigen Mainstream auf 3sat vom Montag, 2. Mai 2022 an. Es geht um den Offenen Brief an Olaf Scholz von 28 Intellektuellen, ich habe gestern über ihn berichtet. Es ist nun nicht so, dass die Zuschauer*innen erstmal gesagt bekommen, was in dem Brief steht, wer ihn unterschrieben hat und warum es den Brief gibt, sondern die ersten Minuten des 11-minütigen Beitrags sind reine Hetze, pure Hetze gegen den Brief, der zu dem Zeitpunkt in der Sendung noch gar nicht seriös vorgestellt worden war. Gleich zu Beginn kommt ein drittklassiger Autor, ein Simon Strauß, der einfach so dahinschwätzt, dass der Brief zur völlig falschen Zeit kommen würde und die Leute nicht ganz knusprig seien, die den Brief unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt in der Sendung wurde der Brief noch gar nicht vorgestellt, aber massenhaft Bilder von zerstörten Städten in der Ukraine gezeigt.
Der ganze Beitrag ist also wiederum geframt, eingerahmt in die Volksverhetzung, die darin besteht, eindeutig Gut und Böse zu kennen. Gut ist, wer die Ukraine so stark aufrüstet, dass Russland provoziert wird, und evtl. auch mal NATO-Truppen im Grenzgebiet zu den Fanatikern in Estland, Lettland, Polen oder Rumänien etc. trifft oder auf irgendeine andere Weise ein Atomkrieg in Kauf genommen wird. Dieses Inkaufnehmen ist der Kern des Offenen Briefes, den die Intiator*innen und mittlerweile über 209.000 Unterschriften (am Montag waren es noch 100.000) für so dramatisch halten. Auch Jürgen Habermas ist gegen die potentiell massenmörderische Aufrüstung:
Darauf scheinen diese Kriegshetzer ja nur zu warten. Sie wollen den Atomkrieg geradezu – waren deutsche, europäische und amerikanische Politiker in den letzten Jahrzehnten menschenverachtender und todeslüsterner als aktuell?
Die Ukraine kann und wird diesen Krieg nicht gewinnen.
Wenn sie gewinnt, wird die Welt untergehen. Und das ist auch nicht schlimm, dass die Ukraine nicht gewinnt, sie muss Kompromisse eingehen, so wie Russland.
Das einzige was hierbei „German Angst“ ist, ist nicht die völlig berechtigte Sorge vor einem Atomkrieg, wie der erbärmliche Strauß in den so turbo aggressiv geframten Beitrag zu Beginn sagt. Nein, die urdeutsche Angst seit 1945 oder von Simon Strauß, ist es, wiederum gegen die Russen zu verlieren. Und da Deutschland laut dem wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages mit der Ausbildung von ukrainischen Soldaten Teil des Krieges ist, haben die Deutschen tatsächlich Angst, diesen Krieg – wie 1945 – zu verlieren.
Und die Deutschen werden verlieren – oder die ganze Welt geht unter, was ja auch 1945 das letztliche Ziel war, aber verfehlt wurde. Doch das Hauptziel hatten die Deutschen erreicht: der Holocaust fand statt, sechs Millionen Juden wurden ermordet.
Nachdem also der Beitrag auf 3sat für das ohnehin durch alle – wirklich wiederum alle – Mainstreammedien seit dem 24.02.2022 auf Linie Gebrachten, den Rahmen so klar setzt, dass niemand auch nur ansatzweise die Frage stellt, ob die Ukraine oder die NATO evtl. den Krieg mit verursacht haben könnten mit ihren Provokationen und ihrem Krieg im Donbass seit 2014 -, kommt der Kern der Sendung, das Interview. Während es sonst bei Beiträgen der Kulturzeit häufig der Fall ist, dass ein Thema eingeführt wird, und ein Interviewgast sozusagen schon mal Teile ihrer oder seiner Argumentation positiv zitiert sah, wird hier dem Publikum so was von eindeutig klar gemacht:
Liebe Zuschauer*innen, wie Sie durch unsere ersten Minuten in diesem Beitrag gesehen haben, ist der Offene Brief der 28 Intellektuellen grotesk und politisch exakt der falsche Weg. Da wir aber als öffentlich-rechtliches Medium zumindest so tun müssen, als ob wir an einer ausgewogenen Berichterstattung Interesse hätten, werden wir jetzt eine der Initiatorinnenn dieses völlig bescheuerten Offenen Briefes an Olaf Scholz interviewen. Damit sich diese Frau nicht allzu sehr freut ob Ihrer medialen Präsenz in dem Leitmedium des deutschsprachigen Bildungsbürgertums im Fernsehen, werden wir natürlich eine kleine, aber feine antisemitische Provokation reindrücken. Viel Spaß!
Das ist der Subtext dieser Sendung, das, was zwischen den Zeilen steht, und was Sie und ich lesen können.
Dann kommt also das Gespräch mit einer der Initiatorinnen des Briefes, der Philosophin Svenja Flaßpöhler vom Philosophie Magazin.
Jetzt würden die gleichen Leute, die bei Corona angeblich Menschenleben retten wollten – und dafür „Maßnahmen“ machten, die viel mehr Menschen in den Tod trieben, als das Virus in der Lage gewesen wäre, namentlich im Globalen Süden, aber auch die psychischen und körperlichen Verwerfungen hierzulande, die das Corona-Regime bis heute zu verantworten hat, sind unermesslich, bei einem Virus, das so gut wie ausschließlich ohnehin sehr alte und sehr kranke Menschen, die auch an einer Influenza gestorben wären, trifft, ein Virus, das seit langem eine Infektionssterblichkeit von deutlich unter 0,10 Prozent hat, da ja schon die Fallsterblichkeit nur 0,10 beträgt seit Monaten – plötzlich sich für das Töten von Menschen einsetzen, für mehr und für schwere Waffen an die Ukraine. Diese Heuchelei und diese menschenverachtende Kriegsrhetorik attackiert Flaßpöhler.
Klar, es geht um das Töten von Russen, das mögen alle, nicht nur Deutsche, Letten, Esten, Engländer und Amerikaner, aber es werden eben, auch das weiß jeder, mehr Ukrainer*innen sterben, je länger der Krieg dauert. Flaßpöhler betont auch, dass viele Frauen in der Ukraine keine Lust auf mehr Waffen und Krieg hätten und auch nicht wenige Männer gar keine „toxische Männlichkeit“ hätten, keine Helden werden wollten.
Doch die „Balkon“-Kriegstreiber in Deutschland wollen Waffen in die Ukraine senden, doch an der Front stehen nicht Lindner, Strack-Zimmermann, Baerbock oder Scholz. Warum eigentlich nicht? Warum gehen sie nicht als Freiwillige voran, wenn sie so dermaßen heiß sind auf Krieg? Warum sollen da 19-jährige ukrainische Männer an die Front und sterben? Warum nicht Strack-Zimmermann, Baerbock, Scholz oder Merz? Es gibt doch Freiwilligenverbände in der Ukraine.
Insgesamt schlägt sich Flaßpöhler also ziemlich gut und kämpferisch, sie ist an Eloquenz der ablesenden und erbärmlich indoktriniert wirkenden Moderatorin, die auf keinen Fall den Eindruck vermitteln wollte, eventuell eine eigene Meinung zu haben, mit österreichischem Akzent um Welten überlegen.
Eine Stelle aber ist so widerwärtig – und dafür ist diese Moderatorin selbstredend mit verantwortlich neben der gesamten 3sat-Redaktion -, dass es einen vom Stuhl haut. Diese wirklich unerträgliche Moderatorin zitiert einen viertklassigen Politiker der deutschen Grünen (Bündnis 90/Die Grünen), dessen Namen völlig unbedeutend ist, da er ein Twitter-User ist wie Millionen andere und hier eine Position vertritt, wie sie viele ganz normale Deutsche oder Österreicher haben, ein Mann also, der offenkundig ein starkes Bedürfnis nach Holocaustverharmlosung verspürt, und die 3sat Moderatorin, die ja extra dieses widerwärtige Beispiel in den a-sozialen Medien gefunden hat, zitiert ihn mit der volksverhetzenden Frage, ob die Initiator*innen und Unterzeichner*innen (wie ich selbst) des Offenen Briefes an Olaf Scholz den Juden im Warschauer Ghetto auch geraten hätten, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben.
Damit wird der Holocaust mit der ganz typischen Kriegssituation in der Ukraine gleichgesetzt. Das ist eine Leugnung des eliminatorischen Antisemitismus, der mit dem ganz normalen Krieg in der Ukraine gleichgesetzt wird. Die Ukrainer – alle Ukrainer! – werden zu den Juden von heute, auch das ist antisemitisch und verhöhnt die Juden im Warschauer Ghetto. Auf der anderen Seite, und auch das ist antisemitisch, werden somit Putin und die Russen zu Hitler und den Nazis, die alle – alle! – Ukrainer vernichten wollen, so wie die Deutschen, die Wehrmacht, die SS und ihre Verbündeten – vorneweg Bandera und die Pro-Nazi-Ukrainer – alle Juden vernichten wollten.
Flaßpöhler ist ziemlich angewidert, man sieht das an ihrer Reaktion, von diesem unerträglichen und antisemitischen Vergleich, den die 3sat-Moderatorin so eiskalt in den Raum wirft und zitiert.
Flaßpöhler hat völlig Recht und ist sehr hellsichtig, wenn sie sagt, dass man einen Krieg gegen eine Atommacht „nicht gewinnen kann“. Sprich: Das unerträgliche Männergeschwätz von Boris Johnson, der jetzt dem ukrainischen Parlament und Selenskyi sagte, sie „werden gewinnen“, möchte eine „toxische Männlichkeit“ (Flaßpöhler) wieder reaktivieren, die wir doch im Westen glaubten zumindest eingehegt zu haben. Wobei auch das ein Trugschluss ist, wenn wir die aktuelle Debatte über das befürchtete Verbot der Abtreibung in den ganzen USA via einem zu erwartenden Urteil des Supreme Court, betrachten. Auch dort ist die toxische Männlichkeit wieder vorherrschend, so wie bei den antifeministischen Familienideolog*innen, Pro-Life-Frauenverachter*innen, Nazis, Christen, der AfD und unzähligen anderen in der BRD.
Wer die ausweglose Situation der Juden im Warschauer Ghetto mit dem Krieg in der Ukraine vergleicht, handelt antisemitisch.
Putin und die russische Armee gaben z.B. den Neo-Nazi-Banden und anderen in Mariupol lange Zeit, sich zu ergeben. Wer diesen ganz normalen Krieg mit dem Holocaust und dem Warschauer Ghetto vergleicht, handelt antisemitisch und möchte leugnen, was im Warschauer Ghetto passierte, da heute nichts auch nur minimal Vergleichbares in der Ukraine passiert.
Die Ukraine hat seit acht Jahren Krieg gegen die russischsprachige Minderheit im Donbass geführt, mit 14.000 Toten. Wer jetzt dieses Nazi-Banden, die Teil der ukrainischen Armee sind wie die Azow-Brigaden, mit der Situation der Juden im SS-Staat vergleicht, verleugnet den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen (und ihrer ukrainischen Helfer), macht also Täter zu Opfern und verhöhnt die jüdischen Opfer der Shoah.
Es scheint der 3sat Moderatorin regelrecht Spaß zu machen, Flaßpöhler so zu provozieren. Und das zeigt den ganzen antisemitischen Abgrund, an dem die deutsche und österreichische Kulturelite steht.